Fachartikel Infrastruktur , Smart Grid

Zielnetzplanung light

Methoden und Tools für die Langzeitplanung des Verteilnetzes

01.05.2017

Eine strukturierte Zielnetzplanung gewinnt an Bedeutung bei wachsenden Anteilen an dezentraler Einspeisung, Speichertechnologien und Elektromobilität. Das im BFE-Projekt «Zielnetzplanung CH light» entwickelte Handbuch sowie zwei spezifische Berechnungstools, die kostenlos verfügbar sind, bieten die wichtigsten Hilfsmittel für die zielgerichtete Planung der Netzebenen 5 bis 7.

Die Zielnetzplanung (ZNP) ist eine zentrale Methodik des Asset-Managements für die technische und betriebswirtschaftliche Optimierung des Elektrizitätsversorgungsnetzes im Zeithorizont der Betriebsmittelnutzung. Das Verständnis der wichtigsten Prozesse (Erarbeiten, Beurteilen und Vergleichen von Netzvarianten) und das Erkennen der Zusammenhänge zwischen Netzinvestitionen, Finanzierungskosten und Versorgungssicherheit sind essenziell, um eine Zielnetzplanung effizient und vor allem effektiv umzusetzen. Sind die Prozesse und Zusammenhänge transparent, fehlen in der Regel geeignete und kostengünstige Tools, die das Asset-Management des Verteilnetzbetreibers (VNB) bei der Umsetzung unterstützen. Die ZNP-Methodik, wie sie heute von einigen grossen VNB praktiziert wird, ist für kleine und mittelgrosse Netzbetreiber zu aufwendig. Datengrundlagen sind oft nicht komplett und müssen deshalb mühsam erarbeitet werden. Berechnungstools sind zu kostspielig, das Expertenwissen intern nicht vorhanden und der Personalaufwand zu hoch. Genau hier setzt das vorliegende Projekt an. Es beschreibt nicht nur die relevanten Punkte der ZNP, sondern stellt auch die auf Microsoft Excel aufgebauten Software-Tools «ZNP light» und «ZNP-Profile» zur Verfügung. Damit können die technischen und betriebswirtschaftlichen Kennzahlen von Zielnetzvarianten berechnet und visualisiert werden.

Herausforderungen der Zielnetzplanung sind die grosse Anzahl der Netz­elemente (Trafostationen, Leitungen, Verteilkabinen etc.), die meist unvollständige Datenlage, die Kopplung von technischen mit betriebswirtschaftlichen Kenngrössen, der lange Zeithorizont, um den ganzen Investi­tionszyklus abzudecken, sowie neue Technologien zur Integration von dezentraler Produktion und Speichertechnologien. Aufgrund der komplexen Zusammenhänge ist eine Zielnetzplanung ohne geeignete Hilfsmittel nicht durch­führbar.

Ein Überblick der ZNP-Systematik ist in Bild 1 illustriert. Ausgangspunkt ist das Ist-Netz. Auf der Basis der Leistungsanforderungen (Belastungsprofile), des Zielnetzplanungshorizonts (Planungshorizont) und der Sollnetzregeln (VNB-Prinzipien des Netzbaus) werden mehrere Zielnetzvarianten (Netzvarianten) erarbeitet, die es zu bewerten und vergleichen gilt.

Für die Beurteilung von Netzvarianten sind technische und betriebswirtschaftliche Kenngrössen zu berechnen. Die Ergebnisse der Netzvarianten werden miteinander verglichen. Wird dabei Verbesserungspotenzial erkannt, werden die Netzvarianten iterativ überarbeitet. Schliesslich fällt die Wahl auf jene Netzvariante, welche die langfristigen technisch-betrieblichen Kriterien erfüllt, die Versorgungssicherheit gewährleistet und die günstigsten betriebswirtschaftlichen Ergebnisse erzielt.

Für die Durchführung der Schritte im linken Teil von Bild 1 (Stichwort «Gewusst wie!») ist vor allem spezifisches Know-how des eigenen Netzes notwendig. Die Beurteilung und der Vergleich von Netzvarianten benötigen Berechnungstools. Die Ergebnisse des Projekts bieten Unterstützung für alle genannten Prozesse an.

