Fachartikel Energienetze , Smart Grid

Stabile Netze mithilfe von Leistungs­elektronik

Regelkonzept

25.05.2022

Die Spannung in einem asymmetrischen Verteilnetz kann durch Leistungs­elektronik und einem innovativen Regel­konzept mit geringem Aufwand stabilisiert werden. Auch eine Reduzierung von Oberwellen in den einzelnen Phasen­spannungen ist damit möglich. Dabei wird die Kompensation dem Netz über einen seriellen Einspeise­transformator zugeführt.

Zur Eindämmung des Klima­wandels muss die Energie­versorgung dekarbonisiert werden. Somit steigt der Anteil volatiler Energie­erzeuger wie Wind- und Solaranlagen. Eine Alternative zu teuren Netz­ausbauten oder Energie­speichern kann aus einer stärkeren Anpassung des Verbrauchs an die Erzeugungs­charakteristik bestehen. Weltweit steigt deshalb die Nachfrage nach intelligenten Verteilnetzen, den sogenannten Smart bzw. Micro Grids. Die Vorhersage für die Kapazität der erforderlichen Leistung von Smart Grids auf dem Weltmarkt beläuft sich auf 33 GW bis zum Ende des Jahres 2027 (Bild 1) [1]. Markt­analysen prognostizieren Investitionen von bis zu 16'000 Mio. US $ in den nächsten Jahren [1].

Die Betriebs­situation in Verteil­netzen ist einem starken Wandel unterworfen. Ursprünglich wurde die elektrische Energie zentral in Gross­kraftwerken erzeugt und mit dem Übertragungs- und Verteil­netz den Verbrauchern zugeführt. Die Lasten wiesen meist lineares Verhalten auf – vorwiegend ohmsch und induktiv. In den letzten 20 Jahren stieg die Anzahl der elektronischen Lasten und Quellen stark an. Jede netzseitige Leistungs­elektronik verändert die Impedanz­verhältnisse in einem Verteiler­netz. Das nichtlineare Verhalten von geregelten Antrieben oder anderen netzseitigen Wechselrichter­topologien verursacht Oberwellen­ströme und kann damit die Spannungs­qualität beeinträchtigen.

Zudem ist der Energiefluss im heutigen Verteilnetz nicht mehr auf eine Richtung beschränkt. Die Anzahl der dezentralen Einspeisungen – vor allem durch Photovoltaik und Windkraft­anlagen auf der Netzebene 7 – wird weiter ansteigen. Durch den bidirektionalen Betrieb wird es zunehmend schwieriger, die lokalen Spannungen auf der Ebene der Verteil­netze in den zulässigen Toleranz­grenzen zu halten. Mittlere und grössere PV-Anlagen werden oft in ländlichen Gebieten errichtet, da hier auf Dächern von Scheunen oder Industrie­gebäuden ausreichend Platz vorhanden ist. Wegen der dünnen Besiedlung weisen diese Gebiete jedoch typischerweise ein eher «schwaches» Verteilnetz mit geringer Kurzschluss­schein­leistung auf. Damit die Spannung der Verbraucher lokal durch Erzeuger nicht zu stark angehoben wird, muss derzeit ggf. die Einspeise­leistung begrenzt werden.

Unter anderem können ein verstärkter Ausbau des Verteilnetzes oder der Einsatz von lokalen Speicher­systemen diese Spannungs­problematik reduzieren. Allerdings sind diese beiden Ansätze sehr kostenintensiv. Auch elektro­mechanische Lösungen werden angeboten, die aber nur den Effektiv­wert der Netz­spannung beeinflussen können.

Elektronische Spannungs­regler für Verteilnetze

Ein hochfrequenter, elektronischer Spannungs­regler kann hier eine kosten- und ressourcen­schonende Alternative sein. Dazu wird ein Spezial­­transformator in Serie zwischen dem Verteilnetz des Netz­betreibers und dem Verbraucher­netz geschaltet (Bild 2). Auf diesen Transformator können dann die zum Netz in Phase erzeugten Spannungen angelegt werden. Durch Summierung der Verteilnetz- und der Wechsel­richter­spannung ergibt sich die Ausgangs­spannung. Somit können die Effektiv­werte und Asymmetrien der Phasen­spannungen beeinflusst und enthaltene Oberwellen reduziert werden. Die Energie für die Regelung wird mit einem Gleichrichter von der Netz­eingangs­seite bezogen. Da der Transformator in Serie zu den Verbrauchern geschaltet wird, fliesst über den Wechselrichter ein eingeprägter Ausgangs­strom, der über das Übersetzungs­verhältnis n proportional zum Phasenstrom ist.

