Akzeptanzfragen bei alpiner Wasserkraft
Technische Optimierungen, abgelehnte Projekte und ein Neubau
Frühere Grossprojekte zur Nutzung der alpinen Wasserkraft stiessen auf klare Ablehnung. Beim Wasserkraftwerk Gletsch-Oberwald führte erst eine Kombination aus Revitalisierung und touristischer Aufwertung der Rhone-Aue zur nötigen Akzeptanz. Einblicke in den Bau eines Wasserkraftwerkes mit Mehrwert.
Dort, wo sich die Kantone Uri, Bern und Wallis treffen, ist die Gegend für die Nutzung der Wasserkraft wie prädestiniert. Besonders in der Grimselregion wird dieses Potenzial rege genutzt. Wo noch Möglichkeiten für den Bau neuer Kraftwerke existieren, fehlt aber meist die Akzeptanz bei der Bevölkerung oder bei Naturschutzverbänden. Deshalb konzentriert man sich heute auf die technische Optimierung.[1] Eine aus technischer Sicht eindrückliche Aufrüstung war die des Kraftwerks Grimsel 2, bei dem vor einigen Jahren eine der vier Maschinen mit dem weltweit grössten frequenzvariablen Vollumrichter (100 MW) ausgerüstet wurde. Nun kann mit variabler Drehzahl und somit mit veränderbarer Leistung gepumpt werden. Dies steigert die Effizienz des Pumpbetriebs, da nun bei wenig Wasser in den Flüssen kein wertvolles Wasser aus den Speicherseen zur Erzeugung der Regelenergie verwendet werden muss. Zudem lässt sich die vorhandene Pumpenergie besser nutzen.
Die im Verborgenen verbesserte Technik zur Erhöhung des Ertrags deutet auf einen Aspekt der alpinen Wasserkraft hin, der die Diskussionen dominiert: die gesellschaftlich-politische Seite. Bei den spektakulären Projekten, die bis in die 1920er-Jahre zurückgehen und bei denen die maximale Energieerzeugung im Vordergrund stand, war der Widerstand zu gross: Man hatte beispielsweise ein gigantisches Stauseeprojekt im Urserental geplant, um mit einer rund 100 m hohen Staumauer bei der Schöllenenschlucht das Hochtal zu fluten. Obwohl dieses Projekt nicht umgesetzt wurde, schlummerte es aber noch länger in den Köpfen.
In den 1940er-Jahren wurde die Vision für dieses Hochtal noch kühner. Man wollte mit einer 208 m hohen Staumauer jährlich rund 3 TWh produzieren, eine Produktion, die damals einen Drittel des Schweizer Strombedarfs abgedeckt hätte. Widerstand kam von den 2000 Einwohnern von Andermatt, Hospental und Realp, die sich mit einer Umsiedlung nicht abfinden wollten. Sie vertrieben am 19. Februar 1946 den Ingenieur Fetz mit Gewalt, der zu einer Reise nach Andermatt aufgebrochen war, um als Vorbereitung für die Umsiedlung Gebäude zu kaufen. Er wurde hinunter nach Göschenen gejagt, wo er anschliessend ärztlich versorgt werden konnte.[2]
Die fehlende Akzeptanz stand auch einem weiteren, seit den 1950er-Jahren geplanten Stausee im Weg. Man wollte die Hochebene fluten, in der die Siedlung Gletsch im Goms unterhalb des Rhonegletschers im Wallis liegt. Da die Siedlung nur im Sommer bewohnt wird und die Bedeutung des Tourismus und des Hotelbetriebs durch die Motorisierung des Reiseverkehrs seit den 1960er-Jahren markant abnahm, rückte die wasserwirtschaftliche Nutzung stärker ins Zentrum. Aber auch hier waren die Widerstände so gross, dass das Projekt in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre aufgegeben wurde.