Planungshorizont

Der Betrachtungszeitraum für eine Zielnetzplanung soll so gewählt werden, dass er die technische Nutzungsdauer der Betriebsmittel abdeckt. Dies stellt sicher, dass Zielnetzvarianten nicht durch kürzlich getätigte Investitionen beschränkt werden beziehungsweise die Variantenvielfalt nicht unnötig beschnitten wird. Damit kann eine vom bestehenden Ist-Netz möglichst unabhängige, kosteneffiziente Netzstruktur erarbeitet werden. [1]

Sollnetzregeln

Sollnetzregeln geben VNB-spezifische Prinzipien des Netzbaus vor. Sie basieren auf der Netzstrategie, die Vorgaben gibt, welche Betriebsmittel verwendet (Betriebsmittelstrategie) und wie sie miteinander verbunden werden (Netzstruktur). Eine mögliche Sollnetzregel ist zum Beispiel, dass Trafostationen der NE 6 auf der Mittelspannungsseite üblicherweise mit nicht mehr als zwei Leitungen verbunden sein sollen.

Das Ziel dieser Regeln ist, die Versorgungssicherheit mit möglichst geringen betriebswirtschaftlichen Kosten sicherzustellen. Bei der Auswahl der Betriebsmittel können konventionelle und intelligente (Smart Grid) Komponenten berücksichtigt werden. Unter Umständen fördert der Regulator intelligente Komponenten, weshalb die regulatorischen Voraussetzungen zu berücksichtigen sind.

Leistungsanforderungen

Um während der Zielnetzplanung die technisch-betrieblichen Anforderungen verschiedener Netzvarianten zu bewerten, ist es nötig, Leistungsszenarien für den Planungshorizont aufzustellen. Diese stellen dar, wie sich die Lasten, Einspeisungen und Speicher an verschiedenen Anschlusspunkten des Netzes entwickeln.

Bei der Festlegung der Leistungen an einem Anschlusspunkt wird zuerst die aktuelle Situation aufgenommen. Für den gesamten Planungshorizont werden dann wahrscheinliche Entwicklungsszenarien ausgearbeitet. Diese können sich an den Energieperspektiven für die Schweiz bis 2050 [2] orientieren oder alternativ bzw. zusätzlich an intern erarbeiteten Entwicklungsstrategien, die auch die kommunalen Entwicklungsstrategien berücksichtigen.

Das Tool «ZNP-Profile» unterstützt diesen Prozess. Die Software berechnet, basierend auf Szenarien, für alle gewünschten Anschlusspunkte des Verteilnetzes Leistungsprofile. Hierfür werden zum Beispiel auf Stufe Verteilkabine die nach unten verbundenen Einspeisungen, Verbraucher und Speicher aggregiert. Die erstellten Profile können direkt in das Tool «ZNP light» für Lastflussberechnungen übernommen werden.

Technische Beurteilung

Das aktuelle und zukünftige Verteilnetz muss den gestellten technisch-betrieblichen Anforderungen genügen. Dabei sind der Normalzustand sowie Schaltzustände bedingt durch Fehlersituationen und Umbauarbeiten zu berücksichtigen. Dazu gehört auch die Prüfung der (n-1)-Sicherheit. Die gewünschten Leistungen müssen verteilt werden können, ohne dass eine Überlastung der Betriebsmittel oder Verletzungen von Spannungsgrenz­werten auftreten. Zudem ist eine Überdimensionierung von Netzkomponenten zu verhindern.

Mit dem Tool «ZNP light» kann überprüft werden, wie stark die Betriebsmittel bei verschiedenen Szenarien ausgelastet sind. Durch die Darstellung des Spannungsverlaufs an jedem Netzknoten ist erkennbar, ob für gegebene Produktions- und Lastszenarien die von der Norm geforderten Spannungsgrenzen eingehalten werden. Ein- und dreiphasige Kurzschlussstromberechnungen vervollständigen die technische Analyse.

Zum Aufbau des technischen Modells des Ist-Netzes sind für die einzelnen Netzelemente lediglich wenige Daten wie der Betriebsmitteltyp, die geografischen Koordinaten und die Leitungslängen nötig. Aus diesen Daten erkennt das Tool automatisch die Netztopologie und stellt diese dar (Bild 2).

Betriebswirtschaftliche Beurteilung

Grundlage der betriebswirtschaftlichen Bewertung ist die Altersstruktur des Netzes, die eventuell nicht vollständig bekannt ist. Falls nötig, braucht es synthetische Ergänzungen. Die wesentlichen, bei einer betriebswirtschaftlichen Bewertung zu berücksichtigenden Kostenpunkte sind die Investitions- und Netzkosten. In der einfachsten Form der betriebswirtschaftlichen Bewertung werden die Investitionen der Zielnetzvariante über den Planungshorizont ermittelt.

