Wird Kühlen das neue Heizen?
Kühlung
Mit fortschreitendem Klimawandel und zunehmender Verbreitung von Wärmepumpen wird der Bedarf nach Energie zur Kühlung in Zukunft zunehmen. Forscher an der Empa haben den zukünftigen Schweizer Kühlbedarf und dessen potenzielle Auswirkung auf das Energiesystem anhand des Forschungsgebäudes «Nest» analysiert.
Anhand des Forschungsgebäudes «Nest» an der Empa Dübendorf sowie verschiedener Klimaszenarien wurde der zukünftige Heiz- und Kühlbedarf der Schweiz evaluiert. Fest installierte Klimaanlagen sind in Schweizer Haushalten nach wie vor die Ausnahme, und die für das Kühlen aufgewandte Energie ist im Vergleich zum Heizen gering. Der Klimawandel und die zunehmende Verbreitung von Wärmepumpen werden dies ändern, falls Wärmepumpen zusätzlich zum Heizen auch zum Kühlen verwendet werden. Bei einer markanten Zunahme des Strombedarfs durch die Verbreitung von Kühlgeräten ist mit Bedarfsspitzen an heissen Tagen zu rechnen. Es braucht daher Strategien für einen nachhaltigen Umgang mit dem steigenden Kühlbedarf.
Steigende Temperaturen in der Schweiz
Der Klimawandel hat verschiedene Auswirkungen auf das Energiesystem der Schweiz, und zwar sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Beispiele auf der Angebotsseite sind sich verändernde Gletscherabflüsse, welche sich auf das Wasserkraftpotenzial auswirken oder Auswirkungen von Temperaturänderungen auf den Wirkungsgrad von Solaranlagen.[1, 2] Auf der Nachfrageseite führen höhere Durchschnittstemperaturen zu einem veränderten thermischen Energiebedarf von Gebäuden. Aussentemperaturen könnten ein Niveau erreichen, welches Innentemperaturen deutlich über die Komfortgrenzen steigen lässt. Hinzu kommt, dass sich in der Schweiz urbane Hitzeinseln im Aussenbereich bilden, d.h. vor allem Stadtgebiete weisen deutlich höhere Aussentemperaturen auf als deren umliegende, ländliche Gebiete.[3] Die Herausforderungen durch den Hitzeinseleffekt werden zusätzlich durch die Verdichtung in den Städten verschärft. Gemäss umfangreichen Klimasimulationen ist ein weiterer Anstieg der Durchschnittstemperatur der Schweiz in allen Klimaszenarien zu erwarten.[4] Auch der Klimaindikator der Kühlgradtage (sogenannte «cooling degree days», kurz CDD) nimmt zu und ist für verschiedene Klimaszenarien (RCP – Representative Concentration Pathway) im untenstehenden Bild abgebildet. Die Bestimmung der Kühlgradtage erfolgt durch die Berechnung der Differenz der Umgebungstemperatur mit einem Temperaturschwellenwert, über dem ein Gebäude gekühlt werden muss, um ein angenehmes Raumklima zu erhalten.[5]
Verbreitung von Klimaanlagen und der Faktor Mensch
Um den Vergleich mit dem Ausland zu ermöglichen, wurde zur Berechnung der Verbreitung von Klimaanlagen CDD verwendet. Basierend auf Erfahrungswerten aus anderen Ländern können steigende Temperaturen, und damit einhergehend höhere CDD, zu einer erheblichen Zunahme von Kühlgeräten in Privathaushalten führen. Falls der Heizbedarf nicht im gleichen Mass sinkt, führt dies zu einem Anstieg des Gesamtenergiebedarfs von Wohngebäuden. Der zukünftige Kühlbedarf der Schweiz wird allerdings nicht nur durch den Klimawandel bestimmt, sondern ist ebenfalls abhängig von der Entwicklung zukünftiger Gebäudeflächen, dem energetischen Zustand des Gebäudeparks und den Komfortansprüchen der Bewohner. Nicht zuletzt wird der Energiebedarf aber dadurch bestimmt, wie viele Haushalte Kühlgeräte verwenden.[7] Nur eine Minderheit der Schweizer Haushalte verfügt derzeit über fix installierte Kühlgeräte, welche auch je nach Situation eine Bewilligung benötigen. Die Entscheidung, eine Klimaanlage zu installieren, hängt von verschiedenen sozioökonomischen Kriterien, wie zum Beispiel dem Einkommen, ab und unterscheidet sich zwischen verschiedenen Ländern. Der Anteil der Schweizer Haushalte, die in Zukunft mit einer Klimaanlage ausgestattet sein werden, wurde basierend auf verschiedenen Studien abgeschätzt, in denen die Verbreitung von Klimaanlagen mit CDD in Relation gesetzt wurde (Bild unten). Basierend auf dieser Analyse könnte der prozentuelle Anteil der Haushalte mit einem Kühlgerät auf über 50% steigen. Eine interessante Entwicklung ist aber auch die rasche Verbreitung von Wärmepumpen in der Schweiz, die bis anhin mit dem Hauptzweck des Heizens installiert wurden. Reversible Wärmepumpen könnten ebenfalls zum Kühlen genutzt werden, und eine separate Klimaanlage wäre folglich nicht notwendig.
