Systemoptimierung als Voraussetzung
Elektrifizierung von Güterflotten
Bis ins Jahr 2035 will DPD seine gesamte Güterflotte elektrifizieren. An zwölf Standorten soll die Infrastruktur wirtschaftlich optimal ausgebaut werden. Wie das ermöglicht werden soll, wird in einem vom Bundesamt für Energie unterstützten Forschungsprojekt am Beispiel des Areals Wolf Basel getestet.
Ausgangspunkt des Forschungsprojektes «Techno-ökonomische Netzanschlussoptimierung für elektrische Güterflotten» ist die Strategie des Logistikunternehmens DPD: Bis 2030 sollen alle Zustellfahrzeuge und bis 2035 auch die Lkw elektrisch fahren. DPD betreibt in der Schweiz zwölf Standorte, davon sieben in der Deutschschweiz, vier in der Westschweiz und einen im Tessin. Drei davon haben eine eigene PV-Produktion; einer davon ist wiederum ein Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV). Es ist vorgesehen, dass bis 2030 rund 1000 AC-Ladestationen für die Zustellfahrzeuge installiert werden. Mit der Elektrifizierung der Güterflotte sollen ab 2035 rund 11’000 t CO2-eq-Emissionen pro Jahr im Vergleich zu 2020 vermieden werden.
Diverse Entscheidungen nötig
Die Umsetzung dieser Strategie ist mit vielen Entscheidungen verbunden: Muss der Netzanschluss des Areals ausgebaut werden, wenn alle Zustellfahrzeuge morgens um 6 Uhr bereit für ihre Tour sein müssen? Können die Netzausbaukosten mit Optimierungsmassnahmen auf dem Areal reduziert werden? Können die Batterien der Lastwagen, die nur nachts zwischen den grossen Depots unterwegs sind und tagsüber im Depot stehen, als Zwischenspeicher genutzt werden? Können durch ein sinnvolles Lademanagement der Fahrzeuge Kosten eingespart werden? Lohnt sich der Aufbau eines Speicherdepots mit Second-Life-Batterien und wie gross muss es sein? Welchen Beitrag kann die PV-Anlage des Areals zum Betrieb der Fahrzeuge leisten? Mit welchen Kosten sind diese Entscheidungen verbunden?
Um dies zu klären, hat DPD im Sommer 2023 ein Projekt bei der Ausschreibung des Forschungsprogramms Mobilität des Bundesamtes für Energie, Bereich Cleantech, eingereicht. Basierend auf der Fallstudie «Wolf Areal Basel» werden Modelle entwickelt, die mit realen Daten neue Erkenntnisse liefern. Seit gut einem Jahr ist das Projektkonsortium an der Arbeit und kann erste Resultate präsentieren. Das Projekt wird im Herbst 2025 abgeschlossen.
Idealer Standort für Fallstudie
Das Forschungsprojekt soll praktische Erkenntnisse für die Entscheidungsfindung von Unternehmen liefern. Die Entwicklung der Modelle im Rahmen einer Fallstudie mit realen Rahmenbedingungen und Daten aus der Praxis ist ein vielversprechender Ansatz. Es ist ein Glücksfall, dass sich mit der Standortpartnerin SBB und dem regionalen Verteilnetzbetreiber IWB zwei Akteure gefunden haben, die von Anfang an zum Gelingen der Projekteingabe beigetragen haben und ihre Standortkenntnisse in die Fallstudie einbringen. Neben den Angaben zur Energieversorgung und der am Standort vorhandenen Infrastruktur spielen Daten zur Kostenstruktur (Anschaffungskosten Fahrzeuge, Kosten Second-Life-Batterien, Stromkosten) sowie die Betriebsdaten der DPD eine zentrale Rolle. Alle zehn Fahrzeuge des Standortes Wolf Basel wurden mit Dongles ausgestattet und erfassen nun Daten in Echtzeit wie zurückgelegte Distanz, Betriebsstunden, Standzeiten, Stopps sowie den Zustand der Fahrzeugbatterie und den Verbrauch. Diese Daten bilden die Grundlage für das Betriebsmodell.