Neben den Kosten ist die Versorgungszuverlässigkeit ein wesentlicher Indikator für die Qualität eines Verteilnetzes. Eine Zielnetzplanung soll die Versorgungszuverlässigkeit über den gesamten Zielnetzplanungshorizont genügend hoch halten, so dass das Ausfallrisiko einen geforderten Grenzwert nicht überschreitet. Die gängigsten Indikatoren dazu sind SAIDI, SAIFI und nicht zeitgerecht gelieferte Energie (NGE).
 Das Tool «ZNP light» stellt die Kosten und Zuverlässigkeits-Kennzahlen über den gesamten Planungshorizont dar. Bild 3 präsentiert den Verlauf von Zins, Abschreibung, Netzkosten und diskontierten Netzkosten einer Netzvariante für einen einzelnen Trafokreis. Für den Vergleich mehrerer Netzvarianten sind die Ergebnisse der Varianten in einem Diagramm zusammenzutragen und zu vergleichen.

Nutzen für den Verteilnetzbetreiber

In Zukunft wird der VNB zu einer längerfristigen Planung, die seinen Investitionsszyklus (normalerweise zwischen 35 und 50 Jahren) abdeckt, verpflichtet sein. Damit wird gewährleistet, dass die Verteilnetze nicht nur die Versorgungssicherheit gewährleisten, sondern auch möglichst langfristig niedrige Kosten aufweisen. Dies ist gerade in Bezug auf künftige Anforderungen des Regulators zentral.

Das im Projekt entwickelte Tool «ZNP light» ist darauf abgestimmt, die benötigte Datengrundlage seitens des Verteilnetzbetreibers so gering wie möglich, aber so gross wie nötig zu halten. Der VNB kann mit den zur Verfügung gestellten Methoden und Tools ohne hohen Bedarf an finanziellen und personellen Ressourcen eine Zielnetzplanung durchführen. Auf der Basis des heutigen Netzes erstellt er verschiedene Zielnetzvarianten und bewertet diese technisch und betriebswirtschaftlich. Mit den vom Tool «ZNP light» ermittelten Kenngrössen vergleicht er die Netzvarianten und wählt schliesslich das Zielnetz aus.

Das Team der BFH hat die Tools gemeinsam mit den Verteilnetzbetreibern IB-Murten, Energie Service Biel/Bienne und Energie Thun AG erarbeitet und getestet. Aktuelle Varianten von realen Verteilnetzen sind technisch und betriebswirtschaftlich modelliert und berechnet worden. Es hat sich gezeigt, dass die Tools einfach bedienbar und zur Berechnung der gewünschten Resultate geeignet sind. Die Ergebnisse sind aber nur dann verwertbar, wenn sie auf einer korrekten Datengrundlage basieren.

Dank der finanziellen Unterstützung des Projektes durch das BFE und die KTI (SCCER FURIES) sind die Projekt­ergebnisse kostenfrei nutzbar. Die BFH stellt die Projektunterlagen auf dem ZNP-Portal elektronisch zur Verfügung. Die Registrierung der Nutzer per Anfrage an die Autoren ist eine gute Basis für eine zielgerichtete und anwendungsorientierte Weiterentwicklung der Netzplanungstools.

Referenzen

[1] N. Rotering, Zielnetzplanung von Mittelspannungsnetzen unter Berücksichtigung von dezentralen Einspeisungen und steuerbaren Lasten, Aachen: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Albert Moser, 2013, p. 10.

[2] Prognos, Die Energieperspektiven für die Schweiz bis 2050, Anhang III, Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesamt für Energie, Basel, 2012.

Link

Detaillierter Projektbericht

An diesem Bericht haben auch Andreas Gut (Wissenschaftler, BFH) sowie die Vertreter der Projektpartner Roger Gloor (Leiter Netzbewirtschaftung, ESB), Charles Nicolas Moser (Geschäftsführer, IB-Murten), Michel Neuhaus (Leiter Infrastruktur Versorgungsnetze, IB-Murten), Roland Schindler (Leiter Asset Service Stromnetz, Energie Thun) und Sébastien Strambini (Engineering, ESB) mitgearbeitet.

Autor
Prof. Michael Höckel

ist Dozent für Energiesysteme an der BFH.

Autor
Stefan Schori

ist ist Tenure-Track-Dozent und Gruppen­leiter im Labor für Elektri­zitäts­netze der Berner Fach­hoch­schule.

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