Leitsysteme zur PV-Abregelung
Überwachung und Steuerung von PV-Anlagen
Unter gewissen Umständen sind Netzbetreiber in der Schweiz berechtigt, PV-Anlagen abzuregeln, um einen stabilen Netzbetrieb gewährleisten zu können. Dazu müssen die PV-Anlagen mit einem Leitsystem des Netzbetreibers verbunden sein. Dies ist sicherheitstechnisch kompliziert, da die meisten Anlagen im Privatbesitz liegen.
Die Umsetzung der Energiestrategie 2050 bewirkt eine massive Erhöhung der installierten Leistung von PV-Anlagen in der Schweiz. Aktuell sind über 6 GW Spitzenleistung installiert und jährlich kommen etwa 1,5 GW bis 2 GW dazu [1]. Mitte des Jahrhunderts sollte die Schweiz eine Spitzenleistung von 40 bis 50 GW Solarstrom installiert haben.
Die Maximallast wird sich aber weniger schnell entwickeln. Aktuell beträgt sie in der Schweiz etwa 10 GW. Wie soll die Schweiz diese Differenz überbrücken, um Stromausfälle zu verhindern? Diese Problematik ist jedem Verteilnetzbetreiber bekannt, denn auch bei grossen Mengen müssen sie die Netzstabilität garantieren.
BKW Power Grid hat dieses Thema früh erkannt, weil mehr und mehr Kunden ihre Solaranlage an ihr Netz anschliessen möchten. Externe Grossanlagen sind besonders kritisch, weil sie einen grossen Einfluss auf das lokale Netz haben. BKW Power Grid hat ein Konzept gesucht, um diese grossen Solaranlagen besser zu überwachen und um ihre Blind- und Wirkleistung direkt steuern zu können.
Problematik
Als Verteilnetzbetreiber ist BKW Power Grid verantwortlich, die Netzstabilität zu gewährleisten. In der Schweiz sind die Netzbetreiber berechtigt, aus Netzsicherheitsgründen die Produktion von externen Energieerzeugungsanlagen wie PV-Anlagen zu reduzieren. Diese Berechtigung entsteht in folgenden Fällen:
- Potenzielle Gefahr für den sicheren Systembetrieb
- Engpässe oder Gefahr von Überlastungen im Netz
- Gefahr einer Inselnetzbildung
- Gefährdung der statischen oder der dynamischen Netzstabilität
- Systemgefährdender Frequenzanstieg
- Re-Synchronisation von Teilnetzen
Um diese Berechtigung zu nutzen und Sollwerte durchzusetzen, müssen diese Systeme mit dem Leitsystem von Netzbetreibern verbunden werden. Dies ist sicherheitstechnisch sehr kompliziert, da die meisten Anlagen im Privatbesitz liegen. Physikalisch besteht meistens keine Verbindung zur Anlage und es muss ein direkter Weg erstellt werden. Um das Leitsystem optimal zu schützen, muss diese Verbindung sicher und vertrauenswürdig sein. Zusätzlich müssen auch gewisse Schnittstellen (Firewalls oder DMZ) installiert werden, um einen zu direkten Zugang zum Kern des Netzes zu erschweren. Das Thema der Cybersicherheit ist zentral. Entsprechend muss die Lösung auch sehr zuverlässig sein, um einen kontinuierlichen Betrieb sicherzustellen.
Die Lösung muss sich auch an die verschiedenen Datenlogger der Solaranlagen anpassen können, was nicht einfach ist, denn die Hersteller benutzen oft unterschiedliche Protokolle und Kommunikationsparameter. Auch wenn gängige Protokolle wie Modbus benutzt werden, kann die exakte Implementation des Protokolls von Gerät zu Gerät variieren, was die Konfiguration erschwert. Die Benützung desselben Protokolls genügt leider nicht für eine reibungslose Interoperabilität.
Technischer Lösungsansatz
Die Firma Condis hat deshalb für BKW Power Grid eine Lösung erarbeitet, die diese Herausforderungen effizient meistert. Während der Montage der Anlage werden die verschiedenen Solarzellen zuerst mit einem Wechselrichter verbunden, der den Strom direkt ins Netz speist. Für die lokale Überwachung und Steuerung der Anlage und des Wechselrichters wird vom Solarmonteur auch ein Datenlogger installiert. Dieser ist oft mit dem Internet verbunden, so dass der Besitzer seine Anlage (meist über ein Webportal) überwachen und steuern kann. Zwar könnte der Netzbetreiber auch über diesen Weg die Anlagen steuern, aber aus folgenden Gründen ist dies weniger realistisch:
- Kein direkter Zugang zur Anlage für den Netzbetreiber
- Keine hundertprozentige Verschlüsselung der Verbindung möglich (ungesicherter Internetzugang)
- Komplizierte Verwaltung der Rechte (Welcher Befehl hat Vorrang?)
Um diese Nachteile zu vermeiden, wurde folgende Lösung entwickelt: Ein kompakter Industrie-PC mit integrierter XPG-Gateway-Applikation wird vor Ort bei der PV-Anlage installiert und mittels LAN-Kabel (Local Area Network) mit dem Datenlogger verbunden (Bild 1). Über das Modbus-TCP werden die Datenpunkte zwischen dem XPG-Gateway und dem Datenlogger lokal ausgetauscht. Die Konfiguration der Verbindung zu den verschiedenen Datenloggern verlief nicht immer reibungslos, da jeder Hersteller seine eigene Implementierung der Datenpunkte und Signale hat. Mittlerweile sind die meisten marktüblichen Datenlogger bereits an das XPG-Gateway angeschlossen und die Besonderheiten der einzelnen Modelle sind bekannt.