Fokus auf kleinere Kraftwerke
Mit der Einführung der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) 2009 verschob sich der Fokus von grossen Stauseen auf kleinere Wasserkraftprojekte, bei denen der Widerstand weniger ausgeprägt ist. Letztere waren früher aus ökonomischer Sicht nicht attraktiv, obwohl sich die Bevölkerung eher mit ihnen anfreunden konnte. Ein Beispiel eines Neubaus ist das Kraftwerk Realp 2 im Urserental, das im letzten Jahr den Betrieb aufnahm.[3]
Aber auch im Wallis überlegt man sich, wo man neue Wasserkraftwerke erstellen kann. Die FMV SA plante den Bau eines Kraftwerks von Gletsch nach Oberwald. Zunächst stiess man auch hier auf Widerstände seitens der Umweltverbände, die sich noch bis 2010 massiv gegen den Bau des Wasserkraftwerks wehrten. Dann kam es zu einem Meinungsumschwung: Durch Diskussionen mit Vertretern aus dem Tourismusbereich, der Landwirtschaft, dem Verkehr und der Umwelt wurde allen Beteiligten klar, dass dies eine Chance ist. Man legte ein konsensfähiges Konzept fest, das vorsah, gleichzeitig mit dem Bau des Wasserkraftwerks die Situation der Rhone zu verbessern und die Gegend touristisch aufzuwerten. Der Fluss verlief nämlich früher in einem geraden, künstlichen Korsett – man wollte damals die Rhone «bändigen». Mit dem neuen, naturnahen Ansatz war die Akzeptanz nun gegeben.
Bauprojekt Gletsch-Oberwald
Nach der siebenjährigen Bewilligungsphase und der Zustimmung durch die Umweltverbände begannen am 18. Mai 2015 die Bauarbeiten mit der Sprengung des Zugangsstollens in Oberwald. Der 300 m lange Stollen wurde mit einer Steigung von 16% in den Berg gesprengt. Im Herbst 2015 folgte der Ausbruch der Kavernenzentrale in Oberwald. Dann wurden zwei Stromleitungen in den Zugangsstollen verlegt, die als erdverlegte Kabel bis nach Oberwald ins Netzgebiet der EWO reichen. Es gibt heute auch eine neue Leitung bis Ulrichen, wo man auf die nächsthöhere Netzebene, 65 kV, geht. Der Energieanschluss wurde zunächst für die Tunnelbohrmaschine benötigt, die mit 1,2 MW eine beträchtliche Anschlussleistung aufwies. Nach dem Ausbruch der Kaverne wurde der 40-t-Kran installiert, der für die Montage der elektromechanischen und elektrischen Komponenten erforderlich war.
Für den Ausbruch des Druckstollens wurde die 120 m lange und 300 t schwere Tunnelbohrmaschine montiert. Ab Oktober 2015 arbeitete sich die Bohrmaschine durch den Grimselgranit, der zwar einige Einschlüsse aufweist, aber sonst sehr stabil ist, die 2,1 km nach Gletsch. Die Maschine kam rund ein halbes Jahr später in Gletsch an. Dann wurde sie für den Innenausbau umfunktioniert. Mit dem gleichen Fahrgestell fuhr man von oben nach unten und betonierte die oberen zwei Drittel des Stollens aus. Um Baukosten zu reduzieren und die Bauzeit zu verkürzen, wurden im letzten Drittel des Druckstollens statt der üblichen Stahlpanzerung vorgefertigte Elemente, GFK-Röhren, hineingeschoben. Die Röhren mit einem Innendurchmesser von ca. 2,6 m sind 6 m lang und 20 t schwer. Stahlröhren sind zeitraubend, denn sie müssen geschweisst werden. GFK-Elemente werden als Sandwich verbaut: Die Röhren werden innen mit einer Betonschutzschicht beschichtet und die äussere Lücke wird mit Beton hinterfüllt. Ihre Eigenschaften sind mit Stahl vergleichbar, die Lebensdauer ist unproblematisch. Hierzulande ist der Einsatz von GFK-Röhren in Wasserkraftwerken weniger verbreitet, in Österreich werden sie häufiger eingesetzt.
Der Kavernenausbau wurde spartanisch ausgeführt. Die Wände sind mit Spritzbeton verputzt, an den Decken hat es statt Verkleidungen einfache Abdeckungen, um das tropfende Bergwasser abzuleiten. Dann wurden die zwei identischen Pelton-Turbinen mit Generatoren sowie die Schaltschränke und pro Maschine ein Trockentrafo, der die Spannung auf 16 kV hinauftransformiert, installiert. Die Maschinengruppen wurden ab Oktober 2017 für erste Tests in Betrieb genommen.
Um den Brandschutzvorgaben zu genügen, wurde für 1 Mio. CHF ein spezielles Zwangslüftungssystem in die Kaverne eingebaut. Bei einem Brand bläst die Lüftungsmaschine den Rauch durch den Unterwasserkanal hinaus, der in die Rhone zurückführt. Die Kosten für das gesamte Projekt betrugen rund 67 Mio. CHF, inklusive Umweltmassnahmen.
