Fachartikel Erneuerbare Energien

Vertikale bifaziale Module auf Dächern

Photovoltaik

30.09.2020

Bifaziale Solarzellen sind schon lange bekannt, aber ihre Herstellung war früher nicht wirtschaftlich. Durch die Etablierung neuer Herstellungsprozesse liegen ihre Herstellungskosten heute jedoch nur noch geringfügig über jenen von Standardmodulen. Bei geeigneter Installation, beispielsweise auf Gründächern, können wirtschaftlich und ökologisch günstige Systeme realisiert werden.

Bifaziale, also beidseitig lichtempfindliche, PV-Module und Systeme nutzen nicht nur die auf die Frontseite treffende, sondern auch die vom Untergrund und der Umgebung auf die Rückseite reflektierte Strahlung, was potenziell einen höheren Ertrag ermöglicht. Mit heutigen bifazialen Modulen erreicht man bei geeigneter Installation niedrigere Stromgestehungskosten. Zudem ermöglichen bifaziale Module zusätzliche, wirtschaftlich sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten.[1]

Weltweit werden heute vor allem grosse Freiflächenanlagen mit bifazialen Modulen realisiert. Im Hinblick auf den Flächenverbrauch sind derartige Anlagen in der Schweiz jedoch bis auf Ausnahmen kaum sinnvoll. Dennoch gibt es auch bifaziale Anwendungen, welche insbesondere für die Schweizer Gegebenheiten sehr gut geeignet sind. Gerade grosse Flachdächer auf Einkaufszentren, Industrie- oder Verwaltungsgebäuden sowie Wohnanlagen bieten sich für PV-Anwendungen an und werden international zunehmend realisiert.[2, 3] Es ergibt sich zudem bei bifazialen Modulen ein Synergieeffekt, wenn helle, stark reflektierende Untergründe eingesetzt werden. Auch ohne installierte PV-Anlagen wird der Einsatz weisser Dächer vorgeschlagen, um die Gebäudetemperatur zu senken.[4] Somit kann mit ihnen die Temperatur im Gebäude bzw. die notwendige Kühlleistung gesenkt und zugleich der Ertrag bifazialer Anlagen gesteigert werden.

Die Erwärmung lässt sich aber auch mit Gründächern reduzieren. Gründächer bieten zudem weitere positive Effekte.[5, 6] Sie bieten Rückzugsgebiete für Pflanzen und Insekten, verbessern die Luftqualität und dienen der Wasserretention bei Regenfällen.[7] Die Verdunstung von gespeichertem Regenwasser kühlt das Gebäude ab, der Effekt der städtischen Wärmeinsel wird reduziert. Diese Vorteile führen dazu, dass Gründächer nicht nur aus idealistischen Beweggründen realisiert, sondern zunehmend international von den Behörden vorgeschrieben oder zumindest gefördert werden.[8] In fast allen Schweizer Städten mit über 50 000 Einwohnern sind Dachbegrünungen bei Neubauten Pflicht.[6, 9, 10]

Auch auf Gründächern können PV-Anlagen realisiert werden. Leider resultieren aus einer Nutzung des Daches als Grünfläche in Kombination mit einem PV-System häufig Zielkonflikte. Zur Optimierung des PV-Ertrags wird eine dichte Flächenbedeckung durch die Module angestrebt, was jedoch die Zugänglichkeit für Wartungs- und Mäharbeiten erschwert, die nötig sind, um Abschattungen der PV-Anlage zu vermeiden. Mit dem Themenbereich PV und Gründach beschäftigen sich in der Schweiz diverse Verbände und Institutionen.[9, 11, 12] Bisher standen Lösungen für die verbreitete, einseitig lichtempfindliche Standard-Modultechnologie im Fokus.

