Fachartikel Messtechnik

Power Quality mit Smart Metern messen

Netzanalyse

31.03.2021

Immer mehr Strom­verbraucher sind mit Wechsel­richtern ausgestattet, die die Netz­qualität beein­trächtigen. Mit Zusatz­funktionen in intelligenten Strom­zählern lassen sich Problem­fälle bei nicht­linearen Lasten im Netz identi­fizieren. Der Fokus liegt dabei auf der Qualitäts­einhaltung der Spannungs­harmo­nischen nach EN 50160 sowie auf der Suche nach den Störungs­verursachern.

Wichtige Pfeiler der Schweizer Energie­strategie 2050 sind der Ausbau der erneuer­baren Energien, die Substitution der fossilen Energie­träger und, damit verbunden, die wachsende Elektro­mobilität sowie die Effizienz­steigerung verschie­dener Systeme oder Verbraucher­produkte. Für die möglichst verlustfreie Wandlung von elektrischer Energie in Batterie­speicher­systemen, drehzahl­geregelten Wärme­pumpen oder Lade­einrich­tungen für Elektro­fahrzeuge werden Wechselrichter oder Frequenz­umformer eingesetzt. Der Nachteil solcher Applikationen ist eine erhöhte Verzerrungs­blind­leistung, die dazu führen kann, dass die Spannungs­qualität gemäss EN 50160 nicht mehr erfüllt wird.

Beim Entwicklungs­start eines neuen Schweizer Stromzählers 2017 standen deshalb neben den bekannten Mess­funktionen die Analyse­fähigkeiten zur flächen­deckenden Über­wachung der Spannungs­qualität nach EN 50160 auf der Spezifikations­liste. Solche Funktionen kamen bisher nur in High-End-Stromzählern und vollumfänglich in Netz­qualitäts-Messgeräten vor.

 Zunächst mussten der genaue Funktions­umfang definiert sowie die Wirtschaft­lichkeit analysiert werden. Zudem sollte das neue Produkt nachhaltig entwickelt sein, was auch die Energie­effizienz resp. den Energieverbrauch miteinschliesst. Nachfolgend werden die wichtigsten Aspekte der Produkte­entwicklung erläutert.

Ausgangslage

Elektronische Stromzähler basieren heute meist auf standardi­sierten Messchip-Sets renom­mierter Hersteller. Die Sensoren messen Strom und Spannung sowie deren Phasenlagen. Das geschieht generell über Analog-Digitalwandler, welche Daten jeder Phase abtasten, in der Regel mit einer Abtastfrequenz, die zwischen 4 und 8 kHz liegt. Anschliessend werden mit einer Mikro­prozessor­einheit die benötigten Grundwerte wie Phasenlagen, Blind- und Wirkenergie, Spannungen und Ströme sowie Blind-, Wirk- und Schein­leistung für die einzelnen Phasen und für das Gesamtsystem berechnet.

Das Zeigerdiagramm in Bild 1 illustriert die elementaren Messwerte, wobei das eingesetzte Messkonzept auf mehreren internationalen Standards basiert.

Die Blindleistung Q und die Scheinleistung S1 beinhalten nur die Komponenten der Grundfrequenz, nicht aber die Anteile mit Oberschwingungen (Verzerrung). Wichtig ist hierbei auch die Definition des Phasenwinkels φ, der sich ebenfalls nur auf die Grundfrequenz bezieht.

Oberschwingungen berücksichtigen

Die Scheinleistung S, die im Gegensatz zu S1 auch die Oberschwingungen berücksichtigt, kann durch das Produkt aus RMS-Strom und RMS-Spannung gebildet werden. Vorteilhaft ist, dass diese mit handelsüblichen Multimetern nachgemessen und berechnet werden kann.

Etwas leistungsfähigere Messchips können für die einzelnen Phasenspannungen und -ströme die Kenngrösse THD (Total Harmonic Distortion: Gesamte Harmonische Verzerrung) berechnen. Diese Grösse wird aus dem RMS-Wert und der Grundschwingung (50 Hz) gebildet und beschreibt, wie gross die Anteile der Oberschwingungen im Vergleich zur Grundschwingung sind. Der Gesamtoberschwingungsgehalt THD könnte aber auch aus den Quadratsummen der Harmonischen- Anteile berechnet werden, sofern diese Werte verfügbar sind.

