Fachartikel Energieeffizienz , Verbrauch

Energiemanagement auf dem Prüfstand

Erneuerbare Energien

30.09.2018

Die Berner Fachhochschule prüft in ihrem neuen Prosumer-Lab unter realistischen Bedingungen Systemkomponenten von intelligenten Stromnetzen. Die Erkenntnisse aus den Tests sollen dazu beitragen, erneuerbare Energien besser in den Strommarkt zu integrieren.

Mit der wachsenden Anzahl von Photovoltaikanlagen und Batterien werden die Privathaushalte in Zukunft eine zunehmend aktive und wichtige Rolle im Stromnetz einnehmen. Insbesondere die Markteinführung von elektrischen Speichersystemen eröffnet neue Perspektiven für das Management der Energieflüsse in den Verteilnetzen. So ermöglichen Batterien den Betrieb intelligenter Netze, welche die neuen Energiequellen – etwa dezentrale Photovoltaikanlagen – optimal nutzen. Dabei ist entscheidend, den Stromverbrauch und die Stromproduktion bestmöglich miteinander in Einklang zu bringen.

Neue Systemkomponenten schaffen die Voraussetzungen, um erneuerbare Energien besser in den Strommarkt zu integrieren. Zu ihnen gehören Energiemanagementsysteme (EMS). Sie messen die Energieflüsse im Haushalt – zum Beispiel die Stromproduktion der PV-Anlage und die Einspeisung ins Netz. Danach schalten sie bestimmte Verbraucher wie die Wärmepumpe ein oder veranlassen die Speicherung überschüssiger Energie in einer Batterie. Dabei sollte ein EMS möglichst wenig überschüssigen Strom aus der Eigenproduktion in das Verteilnetz einspeisen. Eine solche Optimierung des Eigenverbrauchs trägt zur bestmöglichen Integration des produzierenden Verbrauchers (Prosumer) ins Stromnetz bei.

Abbildung der Realität im Labor

Die Aufgabe des Prosumer-Labs besteht darin, die auf dem Markt verfügbaren EMS-Typen unter realistischen und gleichzeitig reproduzierbaren Bedingungen zu testen und zu vergleichen. Der Prüfstand bildet einen modernen Privathaushalt nach. Er wurde im Januar 2018 im BFH-Zentrum Energiespeicherung in Betrieb genommen. Die wissenschaftlichen Partner Centre Suisse d’Électronique et de Microtechnique SA (CSEM) sowie die Berner Fachhochschule (BFH) betreiben dieses gemeinsam. Das Prosumer-Lab wird vom Bundesamt für Energie (BFE) und der BKW Energie AG finanziert und soll energietechnische Fragen rund um Prosumer-Haushalte beleuchten.

Mit dem Pilot- und Demonstrationsprojekt lassen sich unterschiedliche Zustände oder Situationen eines Haushalts, die sonst nur schwer zu reproduzieren wären, mit zuvor erstellten Profilen (Verbrauch-, Wetter-, Temperaturprofile etc.) realitätsnah simulieren. Der Prüfstand funktioniert über eine Kombination aus Emulation und Simulation, um die elektrischen Energieflüsse eines Haushalts mit Photovoltaik, Wärmepumpe und Batteriespeicher bis zum Netzanschlusspunkt mit echten Spannungen und Strömen nachzubilden. Das ist nötig, um Systemkomponenten wie Energiemanagementsysteme, Wechselrichter oder Batteriespeicher unter kontrollierten Bedingungen zu entwickeln, zu vergleichen und zu testen. Dank ihrem modularen Aufbau eignet sich die Testplattform zur Erprobung aller Arten von Energiemanagementsystemen und Systemkomponenten für Privathaushalte wie Batterien, Wechselrichter etc. Die Entwicklung und der Vergleich von Systemen erfolgen dabei auf der Grundlage identischer Profile respektive Bedingungen über eine ganze Testreihe.

