Fachartikel Messtechnik

Trends bei Power-Quality-Messgeräten

Messverfahren, Normen und Zertifizierung

13.12.2017

Die Netzqualität leidet zunehmend unter dem Einsatz von Leistungselektronik, da letztere beispielsweise in Umrichtern unerwünschte Stromanteile erzeugt. Elektronikgeräte können durch diese Strom­anteile gestört werden. Die Erfassung der Power Quality gewinnt deshalb an Bedeutung. Aber worauf kommt es bei ihrer Messung an?

Verteilnetze für elektrische Energie werden seit der Fehde zwischen Thomas Edison und Nikola Tesla mit Wechselspannung betrieben. Spannung und Strom waren sinusförmig mit einer Frequenz von 50 Hz oder 60 Hz. Der sinusförmige Verlauf der Spannung ergab sich aus der Verwendung induktiver Generatoren zur Umwandlung mechanischer in elektrische Leistung. Der Strom hatte denselben Verlauf, da seinerzeit die meisten Verbraucher, u. a. klassische Glühlampen, Heizgeräte und Motoren, linear waren.

Mit der Erfindung von Thyristoren und Triacs und dem steigenden Einsatz von Leistungselektronik ab den 1970er-Jahren wurde es möglich, moderne Steuersysteme aufzubauen. Diese erlauben eine erhebliche Steigerung der Effizienz und der Flexiblität. Nachteilig ist, dass sie nichtlineare Lasten sind – der aufgenommene Strom hat Frequenzanteile, die in der Spannung nicht enthalten sind. In der Folge steigt die Verschmutzung des Netzes durch Oberschwingungen und Zwischenharmonischen stetig an, wodurch auch die Systemverluste steigen. Zudem sind elektronische Verbraucher zunehmend empfindlich gegenüber solchen Störungen. Das Konzept der Netzqualität (Power Quality) wurde als Antwort auf diese Problematik eingeführt.

Warum betrifft uns die Netzqualität?

Die Gewährleistung ausreichender Netzqualität ist für den zuverlässigen Betrieb sowohl von Netzen als auch von an sie angeschlossenen Geräten wichtig. Die verschiedenen Störungen wirken sich auf unterschiedliche Weise aus. Oberschwingungen beispielsweise erhöhen die Systemverluste in Transformatoren, Leitungen und Kabeln – die Übertragungskapazität sinkt. Zudem kann die Scheitelspannung das √2-fache des Effektivwerts überschreiten, wodurch die Isolation belastet wird. Auch Menschen können durch die Netzqualität beeinflusst werden, wenn beispielsweise Spannungsfluktuationen zu flackernden Lampen führen. Spannungseinbrüche können empfindliche Fertigungsprozesse stören und zu teuren Produktionsausfällen führen.

Da es unmöglich ist, entweder alle Störungen der Netzqualität zu verhindern oder alle Geräte vollständig gegenüber diesen Störungen immun zu machen, werden Grenzwerte für die Aussendung von Störungen und für die Immunität vereinbart (Bild 1). Dies ist ein im Themenfeld der elektromagnetischen Verträglichkeit etabliertes Prinzip, welches Aspekte der technischen Machbarkeit und der Wirtschaftlichkeit berücksichtigt.

Im Bereich der Normung ist die Betrachtung der Netzqualität auf den Frequenzbereich von 0 bis 9 kHz be­schränkt. Die Erweiterung auf 150 kHz ist geplant.

Die Messung der Netzqualität erfordert spezifisch hierfür entwickelte Messgeräte. Zentral ist, dass verschiedene Messgeräte bei demselben Eingangssignal auch zumindest ähnliche Messwerte liefern. Diese Anforderung erscheint heute trivial, denn inzwischen gibt es Normen mit Definitionen, die klar, eindeutig und allgemein anerkannt sind. Lange war dies nicht der Fall. Messgeräte, die die relevanten Normen erfüllen, liefern bei demselben Eingangssignal vergleichbare Ergebnisse.

