Fachartikel Mobilität , Verbrauch

Lokales und zentrales Last­mana­gement

Ladestationen in Echtzeit steuern

01.05.2023

Batterien von Elektroautos bieten Flexibilität an. Diese kann genutzt werden, um die Auslastung des Strom­netzes in kritischen Momenten zu reduzieren. Zudem fördert sie den Übergang zu einer dekarbonisierten Mobilität, indem Fahrzeuge prioritär in Zeiten starker erneuerbarer Energie­produktion geladen werden. Über Chancen und offene Fragen.

Die ersten, die sich ein Elektroauto kauften, waren Besitzer von Einfamilien­häusern, weil es einfach war, einzelne Parkplätze mit einer privaten Ladestation auszustatten. Nun werden immer mehr Ladestationen auch in Mehrfamilien­häusern und Siedlungen installiert, was zu einem markanten Anstieg der Anschlüsse und einer Belastung des Stromnetzes führt.

Der Zugang von Energie­versorgungs­unter­nehmen (EVUs) zur Steuerung dieser Lade­stationen und die Energie­flexibilität in Gebäuden im Allgemeinen ist ein wichtiges Thema für den Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft. Die Energie­flexibilität ermöglicht es Gebäuden, ihren Energie­bedarf an die Verfüg­barkeit von erneuer­baren Energie­quellen anzu­passen und aktiv am Energie­markt teil­zuneh­men. EVUs haben jedoch oft Schwierig­keiten, Zugang zu den Gebäude­steuerungs­systemen zu erhalten, um die Flexibilität zu verwalten.

Dabei ist der Mangel an offenen, inter­operablen Standards für Gebäude­leit­systeme eine der grössten Heraus­forde­rungen. Ohne gemein­same Standards müssen Strom­versorger individuelle Lösungen für jedes Gebäude entwickeln, was die Kosten erhöht und die System­integration erschwert.

Darüber hinaus verfügen viele Gebäude­eigentümer nicht über das Fachwissen oder die Anreize zur Umsetzung der Energie­flexibilität. Die EVUs müssen daher mit den Eigen­tümern zusammen­arbeiten, um Schulungen und Unterstützung für die Imple­mentierung von Steuerungs­systemen anzubieten und die Einführung von Energie­flexibilität zu fördern.

Ein rasanter Anstieg

Die Anzahl der neu zugelassenen reinen Elektroautos ist im Januar 2023 in der Schweiz im Vergleich zum gleichen Monat des Vorjahres um 32% gestiegen. Dieser Anstieg wird durch die Entscheidung der Europäischen Union, die Produktion von Fahrzeugen mit Verbrennungs­motoren ab 2035 zu verbieten, noch verstärkt. Auch der Ausbau von Solarstrom wird beschleunigt. Der prognostizierte Anstieg der Solar­energie­erzeugung entspricht etwa dem prognostizierten Anstieg des Stromverbrauchs durch Wärmepumpen und Elektromobilität.

Es gibt dabei aber ein grundsätzliches Problem: Energie wird nicht mehr «auf Abruf» produziert, sondern gelegentlich. Es wird deshalb nötig sein, Strom dann zu nutzen, wenn er im Überfluss vorhanden ist. Die Lösung dieses Problems liegt in der Speicherung, die durch ein Flexibilitäts­management gesteuert wird.

In der Energiestrategie 2050 gibt es mehrere Anreiz­systeme für Speicher­systeme. Es gibt dabei keine Einzel­lösung, sondern mehrere Bausteine, die zu einer nach­halti­geren Nutzung der verfügbaren Energie führen. Elektrofahrzeuge stellen Tagesspeicher dar, die zur Stabilisierung des Stromnetzes genutzt werden könnten. Aber es gibt ein Hindernis: Laut StromVV gehört die Flexibilität eines Elektro­autos dem Endkunden. Energie­versorger haben somit keine freie Kontrolle über diese Ressource.

