Die Risikodebatte engagiert versachlichen
Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation
Der Mobilfunkmarkt wurde 1998 liberalisiert. Nicht alle waren vom Mobilfunk begeistert, denn die elektromagnetische Strahlung brachte unbekannte Risiken mit sich. In dieser emotional geprägten Situation entstand die Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation, um einen sachlichen Diskurs zu ermöglichen. Gregor Dürrenberger, der die Stiftung bis Ende Januar 2021 leitete, blickt zurück.
Bulletin: Wie und wann kam es zur Gründung der Forschungsstiftung? Von wem kam die Anregung dazu?
Gregor Dürrenberger: Im Jahr 1998 wurde der Mobilfunkmarkt liberalisiert. Neben der Swisscom traten die zwei neuen Anbieter Orange und diAx auf, weitere kamen später hinzu. Die Firma diAx positionierte sich am Markt unter anderem über eine zusammen mit der ETH Zürich initiierte Forschungsinitiative. Nachdem ich die Leitung dieser Initiative übernommen hatte, wurde mir schnell klar, dass die Forschung zu Mobilfunkrisiken breit aufgestellt sein musste, um glaubwürdig und auch finanziell nachhaltig zu sein. Nach vielen Gesprächen mit der Branche, den Behörden und weiteren Organisationen kam es 2002 zur Gründung der Stiftung.
Hinsichtlich Strukturen lagen mir dabei drei Dinge besonders am Herzen: Erstens muss die Struktur eine Einflussnahme von Sponsoren auf die Forschung verhindern, zweitens sollten alle relevanten Interessen (Behörden, NGOs und Industrie) in die Trägerschaft eingebunden sein, drittens muss die Forschung frei ausgeschrieben werden können, auch international. Die Schweiz hat zwar äusserst gute Wissenschaftler, aber Konkurrenz belebt das Geschäft und ist ein nachhaltiger Garant für höchste wissenschaftliche Qualität.
Zwei Jahrzehnte ist die Stiftung nun aktiv. Sie fördert relevante Forschungsprojekte, kommuniziert Forschungsergebnisse und setzt sich für den sachlichen Dialog zwischen Gesellschaft und Wissenschaft ein. Wie hat sich die Arbeit der FSM während dieser Zeit verändert? Gab es zwischendurch neue Schwerpunkte oder Anpassungen an der Ausrichtung?
Natürlich. Institutionen müssen sich wie Lebewesen an sich verändernde Bedingungen anpassen. Das Ökosystem der Mobilkommunikation ist nun ziemlich anders als vor 20 Jahren. Damals war es geprägt durch die Anbieter und die GSM-Technologie. Heute kooperieren und konkurrenzieren sich Zulieferer, Provider und Dienstleister unter- und miteinander, und verschiedene Standards werden eingesetzt. Die grössere Komplexität spiegelt sich auch in der Sponsorenschaft der FSM: Während in der Anfangsphase allein die Provider Geldgeber waren, sind heute auch Zulieferer und Dienstleister mit dabei.
Neben der institutionellen Ebene gab es natürlich die technischen Entwicklungen, die sich inhaltlich niederschlugen: Seit der Einführung des digitalen Mobilfunks wurden drei neue Generationen (UMTS, LTE, 5G) ausgerollt, deren Signale hinsichtlich möglicher gesundheitlicher Wirkungen untersucht sein wollten.
Eine weitere Veränderung betraf die Bedeutung von niederfrequenten Feldern. Durch die neue Energiestrategie des Bundes, den Ausbaubedarf des Höchstspannungsnetzes und die Konvergenz von Strom- und Kommunikationsnetzen (Smart Grids) wurden wir zunehmend mit Forschungsfragen zu 50-Hz-Feldern konfrontiert. Als eine Folge davon zählt heute auch Swissgrid zu unseren Unterstützern, und Verbände wie der VSE und Electrosuisse sind in der Trägerschaft der FSM vertreten.
Und wie hat sich in dieser Zeit die Einstellung der Bevölkerung zur Mobilkommunikation und ihren Risiken verändert?
Eigentlich nicht fundamental. Die elektromagnetischen Felder von Basisstationen werden immer noch von grossen Teilen der Bevölkerung als problematisch wahrgenommen – und die viel grössere Exposition, die Handys beim Telefonieren verursachen, bleibt von den meisten Menschen nach wie vor unbeachtet. Zudem entfacht sich die Debatte mit jeder Technologiegeneration (Ausnahme: LTE) auf nationaler Ebene von Neuem. Die gegenwärtige Diskussion um 5G ist allerdings sehr intensiv. Die sozialen Medien, die es damals noch nicht gab, haben heute grossen Einfluss und sind ein wesentlicher Treiber dieser Dynamik. Trotzdem sollte nicht vergessen werden, dass fast alle Menschen den Mobilfunk aktiv nutzen und die Wirtschaft ohne «wireless» nicht mehr denkbar ist.
Gibt es in der Geschichte der Stiftung Schlüsselmomente?