Umfassender Forschungsansatz

Das Projekt konzentriert sich auf drei Themenkreise: Das Energiemanagement in Gebäuden, die Verteilnetzintegration und -stabilisierung sowie die Modellierung sozioökonomischer Geschäftsmodelle. Im ersten steht die Frage im Zentrum, wie Energiemanagementsysteme zu gestalten sind, um einen optimalen Ausgleich zwischen Eigenverbrauch, Effizienzsteigerung und Stromnetzintegration zu erreichen. Dazu werden eigene Algorithmen und Komponenten für ein EMS entwickelt und Vergleichsstudien zu anderen auf dem Markt erhältlichen EMS durchgeführt.

Im Forschungsschwerpunkt Verteilnetzintegration und -stabilisierung werden die Einflüsse dezentraler, eigenverbrauchsoptimierter Stromeinspeisungen auf die Verteilnetzqualität unter die Lupe genommen. Dazu kommt die Entwicklung von Strategien zur Stabilisierung des Verteilnetzes.

Im Rahmen einer sozio-ökonomischen Systemanalyse werden schliesslich Einflussfaktoren auf vorhandene und zukünftige Geschäftsmodelle für die Eigenverbrauchsoptimierung untersucht. Die Eignung eines Geschäftsmodells wird über 30 Jahre simuliert und stützt sich auf verschiedene Entwicklungsszenarien von Tarifen, Photovoltaikmenge, Anzahl Elektroautos etc.

Prüfstand mit grosser Flexibilität

Der Prüfstand des Prosumer-Labs lässt sich in drei Hauptbereiche unterteilen (Bild 1). Der Netz-Emulator erzeugt eine dreiphasige, sinusförmige Spannung mit variabler Frequenz und Amplitude bis 50 kVA Leistung. Er bildet das Stromnetz am Anschlusspunkt des emulierten Haushalts nach. Diesem Signal lassen sich Oberschwingungen hinzufügen und es können transiente Ereignisse wie zum Beispiel Überspannungen erzeugt werden. Ein Last-Emulator emuliert eine dreiphasige Last mit einem konfigurierbaren Leistungsfaktor. Es sind drei unterschiedliche Betriebsarten möglich: Konstante Wirkleistung (CP), konstante Impedanz (CZ) oder konstanter Strom (CI). Jede Phase wird einzeln gesteuert, wodurch asymmetrische Lasten generiert werden können. Acht Photovoltaik-Emulatoren mit je 5 kW Leistung ermöglichen, Anlagen mit unterschiedlicher Dachausrichtung nachzubilden – zum Beispiel ein Solarkraftwerk auf zwei Dachschrägen und an Hauswänden.

Das Echtzeitsystem Microlabbox von D-Space gewährleistet die interne Steuerung der Hardware des Prüfstands. Es wird in Matlab/Simulink programmiert und verfügt über unterschiedliche Schnittstellen sowie eine hohe Flexibilität, um verschiedenste Geräte an den Prüfstand anzuschliessen. Die Interaktion mit dem Prüfstand ist über ein Webinterface möglich. Dabei lassen sich alle nötigen Einstellungen, Sollwerte und Profile auswählen, die während des Tests über die Microlabbox an die einzelnen Geräte des Teststands übermittelt werden sollen. 

Tabelle 1 fasst die wichtigsten Eigenschaften der Hauptgeräte des Prüfstands zusammen.

Realistische Daten und Szenarien

Der Prüfstand setzt auf das Hardware-In-The-Loop-Prinzip (HIL). Dabei wird ein reales System, in welchem ein Gerät getestet werden soll, teilweise im Computer und teilweise in realer Hardware nachgebildet. Mit den Simulationen lassen sich Komponenten abbilden, die im Prüfstand nur schwer real integrierbar wären, wie etwa eine Wärmepumpe oder verschiedene Haushaltsgeräte. Der Stromverbrauch wird rechnerisch ermittelt und der Stromfluss anschliessend über die Emulatoren nachgebildet. Durch die Kombination von Simulation und Emulation sind die Tests sehr realitätsnah und unter kontrollierten Bedingungen beliebig reproduzierbar.

Mit der Planungs- und Simulationssoftware Polysun für elektrische und thermische Systeme lassen sich Raumtemperaturen, Warmwasserbedarf oder auch Verluste in thermischen Speichern simulieren. Polysun ermittelt zudem die Last der Wärmepumpe auf der Grundlage eines detaillierten Gebäudemodells. Als Wetterinformationen verwendet die Testumgebung schliesslich real gemessene Werte von Meteoswiss für beliebige Standorte.