Aus Netz-Phänomenen wird Wissen

«Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.» Dieses alte Sprichwort gilt auch im Zeitalter der Digitalisierung. Deshalb weisen wir hier auf einige bekannte, aber oft nicht angewandte Erfordernisse hin. So ist es bei der Planung von Messkampagnen unabdingbar, die Erwartungen an Messresultate, Messgenauigkeit und Messunsicherheit genau abzuklären und basierend darauf aufeinander abgestimmte Elemente für die Messkette auszuwählen. Für Netzqualitätsmessungen ist es zwingend erforderlich, die Übertragungs-Charakteristik (Frequenz- und Phasengang) der Strom- und Spannungswandler zu kennen, um aussagekräftige und verwertbare Messresultate zu erzielen. Zudem sind die sichere, korrekte elektrische Installation der Messwandler, der Messgeräte sowie die EMV-konforme Verdrahtung der Mess- und Kommunikationsleitungen eine Voraussetzung für den Messerfolg. Schliesslich muss durch eine auf anerkannte Normale rückführbare Prüfung oder Kalibrierung sichergestellt sein, dass Mess­ergebnisse ­vergleichbar sind – mit anderen Mess­ergebnissen und mit Anforderungen von Normen, Verträgen oder Gesetzen. Nur mit einer geeigneten Messkette können aus physikalischen Netz-Vorkommnissen relevante Messrohdaten generiert, diese nach interessierenden Daten selektiert und komprimiert sowie daraus mittels einer geeigneten Auswerte-Software nutzbares Wissen generiert werden. Dieser Transformationsprozess von Netz-Phänomenen in Wissen ist nur so gut wie das schwächste Glied der Messkette.

Normen – der Schlüssel zu zuverlässigen Messungen

Der Bereich Netzqualität ist ein komplexes Aufgabenfeld für die Normung, da sowohl in der Breite als auch in der Tiefe Erfahrung benötigt wird, beispielsweise bezüglich Energietechnik, Netzqualitätsphänomenen, Messtechnik und Signalverarbeitung. Die wichtigsten Normen zur Netzqualität werden von der Arbeitsgruppe IEC SC 77A WG 9 ausgearbeitet, aber auch die Cenelec ist hier aktiv. Die Arbeitsgruppen setzen sich aus Experten von Messgeräteherstellern, aus der Elektrizitätswirtschaft, Hochschulen, nationalen Metrologie­instituten wie dem Eidgenössischen Institut für Metrologie Metas und privaten Prüfinstituten zusammen. Durch die breite Abstützung des erarbeiteten Konsenses können praxisgerechte Lösungen auch bei gegensätzlichen Interessen erarbeitet werden.

Die betreffende IEC-Normenreihe besteht aus diversen Teilen, die u. a. ­allgemeine Grundsätze, Emissionsgrenzen, Prüf- und Messtechniken, Installationsrichtlinien und Abhilfemassnahmen abdecken. Für Netzqualität sind vor allem die in Tabelle 1 aufgeführten Normen bedeutsam.

Allerdings führte die Normung der Messmethoden leider nicht zur beabsichtigten Vereinheitlichung der Implementierung in PQ-Messgeräten. In einigen Fällen haben Messgeräte, die sich auf diese Normen stützen, abweichende Messergebnisse geliefert. Daraufhin mussten Geräteklassen und Prüfverfahren normiert werden (Tabelle 2).

Ausserdem hat die Zertifizierung, also die Prüfung durch unabhängige Dritte, an Bedeutung gewonnen.

Diese Normungsaktivitäten sind Teil eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, der die Veränderungen im Bereich der Elektrizitätswirtschaft abbildet. Besonders bei der Netzqualität haben sich die Anforderungen in den letzten zwei Jahrzehnten stark gewandelt. Bis 2003 die Norm IEC 61000-4-30 veröffentlicht wurde, waren fast nur Handgeräte zur Netzqualitätsmessung auf dem Markt. Diese verwendeten proprietäre Algorithmen. Die Norm hat einheitlichen Algorithmen für die verschiedenen Netzqualitätsphänomene zum Durchbruch verholfen. Ferner hat sie dazu geführt, dass Messgeräte verschiedener Hersteller vergleichbare Mess­ergebnisse liefern. Erst diese bis dahin nur scheinbar triviale Anforderung erlaubt es, im Streitfall unzweifelhaft und gerichtsverwertbar nachzuweisen, ob die Anforderungen an die Netzqualität eingehalten wurden.