Zusätzlich zu den Komponenten in Bild 2 verfügt der Spannungs­regler über Mechanismen, um im Fehlerfall den seriellen Einspeise­transformator zu überbrücken oder im Wartungs­fall alle Komponenten spannungs­frei zu schalten. Dies ist möglich, ohne das Verteilnetz zu unterbrechen. Im Fehlerfall schaltet der Regler ab und die einzelnen Windungen des Einspeise­transformators werden überbrückt, sodass die Schutz­vorrichtungen vom Verteilnetz durch den Spannungs­regler nicht beeinflusst werden. Es sind keine Anpassungen an den bestehenden Schutz­konzepten nötig, da der Regler die Netz­impedanz des Verteil­netzes im Fehlerfall nicht beeinflusst.

Stabilere und saubere Netze

Labor­versuche belegen ein stabiles Verhalten des Reglers in allen simulierten Arbeits­punkten sowie die gewünschten Verbesserungen der Netz­qualität. Ein Ergebnis ist in Bild 3 ersichtlich. Die Messung von zwei Eingangs- und Ausgangs­spannungen des Versuchs ist in (a) dargestellt. Die blaue Kurve zeigt dabei die verzerrte Eingangs­spannung, die orange die korrigierte Ausgangs­spannung der Phase L1, die gelbe die verzerrte Eingangs­spannung und die violette die korrigierte Ausgangs­spannung von Phase L2. Phase L3 wird zur besseren Übersicht nicht dargestellt. Sie verbesserte sich analog. Die Eingangs­spannungen weisen sowohl Abweichungen vom Effektiv­wert als auch von Oberwellen verursachte Verzerrungen auf. Die jeweiligen Phasen­spannungen weisen vom Ein- zum Ausgang keine Phasen­abweichung auf. Die Oberwellen-Spektren der Ein- und Ausgangs­spannungen (b) zeigen, dass sowohl der Effektiv­wert als auch die Asymmetrien zwischen den Phasen­spannungen zum grossen Teil kompensiert und die Oberwellen der einzelnen Phasen signifikant reduziert werden können. Die RMS-Spannungs­werte der fünften Oberwelle werden um 58%, die der siebten um 40% reduziert.

Zusammenfassend zeigte die Messung, wie die eingesetzte Leistungs­elektronik die Stabilität und die Qualität des Netzes erhöht. Allgemein gilt für das System, dass sich mit steigender Ordnung auch der RMS-Restwert der Oberwellen erhöht, da hier die Fähigkeit des Reglers zur Korrektur durch die Schalt­frequenz der Halbleiter­elemente und die Filter­eigenschaften der Komponenten (Durch­tritts­frequenz, Dämpfung und Phasen­verschiebung) begrenzt wird. Trotz dieser Einschränkung ist der Nutzen enorm und trägt zu stabileren Versorgungs­netzen bei.

Verbesserung der Netzqualität in drei Eigenschaften

Mit der vorgestellten Lösung können drei häufige Störungs­formen bei Verteil­netzen in stufenloser elektronischer Form verbessert werden:

  • Regelung des Effektiv­wertes der Netz­spannung auf den gewünschten Sollwert
  • Kompensation von Spannungs­oberwellen nichtlinearer Erzeuger und/oder Verbraucher
  • Reduktion von Spannungs­asymmetrien grosser, einphasiger Verbraucher (z. B. von einphasigen E-Ladestationen oder einphasigen PV-Anlagen)

 

Der Spannungs­regler wird zwischen einem Netz mit geringer Kurzschluss­schein­leistung und den dezentralen Verbrauchern bzw. Erzeugern geschaltet (Bild 4). Die Netz­impedanz­verhältnisse werden durch den Einsatz dieses Spannungs­reglers nicht beeinflusst. Der Regler kann hier als Ergänzung zu Smart Grids eingesetzt werden, um neben der Verschiebung von Lasten auch die Spannung und Oberwellen zu korrigieren, die oft von geschalteten Endgeräten ausgehen.

Die Schweizer Verteil­netze weisen eine hohe Zuverlässigkeit und Stabilität auf und halten die in den Normen EN 50160 und IEC 61000-2-2 vorgegebenen Limits für Spannungs­abweichungen, Asymmetrien und Verzerrungen ein. Zusammen haben die ON Power Technology AG als Haupt­industrie­partner, die SF Elektro-Engineering AG als Engineering­partner und die OST Ostschweizer Fach­hochschule als Forschungs­partner einen Prototypen realisiert. Mit der Repower AG in Graubünden konnte ein renommierter regionaler Partner für eine Felder­probung gefunden werden. Am geplanten Erprobungs­ort ­sollen 10% der Phasen-Neutral­leiter-Spannung (23 V) bei einer Anschluss­leistung von 250 kVA kompensiert und Oberwellen der Ordnungen fünf und sieben um mindestens 30% reduziert werden. Für die angeschlossenen Kunden besteht aktuell keine Beeinträchtigung der Netzqualität. Repower möchte aber die Gelegenheit nutzen und Erfahrungen mit neuartigen Kompensations­systemen sammeln. Sie sieht ebenfalls Potenzial im Lösungs­ansatz solcher elektronischer Spannungs­regler als Alternative zum kosten­intensiven Netz­ausbau oder bei temporären Einsätzen.

