Die Energiewende fordert das Stromnetz
Herausforderungen
Der Bund verfolgt ehrgeizige Ziele in der Klimapolitik: Bis 2050 soll die Schweiz klimaneutral sein. Drei der grossen Stossrichtungen sind der starke Zubau von Photovoltaikanlagen, der Ersatz fossiler Brennstoffe beim Heizen durch Wärmepumpen und die vollständige Elektrifizierung des Individualverkehrs. Genau diese drei fordern das Stromnetz.
Auch 2021 war wieder ein Rekordjahr für die Elektromobilität: Fast jedes vierte, neu zugelassene Auto in der Schweiz war ein Elektrofahrzeug. Diese Entwicklung lässt ein exponentielles Wachstum erwarten. Bereits ab 2035 werden fast alle neu zugelassenen Fahrzeuge elektrisch sein.[1] Die Netzbetreiber erleben diesen Wandel täglich. Allein in den letzten zwei Jahren hat sich die Anzahl der Netzanschlussgesuche für E-Ladestationen im Netzgebiet der BKW mehr als vervierfacht (Bild unten), Tendenz steigend.
Warum erfordert eine Ladestation ein Netzanschlussgesuch?
Mit einer Ladestation kann sich der elektrische Leistungsbedarf eines Haushalts verdoppeln. Aus einem Eigenheim werden quasi zwei. Das heutige Verteilnetz ist dafür nicht immer ausgelegt. Noch können einzelne Ladestationen oft ohne Netzausbau angeschlossen werden. Da sich dadurch aber die freie Netzkapazität laufend verringert, wird künftig ein Netzausbau immer häufiger nötig sein.
Jedes Anschlussgesuch muss auf Grund der lokal unterschiedlichen Situation individuell beurteilt werden. Falls genug Kapazitäten im Stromnetz vorhanden sind, dauert eine Bewilligung in der Regel nur wenige Arbeitstage. Ist aber eine Netzverstärkung erforderlich, kann die Bewilligung zur vollständigen Nutzung im schlechtesten Fall mehrere Monate dauern. Denn muss auch das Mittelspannungsnetz verstärkt werden, sehen sich Netzbetreiber mit immer langwierigeren und komplexeren Genehmigungsverfahren konfrontiert.
Stromnetzkosten sind leistungsbasiert
Für das Stromnetz ist die transportierte Energiemenge irrelevant. Massgebend ist die gleichzeitig mögliche Maximalbelastung – in jedem einzelnen Abschnitt des Netzes. Und genau hier trifft immer mehr volatile, erneuerbare Stromproduktion auf den zunehmenden Strombedarf von Wärmepumpen, Elektrofahrzeugen und anderen Geräten.
Schon heute entspricht die schweizweit installierte Leistung von Photovoltaik jener aller Schweizer Kernkraftwerke zusammen (3 GW).[2] Gemäss Zahlen des Bundes soll die Leistung aus Photovoltaik bis im Jahr 2050 um das Zwölffache(!) auf 37,5 GW ansteigen.[3]
Auf der Verbrauchsseite sieht es nicht anders aus. 350'000 Wärmepumpen sind heute in der Schweiz installiert.[4] 2050 erwarten Prognosen 1,5 Millionen.[3] Wenn an einem kalten Winterabend alle Wärmepumpen in Betrieb sind (5,6 GW1)) und zusätzlich nur 10% der erwarteten 3,6 Millionen Elektroautos gleichzeitig2) laden, entspricht das einer Zusatzlast von 9,6 GW. Diese Zusatzlast ist so hoch wie die gleichzeitige Höchstlast der gesamten Schweiz(!) im Jahr 2020.[5]
«Gleichzeitig» ist dabei das Schlüsselwort. Leider passt örtlich und zeitlich die lokale Stromproduktion praktisch nie zum lokalen Stromverbrauch. Zu fast jedem Zeitpunkt wird entweder überschüssiger Strom ins Stromnetz eingespeist oder benötigter Strom über das Stromnetz bezogen. Ohne verändertes Nutzerverhalten haben Elektromobilität, Wärmepumpen und Photovoltaik keinen gegenseitig dämpfenden Effekt auf Leistungsspitzen und Netzausbaubedarf.
Welche Auswirkungen hat das?
Natürliche Bezugs-Leistungsspitzen im Privathaushaltbereich (auf Netzebene 7) treten typischerweise morgens, mittags und abends auf; also immer dann, wenn die Bewohner kochen, duschen, waschen oder die Unterhaltungselektronik nutzen. Dort werden zukünftig Wärmepumpen und Ladestationen hinzukommen (mit Ausnahme der Schnellladestationen).
Der aus diesem Zubau resultierende Leistungsbedarf am Morgen (Laden vor der Fahrt) und am Abend (Laden nach der Fahrt) wird bereits in den nächsten zehn Jahren um bis zu 50% zunehmen. Bis 2050 wird sich diese Entwicklung nochmals markant akzentuieren.
Eine Photovoltaikanlage kann diese Bezugs-Leistungsspitzen aus Netzsicht nicht glätten. Die Sonne scheint selten am (Winter-)Abend, wenn man sein Elektroauto laden möchte. Auch ein zusätzlicher lokaler Batterie-Zwischenspeicher versagt, wenn im Winter die Sonne über mehrere Tage nicht ausreichend scheint. Deshalb muss das Stromnetz auf diese Fälle ausgelegt werden – auch wenn sie nur wenige Stunden dauern.