Zertifizierung – Was ist das?

Die Zertifizierung gewinnt zunehmend an Bedeutung. Sie ist gemäss ISO 17000 die auf Prüfungen gestützte Bestätigung, dass ein Gerät die Anforderungen erfüllt, sofern sie von einem unabhängigen Dritten ausgeführt wird. Dieser ist in der Regel ein nationales Metrologieinstitut oder ein akkreditiertes, privates Prüfinstitut. Rechtlich vorgeschrieben ist die Zertifizierung nicht. Im Gegensatz zur Bestätigung des Herstellers oder Importeurs bietet sie dem Käufer dadurch einen Mehrwert, dass die zertifizierende Stelle unabhängig ist – sie ist weder durch kommerzielle Interessen des Herstellers noch durch eine Beteiligung an der Entwicklung befangen. Die Zertifizierung eines Netzqualitätsmessgeräts nach IEC 62586-2 erfordert mehr als 150 zum Teil aufwendige Prüfungen. Hierzu ist sowohl eine aufwendige, auf das Internationale Einheitensystem SI durch Kalibrierung zurückgeführte Prüfinfrastruktur als auch Erfahrung notwendig.

Das Metas hat seine Mess- und Prüf­infrastruktur für Phasor Measurement Units (PMUs) auf Netzqualitätsgrössen erweitert und kann nun, als eines von wenigen Laboren weltweit, PMUs nach IEEE C37.118 und Netzqualitätsmessgeräte nach IEC 62586 kalibrieren, prüfen und zertifizieren. Der PMU-Mess­platz erlaubt es, Spannungs- und Stromsignale UTC-synchronisiert zu erzeugen und ist durch Kalibrierung auf das Internationale Einheitensystem SI zurückgeführt.

Künftige Netzqualitätsthemen

Der Strombedarf dürfte auch künftig weltweit steigen. Gründe dafür sind das Ansteigen der Weltbevölkerung, die Urbanisierung, der Vormarsch der Elektromobilität sowie die Digitalisierungswelle. Diese Zunahme kann mit Energieeffizienz-Offensiven nicht genügend kompensiert werden. Deshalb wird der zusätzliche Strombedarf durch den Ausbau dezentraler Erzeuger wie Photovoltaik-, Wind- oder Wasserkraftanlagen abgedeckt werden. Diese Entwicklung führt dazu, dass bekannte physikalische Phänomene zu signifikanten Netzqualitätsthemen werden. Zwei wichtige Themenbereiche stellen wir hier kurz vor:

Erweiterung des Messbereichs

Die Verwendung des Bereichs von 2 kHz bis 150 kHz ist heute international nicht durch Normen geregelt. Nun gibt es Gerätehersteller, welche die Störfrequenzen ihrer Geräte bewusst in dieses Band legen, mit der Folge, dass z. B. Stromzähler dadurch gestört werden können. Die Fälle von Inkompatibilitäten aufgrund des nicht geregelten Frequenzbandes nehmen stark zu. Die IEC hat deshalb reagiert: Momentan ist die Norm für die Kompatibilitätsgrenzen in öffentlichen Niederspannungsnetzen IEC 61000-2-2 für den Bereich von 2 kHz bis 150 kHz in der Vernehmlassung. Die zuständige PQ-Arbeitsgruppe IEC SC 77A WG 9 arbeitet an der Revision der bestehenden IEC-Norm 61000-4-30, um geeignete Messmethoden für Netzqualitätsphänomene in diesem Frequenzbereich festzulegen.