Steuerung des Ladevorgangs wird zunehmend wichtiger

Eine intelligente Nutzung der Flexibilität, die Batterien von Elektroautos bieten, ist entscheidend. Einerseits kann sie die Belastung des Netzwerks in kritischen Momenten reduzieren, andererseits fördert sie den Übergang zu einer nachhaltigen Mobilität, indem prioritär in Zeiten starker erneuerbarer Energie­produktion geladen wird.

Im Gegensatz zur Steuerung einer Wärme­pumpe ist die Steuerung des Ladevorgangs von Elektroautos einfacher. Die meisten Ladestationen bieten bereits heute eine dynamische Leistungs­begrenzung. Eine teilweise Begrenzung der Ladeleistung aller Elek­tro­fahrzeuge in einer Tiefgarage wirkt sich subtiler aus als die Begrenzung der Leistung einer 250-kW-Wärme­pumpe, die 50 Wohnungen versorgt.

Da Flexibilität für Kunden heute wichtig ist, müssen EVUs neue Wege finden, um sie für eine netz­dienliche Steuerung zu gewinnen – und nicht nur für die Optimierung ihres Eigen­verbrauchs. Doch wie können EVUs Einfluss auf die Prozesse zur Steuerung der Flexibilität bei Endkunden nehmen? Die neue Rolle des Prosumers erfordert neue Plattformen für den Austausch zwischen den verschie­denen Parteien. Auf dieser Plattform werden diverse Akteure aktiv sein: Netzbetreiber, Eigentümer (also Prosumer) sowie System­integratoren, die Prosumer­anlagen und Ladeparks bauen und in Zukunft auch Schnittstellen zwischen Gebäuden und Energie­versorgern anbieten werden. Zudem müssen Produkt­anbieter neue Produkte auf den Markt bringen, die es EVUs ermöglichen, die Flexibilität zu steuern, da das heutige Rund­steuer­signal nicht mehr dafür ausreicht.

Pilotprojekte: Lugano und Thun

Schon heute experimentieren die innovativsten Energie­versorger zusammen mit Herstellern von Last­manage­ment-Systemen mit neuen Möglichkeiten zur Steuerung des Ladevorgangs von Elektroautos. Zum Beispiel wurden bei einem Projekt in Agno TI Ladestationen der Firma Zaptec lokal durch ein Clemap-Last­manage­ment gesteuert, um sicherzustellen, dass der Hauptanschluss des Gebäudes nicht überlastet wird. Gleichzeitig hat das lokale EVU AIL die Möglichkeit, die Ladestationen mit einem Signal komplett zu sperren, falls das vom Netz gewünscht ist, oder mit einem weiteren Signal den Ladestrom zu begrenzen.

Die technische Lösung verfügt über zwei Schnittstellen: Auf einer Seite hat es zwei potenzial­freie Kontakte und auf der anderen Seite eine Rest-API-Schnittstelle. Da der Kunde seine Flexibilität für die Netznutzung zur Verfügung gestellt hatte, erhielt er eine Vergütung von einem Rappen pro Kilowattstunde.

Ein ähnliches Projekt läuft bei Energie Thun. Auch hier geht es um die Frage, wie man den Endkunden am besten einen Flexibilitäts­tarif anbietet. In diesem Projekt wird das Parkhaus mit einem Last­manage­ment-System versorgt, das als Smart Grid Connection Point konfiguriert ist. Eine einzige Steuerung dient als Flexibilitäts­manager für das gesamte Gebäude. Es ist wichtig, dass Energie-Manage­ment­systeme den EVUs solche Schnittstellen bieten.

Lastmanage­ment als Schlüssel­funktion

Heute verfügen immer mehr Gebäude über ein System, das die Energieflüsse aus Wärmepumpen, Elektroautos, PV-Anlagen, Belüftung und Batterien steuert. Diese Lösungen bieten allen Beteiligten diverse Vorteile.