Simulation des zukünftigen Kühlbedarfs
Um den Einfluss der verschiedenen Einflussfaktoren besser zu verstehen, wurde der historische Heiz- und Kühlbedarf des Gebäudedemonstrators Nest an der Empa Dübendorf analysiert.[8] Der Energiebedarf der Wohneinheiten von Nest entspricht in etwa einem modernen Schweizer Mehrfamilienhaus. Der Heiz- und Kühlenergiebedarf wurde basierend auf bevölkerungsgewichteten Klimamodellen und mithilfe der Korrelation des heutigen Bedarfs mit der Umgebungstemperatur extrapoliert.[6] Unterschiedliche Klima-, Bevölkerungs- und Technologiediffusionsszenarien wurden zur Abschätzung berücksichtigt. In allen simulierten Szenarien sinkt der zukünftige Heizbedarf und der Kühlbedarf steigt (Bild unten). In einem Extremszenario, in welchem alle bewohnten Gebäude und Bürogebäude mit einer Klimaanlage ausgestattet sind, würde die Schweiz ab Mitte dieses Jahrhunderts vergleichbare Energiemengen zum Kühlen wie zum Heizen benötigen. In Zahlen ausgedrückt würde dies zirka 20 TWh Heizenergie und 17,5 TWh Kühlenergie entsprechen. In einem moderateren Szenario würde die Schweiz bis 2050 etwa 5 TWh an Kühlenergie benötigen. Dieser Kühlbedarf wurde unter der Annahme berechnet, dass alle Schweizer Gebäude im Schnitt dem Energieeffizienzstandard des Nest-Gebäudes entsprechen.
Es ist zu beachten, dass in diesen Analysen nicht alle möglichen Einflussfaktoren berücksichtigt wurden: Die Energiemenge zum Heizen sowie auch jene zum Kühlen kann sich zum Beispiel ändern, wenn nicht die gesamte Wohnfläche beheizt oder gekühlt wird oder wenn die Kleiderwahl, und dementsprechend der Komfortanspruch, entsprechend angepasst werden.
Auswirkungen auf das Energiesystem
Im Sinne einer vorausschauenden Planung sollten Massnahmen zur Hitzeminderung heute schon ergriffen werden. Im Zentrum stehen die Fragen, mit welchen Massnahmen der steigende Kühlbedarf gedeckt und wie die Auswirkungen auf das (zukünftige) Energiesystem minimiert werden können. Falls zum Beispiel ein Kühlbedarf von 5 TWh durch reversible Wärmepumpen gedeckt werden muss, unter Annahme einer Leistungszahl von zwei bis drei (1 W Elektrizitätsbedarf pro 2–3 W Kühlleistung), würde der Kühlbedarf zu einem zusätzlichen Strombedarf von zirka 2 TWh führen. Dies entspricht einem grossen Wasserkraftwerk mit 1 GW Leistung, welches Energie über die Zeitspanne von 2000 Stunden produziert. Der aktuelle gesamtschweizerische Strombedarf liegt bei rund 60 TWh pro Jahr. Der berechnete Strombedarf für das Kühlen entspricht in diesem Fall 3–4% des derzeitigen Schweizerischen Strombedarfs. Erhebliche Auswirkungen auf das Energiesystem sind dann zu erwarten, falls an heissen Sommertagen erhebliche Bedarfsspitzen auftreten. Das grossflächige Einführen von Wärmepumpen kann gemäss Studien die Stromspitzen in einem Energiesystem verdoppeln, dies sowohl für das Heizen als auch für das Kühlen.[9, 10]
Da der Energiebedarf für Gebäudekühlung zeitlich mit der Stromproduktion aus Photovoltaik (PV) korreliert, könnte PV die Bereitstellung von Kühlenergie an heissen Sommertagen erleichtern. Trotzdem steht dieser allfällige zusätzliche Energiebedarf in potentieller Konkurrenz mit anderen Nachfragen, wie beispielsweise dem Laden von Elektroautos oder der Produktion von synthetischen Brenn- und Treibstoffen für die saisonale Speicherung.