Bei der Inbetrieb­nahme im Labor arbeitete der Regler erfolgreich in den vorgegebenen Arbeits­punkten. Gleichzeitig mit dem Projektstart wurde auch eine Netz­qualitäts­messung im Testgebiet der Repower AG installiert. Diese Messdaten dienten einerseits als Grundlage für die Erprobung des Reglers im Labor, andererseits werden sie für die qualitative und quantitative Bewertung des Einflusses des Spannungs­reglers auf die Netz­qualität verwendet.

Vom Labor ins Feld

Die wachsenden Heraus­forderungen im Verteilnetz­bereich erfordern schnelle und wirtschaftliche Lösungen – sowohl für die Verteilnetz­betreiber als auch für Kommunen und Industrie­verbraucher. Mit der Zunahme von volatilen Energie­erzeugern und unvorher­sehbaren Verbrauchern – beispiels­weise dem Laden von Elektro­fahrzeugen – können stufenlose und multifunktionale Regel­systeme die Spannungen für Erzeuger bzw. Verbraucher stabilisieren, ohne dabei die vorhandenen Netze zu verändern.

Mit dem EVOC-DTR (Electronic Voltage Controller for Distribution Transmission) sollen die Effektiv­werte, und Asymmetrien zwischen den Phasen­spannungen, sowie auch die Oberwellen korrigiert werden. Ab Juli dieses Jahres stellt der Prototyp seine Fähigkeiten während der Feld­er­probung unter Beweis. Diese Tests werden mit Messungen begleitet, um die volle Leistungs­fähigkeit des Reglers aufzuzeigen. Die Erfahrungen und Erkenntnisse, die aus diesem Projekt resultieren, sind für künftige Anlagen und Kunden äusserst wertvoll.

Die Nachfrage nach Spannungs­reglern, wie dem EVOC-DTR, ist hoch. Bei der Firma ON Power gingen Anfragen von industriellen Verbrauchern für Spannungs­regler ein, deren Regel­leistungen 30 kVA bis 2 MVA umfassen. Durch diese Leistungen können Versorgungs­netze je nach Spannungs­regelung bis zu einer Netzleistung von 10 MVA stabilisiert werden. Die Anfragen stammen unter anderem aus Indien oder Latein­amerika, wo in ländlichen Gebieten oft schwache Verteilnetze vorzufinden sind. Das Regelkonzept lässt sich auch auf die Mittel­spannungs­ebene übertragen, um grössere Netz­leistungen bedienen zu können. Hierzu werden künftig weitere Konzepte erarbeitet.

Referenzen

[1] A. Mohammed, S. S. Refaat, S. Bayhan, H. Abu-Rub, «AC Microgrid Control and Management Strategies: Evaluation and Review», IEEE Power Electronics Magazine, Juni 2019.

[2] B. Girardi, K. Schenk, «Continuously Variable Controlled Transformer for Grid Voltage Stabilization», in PCIM Europe 2019, International Exhibition and Conference for Power Electronics, Intelligent Motion, Renewable Energy and Energy Management, Nuremberg, 2019.

Über Innosuisse

Die Innosuisse ist die Schweizerische Agentur für Innovations­förderung und hat den Auftrag die wissenschafts­basierte Innovation im Interesse von Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern. Die Förderung der Zusammen­arbeit zwischen Wissenschaft und Markt erfolgt gezielt durch Innovations­projekte, Vernetzung, Ausbildung und Coaching, sodass daraus erfolgreiche Schweizer Start-Ups sowie innovative Produkte und Dienst­leistungen entstehen können. Der EVOC-DTR wird von der Innosuisse 36 Monate lang mit rund 320'000 CHF unterstützt.

www.innosuisse.ch

Autor
Bernhard Girardi

ist Ingenieur für Leistungselektronik am Institut für Energie­systeme IES der OST.

  • Ostschweizer Fachhochschule
    9471 Buchs
Autor
Eugen M. Jakob

ist Technischer Leiter von ON Power Technology AG.

  • ON Power Technology AG
    8890 Flums SG
Autor
Christoph Fehr

ist Ingenieur für Leistungs­elektronik am Institut für Energie­systeme IES der OST.

  • Ostschweizer Fachhochschule
    9471 Buchs
Autor
Simon Nigsch

ist Bereichsleiter der elektrischen Energie­systeme am Institut für Energie­systeme IES der OST.

  • Ostschweizer Fachhochschule
    9471 Buchs

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