Der Klimawandel und das Energiesystem der Zukunft
Planungsgrundlagen für ein resilientes Energiesystem
Im Gespräch geben drei Doktorierende der ETH Zürich Einblicke in ihre Forschungsarbeiten, bei denen die Auswirkungen des Klimawandels auf Energiesysteme untersucht werden, um künftige Systeme resilienter zu gestalten. Besonders schwierig ist dabei die Prognose extremer Ereignisse.
Drei Doktorierende der ETH Zürich befassen sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit den Auswirkungen des Klimawandels auf das Energiesystem. Im Gespräch zeigen sie auf, wie wichtig dabei ein interdisziplinäres Vorgehen ist.
Francesco De Marco ist Energieingenieur. In seinem Master in Energietechnik konzentrierte er sich speziell auf Energiespeichertechnologien, hauptsächlich auf Batterien. Vor einem Jahr ist er nach Zürich gekommen, um am Reliability and Risk Engineering Lab der Abteilung für Maschinenbau der ETH zu promovieren. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Optimierung der Energiewende in Europa. Er sucht die optimale Mischung von Technologien, die bis 2050 installiert werden müssen, um Netto-Null zu erreichen, und die gleichzeitig gegenüber den zukünftigen Unsicherheiten des Klimas widerstandsfähig ist.
Die Doktorandin Luna Bloin-Wibe forscht in der Gruppe für Klimaphysik. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf extremen Klima- oder Wetterereignissen in Klimamodellen. Bisher hat sie mit einer numerischen Methode extreme Hitzewellen in Klimamodellen gesucht, um sie dann zu analysieren. In ihrer Arbeit ging es auch darum, ein Tool zu entwickeln, mit dem die Ergebnisse des Klimasystems in Energiemodelle eingegeben werden können. Das ist besonders relevant für erneuerbare Energien, also für Solar-, Wind- und Wasserkraft, die stark wetterabhängig sind.
Der Doktorand Yann Yasser Haddad kommt ursprünglich aus einem ganz anderen Gebiet, denn er hat sich in seinem Studium mit Kommunikationssystemen befasst und hat dann einen Master in Datenwissenschaft absolviert. Während seines Studiums gewannen umweltbezogene Themen an Bedeutung, was ihn dazu bewog, zur Klimawissenschaft zu wechseln. Nun arbeitet er in der Land Climate Dynamics Group im Rahmen des Speed2Zero-Projekts. Bisher hat er die Auswirkungen der Klimavariabilität auf die Laufwasserkraft untersucht, die 30 % der inländischen Produktion ausmacht. Nun beginnt er mit der Arbeit an Zukunftsprognosen.
Bulletin: Zum Einstieg eine allgemeine Frage: Würden Sie den Klimawandel als Herausforderung oder als Chance für die Energiewende betrachten?
Luna Bloin-Wibe: Eine Chance inwiefern?
Ein thematisch entferntes Beispiel wäre der Weinanbau, der nun in England möglich ist.
Luna Bloin-Wibe: Oder das Abschmelzen der arktischen Nordwest-Passage [vom Atlantik zum Pazifik, die nach einer Rekordschmelze erstmals völlig eisfrei und somit für Schiffe befahrbar ist]. Ich denke, es bietet beides.
Francesco De Marco: Wir sehen es eher als Herausforderung, aber es gibt auch einige positive Auswirkungen auf das Energiesystem. Schmelzende Gletscher stellen beispielsweise ein höheres Potenzial für die Wasserkraft dar – zumindest mittelfristig. Wenn in Süd- oder Mitteleuropa mehr Sonnentage erwartet werden, ist dies ein höheres Potenzial für die Solarenergieerzeugung. Aber bei höherer Temperatur sinkt die Effizienz der Solarmodule. Welcher Effekt schliesslich überwiegt, ist nicht klar. Studien besagen, dass sich dies ausgleichen wird. Bei konventionellen Kraftwerken könnte es zu Ausfällen kommen, wenn es weniger Wasser hat, mehr Dürren auftreten usw. Problematisch ist auch das Kühlwasser für Kernkraftwerke. Zudem wird das Wetter bei Energiesystemen stärker von Extremen dominiert werden, und Extreme sind kaum planbar. Ich denke also, dass die Probleme überwiegen dürften.
Luna Bloin-Wibe: Das ist eine grosse Herausforderung, denn selbst wenn wir vielleicht im Durchschnitt etwas mehr Sonne erwarten könnten, überwiegen die wachsenden Unsicherheiten.
Wie wirken sich diese Unsicherheiten aus? Durch Schäden an der Infrastruktur?
Luna Bloin-Wibe: Das kommt darauf an. Ich möchte eigentlich noch nicht zu konkret antworten, weil dies Teil dessen ist, was wir in der gemeinsamen Studie Speed2Zero herauszufinden versuchen. Unser Modell bildet die zerstörerischen Extreme nicht so gut ab. Es würde eine sehr hohe zeitliche und räumliche Auflösung erfordern. Aber es ist interessant zu sehen, welche Art von Extremen wir mit dem Klimawandel erwarten können und welche Muster es gibt.