Nachhaltiger Umgang mit erhöhtem Kühlbedarf
Der zukünftige Kühlbedarf der Schweiz kann mit verschiedenen technologischen Möglichkeiten gedeckt werden, wobei nicht alle Optionen gleich effizient oder nachhaltig im Sinne von CO2-Emissionen sind. Auch wenn das Verwenden von Wärmepumpen zum Kühlen effizient ist, wäre die nachhaltigste Lösung, wenn überhaupt kein Kühlbedarf anfiele. Angesichts des Klimawandels muss der Fokus bei der Gebäudearchitektur daher nicht nur auf der Optimierung von Wärmeverlusten, sondern auch auf der Minimierung von Wärmegewinnen im Sommer liegen. Während Wärmegewinne durch direkte Einstrahlung im Winter die Energiebedarfsbilanz verbessern, sind diese an heissen Tagen nicht erwünscht und müssen reduziert werden. Dies könnte durch den Bau von Gebäuden mit weniger Fenster- oder Glasflächen, Überlegungen zur Gebäudeausrichtung oder durch passive Kühlstrategien wie Fensterbeschattung oder Nachtauskühlung erreicht werden. Letzteres ist nur dann möglich, wenn Nachttemperaturen unter die Komfortgrenze sinken, was zum Beispiel durch die Bildung von Hitzeinseln beeinträchtigt wird. Städtebauliche Massnahmen zur Verbesserung des Stadtklimas mit Grünflächen, dem Einsatz von Wasserelementen («blau-grüne Infrastruktur») zur Kühlung, des Verbesserns von Luftstromflüssen auf Stadtebene oder das Verwenden von Materialien mit hohem Albedo sind möglich.[11] Insbesondere Massnahmen zur Begrünung wie das Pflanzen von Bäumen bedingen aber naturgemäss eine langfristige Planung.
Nicht nur technisch ausgeklügelte und neue anspruchsvolle Lösungen können Abhilfe verschaffen. Forschungsprojekte am Urban Energy Systems Laboratory haben gezeigt, dass passive Kühlmethoden wie Fensterbeschattung oder Nachtauskühlung den Grossteil des Kühlbedarfs decken können.[12] Es wurde dabei festgestellt, dass Gebäude, die in den letzten 20 Jahren in der Schweiz erbaut wurden, bereits heute für einen Grossteil des gesamten Kühlbedarfs verantwortlich sind. Bei der Planung von Neubauten muss daher eine Kühlstrategie bedacht werden, sodass grosse Glasflächen, kombiniert mit tiefer Gebäudedurchlässigkeit, nicht zur Wärmefalle werden.
Jedes Gebäude ist in seine Umgebung eingebettet. Eine Lenkung des Fokus weg vom Einzelgebäude hin zur Nachbarschaft bietet neue Chancen auch bei der Kühlung. Alternative Möglichkeiten zu dezentralen Lösungen sind netzbasierte Systeme. Eine vielversprechende Anwendung ist die Nutzung von Seewasser mit Fernkältesystemen. Ein solches System bedingt jedoch eine Gesamtanalyse unter Berücksichtigung von Kosten, Gesamtenergieeffizienz und CO2-Emissionen, um optimale Entscheidungen zu treffen.
In der Diskussion um den zukünftigen Kühlbedarf darf schliesslich nicht ausser Acht gelassen werden, dass in den nächsten Jahren der Heizbedarf immer noch grösser sein wird. Kühlen wird also nur teilweise das neue Heizen. Um aber negative Auswirkungen des steigenden Kühlbedarfs auf das Gesamtenergiesystem zu verhindern, gilt es zuerst passive Kühlungsmöglichkeiten und städtebauliche Massnahmen auszuschöpfen. Wo passive Kühlmöglichkeiten an Grenzen stossen, muss aufgezeigt werden, wie dieser Bedarf in einem zukünftigen Energiesystem nachhaltig gedeckt werden kann.
Referenzen
[1] D. Farinotti, A. Pistocchi, M. Huss, «From dwindling ice to headwater lakes: Could dams replace glaciers in the European Alps?» Environ. Res. Lett. 11, 2016.
[2] K. Boulouchos, «Auswirkungen des Klimawandels auf das Energiesystem der Schweiz», Swiss Academies Reports, 11, 2016, S. 129–31.
[3] «Hitze in Städten. Grundlage für eine klimaangepasste Siedlungsentwicklung Umwelt-Wissen», Bafu, 2018, S. 1–108.
[4] «CH2018 – Climate Scenarios for Switzerland», Technical Report ed National Centre for Climate Services, 2018.
[5] «Degree-days: theory and application», Day T, 2006.
[6] R. Mutschler, M. Rüdisüli, P. Heer and S. Eggimann, «Benchmarking cooling and heating energy demands considering climate change, population growth and cooling device uptake», Appl. Energy 288, 116636, 2021.
[7] Thibaut Abergel, Chiara Delmastro, «Is cooling the future of heating?», 2020.
[8] Empa NEST – Gemeinsam an der Zukunft bauen, www.empa.ch/web/nest.
[9] D. Burillo, M. V. Chester, S. Pincetl, E. D. Fournier, J. Reyna, «Forecasting peak electricity demand for Los Angeles considering higher air temperatures due to climate change», Appl. Energy 236, 2019, S. 1–9.
[10] S. Eggimann, J. W. Hall, N. Eyre, «A high-resolution spatio-temporal energy demand simulation to explore the potential of heating demand side management with large-scale heat pump diffusion», Appl. Energy 236, 2019, S. 997–1010.
[11] Programm Klimaanpassung Fachplanung Hitzeminderung, Stadt Zürich, 2020.
[12] R. Silva, S. Eggimann, L. Fierz, K. Orehounig, L. Baldini, «Opportunities for passive cooling to mitigate the impact of climate change in Switzerland» (noch nicht erschienen), 2021.
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