Stabile Netze mithilfe von Leistungselektronik
Regelkonzept
Die Spannung in einem asymmetrischen Verteilnetz kann durch Leistungselektronik und einem innovativen Regelkonzept mit geringem Aufwand stabilisiert werden. Auch eine Reduzierung von Oberwellen in den einzelnen Phasenspannungen ist damit möglich. Dabei wird die Kompensation dem Netz über einen seriellen Einspeisetransformator zugeführt.
Zur Eindämmung des Klimawandels muss die Energieversorgung dekarbonisiert werden. Somit steigt der Anteil volatiler Energieerzeuger wie Wind- und Solaranlagen. Eine Alternative zu teuren Netzausbauten oder Energiespeichern kann aus einer stärkeren Anpassung des Verbrauchs an die Erzeugungscharakteristik bestehen. Weltweit steigt deshalb die Nachfrage nach intelligenten Verteilnetzen, den sogenannten Smart bzw. Micro Grids. Die Vorhersage für die Kapazität der erforderlichen Leistung von Smart Grids auf dem Weltmarkt beläuft sich auf 33 GW bis zum Ende des Jahres 2027 (Bild 1) [1]. Marktanalysen prognostizieren Investitionen von bis zu 16'000 Mio. US $ in den nächsten Jahren [1].
Die Betriebssituation in Verteilnetzen ist einem starken Wandel unterworfen. Ursprünglich wurde die elektrische Energie zentral in Grosskraftwerken erzeugt und mit dem Übertragungs- und Verteilnetz den Verbrauchern zugeführt. Die Lasten wiesen meist lineares Verhalten auf – vorwiegend ohmsch und induktiv. In den letzten 20 Jahren stieg die Anzahl der elektronischen Lasten und Quellen stark an. Jede netzseitige Leistungselektronik verändert die Impedanzverhältnisse in einem Verteilernetz. Das nichtlineare Verhalten von geregelten Antrieben oder anderen netzseitigen Wechselrichtertopologien verursacht Oberwellenströme und kann damit die Spannungsqualität beeinträchtigen.
Zudem ist der Energiefluss im heutigen Verteilnetz nicht mehr auf eine Richtung beschränkt. Die Anzahl der dezentralen Einspeisungen – vor allem durch Photovoltaik und Windkraftanlagen auf der Netzebene 7 – wird weiter ansteigen. Durch den bidirektionalen Betrieb wird es zunehmend schwieriger, die lokalen Spannungen auf der Ebene der Verteilnetze in den zulässigen Toleranzgrenzen zu halten. Mittlere und grössere PV-Anlagen werden oft in ländlichen Gebieten errichtet, da hier auf Dächern von Scheunen oder Industriegebäuden ausreichend Platz vorhanden ist. Wegen der dünnen Besiedlung weisen diese Gebiete jedoch typischerweise ein eher «schwaches» Verteilnetz mit geringer Kurzschlussscheinleistung auf. Damit die Spannung der Verbraucher lokal durch Erzeuger nicht zu stark angehoben wird, muss derzeit ggf. die Einspeiseleistung begrenzt werden.
Unter anderem können ein verstärkter Ausbau des Verteilnetzes oder der Einsatz von lokalen Speichersystemen diese Spannungsproblematik reduzieren. Allerdings sind diese beiden Ansätze sehr kostenintensiv. Auch elektromechanische Lösungen werden angeboten, die aber nur den Effektivwert der Netzspannung beeinflussen können.
Elektronische Spannungsregler für Verteilnetze
Ein hochfrequenter, elektronischer Spannungsregler kann hier eine kosten- und ressourcenschonende Alternative sein. Dazu wird ein Spezialtransformator in Serie zwischen dem Verteilnetz des Netzbetreibers und dem Verbrauchernetz geschaltet (Bild 2). Auf diesen Transformator können dann die zum Netz in Phase erzeugten Spannungen angelegt werden. Durch Summierung der Verteilnetz- und der Wechselrichterspannung ergibt sich die Ausgangsspannung. Somit können die Effektivwerte und Asymmetrien der Phasenspannungen beeinflusst und enthaltene Oberwellen reduziert werden. Die Energie für die Regelung wird mit einem Gleichrichter von der Netzeingangsseite bezogen. Da der Transformator in Serie zu den Verbrauchern geschaltet wird, fliesst über den Wechselrichter ein eingeprägter Ausgangsstrom, der über das Übersetzungsverhältnis n proportional zum Phasenstrom ist.
