Fachartikel Energiemarkt , Energienetze

Kostenwahrheit im Verteilnetz

«Netflex»

04.05.2021

Die ZHAW und Elena International gehen in einem vom Bundesamt für Energie geförderten Projekt gemeinsam der Frage nach, wie Netzentgelte verursachergerecht gestaltet werden können. Am Beispiel des Netzes von Eniwa werden in diesem Beitrag erste Zwischenergebnisse des nach wie vor aktiven Projekts aufgezeigt.

Der Ausbau von Wärmepumpen und Elektromobilität ist ein wichtiger Pfeiler zur Dekarbonisierung der Schweizer Energienachfrage. Je nach Entwicklung könnte die Stromnachfrage dadurch erheblich zunehmen. Falls Wärmepumpen und die Ladestationen von Elektroautos nicht netzdienlich gesteuert werden, kann dies zu einem Anstieg des Netzausbaubedarfs, mit entsprechenden Kostenwirkungen, führen. Andererseits kann ein flexibler Einsatz dieser Technologien aber auch zur Glättung von Lastspitzen und Senkung von Netz­ausbaukosten beitragen.

Durch welche Faktoren wird der Netz­ausbaubedarf am stärksten beeinflusst? Welche Anreize sind am besten geeignet, um den netzdienlichen Einsatz flexibler Lasten effizient zu fördern? Wie stark lassen sich die Netzkosten dadurch reduzieren? Diesen Fragen geht die ZHAW gemeinsam mit Elena International im Rahmen des vom Bundesamt für Energie geförderten «Netflex»-Projekts am Beispiel des Netzgebiets von Eniwa nach. Dieser Artikel fasst erste Zwischenergebnisse des Projekts zusammen.

Übersicht möglicher Einflussfaktoren

In der Schweiz hat sich die Diskussion zu Kostentreibern des Netzausbaus und verursachergerechten Tarifen in der Vergangenheit stark auf die Bedeutung der maximalen Bezugsleistung für die Kosten des Netzausbaus fokussiert.[1, 2] Daneben haben vergangene Studien  [3, 4] verschiedene weitere Einflussfaktoren identifiziert (Tabelle  1). Der Einfluss dieser Faktoren hängt davon ab, welche Komponente der Netzkosten betrachtet wird.

Grundsätzlich gilt: Um Endkunden einen effizienten Anreiz zu geben, ihre Flexibilitäten netzdienlich einzusetzen, sollten den Endkunden die Netztarife genau den Teil der Netzkosten in Rechnung stellen, den sie durch ihr Verhalten verursachen. Zur Bestimmung eines effizienten Tarifs müsste somit insbesondere die Auswirkung der durch die Endkunden verursachten Einflussfaktoren 1 bis 4 auf die Netzkosten analysiert werden. Die nachfolgend beschriebene Analyse im Rahmen des Netflex-Projekts untersucht die Faktoren Spitzenlast sowie Anzahl und Lage der Anschlusspunkte. Die Gebietseigenschaften und die geforderte Servicequalität innerhalb des Netzgebiets von Eniwa sind relativ homogen. Ihr Einfluss auf die Netzkosten wurde daher im Rahmen des Projekts nicht untersucht. Durch den Einbezug weiterer Netzgebiete könnte die Analyse jedoch auf diese und weitere Faktoren ausgeweitet werden.

Beispielrechnungen für das Netz von Eniwa

Kostentreiber Netzhöchstlast: Die Kostentreiberwirkung der Netzhöchstlast wurde im Projekt für die Netzebenen 5 und 6 (NE) durchgeführt. Hierfür wurden drei Szenarien simuliert, die sich hinsichtlich des Ausbaus von PV-Anlagen und der Ausbreitung von Wärmepumpen und Elektroautos unterscheiden (Tabelle unten). Für jedes dieser Szenarien wurden die Lastflüsse der NE5 und NE6 für ein typisches meteorologisches Jahr in 15-minütiger Auflösung unter Annahme eines Einheitstarifes simuliert. Netzelemente, bei denen die Belastungsgrenzwerte überschritten wurden, wurden schrittweise erweitert, bis die Überlastung beseitigt war.[5]

In dem betrachteten Fall führt eine Zunahme der Netzhöchstlast um 10 % im Durchschnitt zu einer Zunahme der Kapitalkosten auf NE5 um 1,5 % und auf NE6 um 9,4 %.

Verursacht wurde die Netzhöchstlast im Szenario Dekarbonisierung zu 50 % durch Wärmepumpen und zu 18 % durch Elektroautos. Wie die in untenstehendem Bild dargestellte Sensitivitätsanalyse des Status-Quo-Szenarios zeigt, würde die Netzhöchstlast in den Simulationen ohne Lastmanagement im Falle einer vollständigen Umstellung auf Wärmepumpen um 106 %, bei vollständiger Umstellung auf Elektromobilität um 72 % und bei vollständiger Abdeckung aller Dächer mit PV-Anlagen um 303 % ansteigen1). Solange die flexiblen Lasten nicht in einer Weise betrieben werden, welche die Lastspitzen senkt, ist die resultierende Lastspitze bei gleichzeitigem Ausbau von PV, Wärmepumpen und Elektromobilität nur wenig tiefer. Die Analyse unterstreicht somit die Bedeutung eines effizienten Lastmanagements zur Vermeidung von Belastungsspitzen.

Kostentreiber Anzahl und Lage der Anschlusspunkte: Die Kostentreiberwirkung der Anzahl und Lage von Anschlusspunkten wurde im Projekt für die NE6 und NE7 durchgeführt. Um die Auswirkung dieser Faktoren auf die Netzkosten abzuschätzen, wurde das Eniwa-Versorgungsgebiet anhand der Gemeindegrenzen in 20 Teilnetzgebiete aufgeteilt (Bild unten).