Da könnte man einiges herauspicken. In wissenschaftlicher Hinsicht waren sicher die epidemiologischen Arbeiten zu Wirkungen der Exposition gegenüber Basisstationen bedeutsam. Als die Risikothematik breit aufkam, Anfang der 2000er-Jahre, wurden solche Studien von einem grossen Teil der wissenschaftlichen Gemeinschaft, insbesondere den Ingenieuren, als nutzlos angesehen. Das leuchtete uns nicht ein und wir haben u. a. mit Unterstützung der WHO eine Machbarkeitsstudie und in der Folge weitere dosimetrische Arbeiten in diesem Feld initiiert. Inzwischen gehören Epi-Studien zu Basisstationen zum Standard.
In politischer Hinsicht ist sicher die Konfirmationsstudie einer holländischen Arbeit, welche Einbussen des Wohlbefindens durch Strahlung des damals gerade im Rollout befindlichen UMTS-Standards festgestellt hatte, zu erwähnen. Das Bundesgericht hat damals, gestützt auf die laufende FSM-Studie, die hängige UMTS-Moratoriumsforderung abgelehnt. Im Übrigen konnte die Studie die Erstbefunde aus den Niederlanden nicht bestätigen.
Gibt es vergleichbare Stiftungen im internationalen Kontext, oder ist die FSM eine spezifisch schweizerische Errungenschaft?
Wir sind eher ein Einzelfall. In Deutschland gab es eine ähnliche Organisation, die allerdings nicht unabhängig von der Industrie war. Sie ist inzwischen aufgelöst worden. In Frankreich gab es eine Stiftung, die fast gleich wie die FSM aufgestellt war, in der Zwischenzeit jedoch vom Staat übernommen und in die nationale Telekommunikationsbehörde integriert wurde. Es ist ein positives Zeichen, dass die hiesige Branche seit zwei Jahrzehnten die Risikoforschung nachhaltig unterstützt, auch bei sinkenden Margen. Ich führe das unter anderem auf das schweizerische Selbstverständnis zurück, dass nicht (nur) der Staat, sondern auch die Verursacher Verantwortung übernehmen. In der Gesundheitsforschung heisst Verantwortung dabei nicht nur finanzieller Support, sondern auch Garantie für wissenschaftliche Unabhängigkeit.
Eine FSM-Veranstaltung, die im industriellen und wissenschaftlichen Kontext etwas Besonderes darstellt, ist der zweimal jährlich durchgeführte Science Brunch. Der Brunch zeichnet sich nicht nur durch ein sehr heterogenes Publikum und entsprechend anregende Gespräche aus, sondern auch durch Präsentationen aus unterschiedlichen Perspektiven, die ein ganzheitlicheres Bild der Situation bieten als Präsentationen an Kongressen für Spezialisten. Pandemiebedingt musste man im 2020 auf die Brunches verzichten. Wird dieses Format zu gegebener Zeit wieder weitergeführt?
Davon gehe ich aus. Es war auch für uns betrüblich, dass wir keine Science Brunches und Workshops organisieren konnten. Der direkte Austausch vor Ort kann nur mit Abstrichen durch digitale Medien ersetzt werden. Aufgrund der gegenwärtigen Lage sehe ich allerdings kaum Chancen, dass wir schon im Frühling die Organisation von Anlässen mit Gästen wieder aufnehmen können. Hoffen wir auf den Sommer oder Herbst – und einen Erfolg der Impfung.
Die FSM hat aufgezeigt, dass die intensiv betriebene Forschung zu elektromagnetischen Feldern gewisse eindeutige Resultate liefert, aber dass viele Fragen auch heute, nach jahrzehntelanger Arbeit, noch offen sind. Zudem entwickeln sich die Mobilfunktechnologien sehr schnell und man hat den Eindruck, dass die Erforschung der Auswirkungen auf den Menschen kaum mit diesen Entwicklungen Schritt halten kann. Stimmt dieser Eindruck?
Ja und nein. Zunächst muss man einfach zur Kenntnis nehmen, dass es Bereiche gibt, in denen man wissenschaftlich nur langsam vorankommt. Sobald ein Problem komplex und mehrschichtig ist, stösst man an methodische Herausforderungen, die nur schrittweise gelöst werden können. Ich habe oben als Beispiel die Expositionsabschätzung gegenüber Basisstationsstrahlung erwähnt. Ein anderes Beispiel sind Experimente mit Zellen. Befunde von einer Zellart können nicht einfach auf andere Zellarten übertragen werden, solange keine Wirkmechanismen bekannt sind. Dabei meine ich Wirkmechanismen jenseits der Energieabsorption (Hochfrequenzbereich) oder der Spannungsinduktion (Niederfrequenzbereich).
Wenn man davon ausgeht, dass diese zwei gerade erwähnten Wirkmechanismen die einzigen gesundheitlich relevanten sind (jahrzehntelange Forschung konnte bislang keine anderen belegen), dann stimmt Ihr Eindruck nicht: Die für Effekte massgebende Dosis (die absorbierte Energie oder die im Gewebe induzierte Spannung) kann für jede Exposition abgeschätzt werden. So werden z. B. für alle Funkstandards und Frequenzbereiche dank der Grenzwerte die gesundheitlich kritischen Schwellen nicht überschritten. Selbstverständlich werden die Grenzwertvorgaben, wo nötig, den spezifischen Expositionen neuer Anwendungen angepasst.