Vertikale, bifaziale PV-Systeme auf Gründächern

Bifaziale Module ermöglichen ohne Reduktion des Energieertrags einen grösseren Ausrichtungsbereich als einseitig lichtempfindliche Module. Auch PV-Systeme mit vertikal installierten bifazialen Modulen sind sinnvoll machbar. Entsprechende Systeme wurden bereits früh in der Schweiz installiert, wobei einerseits deren Eignung als Schallschutzelemente [13], aber auch deren Vorteile unter Gebirgsbedingungen (keine Schneebedeckung; Winterstrom, reduzierte Last) [14] demonstriert wurden.

Vertikal installierte, bifaziale Module haben prinzipiell das Potenzial einer hohen Ertragssteigerung gegenüber monofazialen Modulen mit gleicher Nennleistung (frontseitig gemessen). Dabei hat die Art der Aufständerung enormen Einfluss auf die Erträge, da der Schattenwurf der Module und somit die direkte Abschattung der Module untereinander, wie auch die Abschattung des reflektierenden Untergrundes, stark ausgeprägt sind.[15] Bei allen bifazialen Systemen ist eine hohe Reflexion des Untergrundes wichtig, um einen zusätzlichen Ertrag zu ermöglichen. Die Reflexion des Untergrundes (Albedo) wird durch die vom Untergrund abgestrahlte Strahlungsintensität im Verhältnis zur einfallenden ausgedrückt. Sehr gut reflektierende Untergründe können Werte von 0,6 oder höher erreichen, Gras bzw. Erdreich liegt im Bereich um 0,2.

Die vertikale Installation bifazialer Module bietet auch neue Möglichkeiten, um Dachbegrünung und PV-Nutzung in einem günstigen Kompromiss zu kombinieren. Durch die vertikale Aufständerung und den grösseren Abständen zwischen den Modulreihen kann das Dach als Gründach optimal genutzt und gewartet werden. Auf Freiflächen werden in grossem Massstab ähnliche Zielsetzungen insbesondere von der Firma Next2Sun verfolgt [16], welche durch die vertikale Installation grosser Module auf Freiflächen eine landwirtschaftliche Doppelnutzung («Agrophotovoltaik») ermöglicht.

Ein Projekt in Winterthur

In Winterthur wurde auf dem Dach eines Seniorenheims (Einstiegsbild) durch den Verein Solarspar ein Projekt realisiert, bei welchem vertikal aufgeständerte, 20-zellige Sondermodule auf einem Gründach installiert wurden.[17, 18, 19] Das Projekt wurde durch Institute der ZHAW (IEFE und IUNR) begleitet, die durch den Klimafonds Stadt Winterthur unterstützt wurden. Die schmale Ausführung reduziert die Windlast, erlaubt eine leichtere Unterkonstruktion und ist weniger sichtbar. Aufgrund der geringeren Höhe wird die Reichweite der Abschattung massstäblich verringert. Konkret: Bei gleicher System-Nennleistung lässt sich eine Anlage mit grossen, 60-zelligen Modulen und 3 m Abstand zwischen den Reihen durch schmale 20-zellige Laminate mit 1 m Abstand ersetzen.

Grosse Reihenabstände, welche die gegenseitige Abschattung reduzieren, entsprechen einer geringeren Belegung der Grundfläche mit Modulen. Die Flächenbelegung wird üblicherweise durch den Flächennutzungsgrad, auch als «Ground Cover Ratio» (GCR) bezeichnet, ausgedrückt. Eine GCR von 100% entspricht einer vollständigen Bedeckung der Dachfläche mit horizontalen PV-Modulen. Bei geringerer Belegung verringert sich die GCR wie in Bild 2 dargestellt. Ebenso werden in diesem Bild die Verhältnisse der im Einstiegsbild gezeigten Anlage mit jenen anderer typischer PV-Dachanlagen verglichen.