Die harmonische Verzerrung der Spannung THDu wird als eine wichtige Kenn­grösse der Netz­qualität nach EN 50160 [1] definiert. Der Grenzwert von 8% darf dabei nicht überschritten werden.

THDu und THDi werden von Strom­zähler­herstellern oft als wichtige Power-Quality-Netz­kenn­grössen angepriesen. In der Schweiz zeigt sich hier aber ein etwas anderes Bild: Der THDu-Grenzwert wird in der Regel bei Weitem nicht über­schritten. Probleme gibt es hingegen bei den einzelnen Spannungs­harmo­nischen, deren Grenz­werte ebenfalls in EN 50160 geregelt sind.

Das Zentrum Energiespeicherung der Berner Fachhochschule hat die Netzqualität in einigen Schweizer Stromnetzen untersucht [2] und sieht die künftigen Qualitätsherausforderungen ebenfalls bei den einzelnen Oberschwingungen, welche teilweise schon heute zu hoch sind. Bild 3 zeigt die Ergebnisse der Analysen der Spannungsoberschwingungen, wobei der alte Grenzwert für die 15. Harmonische in einigen städtischen Netzgebieten bereits überschritten wird. Die Grenzwerte gemäss EN 50160 wurden aber 2019 auf 1% bzw. 0,75% angehoben.

Interviews mit Netzverantwortlichen und Power-Quality-Spezialisten im Vorfeld des Smart-Meter-Entwicklungsprojekts ergaben, dass es in der Netzebene 7 nicht zwingend ein flächendeckendes, zumindest aber ein genügend repräsentatives Sensornetz zur Überwachung und Verlaufsentwicklung der Spannungsharmonischen geben sollte. Idealerweise würden aber alle modernen Stromzähler über eine solche Analysemöglichkeit verfügen, damit künftige Problemstellen möglichst früh in allen Netzgebieten entdeckt werden können. Das automatische Auswerten dieser Stromzählerdaten erspart ausserdem eine manuelle und flächen­deckende Messkampagne im Feld.

Weiterführende Fachgespräche haben gezeigt, dass moderne Stromzähler auch Strom­harmonische aufzeichnen und auswerten sollten, damit bei lokalen Grenzwert­überschreitungen der Spannungs­harmonischen die Störungsverursacher möglichst schnell bestimmt werden können.

Das folgende Beispiel zeigt ein Gebiet mit Netzteilnehmern, in welchem die Grenzwerte aufgrund einer langen Netzzuleitung (hohe Impedanz) für einzelne Spannungs­harmo­nische überschritten werden. Werden nun auch die Strom­harmonischen aufgezeichnet, kann ein einzelner Verursacher von fern relativ leicht ermittelt werden. Komplexer wird die Bestimmung des Störers bei mehreren Verursachern, wenn sich einzelne Effekte wie Harmonische, deren Phasenlagen oder Resonanzen überlagern.

Umsetzung im Strom­zähler-Entwicklungs­projekt

Die Kundeninterviews und die zusätzlich gewünschten Netzanalyse­funktionen haben das Stromzähler-Entwicklungsteam bewogen, leistungsfähige Messsensoren einzusetzen, welche dem aktuellsten Stand der Technik entsprechen. Damit können nun Strom- und Spannungs­harmo­nische in eigenen Datenprofilen abgespeichert werden, wobei das Intervall für die Mittelwertbildung beliebig wählbar ist. Gemäss EN 50160 ist hier ein Mittelungs­intervall von zehn Minuten zu wählen.

Die Implementation sieht neben den fünf Last- und Power-Quality-Zeitreihen­speichern zwei zusätzliche Datenspeicher mit je 44 Messwerten sowie einer Speichertiefe von 60 Tagen vor. Der erste Speicher dient der Grenzwert­bestimmung der Spannungs­harmonischen gemäss Norm: In einem beliebigen Wochenintervall müssen 95% aller Ober­schwingungen gleich oder unterhalb des definierten Grenzwerts sein. Der zweite Datenspeicher zeichnet die Stromharmonischen auf und dient der Identifikation kritischer Kunden­applikationen.