Die Simulation ist eingebunden in die physikalische Emulation des Systems über die Emulatoren. Der Betrieb der Emulatoren, die den Verbrauch und die Erzeugung von Strom in einem Gebäude nachbilden, erfordert zu jedem Zeitpunkt realistische Sollwerte. Der tägliche Strombedarf eines mit dem Last-Emulator betriebenen Haushalts wird aus dem Loadprofilegenerator ermittelt. Zudem lassen sich Daten aus einer CSV-Datei einbinden. Die Berechnung der Sollwerte für die PV-Emulatoren stützt sich auf die Messdaten von Meteoswiss.

Die für einen Test benötigten Profile, Berechnungs- und Sollwerte werden in Szenarien vordefiniert. Ein Szenario legt alle Last- und Produktionsprofile fest und dauert beispielsweise 24 Stunden für einen typischen Testtag. Diese Informationen stammen direkt aus Simulationen, Messwerten und Berechnungen, um realistische Testbedingungen zu erhalten. Für das Forschungsprojekt wurden vier Hauptszenarien erstellt, von denen jedes einem repräsentativen Tag einer der vier Jahreszeiten entspricht. Verwaltet und gestartet werden die Szenarien über das Webinterface des Scenario Managers. Dieses erlaubt eine vereinfachte Nutzung des Prüfstands, koordiniert die Simulationen und Emulationen und zeichnet alle relevanten Messinformationen wie Spannungen, Ströme und Leistungen sekündlich auf.

Technische Herausforderungen gemeistert

Aufgrund der Komplexität des Systems waren bei der Inbetriebnahme viele Herausforderungen zu lösen. Die gewünschte Flexibilität bei der Auslegung setzt voraus, dass der Prüfstand mit den verschiedenen Schnittstellen von Simulationssoftware, Emulatoren und allen für den Betrieb notwendigen Geräten interagieren kann.

Das auffälligste Beispiel für diese Entwicklungsproblematik ist die unterschiedliche Arbeitsfrequenz der Komponenten. Der Teststand aktualisiert die Anweisungen aus dem Scenario Manager jede Sekunde. Der Netz- und der Last-Emulator werden allerdings durch digitale Signale gesteuert, die mit 10  kHz abgetastet werden. Deshalb galt sicherzustellen, dass übergeordnete Regelungen und Schaltungen schnell genug ausgeführt werden, um die nötige Taktfrequenz aller Geräte zu gewährleisten.

Die Wahl der Kommunikationsprotokolle hat auch Einfluss auf die Arbeitsgeschwindigkeit des Prüfstands. Bei den ersten Tests während der Inbetriebnahme des Systems liessen sich nicht alle Leistungsmessungen einmal pro Sekunde aktualisieren. Das RS485-Kommunikationsprotokoll zur Übertragung der Messwerte der Energiezähler machte die Arbeitsfrequenz von 1  Hz unmöglich. Aus diesem Grund wurden alle wichtigen Messgeräte durch höherwertigere Energiezähler mit Ethernet-Schnittstelle ersetzt. Neben der schnelleren Datenübertragung ermöglichen diese neuen Geräte die Quantifizierung von Strom- und Spannungsoberschwingungen. Dies ebnet den Weg für zukünftige Entwicklungen und Analysen im Bereich der Spannungsqualität (zum Beispiel THD).

In der ersten Testphase wurden auch einige Fehlfunktionen in der Steuerung des Last-Emulators behoben. Die Programmierfehler hatten einen direkten Einfluss auf die Genauigkeit des emulierten elektrischen Energieverbrauchs. Eine eingehende Systemanalyse ermöglichte, die Zeit- und Frequenzeigenschaften des mit der Microlabbox gesteuerten Last-Emulators zu ermitteln. Dadurch liessen sich der Regelalgorithmus deutlich optimieren und die allgemeine Leistungsfähigkeit des Prüfstands signifikant verbessern.

Die Inbetriebnahme wurde schliesslich mit einer Analyse der Leistungsfähigkeit des Prosumer-Labs mit Messgeräten ausserhalb des Prüfstands abgeschlossen. Die Prüfungen der Sicherheitsfunktionen und Messgeräte bescheinigte den korrekten Betrieb der Anlage mit einem relativen Fehler in der Grössenordnung von wenigen Prozent.