Das Gateway ist ein softwarebasierter Protokollkonverter. Dieser läuft auf ISOS, einem von Condis entwickelten Betriebssystem. ISOS ist eine vereinfachte Version von Linux, die nur die für diese Anwendung notwendigen Komponenten enthält. Dies erhöht die Cybersicherheit, da die Angriffsfläche des Betriebssystems deutlich reduziert wird. Im Betrieb werden die Datenpunkte zwischen dem XPG-Gateway und dem Datenlogger ausgetauscht. Das XPG-Gateway wandelt die Daten in das IEC 60870-5-104-Protokoll um und sendet sie dann über einen sicheren und verschlüsselten VPN-Kanal über das Mobilfunknetz.
Am anderen Ende des VPN-Kanals wurde ein zentraler Cloud Traffic Manager in der Microsoft-Azure-Umgebung installiert. Dieser dient dazu, die einzelnen VPN-Tunnel zu den bestehenden XPG-Gateways zu erstellen und zu verwalten. Die Daten der einzelnen Anlagen fliessen über diesen Cloud Traffic Manager und werden zu einem einzelnen VPN-Tunnel zur Infrastruktur von BKW Power Grid umgeleitet (Bild 2).

In der BKW-Infrastruktur wurde ein virtuelles XPG-Gateway als Datenkonzentrator installiert, der alle Datenpunkte der verschiedenen Anlagen über IEC 60870-5-104 sammelt und bündelt. Der Datenkonzentrator besitzt eine einzige Schnittstelle zum Leitsystem der BKW Power Grid und leitet alle Datenpunkte über diese Verbindung weiter. Bildlich kann man sich dies wie folgt vorstellen: Die einzelnen Gateways sind über ein «Kabel» in einem VPN-Tunnel mit der Azure-Umgebung verbunden. Diese Umgebung bündelt alle Kabel und verbindet sie über einen einzigen VPN-Tunnel zum Datenkonzentrator, der die Kabel zusammenführt. Ein einziges Kabel verbindet dann den Konzentrator mit dem Leitsystem.
Nach der Installation können die verschiedenen XPG-Gateways an den Solaranlagen und der Datenkonzentrator aus der Ferne verwaltet und gewartet werden. Dazu wird die Konfigurations- und Wartungsplattform mit der Software StreamConsole verwendet. Dieses Management-Tool von Condis verbindet sich via Secure-Shell-Protokoll (SSH) über VPN mit den einzelnen Gateways.
Erkenntnisse
Innerhalb eines Jahres hat BKW Power Grid bereits 27 von 100 geplanten Anlagen an das Leitsystem angeschlossen. Der Rollout verläuft jedoch langsamer als erwartet. Der Hauptgrund liegt in der notwendigen Koordination zwischen den verschiedenen Projektteilnehmern. Um diese Problematik zu vereinfachen, hat BKW Power Grid inzwischen einen standardisierten Prozess definiert. Darin sind alle Vorgaben für den Anlagenbesitzer und den Installateur beschrieben, um eine erfolgreiche Inbetriebnahme zu erreichen.
Standardisierter Anschluss von PV-Anlagen über 500 kVA
Um den Anschluss der Anlagen zu beschleunigen, hat BKW Power Grid ein Merkblatt herausgegeben, das die verschiedenen Anschlussvarianten und deren Auswirkungen erläutert [2]. Optimal ist es, wenn das XPG-Gateway sowohl die Produktionswerte als auch die Messwerte am Anschlusspunkt übertragen kann. Ist dies der Fall, wird bei einer Einspeisebegrenzung ein Sollwert am Anschlusspunkt vorgegeben. Der Anlagenbetreiber hat die Möglichkeit, seinen internen Verbrauch zu erhöhen, um die Einspeisung zu reduzieren. Dies können z. B. Batterien oder zusätzliche Verbraucher sein. Ohne Messung am Anschlusspunkt muss der Anlagenbesitzer die Produktion seiner Anlage zwingend reduzieren.
BKW Power Grid weiss genau, wie viel Strom die Anlage effektiv produziert und wie hoch die Blindleistung ist. (Die Wirkleistung kann zwischen 0% und 100% der maximal eingespeisten Wirkleistung und die Blindleistung zwischen einem Verschiebungsfaktor cosφ von 0,9 Untererregung bis 0,9 Übererregung vorgegeben werden.) Mit diesem Wert und der maximalen Leistung der Anlage kennt das Leitsystem den aktuellen Wirkungsgrad der Anlage. Ist die Spannung im nächsten Umspannwerk zu hoch, kann das Leitsystem die Produktion der angeschlossenen PV-Anlagen stufenlos drosseln. Derzeit wird eine Lösung entwickelt, die automatisch eine E-Mail an den Anlagenbesitzer sendet.
Produktionsabschätzung
Da das Leitsystem die genaue Produktion jeder Anlage kennt, kann es auch die Solarstromproduktion im Netz besser abschätzen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Effizienz von PV-Anlagen in einer Region in etwa gleich ist. Die Wetterbedingungen sind oft ähnlich und damit auch der produzierte Strom pro Quadratmeter Solarzelle. Da BKW Power Grid die Spitzenleistung und den Standort jeder einzelnen Solaranlage kennt, kann das Leitsystem die Solarproduktion in der Nähe grösserer Anlagen besser abschätzen. Dadurch entsteht in Echtzeit ein genaueres Bild des Energieflusses im Verteilnetz.
Nächste Schritte
Der Fokus liegt nun auf dem Rollout der XPG-Geräte, damit die geplanten 100 Anlagen so schnell wie möglich an das Leitsystem der BKW angeschlossen werden können. Damit wird ein besseres Bild über die momentane Solarproduktion gewonnen und mögliche Stromausfälle bei Überproduktion können besser vermieden werden.
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