In Bild 2 sind die spezifischen Erträge d. h. die Erträge pro installierter Leistung (kW Nennleistung) der jeweiligen Systeme angegeben. Diese wurden für das vertikal installierte System (Einstiegsbild) sowohl gemessen wie auch simuliert [17], wobei vergleichbare spezifische Erträge wie mit typischen monofazialen Installationen erzielt werden. Es ist wichtig hervorzuheben, dass es sich hierbei um spezifische Erträge handelt. Diese geben den Ertrag (kWh) pro installierter Modulleistung (kW) wieder. Der spezifische Ertrag ist somit nicht mit dem absoluten Ertrag der Dachanlage zu verwechseln. Dieser hängt von der Anzahl der verbauten Module ab und steigt entsprechend mit höherer GCR.

Die Abhängigkeit des spezifischen Energieertrages vertikaler Systeme vom Albedo und der GCR wird in Bild 3 anhand von Simulationen dargestellt und mit einer typischen, monofazialen Ost/West ausgerichteten Dachanlage (schwarzes X) mit gleicher frontseitig gemessener Modul-Nennleistung verglichen. Der Vergleich simulierter und gemessener Erträge ergibt insbesondere bei vertikaler Installation vergleichsweise grosse Abweichungen.[11] Trotz der Unsicherheit geben die Simulationen die Zusammenhänge und Trends annähernd wieder; die starke Abhängigkeit des spezifischen Ertrags vom Reihenabstand und dem Albedofaktor des Untergrunds wird verdeutlicht. Gemäss den Simulationsergebnissen wurde bei der Planung des Systems im Einstiegsbild mit einem geschätzten Albedofaktor etwas oberhalb von 0,2 eine GCR von ca. 33% gewählt, um einen spezifischen Ertrag zu erreichen, der vergleichbar mit jenem eines typischen Standardsystems ist. Eine GCR von 33% bedeutet auch, dass lediglich ein Drittel der Module im Vergleich zum System mit maximaler Belegung verbaut sind. Bei angenommen gleichem spezifischem Ertrag wird somit auch nur ein Drittel des absoluten Ertrags, andererseits aber auch eine bessere Zugänglichkeit und mehr «unverbautes Gründach», erreicht.

Beim Projekt Seniorenheim (Einstiegsbild) war der Albedofaktor mit etwas mehr als 0,2 relativ niedrig [17] und geringer als für bifaziale Anwendungen angestrebt. Gedanken zum Einfluss der Begrünung wurden schon früher von Wassman-Takigawa formuliert.[20] Eine Verbesserung könnte mit hellerem Substratmaterial, z. B. hellem Kies, erreicht werden, da das Substrat trotz Bepflanzung einen wesentlichen Anteil zum Gesamtalbedo beiträgt.

Fazit

Die Begrünung von Dächern im städtischen Umfeld ist aufgrund des ökologischen Nutzens (Wasserretention, Biodiversität, Gebäudekühlung, «urban heating») erwünscht und teilweise auch vorgeschrieben. Es ist ebenso sinnvoll, Dächer nicht nur zu begrünen, sondern sie auch für PV-Systeme zu nutzen. Aufgrund der Flächenbelegung, Verschattungseffekte und verminderter Zugänglichkeit für Wartungsarbeiten zwischen den Modulen besteht jedoch auch ein Zielkonflikt.

Vertikale bifaziale PV-Systeme sind für die Kombination mit Gründächern interessant, da sie den Untergrund weniger bedecken und die Wartung erleichtern. Allerdings ist der Ertrag vertikaler PV-Systeme stark von den Installationsbedingungen, insbesondere dem Reihenabstand und dem Albedofaktor des Untergrunds, abhängig. Bei ausreichendem Reihenabstand können vergleichbare spezifische Erträge wie bei typischen konventionellen Systemen erzielt werden, wobei der maximal erreichbare absolute Ertrag durch die geringere Anzahl an Modulen entsprechend niedriger bleibt. Ob ein entsprechendes System für ein bestimmtes Projekt sinnvoll ist, hängt somit von den Zielsetzungen ab. Falls ein Gründach realisiert werden soll und die Maximierung des absoluten Ertrags nicht im Vordergrund steht, stellt die beschriebene Kombination in Bezug auf die Energieeffizienz und Nachhaltigkeit eine interessante Option dar.