Der relative Fehler zwischen dem Leistungssollwert und der Messung nimmt mit steigendem Arbeitspunkt allmählich ab (Bild 2). Bei einer einphasigen Last reduziert sich der Fehler von maximal 6% (bei 100 W) auf unter 1% (ab 1 kW). Bild 2 zeigt, dass unterhalb von 1 kW der maximale absolute Fehler nicht mehr als 10 W beträgt. Über den gesamten Leistungsbereich weist der Last-Emulator eine hohe Genauigkeit bei der Sollwertumsetzung auf – insbesondere im Leistungsbereich eines Einfamilienhaushalts, dem typischen Einsatzbereich.

Solarstrom für die Wärmepumpe

Zum Vergleich des Potenzials der unterschiedlichen Energiemanagementsysteme wurde mit allen EMS das gleiche Testszenario mit Daten eines typischen Jahrestags durchgeführt. Dabei wurde für jede Jahreszeit ein repräsentativer Tag ausgewählt, um die klaren saisonalen Unterschiede herauszustellen – zum Beispiel der 20. Oktober 2015 mit den entsprechenden Leistungsflüssen, also der Produktion der Photovoltaikanlage und dem Verbrauch des Haushalts (Bild 3). Dieses Szenario lässt sich beliebig oft verwenden, um verschiedene EMS zu testen. Als Referenz wird das Szenario einmal ohne ein angeschlossenes EMS durchgespielt. Anschliessend kann die Steuerung der in Polysun simulierten Wärmepumpe oder einer Batterie durch ein EMS untersucht werden. Dabei interessiert vor allem, wie sich dieses Schaltverhalten auf den Eigenverbrauch des Haushalts auswirkt.

Bild 4 zeigt den Leistungsverbrauch der Wärmepumpe bei unterschiedlichem Betriebsverhalten. Verglichen wird der Betrieb der Wärmepumpe ohne Steuerung und mit Steuerung durch zwei verschiedene EMS. Haupteinflussparameter auf das Schaltverhalten der Wärmepumpe sind die Innentemperatur des Wasserspeichers und der Leistungsüberschuss des Haushalts.

Die Energiemanagementsysteme erhöhen die Nutzung der tagsüber durch Photovoltaik produzierten Leistungsüberschüsse zum Betrieb der Wärmepumpe. Da die Temperatur des Warmwasserspeichers nur langsam abkühlt, erübrigt sich ein weiteres Einschalten der Wärmepumpe in der Nacht (Bild 4). Dadurch wird der Strom-Eigenverbrauch erhöht. Diese Optimierung ermöglicht das Energiemanagementsystem durch die Schaltung der Wärmepumpe über das Smart-Grid-ready-Signal. Die Solltemperatur im Wasserspeicher wird zudem vorübergehend angehoben. Die beiden untersuchten EMS können über unterschiedliche Konfigurationsparameter eingestellt werden und weisen ein ähnliches Schaltverhalten der Wärmepumpe auf. Das Beispiel zeigt die Wichtigkeit einer systematischen Untersuchung der EMS zum Verständnis der Funktionsweisen. Die finalen Ergebnisse dieses Forschungsprojekts werden Mitte 2019 im Abschlussbericht veröffentlicht.

Offen für gemeinsame Projekte

Der Prüfstand des Prosumer-Labs bietet ab sofort die Möglichkeit, Energiemanagementsysteme, Batterien, Wechselrichter oder auch Ladestationen für Elektromobile mit realistischen Profilen in Interaktion mit anderen Geräten eines Haushalts zu testen und zu analysieren. Dies geschieht in gemeinsamen Projekten des BFH-Zentrums Energiespeicherung der Berner Fachhochschule und interessierter industrieller Partner.

Autor
Steffen Wienands

war bis März 2022 Projekt­leiter am BFH-Zentrum Energie­spei­cherung.

Autor
Yoann Moullet

arbeitet als Forscher am BFH-Zentrum Energiespeicherung der Berner Fachhochschule.

  • Berner Fachhochschule BFH, 2560 Nidau

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