Verbraucherseitige Überwachung

Ein Fachbericht (technical report, TR) für die verbraucherseitige Netzqualitätsüberwachung (Demand Side Power Quality – DSPQ) wird momentan in der Cenelec-Arbeitsgruppe CLC/TC 85X erstellt und legt Empfehlungen zur Messung der Netzqualität und ihrer Bewertung in Anlagen fest. Die meisten Normen legen nur die Spannungsqualität an der Übergabestelle des Energieversorgers zum Netznutzer (PCC) fest. Die DSPQ beschreibt die Phasen, die für die Erstellung eines verbraucherseitigen Netzqualitäts-Mess­plans für Gebäude und Industrieanlagen nötig sind. Die Verbraucherseite ist definiert als die elektrische Installation, jenseits des PCC, die unter der Verantwortung der Facility Manager steht. Ein solcher Netzqualitätsmess­plan ermöglicht die Optimierung der Energieverfügbarkeit und -effizienz, verbessert die Lebensdauer von Anlagen und erleichtert die Diagnose und Bereinigung von Qualitätsproblemen. Ein Netzqualitäts-Mess­plan umfasst folgende Stufen:

  • Definition des Kontextes, der Ziele und der Einschränkungen
  • Bewertung der ursprünglichen PQ-Situation
  • Definition eines Aktionsplans zur Verbesserung der PQ-Situation
  • Umsetzung des PQ-Messsystems
  • Nutzung des Messsystems zur Verbesserung der PQ-Situation
  • Wartung des PQ-Messsystems.

Solche Berichte helfen Facility Managern, ihre Messpläne auf die spezifischen Bedürfnisse ihrer elektrischen Anlage abzustimmen. Sie befassen sich mit allen Störungen, die in solchen Netzwerken vorhanden sind, aber decken nicht die Störungen in öffentlichen Stromverteilnetzen (Versorgungsseite) ab, da sie durch spezifische Normen und Vornormen wie EN 50160 und IEC TS 62749 geregelt werden.

Daneben sind weitere Themen in internationaler Experten-Diskussion:

  • Netzqualitätserfassungsnetzwerke in Niederspannungsanlagen
  • Netzqualitätsüberwachung in Gleichstromanlagen (DC)
  • Neue, schnelle Frequenzmess­methoden für die Erfassung der Frequenz zu Erkennung von Veränderungen in weniger als 10 s, dem heutigen Normwert
  • Statistische Auswertung der Leis­­tungskomponenten
  • Standardisierung der Daten­for­mate
  • Schnelle Transienten
  • Koordination der Standards der Messmethoden mit denjenigen der Stromsensoren.

Zusammenfassung

Die Netzqualitätsüberwachung wird aufgrund des steigenden elektrischen Energiebedarfs, der Zunahme dezen­traler Energieproduktion und der neuen Netzqualitäts-Themen für alle Stakeholder weiter an Bedeutung gewinnen. Sie wird auch künftig in zwei Hauptaufgabengebiete aufgeteilt: die statistische Auswertung von Netzqualitäts-Grössen (Konformität) sowie das Beobachten, Überwachen und Analysieren von dynamischen Netzqualitäts-Ereignissen (Bild 2). In beiden Fällen ist die Vergleichbarkeit der Messergebnisse, wie sie durch Zertifizierung, Prüfung oder Kalibrierung sichergestellt wird, essenziell. Es zeichnet sich bereits heute ab, dass die neuen Netzqualitäts-Themen eine Unmenge von zusätzlichen Daten generieren werden. Diese Datenflut ist intelligent zu erfassen, zu selektieren, zu komprimieren und zu interpretieren.

Eine effiziente Netzqualitätsüberwachung kann das Unsichtbare im Netz sichtbar machen, bevor es nachteilig auf Mensch und Material wirkt. Damit leistet sie auch zukünftig einen signifikanten Beitrag an die heute sehr gute Verfügbarkeit elektrischer Energie.

Autor
Jean-Pierre Braun

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Eidgenössischen Institut für Metrologie Metas.

  • Metas, 3003 Bern-Wabern
Autor
Max Ulrich

ist Geschäftsführer von Camille Bauer ­Metrawatt AG.

  • Camille Bauer Metrawatt AG, 5610 Wohlen

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