Referenzen

[1] Joris Libal, Radovan Kopecek, Bifacial Photovoltaics: Technology, Applications and Economics, IET Institution of Engineering and Technology, 2018.

[2] John Weaver, «Big banker thinks world’s largest rooftop bifacial solar panel install is worth it», pv magazine USA, Nov. 11, 2019.

[3] Sunpreme, «Commercial Roof – Sunpreme».

[4]Fred Pearce, «Urban Heat: Can White Roofs Help Cool World’s Warming Cities?», Yale Environment 360, March 07, 2018.

[5] Stadt Zürich, «Dachbegrünung – Stadt Zürich».

[6] M. Sokup, S. Häne, «Mit grünen Dächern gegen die Hitze», Tages-Anzeiger, 9. Juli 2015.

[7] V. Azeñas et al., «Thermal regulation capacity of a green roof system in the mediterranean region: The effects of vegetation and irrigation level», Energy Build., vol. 164, April 2018, S. 226–238.

[8] J. Snow, «Green Roofs Take Root Around the World», National Geographic News, Oct. 27, 2016.

[9] S. Brenneisen, «Herausforderung Gründach – Chancen und Risiken für den Betrieb der PV-Anlage», Vortrag: ERFA Photovoltaik Dachdichtigkeit und Gründach, Swisssolar, Uzwil, 26.9.2018.

[10] I. Sutter, B. Tschander, «Zürcher Dachgrün für Ökologie, Klima und Wirtschaftlichkeit», ZUP 97, vol. 97, Jul. 2020, S. 35–38, www.zh.ch/de/umwelt-tiere/umweltschutz/umweltpraxis.html.

[11] «Schweizerische Fachvereinigung Bauwerksbegrünung SFG».

[12] «PV & Dachbegrünung | VESE».

[13] T. Nordmann, T. Vontobel, L. Clavadetscher, «15 years of practical experience in development and improvement of bifacial photovoltaic noise barriers along highways and railway lines in Switzerland», Proceedings to the 27th European Photovoltaic Solar Energy Conference, 2012, S. 3843–3847.

[14] T. Nordmann, T. Vontobel, R. Lingel, «Exploiting High Solar Irradiation in Alpine Regions using Bifacial PV Modules», Proceedings of the 28th EUPVSEC, 2013, S. 3248–3250.

[15] H. Nussbaumer et al., «PV Installations Based on Vertically Mounted Bifacial Modules Evaluation of Energy Yield and Shading Effects», 31st Eur. Photovolt. Sol. Energy Conf. Exhib. 2037-2041, 2015.

[16] S. Enkhardt, «Next2Sun realisiert vertikale Photovoltaik-Anlage mit bifazialen Jolywood-Modulen», PV Magazine Deutschland, 3. Juli 2020.

[17] T. Baumann et al., «Photovoltaic systems with vertically mounted bifacial PV modules in combination with green roofs», Sol. Energy, vol. 190, Sep. 2019, S. 139–146,

[18] T. Baumann, «Vertikale Solarpaneele – Gründach und Solaranlage müssen intelligent kombiniert sein», Emw Energ. Markt Wettbew., Nr. 6, Dez. 2018.

[19] T. Baumann, «Senkrechte Solarpanels sollen Leistung glätten», Spektrum Gebäude Technik, Febr. 2018, S. 50–51.

[20] U. Muntwyler et al., «Photovoltaik + Vegetation auf Dach und Fassade: gewusst wie! Poster Präsentation 17. Nationale Photovoltaik-Tagung, Bern, 2019.

Autor
Prof. Dr. Hartmut Nussbaumer

ist Forschungs­grup­pen­leiter am IEFE der ZHAW.

  • ZHAW, 8400 Winterthur
Autor
Dr. Markus Klenk

ist wissen­schaft­licher Mit­arbeiter am IEFE der ZHAW.

  • ZHAW, 8400 Winterthur

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