Interview IT für EVU

Mehr als nur Energie­verrech­nung

Software für EVU

30.07.2021

Innosolv, ein St. Galler KMU mit 45 Mitarbeitenden und drei Lernenden, das sich auf branchenspezifische Anwendungen spezialisiert hat, feiert sein 25-Jahr-Jubiläum. Im Interview erläutern CEO Thomas Peterer und der Marktverantwortliche im EVU-Bereich, Giuseppe Martella, aktuelle Entwicklungen und die Marktsituation.

Bulletin: In welchen Bereichen ist Ihr Unternehmen aktiv?

Thomas Peterer: Innosolv hat drei Standbeine, darunter die zwei Hauptmärkte «Energie- und Wasserversorger» und «Städte und Gemeinden». Kirchgemeinden sind ein drittes, deutlich kleineres Pflänzchen. Wir konzentrieren uns auf das Branchenspezifische, nicht auf Finanzapplikationen, die bereits bestehen. Zwischen allen drei Märkten – mit den Lösungen Innosolvenergy (früher is-e), Innosolvcity (früher Nest) resp. Innosolvchurch – gibt es Synergien.

Welche Bedürfnisse eines EVUs adressiert Innosolv mit ihrer Software?

Thomas Peterer: Wir bieten Lösungen für den Vertrieb, das Messen und das Abrechnen an. Die Entwicklung des Energiedatenmanagements war der grösste «Lupf» für unser Unternehmen, ein völlig neues Produkt. Die Frage dabei war, wo die viertelstündlichen Messwerte langfristig gespeichert werden und wie sie den Verbrauchern zur Verfügung gestellt werden können. Die Messwerte werden von Smart-Meter- Systemen gemessen, welche übrigens zur Operational Technology (OT) gehören. Die Messwerte werden dort zwischengespeichert und über einen kon­trollierten Gateway an unser System übertragen. Letzteres übernimmt die gesamte Kommunikation mit dem Kundenportal und den Messdatenaustausch mit Marktpartnern. Das System soll nicht direkt in die OT eingreifen.

Sie erhalten also die viertelstündlichen Werte? Reichen da die Tageswerte nicht aus?

Thomas Peterer: Wir erhalten die viertelstündlichen Werte und speichern sie langfristig. Diese Werte sind die Grundlage für die Netzbilanzierung und die Prognose. Der Messdatenaustausch mit Marktpartnern läuft über Innosolvenergy. Das ist ein weiterer Vorteil im Vergleich mit separaten Lösungen für die Smart Meter und für die Abrechnung. Wechselprozesse können mit unserer Lösung komplett integriert abgewickelt werden. Eine Interaktion mit einem separaten System für Energiedatenmanagement erübrigt sich.

Kann man also bei einem Umzug auf den Tag genau abrechnen?

Giuseppe Martella: Ja, denn die Zähler werden in der Nacht ausgelesen. Man muss niemanden vorbeischicken.

Wie handhaben Sie es beim Eigenverbrauch, wo die Zähler des EWs nur beim Netz­anschluss sind, und die individuellen Zähler privat sind? Müssen da Schnittstellen vereinbart werden?

Thomas Peterer: Für uns ist es nur interessant, wenn das EW die Zähler verwaltet, denn dieses ist unser Kunde. Mit unserer Lösung können Stromversorger Eigenverbrauchsgemeinschaften effizient und günstig abrechnen. So kann der Energieversorger auch seine Kunden behalten, denn er kennt die einzelnen Parteien, da er mit ihnen geschäftlich in Beziehung steht. Die ZEV-Abrechnung ist für uns sozusagen Standard, sie wird mitgeliefert.

Wie sieht die Schnittstelle zum EW aus?

Thomas Peterer: Das EW oder die Eigenverbrauchsgemeinschaft installieren die Smart Meter, wobei das EW zwingend Zugriff auf die Zähler haben muss.

Wer definiert die Schnittstelle bzw. die Protokolle der Hardware, die die Daten an die Innosolv-Lösung liefert? Sie oder das EW?

Giuseppe Martella: Die Protokolle, die Sie ansprechen, findet man eher zwischen den Zählern und dem Head-End-System, also im OT-Bereich. Head-End-Systeme (HES) liefern die Daten in verschiedenen Formaten wie CSV oder XML. Im Idealfall unterstützen sie aber den internationalen Standard IEC-61968-9. Systeme wie GridStream schicken dann die Daten in diesem internationalen Format an uns. Ziel ist es, Head-End-Systeme auf diese Weise anzubinden.

Hat die Corona-Pandemie eine Zunahme Ihrer Aktivitäten im Digitalisierungsbereich ausgelöst? Diverse Softwarefirmen verzeichnen ja aktuell eine deutliche Steigerung des Umsatzes, unter anderem wegen dem Homeoffice.