Experten der Universität Genf und der BKW haben berechnet, dass für die Energiewende allein im Niederspannungsnetz schweizweit bis zu 11 Milliarden Franken für den Ausbau anfallen werden.[6] Den Ausbaubedarf der Mittel- und Hochspannungsnetze schätzt die BKW schweizweit auf zusätzlich mehrere Milliarden Franken. Diese Prognose basiert auf der Annahme, dass zukünftig ein Ferneingriff zur temporären Leistungsreduktion der Erzeugung und des Verbrauchs erfolgt, um eine unmittelbare erhebliche Gefährdung des sicheren Netzbetriebs abzuwenden.
Optimierung und verbesserte Rahmenbedingungen sind nötig
Stromproduktion und -verbrauch verändern sich fundamental, wachsen immer dezentraler und volatiler. Umso wichtiger werden Lösungen, welche die Optimierung des elektrischen Gesamtsystems bestehend aus Erzeugung, Netzen und Verbrauch im Blick haben. Es sind alle Akteure gefordert: Produzenten (auch private), Netzbetreiber, Kunden, Interessensvertreter, Politik und Behörden.
Die effiziente Umsetzung der Energiewende braucht aus Netzbetreibersicht geeignetere Rahmenbedingungen und gestraffte Genehmigungsverfahren im Netzbereich. Peak Shaving von PV-Anlagen durch dauerhafte fixe Abregelung und Lastmanagement im Notfall durch die Netzbetreiber sind unabdingbare Massnahmen, damit der Netzausbau und seine Kosten nicht exorbitant ansteigen.
Leistungsbasierte Netznutzungstarife geben den Kunden die richtigen, weil kausal mit dem Verteilnetzausbau zusammenhängenden Anreize für ihre eigenen Optimierungen. Kunden sollten die gewünschte Leistung selbst bestimmen können und bereit sein, die Kosten dafür (selbst) zu tragen. Am einfachsten wäre eine leistungsabhängige «Flatrate», wie bei Internetanbietern. So eine Netztarifierung ist nicht nur fairer, sie setzt auch Anreize, um Kosten zu senken und das Stromnetz weniger auszubauen.
Die Verteilnetzbetreiber selbst nutzen die digitalen Möglichkeiten. Beispielsweise hat die BKW bereits heute Lösungen zur Simulation und Automatisierung der Netzplanung sowie zur Vorhersage des Zubaus dezentraler Produktions- und Verbrauchstellen entwickelt. Dazu nutzt sie die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz und verbindet internes Wissen über den Bau und Betrieb von Stromnetzen mit öffentlich verfügbaren Informationen und Datenbanken.
Effizient und kundenfreundlich ist, wer tagesaktuell weiss, wo wie viel Kapazität im Netz vorhanden ist. Denn allein für die Elektromobilität gibt es einiges zu tun: Nur schon bei der BKW müssen mehr als 2000 Kilometer Leitungen und 2400 Transformatoren verstärkt und umgebaut werden.
Aber auch Produzenten und Kunden können einen Beitrag zur Reduktion des Netzausbaus leisten, indem sie mit intelligenten Systemen ihren Bedarf «hinter dem Stromnetz» gezielt steuern. Mit richtiger Dimensionierung, Lademanagement- oder Smart-Home-Systemen kann der maximale Leistungsbezug aus dem Stromnetz ohne spürbare Komforteinbussen deutlich begrenzt werden.
Beispielsweise reicht in der Regel eine kleine Ladestation mit 3,7 kW für den privaten Gebrauch aus.[7] Die Netzanschlussgesuche der BKW für Ladestationen zeigen aber ein ganz anderes Kundenbedürfnis: Die grosse Mehrheit der Anschlussgesuche wird mit 11-kW-Ladestationen eingereicht, wobei vermehrt sogar Gesuche mit 22 kW eintreffen. Aber auch wer sich mehr als die «kleine» Ladestation wünscht, kann etwas tun. Die meisten Elektrofahrzeuge verfügen bereits ab Werk über ein Lademanagementsystem. Wer gezielt seine eigenen Schwachlastzeiten und intelligente Ladeprofile nutzt, kann die eigenen Anschlusskosten senken und seine Ladestation meist früher vollständig nutzen.
Mit gemeinsamen, ganzheitlichen Optimierungen können die Energiewende gemeistert und die vollständige Elektrifizierung des Individualverkehrs bis 2050 realisiert werden. Produzenten und Verbraucher benötigen auch in Zukunft die Netze als Bindeglied. Je dezentraler, volatiler und fragmentierter das elektrische Gesamtsystem wird, umso wichtiger ist es, dass alle zusammenstehen und sich «vernetzen».
Referenzen
[1] «Elektromobilität in der Schweiz, Zahlen – Fakten – Prognosen 2022», Swiss E-Mobility.
[2] «Statistik Sonnenenergie SSOE», Swissolar im Auftrag des Bundesamts für Energie, 2020.
[3] «Energieperspektiven 2050+», Bundesamt für Energie BFE.
[4] «Schweizerische Statistik der erneuerbaren Energien – Ausgabe 2020», Bundesamt für Energie BFE, 2021.
[5] «Schweizerische Elektrizitätsstatistik 2020», Bundesamt für Energie BFE, 2021.
[6] «Spatial analysis of distribution grid capacity and costs to enable massive deployment of PV, electric mobility and electric heating», Studie der Universität Genf mit BKW, 2021.
[7] «Szenarien der Elektromobilität in der Schweiz – Update 2021», EBP, 2021.
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