Bei 5G regt sich in der Bevölkerung viel Widerstand, obwohl die Technologie eigentlich energieeffizienter als LTE ist und weitere Vorteile bietet. Wieso ist der Widerstand bei 5G so gross? Bei LTE war der Widerstand deutlich kleiner, oder?
Genau. Wenn jemand Bedenken gegen Mobilfunkstrahlung von Basisstationen hat, dann sollte er oder sie für 5G einstehen. Das Versenden einer gegebenen Datenmenge hat mit 5G etwa dreimal weniger Strahlung zur Folge, weil die neue Technologie, inklusive Antennen, effizienter ist. Dabei unterscheiden sich die Signale von LTE und 5G kaum voneinander, und auch die Frequenzen liegen in demselben Bereich. Der teilweise laute Widerstand gegen 5G ist politisch motiviert und nicht sachlich begründet, und er wird via soziale Medien enorm verstärkt und verbreitet.
In der Halbleiterindustrie kennt man das Mooresche Gesetz, das jetzt an seine physikalischen Grenzen stösst, da nun quantenmechanische Effekte bei den extrem kleinen Chip-Strukturen stören. Ist eine analoge «Sättigung» bezüglich Bandbreiten bei Mobilfunktechnologien künftig zu erwarten, konkret, gibt es noch Raum für Bandbreitesteigerungen nach der nun angekündigten sechsten Generation?
Das limitierende Element ist hier nicht die Miniaturisierung, sondern es sind die Dämpfungseigenschaften der Luft und der Umwelt, etwa der Gebäudehüllen. Mit sinkender Wellenlänge bzw. steigender Frequenz nimmt der Freiraumwiderstand zu. Hier wirkt vor allem der Wasserdampf stark energieabsorbierend. Die hohen Frequenzen im zweistelligen GHz-Bereich können nur noch für kurze Kommunikationsdistanzen und für direkte Sichtverbindungen verwendet werden. Den Bandbreiten sind funktechnisch viel früher Grenzen gesetzt als hardwaremässig.
Zurück zur Forschungsstiftung: Was war für Sie als Geschäftsführer die grösste Enttäuschung?
Da würde ich nicht als Geschäftsführer der FSM reden wollen, sondern als Bürger. Ich bin ernüchtert, wie defensiv im politischen Bern seit Jahren das «Dossier Mobilfunk» behandelt wird. Die Mobilkommunikation ist immerhin eine der zentralen Infrastrukturen der digitalen Gesellschaft. Sie entwickelt sich unheimlich schnell und benötigt eine aktive, agile Politik. Es fehlt meiner Meinung nach dazu aber an politischem Willen, was angesichts der wissenschaftlichen Faktenlage, die man auch bei konservativer Analyse nicht als alarmierend bezeichnen kann, zusätzlich irritierend ist. Den einzigen Grund, den ich für diese defensive Haltung sehe, ist: Politiker glauben, dass sie sich am Thema die Finger verbrennen können. Das Dossier nehmen sie als Reputationsrisiko wahr. Das ist aber schliesslich eine Kapitulation der Sachpolitik.
Und das Erfreulichste?
Dass die FSM über 50 Projekte und eine noch viel grössere Fülle von wissenschaftlichen Publikationen initiieren konnte, die international beachtet wurden und auch zu einer Versachlichung der Risikodebatte hierzulande beitragen konnten. Das gilt nicht nur für Mobilfunkthemen, sondern auch für die Diskussionen rund um Hochspannungsleitungen. Auch dazu gibt es innovative FSM-Studien und Veröffentlichungen, die wie unser gesamter Output auf www.emf.ethz.ch verfügbar sind.
Und zum Abschluss: Welchen Rat möchten Sie Ihrem Nachfolger Jürg Eberhard mit auf den Weg geben?
Ich werde Herrn Eberhard keine Ratschläge erteilen müssen. Er ist eine sehr erfahrene Persönlichkeit, die sich bestimmt recht schnell technisch, wissenschaftlich, politisch und gesellschaftlich mit der Thematik vertraut machen wird. Ich wünsche ihm einfach nur viel Erfolg und Freude bei der Weiterführung der FSM.
Neuer FSM-Geschäftsführer
Ab Anfang Februar 2021 übernimmt Jürg Eberhard die Leitung der Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation. Jürg Eberhard (56), Dr. sc. nat., hat Physik und Chemie an der ETH Zürich studiert. Danach hat er sich Umweltthemen zugewandt und auf dem Gebiet der Atmosphärenchemie doktoriert und in Labors in den USA und in Taiwan gearbeitet. Längere Zeit arbeitete er in verschiedenen Managementfunktionen für die Zürcher Softwarefirma Netcetera. Anschliessend war er bei Axpo zuständig für Unternehmensentwicklung im Bereich Produktion & Netze. Seit 2018 ist er Verwaltungsrat bei EKZ.
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