Inverkehrbringen von Energie-, Steuer- und Kommunikationskabeln
Die Grundlagen der Bauprodukteverordnung in der Schweiz
Die Schweiz hat die europäische Bauprodukteverordnung (CPR) wegen der bilateralen Beziehungen zur EU zum 1. Oktober 2014 in das nationale Gesetz (BauPG [1]) und die nationale Verordnung (BauPV [2]) überführt. Mit der BauPV sind neben den bereits prüfbaren Bauprodukten nun auch Kabel, die in Bauwerken (Bauten des Hoch- und Tiefbaus) dauerhaft installiert werden, bezüglich ihrer Eigenschaften im Brandfall (Brandverhalten
und Funktionserhalt) nach europäischen Normen zu bewerten und zu klassifizieren.
Ausgenommen sind nur wenige Bereiche wie zum Beispiel Aufzugsanlagen/Fahrtreppen, Produktionsanlagen nach der Maschinenverordnung [3], Seilbahnanlagen, alternative Energieerzeugungsanlagen im Freien und temporäre Installationen.
Obwohl das BauPG und die BauPV bereits seit 2014 in Kraft sind, konnte eine Bewertung und Klassifizierung von Kabeln bisher nicht erfolgen. Die nötigen harmonisierten europäischen Normen für Kabel waren noch nicht verfügbar. In einem ersten Schritt kann nun das Brandverhalten (reaction to fire) von Kabeln bewertet und klassifiziert werden. Eine Bewertung von Kabeln und Systemen mit Funktionserhalt (resistance to fire) nach europäischen Normen ist dagegen weiterhin nicht möglich. Deshalb befasst sich dieser Artikel mit dem Inverkehrbringen von Kabeln in der Schweiz, ausschliesslich bezogen auf das Brandverhalten.
Der Einsatz von Kabeln und die Auswahl der klassifizierten Kabel in Bauwerken sind nicht in der CPR bzw. BauPV geregelt. Dies hat durch die für den Brandschutz verantwortlichen Stellen der jeweiligen Mitgliedsstaaten der EU in ihren Anwendungsnormen und -richtlinien zu erfolgen. In der Schweiz wurden bereits die nötigen Anpassungen der Anwendung in den VKF Brandschutzrichtlinien [4] und der Empfehlung des KBOB [5] umgesetzt. Eine Zusammenfassung der Anforderungen und eine erste Anwendungsempfehlung finden sich in [6].
Inverkehrbringen des Bauprodukts Kabel
Die CPR regelt das Inverkehrbringen bzw. das Bereitstellen (jede Abgabe zum Vertrieb oder zur Verwendung) von Kabeln durch Wirtschaftsakteure (Hersteller, Importeure, Händler …) auf den Markt sowie die anzuwendenden Kabelprüfmethoden und neuen Kabelklassifizierungen. Ebenfalls geregelt ist die Kennzeichnung der Kabel, die Anforderungen an die Leistungserklärung und die Sicherstellung der zu deklarierenden Eigenschaften des Bauprodukts.
Seit dem 10. Juni 2016 ist die Norm SN EN 50575:2014 [7] inklusive Anhang 1 für die Prüfung des Brandverhaltens von Kabeln anwendbar. Auch die notifizierten Stellen (Zertifizierungsstellen und Prüflabore), welche die Prüfung durchführen und die Voraussetzungen für die Erstellung der Leistungserklärung bescheinigen müssen, konnten zugelassen werden. Laut der Liste der bezeichneten Normen für Bauprodukte [8] befinden wir uns derzeit in einer Übergangsphase (Koexistenzperiode), die mit dem 1. Juli 2017 endet (Bild 1). Danach dürfen von der Bauprodukteverordnung betroffene Kabel nur noch mit Leistungserklärung in den Verkehr gebracht werden.