Thomas Peterer: Bei uns ist es nicht so extrem. Wir haben einen guten, leicht besseren Geschäftsgang als in den vergangenen Jahren. Unsere Kunden, die Energieversorger, waren schon früher gut digitalisiert im Vergleich mit anderen Branchen, wo es noch Nachholbedarf gibt. Wir haben ab und zu Zusatzmodule verkauft, um weniger Papier zu produzieren, etwa beim Berichtswesen oder den Energierechnungen.

Ist Blockchain für Sie ein Thema? Oder ist es ein Hype, der sich wieder legen könnte?

Giuseppe Martella: Wir haben Blockchain schon angeschaut. Es sieht eher nach Hype aus. In unserem Fall haben wir keinen sinnvollen Anwendungsfall gefunden, den wir nicht auch mit anderen Mitteln hätten abbilden können, beispielsweise über Datenbanken.

Thomas Peterer: Energiezertifikate wären ein möglicher Anwendungsfall. Wir haben das mit einer Firma angeschaut, die auf Blockchain spezialisiert ist. Blockchain ist eine teure und sehr aufwendige Technologie. Da muss man einen entsprechenden Gegenwert haben, um sie einzusetzen. Beim Beispiel Energiezertifikate sind wir darauf gekommen, dass es Blockchain nur braucht, wenn sich die einzelnen Player nicht kennen und somit nicht vertrauen. Zum Beispiel, wenn Millionen von Personen miteinander handeln und sich nicht kennen, dann macht es Sinn. Aber in unserem Fall mit den Energieversorgern trifft das nicht zu, denn diese kennen ihre Kunden und es ist eine Vertrauensbasis vorhanden. Wenn das EW beispielsweise sagt, dass es grünen Strom verkaufe, können die Kunden davon ausgehen, dass dies auch stimmt. In einem solchen Geschäftsfall würden sich der Aufwand und die entsprechenden Kosten für Blockchain nicht lohnen.

Wie sieht es mit Apps aus, die es den Endkunden ermöglichen, den Stromverbrauch zu kontrollieren? Bieten Sie solche Dienstleistungen an?

Giuseppe Martella: Unsere Software wird grundsätzlich durch die Energieversorger genutzt und bedient. Aber wir haben Schnittstellen zu Kundenportalen, die auf unsere Daten zugreifen und sie beispielsweise visualisieren können.

Thomas Peterer: Es gibt noch weitere Möglichkeiten. Wir bieten auch Schnittstellen für Kundenportale an, über die eine bidirektionale Kommunikation möglich ist. Die Endkunden können z. B. einen Wechsel vom Standardprodukt auf ein grüneres Produkt angeben. Dies wird dann im System bei uns automatisch nachgeführt. Diverse Geschäftsprozesse im Bereich Customer Self Service sind dabei möglich. Der Kunde kann seine Geschäfte selber administrieren und ein Sachbearbeiter des Energieversorgers erhält eine Mitteilung, dass etwas geändert wurde. Er kontrolliert, ob die Änderungen möglich sind und bestätigt die Ausführung. Es wird dann nicht automatisch gewechselt, sondern jemand hat noch die letzte Kontrolle.

Wenn man als Wohnungsmieter eine Monitoring-App möchte, müsste das dann das EW entwickeln?

Thomas Peterer: Was wir im Mobile- Bereich machen, ist für die EWs selber. Der Geschäftsführer, ein Sales-Mitarbeiter oder ein Techniker nutzen unsere App. Wir haben nicht den Endkunden im Fokus, sondern das EW.

Wie sieht die Situation bezüglich Mitbewerber für Sie aus?

Thomas Peterer: Mitbewerber gibt es wenige. SAP wird bei den grössten Elektrizitätswerken eingesetzt. Sie waren schon im Einsatz, als wir auf den Markt gekommen sind. Wir haben über 500 Energie- und Wasserversorger in der Schweiz als Kunden, auch grosse Stadtwerke, und sind stark bei Mehrsparten-Betrieben.

Giuseppe Martella: Bezüglich Messstellen hat SAP mehr als wir, etwa 3 Millionen, wir haben 2,9 Millionen. SAP hat 34 Kunden, wir haben heute 527.

Was ist für Sie als Firma die grösste Herausforderung bezüglich Energiemarkt?

Thomas Peterer: Wir haben in den letzten Jahren sehr viel investiert ins CRM, in die Wechselprozesse, Energiemarktliberalisierung. Um bereit zu sein, wenn die Nachfrage kommt.

Giuseppe Martella: Wir wollen jetzt mit dem EDM neue Kunden gewinnen. Gewisse Energieversorger müssen noch auf Smart Meter umstellen. Da gibt es noch Potenzial mit der Umstellung auf EDM und MDM.

Thomas Peterer: Wir wollen künftig auch die Beschaffung von Energie besser unterstützen. Mit Prognosen, um zu schauen, wie viel man selber produzieren und wie viel man beschaffen soll. Je früher man entscheiden kann, was zugekauft wird, desto günstiger kann man es beziehen. An diesem Modul arbeiten wir zurzeit noch.

Autor
Radomír Novotný

ist Chefredaktor des Bulletins Electrosuisse.

  • Electrosuisse
    8320 Fehraltorf

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