Energie sparen mit Bürgerpower
Das Projekt Smart Energy Coach
Heute fehlt es an einfachen Tools, die es der Bevölkerung ermöglichen, ihren Energieverbrauch zeitnah zu überwachen und zu optimieren. Doch was bewegt die Menschen dazu, dies überhaupt zu tun? Das wollen der Verein «Smart City Lab Grenchen» und die regionale Energieversorgerin SWG mit einem Smart-City-Innovationsprojekt herausfinden.
Die ersten Wohnungen der Grenchner Einwohner wurden bereits 2014 mit intelligenten Stromzählern ausgestattet, der Smart-Meter-Rollout dauerte über das komplette Versorgungsgebiet rund fünf Jahre. Der damalige Technologiestand bei den Smart Metern war noch weit entfernt von den heutigen Anforderungen. Gerade im Bereich der Kundenschnittstelle waren noch keine entsprechenden Standards implementiert. Dennoch konnte die SWG feststellen, dass die Anzahl an Kunden, die sich für ihren Energieverbrauch im Detail interessieren, von Jahr zu Jahr anstieg. Eine Motivation dazu waren die landesweit steigenden Energiepreise.
Rahmenbedingungen und Kundenbedürfnisse
Es stellte sich also die Frage, wie mit dieser Situation umzugehen ist. Einerseits sieht die SWG eine plausible, zeitnahe und transparente Darstellung der Energieverbräuche als Dienst am Kunden, andererseits ist gerade eine drohende Energieknappheit in den Wintermonaten ein Thema, das sowohl die Mitwirkung der Energieversorger wie auch der Kunden erfordert.
Gemäss der Studie «Erkenntnisse zu Umweltwirkungen von Smart Metern» [1] liegt das Potenzial zum Einsparen von elektrischer Energie mit Smart Metern bei rund 2,2 %. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Echtzeitfähigkeit der Smart Meter und die Mitwirkung der Verbraucher.
Unter Berücksichtigung dieser Aspekte wurden gemeinsam mit dem Verein «Smart City Lab Grenchen» mögliche Lösungsansätze diskutiert. Schnell kam die Erkenntnis, dass sowohl Hard- wie auch Software benötigt werden, die nur funktionieren können, wenn das Entwicklerteam die Bedürfnisse der Kunden versteht und diese in den Prozess mit einbezieht.
Projekt «Smart Energy Coach»
Das Projekt «Smart Energy Coach» ist eine Kooperation des Smart City Lab Grenchen, der Stadt Grenchen, des lokalen Energieversorgers SWG, des Software-Dienstleisters Uxiamo GmbH sowie des lokalen Kommunikationsanbieters Gagnet AG. Das Projekt wird von EnergieSchweiz unterstützt. Jeder Partner bringt spezifisches Wissen in die Lösungserarbeitung ein und unterstützt die Trägerschaft, um die Ziele erreichen zu können.
Das Hauptziel des Projekts ist es, das mit Smart Metering verbundene Energieeinsparungspotenzial zu erreichen und möglicherweise zu übertreffen. Das Projekt verfolgt folgende Ziele:
Die Verbraucher werden auf ihren Energieverbrauch sensibilisiert, indem ihnen die gesamte Energienutzung sowie ein detailliertes Nutzungsprofil aufgezeigt wird.
Aus diesen Erkenntnissen werden den Verbrauchern Handlungsempfehlungen für einen sparsamen Umgang mit Energie gegeben. Zudem sollen Gamification Patterns dafür sorgen, dass die Anreize zum Energiesparen auch über einen längeren Zeithorizont erhalten bleiben.
Die Handlungsempfehlungen werden im Rahmen einer «Energy Community» evaluiert, auf ihre Wirksamkeit überprüft und kontinuierlich verbessert.
Co-Creation-Prozess mit Kunden
Wie bereits erläutert, reicht eine rein technische Lösung für die Zielerreichung nicht aus. Auch psychologische Faktoren – der Mensch – müssen berücksichtigt werden. Es geht darum, die Motive und Werte der Nutzer zu aktivieren. Deshalb werden die Bürgerinnen und Bürger aktiv in die Entwicklung des Smart Energy Coach einbezogen, um eine Lösung zu entwickeln, die den Faktor Mensch stärker berücksichtigt. Denn ohne eine Verhaltensänderung bleibt auch die fortschrittlichste Technologie wirkungslos. Durch den Einbezug der Kunden kann die Lösung auch auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden.