Zusätzlich zu den Komponenten in Bild 2 verfügt der Spannungsregler über Mechanismen, um im Fehlerfall den seriellen Einspeisetransformator zu überbrücken oder im Wartungsfall alle Komponenten spannungsfrei zu schalten. Dies ist möglich, ohne das Verteilnetz zu unterbrechen. Im Fehlerfall schaltet der Regler ab und die einzelnen Windungen des Einspeisetransformators werden überbrückt, sodass die Schutzvorrichtungen vom Verteilnetz durch den Spannungsregler nicht beeinflusst werden. Es sind keine Anpassungen an den bestehenden Schutzkonzepten nötig, da der Regler die Netzimpedanz des Verteilnetzes im Fehlerfall nicht beeinflusst.
Stabilere und saubere Netze
Laborversuche belegen ein stabiles Verhalten des Reglers in allen simulierten Arbeitspunkten sowie die gewünschten Verbesserungen der Netzqualität. Ein Ergebnis ist in Bild 3 ersichtlich. Die Messung von zwei Eingangs- und Ausgangsspannungen des Versuchs ist in (a) dargestellt. Die blaue Kurve zeigt dabei die verzerrte Eingangsspannung, die orange die korrigierte Ausgangsspannung der Phase L1, die gelbe die verzerrte Eingangsspannung und die violette die korrigierte Ausgangsspannung von Phase L2. Phase L3 wird zur besseren Übersicht nicht dargestellt. Sie verbesserte sich analog. Die Eingangsspannungen weisen sowohl Abweichungen vom Effektivwert als auch von Oberwellen verursachte Verzerrungen auf. Die jeweiligen Phasenspannungen weisen vom Ein- zum Ausgang keine Phasenabweichung auf. Die Oberwellen-Spektren der Ein- und Ausgangsspannungen (b) zeigen, dass sowohl der Effektivwert als auch die Asymmetrien zwischen den Phasenspannungen zum grossen Teil kompensiert und die Oberwellen der einzelnen Phasen signifikant reduziert werden können. Die RMS-Spannungswerte der fünften Oberwelle werden um 58%, die der siebten um 40% reduziert.
Zusammenfassend zeigte die Messung, wie die eingesetzte Leistungselektronik die Stabilität und die Qualität des Netzes erhöht. Allgemein gilt für das System, dass sich mit steigender Ordnung auch der RMS-Restwert der Oberwellen erhöht, da hier die Fähigkeit des Reglers zur Korrektur durch die Schaltfrequenz der Halbleiterelemente und die Filtereigenschaften der Komponenten (Durchtrittsfrequenz, Dämpfung und Phasenverschiebung) begrenzt wird. Trotz dieser Einschränkung ist der Nutzen enorm und trägt zu stabileren Versorgungsnetzen bei.
Verbesserung der Netzqualität in drei Eigenschaften
Mit der vorgestellten Lösung können drei häufige Störungsformen bei Verteilnetzen in stufenloser elektronischer Form verbessert werden:
- Regelung des Effektivwertes der Netzspannung auf den gewünschten Sollwert
- Kompensation von Spannungsoberwellen nichtlinearer Erzeuger und/oder Verbraucher
- Reduktion von Spannungsasymmetrien grosser, einphasiger Verbraucher (z. B. von einphasigen E-Ladestationen oder einphasigen PV-Anlagen)
Der Spannungsregler wird zwischen einem Netz mit geringer Kurzschlussscheinleistung und den dezentralen Verbrauchern bzw. Erzeugern geschaltet (Bild 4). Die Netzimpedanzverhältnisse werden durch den Einsatz dieses Spannungsreglers nicht beeinflusst. Der Regler kann hier als Ergänzung zu Smart Grids eingesetzt werden, um neben der Verschiebung von Lasten auch die Spannung und Oberwellen zu korrigieren, die oft von geschalteten Endgeräten ausgehen.