Prüfmethoden und Klassifizierung des Brandverhaltens
Zur Prüfung des Brandverhaltens wurde die neue Prüfnorm SN EN 50399 [9] erstellt, die den Prüfaufbau des Leiterbrandtests nach SN EN 60332-3-10 [10] verwendet. Der Prüfkammer wurden weitere Messeinrichtungen für die gleichzeitige Bewertung der Wärmefreisetzung, Rauchentwicklung und der Azidität hinzugefügt. Bei der Aziditätsprüfung wird die Säurekonzentration der in Flüssigkeit ausgewaschener Brandgase bestimmt. Während 20 Minuten werden die Ergebnisse aufgezeichnet. Aufgrund der Resultate aus SN EN 50399 und dreier weiterer Prüfmethoden [7] werden Kabel in entsprechende Haupt- und Zusatzklassen nach den Kriterien in SN EN 13501-6 [11] eingeteilt (Bild 2).
Aus Bild 2 kann eine komplette Klassifizierung abgeleitet werden, z.B. Dca-s2,d2,a2. Viele andere Kombinationen sind möglich, von denen einige in der Brandschutzrichtlinie vom VKF und in der Empfehlung der KBOB angewendet werden [4 – 6]. In einem künftigen separaten Bulletin-Artikel, der im Frühjahr 2017 erscheinen soll, wird auf die Anwendung der Kabelklassen näher eingegangen.
Leistungserklärung
Eine Leistungserklärung (DoP) muss für alle Kabel erstellt werden, welche nach Bauprodukteverordnung für die dauerhafte Verlegung in Bauwerken vorgesehen sind.
In der DoP sind folgende Angaben zu vermerken [7]:
- Hersteller und Anschrift,
- eindeutige Kennnummer des Produkttyps,
- das System des Bewertungsverfahrens,
- die harmonisierten Normen mit Ausgabedatum,
- die erklärte Leistung in Form der Klassifizierung,
- der vorgesehene Verwendungszweck, ggf. die Kennnummer der notifizierten Stelle,
- rechtsgültige Unterschrift des Herstellers.
Die DoP ist vom Hersteller in mindestens einer Amtssprache abzufassen und gedruckt oder elektronisch (z.B. online) ab dem Inverkehrbringen zur Verfügung zu stellen. Die Hersteller sind verpflichtet, die Leistungserklärungen während zehn Jahren ab dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens aufzubewahren und auf Verlangen bereitzustellen.
Sicherheitsinformationen müssen in der Amtssprache des Landesteiles abgefasst sein, in dem das Kabel voraussichtlich verwendet wird.
CE-Kennzeichnung
Die CE-Kennzeichnung von Kabeln, welche auf dem europäischen Markt in den Verkehr gebracht werden, erfolgt derzeit nach der Niederspannungsrichtlinie [12]. Sofern Kabel als Bauprodukt auf den Markt gebracht werden, erfolgt die Kennzeichnung nach der Bauprodukteverordnung. Da die Schweiz kein Mitgliedsstaat der EU ist, besteht innerhalb der Schweiz grundsätzlich keine CE-Kennzeichnungspflicht.
Da die Schweizer Kabelhersteller einen Teil ihrer Produktion von Energie-, Daten- und Kommunikationskabel in den europäischen Raum exportieren, wird auf diesen Produkten eine CE-Kennzeichnung erfolgen. Somit werden auch CE-gekennzeichnete Produkte auf dem Schweizer Markt anzutreffen sein. Bild 1 zeigt den zeitlichen Verlauf der Koexistenzperiode, der Leistungserklärung und der CE-Kennzeichnung nach der Bauprodukteverordnung.
Verfügbarkeit von zertifizierten Kabeln, Ausblick
Erst seit dem Sommer 2016 können Kabelhersteller offiziell die Zertifizierungsarbeit bei den zugelassenen Zertifizierungsstellen, den sogenannten Notifizierten Stellen, beginnen [13]. Die umfangreichen Arbeiten sind derzeit in vollem Gange. Erste zertifizierte und nach CPR bzw. BauPV konforme Energie-, Daten- und Kommunikationskabel inklusive den dazugehörigen Leistungserklärungen werden im ersten Halbjahr 2017 zur Verfügung stehen und in Verkehr gebracht werden können.
