Überschuss selbst im Winter
Gebäudeintegrierte Photovoltaik
Rund ein Drittel des CO2-Ausstosses in der Schweiz lässt sich auf Gebäude zurückführen. Photovoltaik könnte diese Emissionen deutlich reduzieren. Manchmal sogar im Winter, wie ein Haus in Poschiavo zeigt.
Um Höchstleistungen zu erzielen, müssen zahlreiche Faktoren in vielen Bereichen stimmen. Wenn es darum geht, ein Haus zu bauen, das möglichst viel Energie produziert, möglichst wenig verbraucht und gleichzeitig hohen ästhetischen Ansprüchen genügt, müssen Bauherr und Architektin das gleiche Ziel verfolgen – wie beim Ersatzneubau an der Via dal Solch am Dorfrand von Poschiavo. Die Zusammenarbeit des Bauherrn Felix Vontobel mit der Architektin, seiner Tochter Nadia Vontobel, beim Plusenergiehaus Sol’CH zeigt beispielhaft auf, was möglich ist.
Am Anfang des Projekts stand ein sanierungsbedürftiges Einfamilienhaus mit schlechter Energiebilanz. Nach einer detaillierten Analyse entschied sich die Bauherrschaft für einen Neubau, denn die Analyse ergab, dass bei einer Sanierung nicht mehr viel Substanz vom Haus übrig geblieben wäre, wenn man das Ziel des energetischen Optimums konsequent verfolgt hätte. Dieses lässt sich am besten erreichen, wenn das Thema Energie so früh wie möglich in die Planung und den Entwurf einbezogen wird. Fast immer sind solche ganzheitlichen Lösungen auch ästhetisch überzeugender als nachträgliche Anpassungen.
Gebäudehülle mit Doppelfunktion
Ausgangspunkt der Planung war die These, dass jede neu gebaute Fassaden- und Dachfläche neben ihrer Funktion als Gebäudehülle auch zur Stromerzeugung genutzt werden sollte: Dach und Fassade bieten dann nicht nur Schutz, sondern auch Energie. Für die Architektin Nadia Vontobel gibt es dafür aber kein allgemeingültiges Rezept: «Das sinnvolle Verhältnis von stromerzeugenden Flächen zur gesamten Oberfläche ist projektabhängig. Die Ausgangslage und die Gegebenheiten müssen projektspezifisch betrachtet werden.»
Um die Sonneneinstrahlung maximal nutzen zu können, wurde das Anfang September 2021 fertiggestellte Haus als langes, schmales, nach Süden ausgerichtetes Gebäude mit Photovoltaik auf allen Aussenflächen konzipiert, also auch auf den Fassaden. Das Haus nimmt die Geometrie der Parzelle auf und ist gleich ausgerichtet wie die umliegenden Häuser.
Ein leichter Knick in der langen Südfassade verdeutlicht das Zusammenspiel von Architektur und Technik: Architektonisch verbindet er den vorderen mit dem seitlichen Gartenbereich und deutet zugleich die beiden Wohneinheiten – mit separaten Eingangstüren und Treppenhäusern – an, in die das Haus bei Bedarf unterteilt werden kann. Die leichte Abknickung schafft zudem eine Gliederung der langen Südfassade und einen energetischen Vorteil: Die schräge Fassadenseite ist perfekt nach Süden ausgerichtet. Sie erzielt somit den maximalen Ertrag.
Die erwähnte Flexibilität in der Nutzung gilt auch für die Konstruktion. Die Tragstruktur ist als schlanke Betonkonstruktion in Sichtbetonqualität ausgeführt. Die Betonkonstruktion, deren Herstellung energieintensiv ist, soll für mehrere Generationen der weniger langlebigen PV-Aussenhülle genutzt werden können. Die Innenwände hingegen sind als nicht tragende Holzständerwände ausgeführt, die bei Nutzungsänderungen versetzt oder entfernt werden können. Dadurch wird das Gebäude nachhaltiger und kann den Bedürfnissen der Bewohner angepasst werden.
Das Dach ist asymmetrisch, mit einer Neigung von 35° nach Süden. Eine möglichst grosse nach Süden ausgerichtete Dachfläche sorgt so für eine hohe Stromerzeugung. Bei dieser Neigung bleibt der Schnee zwar nicht liegen, verfängt sich aber in den Schneefängern und bedeckt manchmal die unterste Reihe der PV-Module. Um den Ertrag der freien Solarpaneele nicht zu stark zu reduzieren, sind diese Module deshalb mittels separaten Mikrowechselrichtern angeschlossen.
Im Winter haben die Solarfassaden zwei Vorteile: Erstens bleibt der Schnee nicht auf ihnen liegen und zweitens profitieren sie von der im Winter flachen Sonneneinstrahlung und Reflexionen des Schnees. Solarfassaden können auch als gestalterisches Element eingesetzt werden, denn es gibt heute viele Möglichkeiten bezüglich Format, Oberfläche und Farbe. Glas ist für eine Fassade grundsätzlich ein hochwertiges Material, da es extrem widerstandsfähig ist und bei Bedarf leicht gereinigt werden kann. Problematisch sind lediglich mechanische Kerbschläge, die die vorgespannten Solargläser beschädigen können.