Für diese Teilnetzgebiete wurde die Grösse der von den Anschlusspunkten aufgespannten Versorgungsfläche und die Anzahl der Anschlusspunkte ermittelt. Die Ermittlung der Netzkosten pro Teilnetzgebiet erfolgte auf NE7 anhand der installierten Leitungslänge und auf NE6 anhand der installierten Trafoleistung. Diese wurden pro Teilnetzgebiet ermittelt und mit dem Kostensatz des VSE/AES Datenpool multipliziert.

Auf NE7 ergab dies eine durchschnittliche Zunahme der Kapitalkosten um 5,5 % pro Zunahme der Anzahl Anschlusspunkte um 10 % und eine Zunahme der Kapitalkosten um 0,7 % pro Zunahme der versorgten Fläche um 10 %.

Auf NE6 ergaben die Analysen eine durchschnittliche Zunahme der Kapitalkosten um 18,8 % pro Zunahme der Anzahl Anschlusspunkte um 10 %. Im Gegensatz zur NE7 konnte bei NE6 keine statistisch signifikante zusätzliche Wirkung der versorgten Fläche ermittelt werden, was intuitiv auch Sinn ergibt, da die Dimensionierung der Transformatoren durch die Höchstlast bestimmt wird, unabhängig davon, über welche Fläche die Anschlusspunkte verteilt sind.

Bewertung der Ergebnisse und Ausblick

Die Ergebnisse der bisherigen Analysen liefern eine erste Näherung für die kostentreibende Wirkung einer Zunahme der Netzhöchstlast, Anzahl Anschlusspunkte und der versorgten Fläche, die in der folgenden Tabelle zusammengefasst ist. Die Ergebnisse für NE6 suggerieren, dass die Netzhöchstlast im Vergleich zur Anzahl der Anschlusspunkte eine geringere durchschnittliche Auswirkung auf die Kosten zu haben scheint.

Ein direkter Vergleich der Zahlen für die Netzhöchstlast und die übrigen Kostentreiber ist jedoch nicht zulässig, da diese – aufgrund eingeschränkter Datenverfügbarkeit sowie der Schwierigkeit, Kosten von NE5 einzelnen Anschlusspunkten zuzuordnen – in separaten Analysen und für verschiedene Netzebenen ermittelt wurden.

In den nächsten Arbeitspaketen des Netflex-Projekts werden die Kosten der Flexibilität von Haushalten sowie Industrie- und Gewerbekunden durch Umfragen ermittelt. Neben der Häufigkeit und Dauer des Einsatzes sowie den gesteuerten Geräten wird auch der Einfluss weiterer Tarifmerkmale auf die Lastverschiebungskosten untersucht (zum Beispiel garantierte Einsparung, Möglichkeit der Übersteuerung, Vertragslaufzeit).

Auf Basis der Kostentreiberanalyse und der Umfrageergebnisse werden effiziente Tarife für flexible Lasten hergeleitet und deren Auswirkung auf die Profitabilität von Photovoltaik, Speichern und gegebenenfalls weiteren Technologien sowie der Ausbaubedarf des Verteilnetzes analysiert.

1) Näherungsweise Abschätzung durch Addition der entsprechend gewichteten Lastprofile aus dem Szenario Dekarbonisierung.
Dieser Artikel basiert auf Erkenntnissen des Forschungsprojekts «Network tariffs for flexible consumers (Netflex)» des Zentrums für Energie und Umwelt (CEE) der ZHAW Zürich in Zusammenarbeit mit Elena International. Für lnhalt sowie Schlussfolgerungen sind ausschliesslich die Autoren und die Autorin verantwortlich. Das Projekt wird mit Unterstützung des Bundesamts für Energie durchgeführt.

Referenzen

[1]   R. Rechsteiner, «Diskriminierende Tarife für Netzanschlüsse mit PV-Anlage», 2016.
[2]   «Themenpapier 4: Netzpreisstruktur», VSE, 2014.
[3]   «Untersuchung der Voraussetzungen und möglicher Anwendungen analytischer Kostenmodelle in der deutschen Energiewirtschaft», Consentec, IAEW, & Frontier, 2006.
[4]   I. Pérez-Arriaga, A. Bharatkumar, «A framework for redesigning distribution network use of system charges under high penetration of distributed energy resources: New principles for new problems», CEEPR Working Paper No. 14006, 2014.
[5]   P. Ludwig, S. Auer, T. Dess, C. Winzer, «Netflex-Zwischenbericht», 2020.

Autor
Dr. Christian Winzer

ist Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).

  • ZHAW, 8400 Winterthur
Autorin
Dr. Sabine Auer

ist Geschäftsführerin und Gründerin der elena international GmbH.

  • Elena International GmbH, D–10117 Berlin.
Autor
Patrick Ludwig

ist PhD-Student an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).

  • ZHAW, 8400 Winterthur

Ausweitung der Studie

Im Rahmen einer vertraulichen Bachelor-/Masterarbeit plant die ZHAW, die kostentreibende Wirkung der Netzhöchstlast im Vergleich zur Anzahl Anschlusspunkte, zur versorgten Fläche, zu Gebietseigenschaften und gegebenenfalls weiteren Faktoren auf einer breiteren Datenbasis zu analysieren. Die anonymisierten Ergebnisse der Arbeit werden zunächst nur den teilnehmenden Verteilnetzbetreibern präsentiert, die anschliessend über deren Verwendung entscheiden. Interessierte VNB können Sie sich bei Christian Winzer melden.

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