Für Planer und Unternehmer stellte die Logistik die grösste Herausforderung dar. In den sieben Wintermonaten hatte man nämlich keinen Zugang zu Gletsch und das Projekt musste über den unteren Zugang in Oberwald abgewickelt werden. Die Zeitfenster für die Arbeiten in Gletsch waren kurz. Zudem hatte man wenig Raum. Im Untertagebetrieb waren während zweieinhalb Jahren durchschnittlich 40 Personen vor Ort permanent im Einsatz, teilweise im Dreischichtbetrieb.
Durch die parallel zum Bau des Kraftwerks ausgeführten Revitalisierungsmassnahmen hat die Rhone wieder ihren ursprünglichen Charakter erhalten. Zudem wurde die Gegend für Touristen attraktiver gemacht, indem eine neue Fussgängerbrücke gebaut und Wanderwege, bzw. im Winter eine Langlaufloipe der Rhone entlang von Oberwald nach Gletsch, erstellt wurden. Die Rhone-Aue «Sand» ist von nationaler Bedeutung.
Die Eigenschaften der Stromproduktion
Das Wasser für die Turbinierung wird unterhalb von Gletsch gefasst und dort durch die im Felsen integrierte Entsanderkaverne, wo der Feinstoffanteil deutlich reduziert wird, in den Druckstollen mit einem Bruttogefälle von 288 m geleitet. Die Obere Rhone ist hier eigentlich ein grösserer Bach. Den Charakter eines Flusses erhält sie erst viel später. Das in der Kavernenzentrale in Oberwald turbinierte Wasser wird oberhalb der revitalisierten Aue zurückgegeben. Da das neue Kraftwerk keine Speicherfunktion hat, weist es auch keine Schwall-Sunk-Problematik auf.
In Gletsch ist die Produktion sommerlastig. Im Sommer kann man bei einem Zufluss von 12 m3/s die Ausbauwassermenge von 5,7 m3/s nutzen, der Überlauf ist also beträchtlich. Bei den durchschnittlichen 0,5 m3/s im Winter ist nur eine Turbine in Betrieb. Wenn im Winter die minimale Restwassermenge von 200 l unterschritten wird, werden die Turbinen ganz abgestellt. Im ersten Betriebswinter standen die Maschinen wegen Wassermangel 4 Wochen still. Nebst der saisonalen Schwankung hat man auch einen typischen Tagesgang, der unter anderem durch die Bewölkung und die Sonneneinstrahlung beeinflusst wird. Der Rhonegletscher liefert im Sommer am Morgen etwa 6 m3/s, am Nachmittag 14 m3/s. Diese Schwankungen sind in den anderen Jahreszeiten weniger ausgeprägt.
Zwei identische sechsdüsige, vertikalachsige Peltonturbinen mit oben installierten Generatoren mit je 7,5 MW Nennleistung erzeugen nun elektrische Energie, die mit der neu erstellten 16-kV-Leitung ins Unterwerk nach Oberwald geleitet wird. Bei identischen Systemen profitiert man von einer einfacheren Ersatzteilhaltung. Jährlich geht man von einer Energieproduktion von 41 GWh aus.
Da die sechs Düsen individuell geöffnet werden können, hat man die Flexibilität, bis hinunter zu 200 l/s zu turbinieren. Das turbinierte Wasser fällt in eine Kammer, von der es in den Rückgabestollen und schliesslich in die Rhone gelangt.
Das Wasserkraftwerk Gletsch-Oberwald ist ein ausgezeichnetes Beispiel für eine konsensbasierte Kombination aus hydraulischer Energieerzeugung mit begleitenden Umweltmassnahmen. Der Mehrwert, den diese Kombination sowohl für Stromversorger als auch für den Tourismus schafft, macht diese Art der hochalpinen Wasserkraft attraktiv.
Referenzen
[1] Otto Hartmann, «Die Modernisierung bestehender Wasserkraftanlagen», Bulletin SEV/VSE 10/1990, S. 19.
[2] Matthias Chapman, «Wie die Andermatter ihr Dorf vor Stausee-Fluten retteten», Tagesanzeiger, 18.6.2011.
[3] Radomír Novotný, «Flexible Kleinwasserkraft in den Alpen», Bulletin SEV/VSE 2/2018, S. 23.
Literatur
Raoul Albrecht, «Neubau KW Gletsch-Oberwald», Wasser Energie Luft, Heft 4 2018, S. 247– 250.
Links
de.wikipedia.org/wiki/Urserenkraftwerk
www.fmv.ch/de/eau/neubau/gletsch-oberwald
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