Lokales und zentrales Lastmanagement
Ladestationen in Echtzeit steuern
Batterien von Elektroautos bieten Flexibilität an. Diese kann genutzt werden, um die Auslastung des Stromnetzes in kritischen Momenten zu reduzieren. Zudem fördert sie den Übergang zu einer dekarbonisierten Mobilität, indem Fahrzeuge prioritär in Zeiten starker erneuerbarer Energieproduktion geladen werden. Über Chancen und offene Fragen.
Die ersten, die sich ein Elektroauto kauften, waren Besitzer von Einfamilienhäusern, weil es einfach war, einzelne Parkplätze mit einer privaten Ladestation auszustatten. Nun werden immer mehr Ladestationen auch in Mehrfamilienhäusern und Siedlungen installiert, was zu einem markanten Anstieg der Anschlüsse und einer Belastung des Stromnetzes führt.
Der Zugang von Energieversorgungsunternehmen (EVUs) zur Steuerung dieser Ladestationen und die Energieflexibilität in Gebäuden im Allgemeinen ist ein wichtiges Thema für den Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft. Die Energieflexibilität ermöglicht es Gebäuden, ihren Energiebedarf an die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energiequellen anzupassen und aktiv am Energiemarkt teilzunehmen. EVUs haben jedoch oft Schwierigkeiten, Zugang zu den Gebäudesteuerungssystemen zu erhalten, um die Flexibilität zu verwalten.
Dabei ist der Mangel an offenen, interoperablen Standards für Gebäudeleitsysteme eine der grössten Herausforderungen. Ohne gemeinsame Standards müssen Stromversorger individuelle Lösungen für jedes Gebäude entwickeln, was die Kosten erhöht und die Systemintegration erschwert.
Darüber hinaus verfügen viele Gebäudeeigentümer nicht über das Fachwissen oder die Anreize zur Umsetzung der Energieflexibilität. Die EVUs müssen daher mit den Eigentümern zusammenarbeiten, um Schulungen und Unterstützung für die Implementierung von Steuerungssystemen anzubieten und die Einführung von Energieflexibilität zu fördern.
Ein rasanter Anstieg
Die Anzahl der neu zugelassenen reinen Elektroautos ist im Januar 2023 in der Schweiz im Vergleich zum gleichen Monat des Vorjahres um 32% gestiegen. Dieser Anstieg wird durch die Entscheidung der Europäischen Union, die Produktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren ab 2035 zu verbieten, noch verstärkt. Auch der Ausbau von Solarstrom wird beschleunigt. Der prognostizierte Anstieg der Solarenergieerzeugung entspricht etwa dem prognostizierten Anstieg des Stromverbrauchs durch Wärmepumpen und Elektromobilität.
Es gibt dabei aber ein grundsätzliches Problem: Energie wird nicht mehr «auf Abruf» produziert, sondern gelegentlich. Es wird deshalb nötig sein, Strom dann zu nutzen, wenn er im Überfluss vorhanden ist. Die Lösung dieses Problems liegt in der Speicherung, die durch ein Flexibilitätsmanagement gesteuert wird.
In der Energiestrategie 2050 gibt es mehrere Anreizsysteme für Speichersysteme. Es gibt dabei keine Einzellösung, sondern mehrere Bausteine, die zu einer nachhaltigeren Nutzung der verfügbaren Energie führen. Elektrofahrzeuge stellen Tagesspeicher dar, die zur Stabilisierung des Stromnetzes genutzt werden könnten. Aber es gibt ein Hindernis: Laut StromVV gehört die Flexibilität eines Elektroautos dem Endkunden. Energieversorger haben somit keine freie Kontrolle über diese Ressource.