Die Schweizer Verteilnetze weisen eine hohe Zuverlässigkeit und Stabilität auf und halten die in den Normen EN 50160 und IEC 61000-2-2 vorgegebenen Limits für Spannungsabweichungen, Asymmetrien und Verzerrungen ein. Zusammen haben die ON Power Technology AG als Hauptindustriepartner, die SF Elektro-Engineering AG als Engineeringpartner und die OST Ostschweizer Fachhochschule als Forschungspartner einen Prototypen realisiert. Mit der Repower AG in Graubünden konnte ein renommierter regionaler Partner für eine Felderprobung gefunden werden. Am geplanten Erprobungsort sollen 10% der Phasen-Neutralleiter-Spannung (23 V) bei einer Anschlussleistung von 250 kVA kompensiert und Oberwellen der Ordnungen fünf und sieben um mindestens 30% reduziert werden. Für die angeschlossenen Kunden besteht aktuell keine Beeinträchtigung der Netzqualität. Repower möchte aber die Gelegenheit nutzen und Erfahrungen mit neuartigen Kompensationssystemen sammeln. Sie sieht ebenfalls Potenzial im Lösungsansatz solcher elektronischer Spannungsregler als Alternative zum kostenintensiven Netzausbau oder bei temporären Einsätzen.
Bei der Inbetriebnahme im Labor arbeitete der Regler erfolgreich in den vorgegebenen Arbeitspunkten. Gleichzeitig mit dem Projektstart wurde auch eine Netzqualitätsmessung im Testgebiet der Repower AG installiert. Diese Messdaten dienten einerseits als Grundlage für die Erprobung des Reglers im Labor, andererseits werden sie für die qualitative und quantitative Bewertung des Einflusses des Spannungsreglers auf die Netzqualität verwendet.
Vom Labor ins Feld
Die wachsenden Herausforderungen im Verteilnetzbereich erfordern schnelle und wirtschaftliche Lösungen – sowohl für die Verteilnetzbetreiber als auch für Kommunen und Industrieverbraucher. Mit der Zunahme von volatilen Energieerzeugern und unvorhersehbaren Verbrauchern – beispielsweise dem Laden von Elektrofahrzeugen – können stufenlose und multifunktionale Regelsysteme die Spannungen für Erzeuger bzw. Verbraucher stabilisieren, ohne dabei die vorhandenen Netze zu verändern.
Mit dem EVOC-DTR (Electronic Voltage Controller for Distribution Transmission) sollen die Effektivwerte, und Asymmetrien zwischen den Phasenspannungen, sowie auch die Oberwellen korrigiert werden. Ab Juli dieses Jahres stellt der Prototyp seine Fähigkeiten während der Felderprobung unter Beweis. Diese Tests werden mit Messungen begleitet, um die volle Leistungsfähigkeit des Reglers aufzuzeigen. Die Erfahrungen und Erkenntnisse, die aus diesem Projekt resultieren, sind für künftige Anlagen und Kunden äusserst wertvoll.
Die Nachfrage nach Spannungsreglern, wie dem EVOC-DTR, ist hoch. Bei der Firma ON Power gingen Anfragen von industriellen Verbrauchern für Spannungsregler ein, deren Regelleistungen 30 kVA bis 2 MVA umfassen. Durch diese Leistungen können Versorgungsnetze je nach Spannungsregelung bis zu einer Netzleistung von 10 MVA stabilisiert werden. Die Anfragen stammen unter anderem aus Indien oder Lateinamerika, wo in ländlichen Gebieten oft schwache Verteilnetze vorzufinden sind. Das Regelkonzept lässt sich auch auf die Mittelspannungsebene übertragen, um grössere Netzleistungen bedienen zu können. Hierzu werden künftig weitere Konzepte erarbeitet.
Referenzen
[1] A. Mohammed, S. S. Refaat, S. Bayhan, H. Abu-Rub, «AC Microgrid Control and Management Strategies: Evaluation and Review», IEEE Power Electronics Magazine, Juni 2019.
[2] B. Girardi, K. Schenk, «Continuously Variable Controlled Transformer for Grid Voltage Stabilization», in PCIM Europe 2019, International Exhibition and Conference for Power Electronics, Intelligent Motion, Renewable Energy and Energy Management, Nuremberg, 2019.
Über Innosuisse
Die Innosuisse ist die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung und hat den Auftrag die wissenschaftsbasierte Innovation im Interesse von Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern. Die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Markt erfolgt gezielt durch Innovationsprojekte, Vernetzung, Ausbildung und Coaching, sodass daraus erfolgreiche Schweizer Start-Ups sowie innovative Produkte und Dienstleistungen entstehen können. Der EVOC-DTR wird von der Innosuisse 36 Monate lang mit rund 320'000 CHF unterstützt.
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