In der Praxis ist das Vorgehen nicht völlig sequenziell, sondern iterativ. So wird der aktuelle Prototyp kontinuierlich verbessert, indem das Nutzerfeedback direkt in den Entwicklungsprozess einfliesst. Zudem wurde eine erste Version des Backends erstellt, sodass nun eine funktionsfähige Version des Smart Energy Coach zur Verfügung steht.
Das Projekt wurde am 5. April 2023 mit einem Kickoff-Anlass gestartet. Hierbei wurde die interessierte Bevölkerung zur Teilnahme an der für dieses Projekt ins Leben gerufene «Energy Community» animiert und das Projekt vorgestellt. Die involvierten Partner nahmen an diesem Anlass ebenfalls teil und standen Red und Antwort. Bereits am Kickoff wurden von den Teilnehmern erste Ideen entwickelt.
Bei den Workshops vom 25. Mai 2023 und 5. Juli 2023 wurden unter der Anleitung des ehemaligen Energieberaters Armin Meier Ideen und Massnahmen zum Energiesparen, Anforderungen und Prototypen für die zukünftige App erarbeitet.
Parallel dazu hat der Software-Dienstleister Uxiamo GmbH aus Grenchen an der Firmware für die Smart Energy Box gearbeitet. Inzwischen konnte bereits ein erster Prototyp für die «Smart Energy Box» an einem Workshop im November 2023 vorgestellt und für einen Pilotbetrieb im Winter mit vorerst elf Installationen genutzt werden.
Architektur
Der Smart Energy Coach basiert auf .NET Core 8 und läuft auf einem Raspberry Pi 4. Ein zentrales Element dieses Systems ist ein Datenlogger, der mithilfe eines Dritthersteller-Software-Development-Kits Verbrauchsdaten erfasst und in einer InfluxDB speichert. Eine REST API dient als Schnittstelle zur Datenabfrage und wird durch eine SQLite Datenbank für Metadaten unterstützt. Zusätzlich sind myStrom-Adapter integriert, die Geräteverbrauchsdaten ebenfalls in der InfluxDB speichern.
Die Visualisierung der Energiedaten erfolgt über eine Blazor-Web-Applikation, die ihre Daten über eine REST API abruft. Benutzer können die Gesamtverbrauchsdaten des Smart Meters zeitlich mit den Verbrauchsdaten einzelner Geräte vergleichen, die über myStrom-Adapter erfasst werden. Um eine detaillierte Analyse zu ermöglichen, lassen sich diese Verbrauchsdaten in der Visualisierung als separate Kurven in der Gesamtverbrauchskurve darstellen.
Um sicherzustellen, dass die Energiedaten jederzeit und von überall zugänglich sind, kann die REST API in Zukunft in die Cloud verlagert werden. Die Bereitstellung der API in der Cloud bietet nicht nur eine höhere Verfügbarkeit und Skalierbarkeit, sondern ermöglicht es auch, die Daten flexibel verschiedenen Stakeholdern zur Verfügung zu stellen. Energieversorger, Forschungsinstitute und Drittanbieter können die Daten nutzen, um Analysen durchzuführen, eigene Applikationen zu entwickeln oder neue Dienstleistungen anzubieten. Die offene Architektur der REST API unterstützt dabei diverse Anwendungsszenarien.
Bei der Verlagerung in die Cloud kommt der Datensicherheit und dem Datenschutz besondere Bedeutung zu. Durch Verschlüsselungstechnologien und Anonymisierungsverfahren kann sichergestellt werden, dass keine personenbezogenen Nutzerdaten offengelegt werden, die Daten aber für Analysezwecke nutzbar bleiben. So wird Sicherheit gewährleistet, ohne die Funktionalität einzuschränken.