Steuerung des Ladevorgangs wird zunehmend wichtiger
Eine intelligente Nutzung der Flexibilität, die Batterien von Elektroautos bieten, ist entscheidend. Einerseits kann sie die Belastung des Netzwerks in kritischen Momenten reduzieren, andererseits fördert sie den Übergang zu einer nachhaltigen Mobilität, indem prioritär in Zeiten starker erneuerbarer Energieproduktion geladen wird.
Im Gegensatz zur Steuerung einer Wärmepumpe ist die Steuerung des Ladevorgangs von Elektroautos einfacher. Die meisten Ladestationen bieten bereits heute eine dynamische Leistungsbegrenzung. Eine teilweise Begrenzung der Ladeleistung aller Elektrofahrzeuge in einer Tiefgarage wirkt sich subtiler aus als die Begrenzung der Leistung einer 250-kW-Wärmepumpe, die 50 Wohnungen versorgt.
Da Flexibilität für Kunden heute wichtig ist, müssen EVUs neue Wege finden, um sie für eine netzdienliche Steuerung zu gewinnen – und nicht nur für die Optimierung ihres Eigenverbrauchs. Doch wie können EVUs Einfluss auf die Prozesse zur Steuerung der Flexibilität bei Endkunden nehmen? Die neue Rolle des Prosumers erfordert neue Plattformen für den Austausch zwischen den verschiedenen Parteien. Auf dieser Plattform werden diverse Akteure aktiv sein: Netzbetreiber, Eigentümer (also Prosumer) sowie Systemintegratoren, die Prosumeranlagen und Ladeparks bauen und in Zukunft auch Schnittstellen zwischen Gebäuden und Energieversorgern anbieten werden. Zudem müssen Produktanbieter neue Produkte auf den Markt bringen, die es EVUs ermöglichen, die Flexibilität zu steuern, da das heutige Rundsteuersignal nicht mehr dafür ausreicht.
Pilotprojekte: Lugano und Thun
Schon heute experimentieren die innovativsten Energieversorger zusammen mit Herstellern von Lastmanagement-Systemen mit neuen Möglichkeiten zur Steuerung des Ladevorgangs von Elektroautos. Zum Beispiel wurden bei einem Projekt in Agno TI Ladestationen der Firma Zaptec lokal durch ein Clemap-Lastmanagement gesteuert, um sicherzustellen, dass der Hauptanschluss des Gebäudes nicht überlastet wird. Gleichzeitig hat das lokale EVU AIL die Möglichkeit, die Ladestationen mit einem Signal komplett zu sperren, falls das vom Netz gewünscht ist, oder mit einem weiteren Signal den Ladestrom zu begrenzen.
Die technische Lösung verfügt über zwei Schnittstellen: Auf einer Seite hat es zwei potenzialfreie Kontakte und auf der anderen Seite eine Rest-API-Schnittstelle. Da der Kunde seine Flexibilität für die Netznutzung zur Verfügung gestellt hatte, erhielt er eine Vergütung von einem Rappen pro Kilowattstunde.
Ein ähnliches Projekt läuft bei Energie Thun. Auch hier geht es um die Frage, wie man den Endkunden am besten einen Flexibilitätstarif anbietet. In diesem Projekt wird das Parkhaus mit einem Lastmanagement-System versorgt, das als Smart Grid Connection Point konfiguriert ist. Eine einzige Steuerung dient als Flexibilitätsmanager für das gesamte Gebäude. Es ist wichtig, dass Energie-Managementsysteme den EVUs solche Schnittstellen bieten.
Lastmanagement als Schlüsselfunktion
Heute verfügen immer mehr Gebäude über ein System, das die Energieflüsse aus Wärmepumpen, Elektroautos, PV-Anlagen, Belüftung und Batterien steuert. Diese Lösungen bieten allen Beteiligten diverse Vorteile.