Zwei Modelle greifen ineinander
Aufgrund der unterschiedlichen Randbedingungen und der vielen Trade-offs stellen die Fragen ein komplexes Optimierungsproblem dar. Eine Vergrösserung der PV-Anlage kann einen kleineren Batteriespeicher ermöglichen, da mehr Energie von der PV-Anlage ohne Zwischenspeicherung direkt in die Fahrzeuge geladen werden kann, wenn sie bereits in die Zustellbasis zurückgekehrt sind, und die PV-Anlage dann noch Energie erzeugt. Dies wiederum setzt ausreichende Ladeleistungen der Fahrzeuge voraus. Zudem betreffen diese Fragen unterschiedliche Entscheidungsebenen eines Logistikunternehmens. Investitionsentscheidungen sind langfristig wirksam und damit strategisch ausgerichtet, Betriebsoptimierungen müssen sich in den Ablauf des Tagesgeschäfts einfügen.
Eine Erkenntnis aus der ersten Projektphase war, zwei Modelle zu entwickeln: Ein strategisches Modell, für das die ZHAW verantwortlich ist, und ein operatives Modell, das von Sun2wheel entwickelt wird. Die beiden Modelle interagieren wie folgt: Das strategische Optimierungsmodell bestimmt die kostenoptimale Systemkonfiguration. Der Output des Modells, z. B. die Grösse der PV-Anlage, die Kapazität des Batteriespeichers oder die Dimensionierung des Netzanschlusses, dient als Input für das operative Modell. Dieses optimiert in höherem Detailgrad den täglichen Flottenbetrieb und die Auslastung der Ladeinfrastruktur. Beide Modelle zusammen werden am Ende des Projekts einen Entscheidungsrahmen bilden, der auch für andere Logistikunternehmen nützlich sein soll.
Das strategische Modell
Das Modell der ZHAW verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz und setzt auf der strategischen Planungsebene an. Ziel des mathematischen Optimierungsmodells ist es, die Gesamtkosten für das Laden der elektrischen Lieferfahrzeuge zu minimieren, unter Berücksichtigung aller Einflussfaktoren. Das Modell berücksichtigt die Investitionskosten für Ladeinfrastruktur und Fahrzeuge, wie z. B. die Dimensionierung der PV-Anlage, die Grösse des stationären Batteriespeichers und der Fahrzeugbatterien, die Ladegeschwindigkeit und die Möglichkeit für bidirektionales Laden der Fahrzeuge sowie die Dimensionierung des Netzanschlusses und die Betriebskosten. Das Modell berechnet die optimale Dimensionierung der PV-Anlage und des Batteriespeichers, um die Kosten für das Laden der Fahrzeuge zu minimieren. Dabei können die Fahrzeuge sowohl über das Stromnetz, die PV-Anlage und den Batteriespeicher als auch bidirektional geladen werden. Zusätzlich berücksichtigt das Modell die Möglichkeit der Einspeisung von überschüssigem PV-Strom.
Ziel der Analyse ist es, eine fundierte Entscheidungsgrundlage für die wirtschaftliche Implementierung elektrifizierter Lieferfahrzeugflotten und der zugehörigen Ladeinfrastruktur zu schaffen. Das Ergebnis ist eine kostenoptimale Konfiguration einer Zustellbasis, die sämtliche relevanten Einflussfaktoren berücksichtigt. Mit einer Sensitivitätsanalyse werden zudem Kipppunkte des Modells identifiziert, um die Robustheit der Lösung abzuschätzen und die Auswirkungen von Änderungen der Rahmenbedingungen zu analysieren. Auf diese Weise werden allgemeine Empfehlungen für die optimale Gestaltung von elektrischen Zustellbasen abgeleitet.
Das operative Modell
Sun2wheel konzentriert sich auf den Betrieb und geht von einer bereits definierten Infrastruktur aus. Anschliessend wird für jedes Fahrzeug bzw. jeden Speicher (unabhängig davon, ob er mono-, bidirektional oder stationär ist) eine Optimierung durchgeführt, die vollständig mit dynamischen Tarifen und lokaler Solarstromproduktion kombiniert werden kann.
Das Ziel des operativen Modells ist in Bild 1 dargestellt. Die hellrote Kurve stellt die Verteilung des Leistungsbedarfs über ein Jahr dar, wobei der Spitzenbedarf zu Beginn des Betrachtungszeitraums auftritt und nur für eine beschränkte Zeitspanne benötigt wird. Mit einem bedarfsgerechten Lastmanagement kann diese Zeitspanne verkürzt und die Spitzenleistung reduziert werden (hellgrüne Kurve). Mit zusätzlichen Speicherkapazitäten kann die benötigte Spitzenleistung aus dem Netz nochmals reduziert und die Netzanschlussgrösse entsprechend auf dieses Szenario ausgelegt werden (blaue und gelbe Kurve deckungsgleich in diesem Bereich der Grafik). Der PV-Überschuss beeinflusst die Ladegeschwindigkeit der vorhandenen Speicher (gelbe Kurve).