Um eine Verschattung der stromerzeugenden Fassade möglichst zu vermeiden, wurden alle Aussenräume als Einschnitte ausgebildet. Ein konventioneller Balkon würde beispielsweise einen unerwünschten Schatten auf die Fassade werfen. Ein Einschnitt in der Mitte des Gebäudes hat unter anderem die Funktion, die zusammenhängende Fläche im Erdgeschoss in Essbereich, Küche und Wohnbereich zu unterteilen. Alle Haupträume, die Wohnräume im Erdgeschoss und die Zimmer im Obergeschoss, sind nach Süden ausgerichtet. Der nördliche Bereich dient der Erschliessung.
Da die Paneele heute nicht viel teurer als andere Fassaden- oder Dachsysteme sind, war klar, dass auch das Norddach und die Nordfassade damit verkleidet werden. Die einheitliche Gebäudehülle vereinfachte die Konstruktion und stärkt gleichzeitig den architektonischen Gesamtausdruck. Für den Bauherrn war jedoch nicht von Anfang an klar, ob es sich überhaupt lohnen würde, diese Module anzuschliessen. Schliesslich wurde entschieden, diese energetisch zu nutzen und mit Wechselrichtern auszurüsten. Jetzt, nach drei Jahren, ist klar, dass vor allem das steile Norddach einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag an die Produktion leistet.
Modularität als Schlüssel
Bezüglich der Modulgrösse wurde früh entschieden, eine möglichst grosse Wiederholung gleicher Module anzustreben. Als Grundlage für das Raster wurde ein Standardmodul gewählt. Wichtig ist dabei, dass die Module auf der Baustelle handhabbar sind und mit den Öffnungen der Räume zusammenpassen. Eine Herausforderung war die Einhaltung von sehr kleinen Bautoleranzen, da PV-Module im Gegensatz zu Zementfaserplatten auf der Baustelle nicht mehr zugeschnitten werden können, so Felix Vontobel.
Um einen geeigneten Anbieter zu finden, wurden 18 Hersteller, auch im Ausland, kontaktiert. Schliesslich erfüllten nur zwei Hersteller alle Anforderungen. Einige Anbieter hatten kaum Fassadenmodule im Angebot, vor allem keine Sonderformate. Es gab auch Anbieter, die sagten, sie könnten alles liefern, aber zu einem überhöhten Preis. Da die Bezahlbarkeit ein wichtiges Kriterium in diesem Demonstrationsprojekt war, kamen diese Anbieter nicht in Frage.
Die Modularität führte dazu, dass für die 435 Module, die das Haus bekleiden, 45 Typen mit unterschiedlichen Formaten eingesetzt werden konnten. Nur bei fünf kleinen Modulen lohnte sich ein Anschliessen nicht. Für einen einheitlichen visuellen Eindruck wurden sie trotzdem mit PV-Zellen ausgestattet.
Die Dachmodule sind hocheffiziente Module, die etwas stärker reflektieren als die Fassadenmodule. Sie können wie Dachziegel geschuppt verlegt werden. Die Module der Fassaden haben satinierte, matte Gläser, die eingefärbt wurden. Hier stand die Ästhetik vor der Effizienz. Als System bilden die Module eine vorgehängte, hinterlüftete Fassade, vergleichbar mit vorgehängten Betonelementen oder Zementfaserplatten.
Die installierte Leistung des gesamten PV-Systems beträgt 65,6 kW und liegt damit über den 44 kW des Hausanschlusses. Obwohl die Solarflächen unterschiedlich ausgerichtet sind und nie gleichzeitig ihre maximale Leistung erzeugen, wurden einige PV-Strings mit Feinsicherungen abgesichert. Damit sollten die Spitzenströme bei reflektiertem Licht (Wolken) auf den für die Netzeinspeisung erlaubten Wert begrenzt werden.
Wie sich im ersten Winter zeigte, können Feinsicherungen aber auch ihre Tücken haben: Die Sicherung eines Strings des Norddachs fiel aus. Der Fehler wurde aber erst im April entdeckt, als auch der zweite String ausfiel und der Wechselrichter eine Störung meldete. Eine höhere Absicherung löste das Problem. Der Winterausfall reduzierte die Produktion um rund 850 kWh, was etwa 2% der Jahresproduktion entspricht.