Einer der wichtigsten Vorteile für Endkunden ist die Einsparung von Anschluss­kosten. Durch das Last­manage­ment können Endkunden sicherstellen, dass der Hauptanschluss nicht überlastet wird und somit die Kosten für einen zusätzlichen Anschluss vermieden werden. Ein weiteres Ziel kann die Optimierung der Tarife sein, indem die Nutzung von Strom zu Zeiten mit geringer Nachfrage gefördert wird. Wenn Endkunden eine PV-Anlage besitzen, kann das Last­manage­ment auch dazu beitragen, den Eigenverbrauch zu erhöhen.

Für Netzbetreiber ist das Last­mana­gement ebenfalls nützlich, denn es kann beispiels­weise zur Last­verschie­bung eingesetzt werden, um das Netz zu stützen und Über­lastungen zu vermeiden. Durch das Last­manage­ment können Netzbetreiber Echtzeit- und Statistikdaten auf der Netzebene 7 erfassen, um ein besseres Verständnis des Stromverbrauchs und der Netzstabilität zu erlangen.

Eine der grössten Herausforderungen für Netzbetreiber beim Lastmanagement ist die Vielfalt an verwendeten Protokollen, die zu einer hohen Komplexität führen kann, besonders bei unterschiedlichen Technologien. Zudem können die Kosten für die Implementierung des Lastmanagements für Netzbetreiber hoch sein. Verbindungs- und Hardwarekosten können schnell über 1000 Franken liegen, was ein Flexibilitäts-Geschäftsmodell unattraktiv macht.

Eine weitere Herausforderung gibt es bei der Implementierung eines standardisierten Ansatzes für die Flexibilitätssteuerung. Eine mögliche Lösung ist die Entwicklung gemeinsamer Standards für das Lastmanagement, um die Komplexität und die Kosten zu reduzieren.

SmartGridready

Das Ziel der Initiative SmartGridready ist die Definition einer gemeinsamen Methodik für die Interpretation dieser Standards, damit Systemintegratoren und Produktentwickler die Kommunikation unter Produkten sicherstellen können.

Eines der Konzepte von SmartGridready ist der Smart Grid Connection Point (SGCP), der eine standardisierte Steuerung des Gebäudes durch einen externen Akteur (Netzbetreiber oder Flexibility-Pooling-Anbieter) ermöglicht. Der SGCP ist eine Beschreibung der offenen Schnittstelle eines Lastmanagements (oder EMS), die es ermöglicht, verschiedene Lastmanagement-Systeme zu integrieren und zu steuern. Durch die Implementierung des SGCP können Endkunden von den Vorteilen des Lastmanagements profitieren, ohne sich mit der Komplexität diverser Standards befassen zu müssen.

Ein wichtiger Vorteil von SmartGridready ist die Standardisierung der Kommunikation zwischen verschiedenen Systemen, was die Integration von Erzeugern, Verbrauchern und Controller erleichtert. Ausserdem ermöglicht der SGCP die Überwachung von Echtzeitwerten der Gebäude, was zu einer effektiveren Steuerung der Lasten führen kann.

Flexibilität bei den Kunden steuern

Um die Flexibilität bei Kunden zu steuern, gibt es für Netzbetreiber verschiedene Wege, beispielsweise die Verwendung eines Rundsteuersignals, das Verbraucher ein- oder ausschaltet. Es können auch potenzialfreie Kontakte genutzt werden, um mehrere Betriebsmodi zu steuern. Kunden können zudem ihre Präferenzen lokal einstellen. Dynamische Strompreise sind eine zukunftsorientierte Option, die Verbraucher dazu anregen kann, ihren Stromverbrauch bei hoher Nachfrage zu reduzieren. Letztlich gibt es viele Möglichkeiten, die Flexibilität der Kunden zu steuern und damit einen nachhaltigen Stromverbrauch zu fördern.