Einer der wichtigsten Vorteile für Endkunden ist die Einsparung von Anschlusskosten. Durch das Lastmanagement können Endkunden sicherstellen, dass der Hauptanschluss nicht überlastet wird und somit die Kosten für einen zusätzlichen Anschluss vermieden werden. Ein weiteres Ziel kann die Optimierung der Tarife sein, indem die Nutzung von Strom zu Zeiten mit geringer Nachfrage gefördert wird. Wenn Endkunden eine PV-Anlage besitzen, kann das Lastmanagement auch dazu beitragen, den Eigenverbrauch zu erhöhen.
Für Netzbetreiber ist das Lastmanagement ebenfalls nützlich, denn es kann beispielsweise zur Lastverschiebung eingesetzt werden, um das Netz zu stützen und Überlastungen zu vermeiden. Durch das Lastmanagement können Netzbetreiber Echtzeit- und Statistikdaten auf der Netzebene 7 erfassen, um ein besseres Verständnis des Stromverbrauchs und der Netzstabilität zu erlangen.
Eine der grössten Herausforderungen für Netzbetreiber beim Lastmanagement ist die Vielfalt an verwendeten Protokollen, die zu einer hohen Komplexität führen kann, besonders bei unterschiedlichen Technologien. Zudem können die Kosten für die Implementierung des Lastmanagements für Netzbetreiber hoch sein. Verbindungs- und Hardwarekosten können schnell über 1000 Franken liegen, was ein Flexibilitäts-Geschäftsmodell unattraktiv macht.
Eine weitere Herausforderung gibt es bei der Implementierung eines standardisierten Ansatzes für die Flexibilitätssteuerung. Eine mögliche Lösung ist die Entwicklung gemeinsamer Standards für das Lastmanagement, um die Komplexität und die Kosten zu reduzieren.
SmartGridready
Das Ziel der Initiative SmartGridready ist die Definition einer gemeinsamen Methodik für die Interpretation dieser Standards, damit Systemintegratoren und Produktentwickler die Kommunikation unter Produkten sicherstellen können.
Eines der Konzepte von SmartGridready ist der Smart Grid Connection Point (SGCP), der eine standardisierte Steuerung des Gebäudes durch einen externen Akteur (Netzbetreiber oder Flexibility-Pooling-Anbieter) ermöglicht. Der SGCP ist eine Beschreibung der offenen Schnittstelle eines Lastmanagements (oder EMS), die es ermöglicht, verschiedene Lastmanagement-Systeme zu integrieren und zu steuern. Durch die Implementierung des SGCP können Endkunden von den Vorteilen des Lastmanagements profitieren, ohne sich mit der Komplexität diverser Standards befassen zu müssen.
Ein wichtiger Vorteil von SmartGridready ist die Standardisierung der Kommunikation zwischen verschiedenen Systemen, was die Integration von Erzeugern, Verbrauchern und Controller erleichtert. Ausserdem ermöglicht der SGCP die Überwachung von Echtzeitwerten der Gebäude, was zu einer effektiveren Steuerung der Lasten führen kann.
Flexibilität bei den Kunden steuern
Um die Flexibilität bei Kunden zu steuern, gibt es für Netzbetreiber verschiedene Wege, beispielsweise die Verwendung eines Rundsteuersignals, das Verbraucher ein- oder ausschaltet. Es können auch potenzialfreie Kontakte genutzt werden, um mehrere Betriebsmodi zu steuern. Kunden können zudem ihre Präferenzen lokal einstellen. Dynamische Strompreise sind eine zukunftsorientierte Option, die Verbraucher dazu anregen kann, ihren Stromverbrauch bei hoher Nachfrage zu reduzieren. Letztlich gibt es viele Möglichkeiten, die Flexibilität der Kunden zu steuern und damit einen nachhaltigen Stromverbrauch zu fördern.
