Interview Erneuerbare Energien , Gebäudeautomation , Mobilität

Nach der Smart City kommt die Responsive City

Globale Situation

01.06.2020

Der Begriff Smart City steht für urbane Räume, in denen mittels digitaler Technologien, d. h. dem Einsatz von Rechnern, Sensoren und Vernetzung der Energieverbrauch minimiert wird. Die Idee ist nicht neu. Aber wo stehen wir heute in der Umsetzung? Im Interview gibt Gerhard Schmitt Einblicke.

Prof. Dr. Gerhard Schmitt
Prof. Dr. Gerhard Schmitt
Bulletin: Smart City steht für Städte, bei denen beispiels­weise der Verkehr mit digitalen Technologien optimiert wird und präsenz­relevantes Heizen eingesetzt wird. Wo stehen wir heute in der Umsetzung dieses Ansatzes? Erst am Anfang oder schon mitten in der Umsetzungsphase?

Gerhard Schmitt: Mittendrin. Am Anfang, vor 10 – 15 Jahren, kamen diejenigen Anwen­dungen zum Zug, die sich leicht digitalisieren liessen, beispiels­weise Unter­stützung bei der Parkplatz­suche, smarte Strassen­beleuchtung, smarte Apps, auf denen man Probleme melden konnte. Recht schnell zeigte sich das Potenzial für Smart Grids, von der dezentralen Strom­erzeugung bis zur Abnahme in den Endgeräten wie Wärmepumpen. Dazu kommen die Möglichkeiten des Eigen­verbrauchs und der Zusammen­schluss von Nachbarn zu Energie-Erzeugungs- und Verbrauchsgemeinschaften. Die Zusammen­arbeit Mensch-Maschine hat aber noch grosses Verbesserungs­potenzial. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass anfänglich Smart-City-Installationen auf der Suche nach dem Problem waren. Heute helfen sie, reelle Probleme zu lösen.

In welchem Bereich sehen Sie das grösste Potenzial zur Dekarbonisierung mittels ICT, KI und Big Data?

Bei den grössten Verursachern von CO2: dem Verkehr, den Heizungen, der Industrie und der Strom­erzeugung. In der Schweiz sind wir in der glücklichen Lage, dass zumindest der Strom weitgehend CO2-frei erzeugt wird. ICT, KI und Big Data kommen ins Spiel, wenn es um die Kombination der Dekarboni­sierung des Verkehrs, der Energie­erzeugung und der Heizungen geht. Früher geschah dies kaum, doch nun kann ICT bei der Vernetzung der Energie-Eigen­produktion mit den Wärme­pumpen der Gebäude und den Batterien der Elektroautos unterstützen. KI hilft bei der Entdeckung von Mustern und der Einstellung der Regelung. Speziell auf dem Land beginnt diese Verknüpfung von Erzeugung und Verbrauch zu spielen. Dies wird sowohl den CO2-Ausstoss wie auch die Energiekosten reduzieren.

Wo liegen die Herausforderungen bei der Umsetzung solcher Ansätze?

Wie in der Wissenschaft haben sich auch in der Planung und im Management der Städte starke Disziplinen gebildet, die riesiges Spezialwissen haben, aber oft wenig miteinander kommunizieren. Die Elektrifizierung des Transports, der Haustechnik und der Industrie bietet hier eine gemeinsame Herausforderung, zu deren Lösung die bestehenden Daten- und Wissenssilos aufgelöst werden müssen. Entstehen daraus sinnvolle neue Anwendungen, welche die Bevölkerung im täglichen Leben unter­stützen und gleichzeitig finanziell entlasten, wird die Akzeptanz schnell steigen und einen Investitions­schub auslösen.

Wodurch unterscheiden sich europäische Smart Cities von asiatischen?

In Europa hat der Schutz der persön­lichen Daten zu Recht einen hohen Stellenwert. Reist man von hier in Richtung Osten bis nach China und Korea, so ändert sich dieser Stellenwert in jedem Land. Asiatische Städte wie Hongkong oder Singapur sind führend in der Technologie, die auf alle öffentlichen und privaten Daten zugreifen kann. Europäische Städte müssen hier zurück­haltender sein, doch dafür sind sie bei dem Einbezug der Bevölkerung führend.

Was kommt nach der Smart City?

Die Technologie-Kombination, die durch den Menschen bestimmt und gesteuert wird, und nicht umgekehrt: die Responsive City. Da steht der Mensch nicht im Zentrum der Beobachtung, wie in den meisten Smart-­City-Anwendungen, sondern im Zentrum der Aktion: Die Technologie der Smart City wird für eine holistische Betrachtung, bessere Planung und menschen­zentriertes Management der Stadt verwendet.

Zum Schluss: In welcher Smart City würden Sie am liebsten leben?

Ich lebe gern in Singapur, aber noch lieber in Einsiedeln – a smart town!

Autor
Radomír Novotný

ist Chefredaktor des Bulletins Electrosuisse.

  • Electrosuisse
    8320 Fehraltorf

Zur Person

Prof. Dr. Gerhard Schmitt ist Professor für Infor­mations­archi­tektur an der ETH Zürich und Direktor des Singapore-ETH Centre for Global Environ­mental Sustain­ability in Singapur.

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