Das Auslesen der Verbrauchsdaten über einen Smart Meter kann anspruchsvoll sein, da diese oft nicht direkt über den Obis-Code abgerufen werden können. Zunächst muss die logische Speicheradresse des Werts über den Obis-Code ermittelt werden, bevor die eigentlichen Verbrauchsdaten abgerufen werden können. Das Problem liegt darin, dass sich diese Speicheradressen beim gleichen Hersteller sowohl zwischen verschiedenen Zählermodelltypen als auch bei unterschiedlichen Firmware-Versionen desselben Modells unterscheiden können. Deshalb braucht es für jeden Smart Meter ein spezifisches Profil, was den Auslesemechanismus komplex und schwer wartbar macht. Zudem müssen die jeweiligen Verbrauchsdaten auf Byte-Ebene ausgelesen werden. Dies macht den Prozess noch komplizierter und erfordert zusätzliches Fachwissen.
Bisherige Ergebnisse und Ausblick
Der aktuelle Prototyp ist voll funktionsfähig und konnte bei elf Mitgliedern der Energy Community installiert werden. Aufgrund des zurzeit noch hohen Preises (180 CHF) sind momentan Überlegungen im Gange, ob auch «Bring-Your-Own-Device» unterstützt werden kann. Gerade für den weiteren Projektverlauf ist es entscheidend, eine gewisse Anzahl an Nutzern zu haben, um die zentrale Frage des Projekts zu beantworten, welche Faktoren die Nutzer zum Energiesparen animieren. Dennoch lässt sich aus der bisherigen Nutzererfahrung ableiten, dass die Beteiligung zu Beginn respektive nach der Installation des Smart Energy Coach sehr hoch ist. Dementsprechend berichten die meisten Nutzer, dass sie ihren Energieverbrauch in den ersten Wochen täglich prüften. Mit der Zeit nimmt dieses Engagement stark ab, dennoch berichten die meisten Nutzer (rund 80 %) bei einer Befragung, dass sie den Energieverbrauch mehrmals im Monat auf dem Smart Energy Coach überprüfen.
Spannend ist auch, dass viele der Nutzer angaben, dass die Möglichkeit zum Überwachen des Energieverbrauchs bei ihnen nicht direkt zum Energiesparen geführt hat. Lediglich Personen mit eigener Energieerzeugung (PV-Anlagen) waren vermehrt darauf bedacht, grössere Verbraucher nach Möglichkeit auf eine Zeit mit PV-Produktion zu verlegen und so den Eigenverbrauch zu optimieren. Hauptsächlich diese Nutzer gaben an, die Beleuchtung und die Warmwasseraufbereitung optimiert zu haben.
Die Tatsache, dass eher wenige Nutzer auf diese Frage geantwortet haben, deckt sich also weitgehend mit den Beobachtungen aus früheren Studien zum Thema Energieverbrauch und Bewusstseinsbildung. Daher hat das Projektteam die Nutzer konkret gefragt, warum die bereitgestellten Informationen ihrer Meinung nach nicht zu einer Optimierung des Energieverbrauchs geführt haben. Die meisten Befragten gaben an, dass ihnen die grafische und numerische Darstellung des Energieverbrauchs zu wenig aussagekräftig war. Die Mehrheit gab auch an, dass eine gewisse Angst vor Komfortverlust besteht und dass die Software proaktiv mit dem Nutzer interagieren muss (Push statt Pull).
Um diesem Feedback gerecht zu werden, werden als Nächstes unter der Organisation des Smart City Lab Grenchen mehrere Follow-up-Workshops mit der «Energy Community» durchgeführt. Hier sollen die Erkenntnisse aus der Nutzung besprochen sowie eine nicht technische UI respektive App mit Gamification-Elementen erarbeitet werden.
In einem ersten Schritt wird im September der Workshop unter dem Titel «Energiedaten mit Power BI analysieren» stattfinden, damit die User lernen, eigene Dashboards und Auswertungen mit dem Smart Energy Coach nach ihren Bedürfnissen zu erstellen.
Bis Ende des Jahres sollen zudem im Rahmen eines weiteren Workshops Gamification Patterns entworfen werden, die zu einer sparsamen Nutzung des Stroms animieren und zusammen mit der «Energy Community» validiert werden können.
Referenz
[1] «Erkenntnisse zu Umweltwirkungen von Smart Metern», Umweltbundesamt, Dessau-Rosslau, Februar 2021.
Kommentare