Wie Energieversorger Kunden motivieren können
Flexibilität gehört den Kunden, aber wie können Netzbetreiber sie motivieren, diese Flexibilität auch zur Verfügung zu stellen? Ein Beispiel hierfür ist das Preismodell von BKW für die Photovoltaik-Entschädigung. Die BKW bindet die Rückliefervergütung an den Strompreis und passt ihn vierteljährlich an. In der Vergangenheit waren Solarstrom-Produzenten in Kanton Bern somit stark motiviert, Strom ins Netz einzuspeisen, weil sie bis zu 40 Rp./kWh erhielten. Dies führte dazu, dass viele ein PV-System auf ihrem Dach installieren wollten und die Energie an das Netz abgaben, anstatt sie zur Optimierung ihres eigenen Verbrauchs zu nutzen.
Bei der Mobilität wird das Thema der Motivation etwas komplexer. Für Einfamilienhäuser kann der Netzbetreiber einen Flexibilitätstarif anbieten, bei grossen Liegenschaften, wo es Parkplätze mit mehreren Elektroautos gibt, ist es nicht mehr so trivial. Ein Problem ist hier, dass meist nicht die Liegenschaftseigentümer die Stromrechnung bezahlen, sondern die Mietparteien. In der Regel ist ein Flexibilitätstarif vorteilhaft für diejenigen, welche die Stromrechnung bezahlen, aber diejenigen, die über die Installation eines solchen Systems entscheiden, sind die Liegenschaftsbesitzer. Die Anreize müssen also beide Parteien berücksichtigen.
Regulatorisch könnte man eine Steuerung der Auto-Ladeparks erlauben, die über ein einfaches Rundsteuersignal erfolgt. Alle Ladestationen müssen dann an der Flexibilitätssteuerung teilnehmen – oder die Mieter können frei wählen, ob ihre Ladestation Teil des Flexibilitäts-Poolings sein soll oder nicht. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten einbezogen werden, um sicherzustellen, dass die Flexibilität genutzt wird und dass die Anreize für alle Parteien gleich attraktiv sind.
Endkunden können durch flexible Stromtarife motiviert werden, während Liegenschaftseigentümer in der Regel durch regulatorische Vorschriften gezwungen sind, flexible Stromlösungen zu implementieren. Für Endkunden können feste Rabatte auf Strompreise oder dynamische zeitvariable Tarife angeboten werden, die nicht nur auf Tages- und Nachtzeiten beschränkt sind. Weitere Anreize können darin bestehen, den Endkunden die Möglichkeit zu geben, Teil der Energiewende zu sein, und sie durch Gamification – den Einsatz von spielerischen Elementen – zu energieeffizienteren Verhaltensweisen zu motivieren.
Für Liegenschaftseigentümer können Vorschriften festgelegt werden, beispielsweise die Installation von Lastmanagement-Systemen, wenn mehr als zwei Ladestationen in einer Garage vorhanden sind. Die Netzbetreiber können weitere Anforderungen für die Netzdienlichkeit an das Lastmanagement stellen, um die Zuverlässigkeit des Stromnetzes zu gewährleisten.
Fazit
Innovative Energieversorger bieten schon heute Lösungen für das Elektroladeparken in Liegenschaften an. Kunden haben hierbei die Möglichkeit, spezielle Ladestationen zu installieren, die auch die Netzdienlichkeit unterstützen. Durch den Einsatz von intelligenten Steuerungssystemen kann der Ladevorgang von Elektroautos so gesteuert werden, dass sie bei hoher Nachfrage automatisch langsamer laden, um das Stromnetz zu entlasten.
Dabei ist SmartGridready ein wichtiger Schritt in Richtung eines standardisierten Ansatzes für das Lastmanagement, der Interoperabilität ermöglicht. Die Definition des Smart Grid Connection Points und die Standardisierung der Kommunikation ermöglichen eine einfachere Integration von Produkten und Kommunikatoren und reduzieren die Komplexität und die Kosten für Endkunden und Netzbetreiber. Durch die Implementierung von SmartGridready können sowohl Netzbetreiber als auch Endkunden effektiver mit erneuerbaren Energien umgehen und zur Stabilität des Stromnetzes beitragen.
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