Für die Entwicklung des Modells gemäss der Zielvorstellung wird ein prädiktiver Ansatz gewählt: Für jedes Fahrzeug wird ein Pick-Up State of Charge (SoC) definiert, der immer eingehalten werden muss. Aufgabe des prädiktiven Algorithmus ist es somit, den Pick-Up SoC mit minimalen Kosten zu erreichen.
Einblicke in Dashboard
Bilder 2 und 3 illustrieren die Funktionsweise des Algorithmus. Im Dashboard des V2X-Oracles wird eingestellt, unter welchem Modus das Fahrzeug geladen werden kann. Kein negativer Wert beim ersten Schieber «Select Power Range» bedeutet, dass das Fahrzeug nur geladen werden kann (Bild 2), Werte unter Null ermöglichen den bidirektionalen Betrieb (Bild 3). Im monodirektionalen Betrieb muss das Fahrzeug um 23:45 einen Pick-Up SoC von 80% aufweisen. Der Algorithmus berechnet den optimalen Ladevorgang unter wirtschaftlichen Vorgaben mit flexiblen Tarifen (grüne Kurve).
Im bidirektionalen Modus berechnet das System den optimalen Ladevorgang unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen und netzdienlichen Vorgaben (Bild 3). Die Lade- und Entladevorgänge sind gelb dargestellt.
Ausblick und Zusammenfassung
Das Forschungsprojekt «Techno-ökonomische Netzanschlussoptimierung für elektrische Güterflotten» zeigt, wie wichtig systemische Ansätze für die vollständige Elektrifizierung des Güterverkehrs sind. Die bisherigen Ergebnisse verdeutlichen, dass präzise abgestimmte Investitionen in Ladeinfrastruktur, Energiespeicher und intelligentes Lastmanagement entscheidend für den Erfolg nachhaltiger Logistiklösungen sind. Von den im Projekt entwickelten Modellen und Erkenntnissen können auch andere Paketdienstleister und die gesamte Logistikbranche profitieren. Sie helfen Unternehmen, die Kosten für den Umstieg auf eine elektrisch betriebene Flotte über die gesamte Betriebsdauer zu minimieren und nachhaltige Logistiklösungen erfolgreich zu gestalten.
Das strategische Modell analysiert verschiedene Parameter und dimensioniert auf dieser Basis beispielsweise die PV-Anlage, den Batteriespeicher, die Fahrzeugbatterien oder den Netzanschluss. Diese Faktoren beeinflussen die Kosten für die benötigte Infrastruktur massgeblich. Das operative Modell fokussiert auf die Optimierung des Flottenbetriebs und integriert dynamische Tarife, Solarproduktion und den Einsatz von Speicherlösungen durch Lastmanagement und prädiktive Algorithmen. Kombiniert bieten die Modelle einen innovativen Ansatz zur Minimierung der gesamten Betriebskosten von elektrifizierten Güterflotten.
In den kommenden Projektphasen liegt der Fokus darauf, die Modelle weiter zu verfeinern und ihre Praxistauglichkeit in umfangreichen Tests zu bestätigen. Damit wird ein wesentliches Ziel erreicht: Die Entwicklung eines fundierten Entscheidungsrahmens, der Unternehmen als Werkzeug für die Planung und Implementierung elektrifizierter Güterflotten dient.
Die Elektrifizierung von Lieferflotten ist nicht nur ein technischer Transformationsprozess, sondern auch ein gesellschaftlicher Schritt in eine emissionsfreie Zukunft. Projekte wie das hier vorgestellte zeigen, dass durch Innovation, Kooperation und systemische Planung die Weichen für eine klimafreundliche Logistik gestellt werden können.
Beteiligung
Das Projektkonsortium des Forschungsprojektes TEC-OFF «Techno-ökonomische Netzanschlussoptimierung für elektrische Güterflotten» wird aus folgenden Firmen und Institutionen gebildet: DPD (Schweiz) AG, ZHAW, Sun2wheel, Novatlantis GmbH, IWB und SBB. Das Projekt wird unterstützt vom Bundesamt für Energie.
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