Wie Energieversorger Kunden motivieren können

Flexibilität gehört den Kunden, aber wie können Netzbetreiber sie motivieren, diese Flexibilität auch zur Verfügung zu stellen? Ein Beispiel hierfür ist das Preismodell von BKW für die ­Photovoltaik-Entschädigung. Die BKW bindet die Rückliefervergütung an den Strompreis und passt ihn vierteljährlich an. In der Vergangenheit waren Solarstrom-Produzenten in Kanton Bern somit stark motiviert, Strom ins Netz einzuspeisen, weil sie bis zu 40 Rp./kWh erhielten. Dies führte dazu, dass viele ein PV-System auf ihrem Dach installieren wollten und die Energie an das Netz abgaben, anstatt sie zur Optimierung ihres eigenen Verbrauchs zu nutzen.

Bei der Mobilität wird das Thema der Motivation etwas komplexer. Für Einfamilienhäuser kann der Netzbetreiber einen Flexibilitätstarif anbieten, bei grossen Liegenschaften, wo es Parkplätze mit mehreren Elektroautos gibt, ist es nicht mehr so trivial. Ein Problem ist hier, dass meist nicht die Liegenschafts­eigentümer die Stromrechnung bezahlen, sondern die Mietparteien. In der Regel ist ein Flexibilitätstarif vorteilhaft für diejenigen, welche die Stromrechnung bezahlen, aber diejenigen, die über die Installation eines solchen Systems entscheiden, sind die Liegenschafts­besitzer. Die Anreize müssen also beide Parteien berücksichtigen.

Regulatorisch könnte man eine Steuerung der Auto-Ladeparks erlauben, die über ein einfaches Rundsteuersignal erfolgt. Alle Ladestationen müssen dann an der Flexibilitätssteuerung teilnehmen – oder die Mieter können frei wählen, ob ihre Ladestation Teil des Flexibilitäts-Poolings sein soll oder nicht. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten einbezogen werden, um sicherzustellen, dass die Flexibilität genutzt wird und dass die Anreize für alle Parteien gleich attraktiv sind.

Endkunden können durch flexible Stromtarife motiviert werden, während Liegenschaftseigentümer in der Regel durch regulatorische Vorschriften gezwungen sind, flexible Strom­lösungen zu implementieren. Für Endkunden können feste Rabatte auf Strompreise oder dynamische zeitvariable Tarife angeboten werden, die nicht nur auf Tages- und Nachtzeiten beschränkt sind. Weitere Anreize können darin bestehen, den Endkunden die Möglichkeit zu geben, Teil der Energiewende zu sein, und sie durch Gamification – den Einsatz von spielerischen Elementen – zu energieeffizienteren Verhaltensweisen zu motivieren.

Für Liegenschaftseigentümer können Vorschriften festgelegt werden, beispielsweise die Installation von Lastmanagement-Systemen, wenn mehr als zwei Ladestationen in einer Garage vorhanden sind. Die Netzbetreiber können weitere Anforderungen für die Netzdienlichkeit an das Lastmanagement stellen, um die Zuverlässigkeit des Stromnetzes zu gewährleisten.

Fazit

Innovative Energieversorger bieten schon heute Lösungen für das Elektro­lade­parken in Liegenschaften an. Kunden haben hierbei die Möglichkeit, spezielle Ladestationen zu installieren, die auch die Netzdienlichkeit unterstützen. Durch den Einsatz von intelligenten Steuerungs­systemen kann der Ladevorgang von Elektroautos so gesteuert werden, dass sie bei hoher Nachfrage automatisch langsamer laden, um das Stromnetz zu entlasten.

Dabei ist SmartGridready ein wichtiger Schritt in Richtung eines stan­dardi­sierten Ansatzes für das Last­manage­ment, der Inter­opera­bilität ermöglicht. Die Definition des Smart Grid Connection Points und die Standardi­sierung der Kommu­nikation ermöglichen eine einfachere Integration von Produkten und Kommuni­katoren und reduzieren die Komplexität und die Kosten für Endkunden und Netzbetreiber. Durch die Imple­mentie­rung von SmartGridready können sowohl Netz­betreiber als auch Endkunden effektiver mit erneuer­baren Energien umgehen und zur Stabilität des Stromnetzes beitragen.

Autor
Gino Agbomemewa

ist CEO von Clemap.

  • Clemap, 8048 Zürich

 

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