Derzeit müssen Planer abwägen, welche Anforderungen an Kabel gestellt werden sollen, insbesondere für Projekte, welche nach Ablauf der Koexistenzperiode realisiert werden sollen. Auch können heute Änderungen der Anforderungen an die Kabel während der Projekte nicht ausgeschlossen werden. Es ist zu empfehlen, die Anforderungen möglichst frühzeitig abzuklären und in den Ausschreibungen zu berücksichtigen.
Dabei ist die Brandschutzrichtlinie der VKF [4] zu beachten, je nach Projekt auch die KBOB-Empfehlung [5], weitere gesetzliche Vorgaben, anerkannte Regeln der Technik oder die spezifischen Vorgaben des Bauherrn. Der Artikel [6] zeigt diesbezüglich pragmatische Lösungen.
Ein weiterer Artikel der Arbeitsgruppe CPR-Cable zur Anwendung der Kabelklassen soll in einer Bulletin-Ausgabe im Frühjahr 2017 erscheinen.
Abkürzungen
- BauPG: Bauproduktegesetz
- BauPV: Bauprodukteverordnung
- CE: Communautés Européennes
- CPR: Construction Products Regulation
- DoP: Declaration of Performance
- KBOB: Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren
- VKF: Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen
Referenzen
[1] BauPG, SR 933.0, www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20131248/index.html
[2] BauPV, SR 933.01, www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20141382/index.html
[3] Maschinenverordnung, SR 819.14
www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20063194/index.html
[4] Brandschutzrichtlinie VKF 13-15: Baustoffe und Bauteile, www.praever.ch/de/bs/vs/richtlinien/Seiten/13-15_web.pdf
[5] Einsatz von Elektro-Kabeln Funktionserhalt und Brandverhalten, KBOB-Empfehlung 6/2014
www.kbob.admin.ch/kbob/de/home/publikationen/gebaeudetechnik.html
[6] Kabelauswahl aus Brandschutzsicht, Bulletin SEV/VSE 6/2015, www.electrosuisse.ch/uploads/media/ 45-48_1506_cpr-kabel.pdf
[7] SN EN 50575:2014, Starkstromkabel und -leitungen, Steuer- und Kommunikationskabel – Kabel und Leitungen für allgemeine Anwendungen in Bauwerken in Bezug auf die Anforderungen an das Brandverhalten.
[8] Harmonisierte technische Normen für Bauprodukte, Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL), 5. Juli 2016, www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2016/5248.pdf
[9] SN EN 50399:2011, Allgemeine Prüfverfahren für das Verhalten von Kabeln und isolierten Leitungen im Brandfall – Messung der Wärmefreisetzung und Raucherzeugung während der Prüfung der Flammenausbreitung – Prüfeinrichtung, Prüfverfahren und Prüfergebnis.
[10] SN EN 60332-3-10:2009(F)X, Prüfungen an Kabeln, isolierten Leitungen und Glasfaserkabeln im Brandfall – Teil 3-10: Prüfung der vertikalen Flammenausbreitung von vertikal angeordneten Bündeln von Kabeln und isolierten Leitungen.
[11] SN EN 13501-6:2014 * SIA 183.056, Klassifizierung von Bauprodukten und Bauarten zu ihrem Brandverhalten – Teil 6: Klassifizierung mit den Ergebnissen aus den Prüfungen zum Brandverhalten von elektrischen Kabeln.
[12] Richtlinie 2014/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung elektrischer Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen auf dem Markt. http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32014L0035,
www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2016/6958.pdf
[13] Die CE-Kennzeichnung und das Zertifizieren von Kabeln, Bulletin SEV/VSE 10/2015, Link zum Artikel. Link zur italienischen Version dieses Artikels
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