Im Vergleich zu einem Standard-Strom­zähler muss der eingesetzte Mikro­prozessor über eine höhere Rechen­leistung verfügen und Signal­verarbei­tungs­funktionen wie die Fast-Fourier-Transformation beherrschen können. Zudem ist der eingesetzte Daten­speicher wesentlich grösser zu dimensio­nieren. Des Weiteren benötigt ein solcher Stromzähler hochlineare und störungs­robuste Messshunts oder Strom­trans­formatoren (CT), denn diese müssen Strom­harmonische bis zu 2 kHz genau abbilden können. Auf die in diesem Zusammen­hang problematische Rogowski-Technologie wurde bewusst verzichtet. Die zusätzlichen Herstell­kosten inklusive Abschreiber liegen für die beschriebenen Zusatz­funktionen bei wenigen Schweizer Franken. Diesen steht der funktionelle Mehrnutzen gegenüber, der durch den höheren Automati­sierungs­grad in Analyse und Identifikation des Netzqualitäts­problems erreicht wird.

Die anfangs geforderte Energieeffizienz wurde ebenfalls untersucht. Werden die aktuell verfügbaren Techno­logien eingesetzt, so entsteht wegen der Strom-Spannungs­harmo­nische-Funktion eine Zusatz­strom­aufnahme von ca. 0,1 W pro Stromzähler. Hier ist aber auf einen wesent­lichen Punkt hinzuweisen: Bestehende, nicht energie­effiziente Standard­strom­zähler verbrauchen inklusive Kommu­nikation in der Regel 2 bis 4 W Leistung. Das aktuelle, optimierte Design des eRS801-Zählers benötigt lediglich 1,1 W inklusive G3-PLC Power-Line-Kommunikation. Die Tabelle erläutert, weshalb die Leistungs­aufnahme hoch­gerechnet auf rund 5,5 Millionen Stromzähler in der Schweiz wichtig ist.

Ausblick

Die leistungsstarke Messtechnik in modernen Strom­zählern vermag mehr zu leisten als nur das Erfüllen der gesetzlich geforderten Zähler­auslesung nach StromVV. Auch sind weiter­führende Funktionen denkbar, die über die flächen­deckende Analyse- und Prognose­möglich­keiten der Netzqualität hinausgehen. Eine mögliche Richtung zeigt das Projekt «NILM4Balance für Last- und Produktions­spitzen-Management» der Hochschule Luzern.[3] Durch die Modellie­rung von Gebäuden und den Einsatz von 15-Minuten-Lastgang­werten werden relativ genaue Analyse- und Prognose­modelle möglich, was zu einer sehr effektiven Strom­verbrauchs­steuerung führen kann.

Der Einsatz von Minuten- oder gar Sekunden­werten von Strom­zählern könnte die lokale Detektion sowie die Analyse netz­rele­vanter Applikationen wie PV-Anlagen, Wärme­pumpen, Ladestationen etc. noch effektiver machen. Eine von der Hochschule Luzern zu diesem Thema durchgeführte Vorstudie zeigt viel­verspre­chende Resultate und Möglichkeiten. Hier soll Edge-Computing zum Einsatz kommen: Der Stromzähler bearbeitet und aggregiert die Sekunden­messwerte lokal und leitet nur die relevante Information an ein zentrales System zur Weiter­bearbeitung weiter. Eine Weiter­führung dieser wissen­schaftlichen Arbeiten ist geplant. Interessierte Projektpartner dürfen sich gerne bei den Autoren dieses Artikels melden.

Zukünftige Zusatz­funktionen können über die gesetzlich bedingte Firmware-Aktuali­sierung in bereits installierte Produkte übertragen werden. Selbst­verständlich ist eine Funktions­erweiterung nur dann möglich, wenn diese durch die eingesetzte Hardware des Stromzählers bereits unterstützt wird.

Referenzen

[1] DIN EN 50160:2020-11, «Merkmale der Spannung in öffentlichen Elektrizitätsversorgungsnetzen», Deutsche Fassung EN 50160:2010 + Cor.:2021 + A1:2015 + A2:2019 + A3:2019.

[2] Michael Höckel, «Die Qualität der Spannung in Schweizer Verteilnetzen: Vorgaben, Status, Tendenzen», Betriebsleitertagung Brunnen, 2020.

[3] Hochschule Luzern, NILM4Balance.

Autor
Dominic Lendi

ist Geschäftsführer der Semax AG.

  • Semax AG
    6330 Cham
Autor
Daniel Suter

ist Leiter Produkt­mana­gement der Semax AG.

  • Semax AG
    6330 Cham
Autor
Michael Wolf

ist CTO der Ensor AG.

  • Ensor AG
    6330 Cham

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