Energieverbrauch minimieren
Um das gewünschte Energieziel zu erreichen, wurde auch der Energieverbrauch reduziert. Dies wurde durch eine gute Dämmung, passive Wärmegewinnung durch grosse Fenster und die bereits erwähnte optimale Ausrichtung des Hauses erreicht. Die im Haus eingesetzten Materialien werden zudem als thermische Speichermasse genutzt. Ausserdem wird die Umweltwärme mit einer Wärmepumpe genutzt. Damit erfüllt das Haus alle Anforderungen der Label Minergie-P und Minergie-A und ist entsprechend zertifiziert.
Auch bei der Haustechnik ist Sparsamkeit zentral. So ist beispielsweise die Komfortlüftung mit einer Energierückgewinnung ausgestattet. Für Felix Vontobel war es wichtig, die Haustechnik und deren Steuerung so einfach wie möglich zu gestalten. Deshalb entschied er sich für den Energiemanager der Firma Solar Manager AG. Dieser kommuniziert mit allen elektrischen Komponenten wie Heizsystem, Ladestation oder Wechselrichter.
Energie thermisch und elektrisch speichern
Bei aller neuen Technik gibt es doch etwas, das vom alten Haus übernommen werden konnte: der 3000-l-Wasser-Wärmespeicher. Er kann rund 50 kWh speichern und wurde ursprünglich zusammen mit Warmwasserkollektoren verwendet. Er ist eine zentrale Komponente für die Speicherung von überschüssiger Sonnenenergie. Batteriespeicher mit vergleichbarer Kapazität gibt es für Einfamilienhäuser kaum. Der Boiler arbeitet als Schichtladespeicher: Die Wärmepumpe bringt den oberen Bereich, wo das Warmwasser aufbereitet wird, auf eine separat wählbare Temperatur. Der untere Teil mit niedrigerer Temperatur wird zum Heizen verwendet. In der Regel läuft die Wärmepumpe nur, wenn die Sonne scheint.
Die Temperatur des Heisswassers kann über den Energiemanager um 10°C erhöht werden, z. B. wenn Besuch kommt und ein höherer Warmwasserverbrauch erwartet wird. Im Warmwasserspeicher befinden sich auch zwei stufenlos regulierbare ohmsche Widerstände à je 9 kW, mit denen der gesamte Speicher bis auf 80°C aufgeheizt werden kann. Im Bedarfsfall steht damit eine erhebliche zusätzliche Speicherkapazität zur Verfügung. Die ohmschen Heizeinsätze werden zurzeit für die Legionellenschaltung verwendet. Sollte die Wärmepumpe einmal ausfallen, kann mit ihnen jederzeit Heizung und Warmwasser sichergestellt werden.
Ein weiterer Energiespeicher ist das vor dem Haus parkierte Elektroauto, das je nach Einstellung des Solarmanagers geladen wird – entweder immer, nur bei Überschuss, nur bei Niedertarif oder zeitgesteuert. Zudem kann im Solarmanager eingestellt werden, mit welcher Priorität welche Verbraucher versorgt werden sollen. Wenn beispielsweise das Auto nur mit Solarstrom geladen werden soll, folgt der Energiemanager genau der Produktionskurve und erhöht den Eigenverbrauch bzw. reduziert den Netzbezug.
Ursprünglich war geplant, das Auto bidirektional als Energiespeicher zu nutzen, um auch nachts energieautark zu sein. Das bestellte Elektroauto, ein Audi E-Tron, konnte erst nach 19 Monaten geliefert werden und ist für eine bidirektionale Nutzung der Batterie vorbereitet. Leider hat sich der Markt für bidirektionale Ladestationen trotz vieler Ankündigungen bisher kaum entwickelt. Kosten von über 10'000 CHF lassen keine wirtschaftliche Nutzung zu, weshalb vorläufig auf diese Option verzichtet wird. Das konsequente Laden mit PV-Überschuss lässt aber eine deutliche Erhöhung des Eigenverbrauchs zu. So konnten in den ersten neun Monaten rund 80% des Energiebedarfs für die gefahrenen 11'000 km mit eigenem PV-Überschuss gedeckt werden.
Die Weichen möglichst früh stellen
Das Plusenergiehaus Sol’CH in Poschiavo zeigt, dass erstaunlich viel erreicht werden kann, wenn die Energieziele bei Neubauten möglichst früh in der Planung berücksichtigt werden und das Haus an einem geeigneten Standort steht. Dabei geht es nicht darum, möglichst viel Technik einzubauen, sondern die Nachhaltigkeit des gesamten Gebäudes im Auge zu behalten und nur die nötige Technik einzusetzen. Das Haus produziert einen energetischen Überschuss von über 500% jährlich. Sogar im Winter übersteigt die Produktion den Verbrauch um das Dreifache – ohne dass man mit der Daunenjacke bei Kerzenlicht auf dem Sofa sitzen muss.
Literatur
- Felix Vontobel, Winter-Plusenergiehaus Sol’CH, Bericht Pilot- und Demonstrationsprojekt im Gebäudebereich: Bericht 1, 12. August 2022; Bericht 2, 1. August 2023; Bericht 3, 25. Juli 2024.
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