Yann Yasser Haddad: Ich möchte auf die erste Frage zurückkommen. In meiner Studie haben wir zum Beispiel den historischen Klimawandel und die Klimavariabilität von 1990 bis 2022 betrachtet. Wir haben gesehen, dass die mit der Zeit gestiegene Produktion der Laufwasserkraft hauptsächlich auf die erhöhte Produktionskapazität zurückzuführen ist. Es wurden also immer mehr Kraftwerke gebaut und in das System integriert. Dann haben wir in unserer Analyse den Ausbauzustand des Systems auf 2022 gesetzt und alle Wetterjahre von 1990 bis 2022 durchlaufen, um zu sehen, was passiert. Und es zeigt sich tatsächlich, dass der Ertrag zurückgeht. Dies bedeutet, dass unsere Wasserkraft aufgrund des Klimawandels weniger effizient ist. Das könnte eventuell durch andere Kraftwerke ausgeglichen werden, aber es ist dennoch etwas, das man berücksichtigen sollte. Der Klimawandel könnte in den nächsten Jahren noch extremer werden und die Wasserkraft noch stärker reduzieren. Das möchte ich in meiner nächsten Studie untersuchen.
Wir müssen zudem berücksichtigen, dass alle Komponenten unterschiedlich betroffen sein werden. Das ist wahrscheinlich die grösste Herausforderung. Früher hatten wir wenige Komponenten im Energiesystem. Wir hatten ein zentralisiertes, leichter prognostizierbares System. Aber jetzt wird es ein dezentralisiertes System sein, bei dem es sehr schwierig sein wird, die Auswirkungen auf die einzelnen Komponenten zu berücksichtigen.
Ist es klar, dass der Rückgang der Produktion mit dem Klimawandel zusammenhängt? Oder gibt es dafür eventuell andere Gründe?
Yann Yasser Haddad: Da unser Modell einfach ist und nicht die ganze Komplexität des Wasserkraftsystems in der Schweiz berücksichtigt, haben wir die Stromproduktion als einfache Funktion der Wasserkrafteigenschaften dargestellt, wie z. B. die hydraulische Fallhöhe, also die eher technischen Spezifikationen der Wasserkraft und den hydroklimatischen Faktor, der einfach die Wassermenge ist, die durch das Kraftwerk fliesst. Wenn wir also den Teil der Wasserkraftspezifikationen über die Zeit konstant halten, bleibt als verbleibende Komponente die Variable, die vom Klima beeinflusst wird, nämlich die Wassermenge, die durch die Turbine fliesst. Und so haben wir die Analyse durchgeführt. Selbst mit diesem vereinfachten Modell ist es uns gelungen, die Wasserkraftproduktion im Laufe der Zeit gut zu reproduzieren. Wir sind also ziemlich sicher, dass unsere Ergebnisse gut darstellen, was effektiv geschieht.
Luna Bloin-Wibe: Darf ich etwas zu den Extremen sagen? Meiner Meinung nach gibt es bestimmte Auswirkungen des Klimawandels wie häufigere Hitzewellen, die sehr gut belegt sind, beispielsweise im IPCC, aber es ist wichtig, nicht zu voreilig zu schlussfolgern und zu sagen, dass es überall mehr Dürre und mehr extreme Regenfälle geben wird. Die Extreme, die für das Energiesystem relevant sind, wie Dunkelflauten oder so, sind, soweit ich weiss, nicht wirklich gut erforscht. Unser Wissen ist also begrenzt und es gibt gewisse Phänomene, die wir weiter untersuchen wollen.
Francesco De Marco: Die Herausforderung für die Energiewende hat zwei zentrale Aspekte. Der eine ist das Klima, das variabler, extremer und häufiger extrem ist. Auf der anderen Seite verändert sich auch das Energiesystem. Wir bewegen uns auf ein System zu, das immer stärker von den Wetterbedingungen abhängig ist. Das ist eine klassische Lose-Lose-Situation. Einerseits haben wir ein schlechteres und unbeständigeres Klima, andererseits sind wir stärker auf Technologien angewiesen, die anfällig für Klimaschwankungen sind.
Jetzt sprechen wir über die Produktionsseite. Wenn man sich die Verbraucherseite ansieht, ändern sich die Dinge wieder, nicht wahr? Wenn es einen heisseren Sommer gibt, steigt der Bedarf an Klimaanlagen, aber dafür muss man dann im Winter nicht so viel heizen.
Luna Bloin-Wibe: Das ist ein guter Punkt. Dies ist eines der Hauptergebnisse des Papiers, das wir derzeit vorbereiten. Wenn man sich Europa und das Potenzial der verschiedenen Technologien für erneuerbare Energien in der Zukunft ansieht, wie zum Beispiel Ende des Jahrhunderts im Vergleich zu einem historischen Zeitraum, gibt es Schwankungen und regionale Unterschiede, aber die Unsicherheiten sind recht gross und die Unterschiede liegen oft in der Grössenordnung von weniger als 5 %. Was wir aber deutlich sehen, ist, dass der Heizbedarf im Winter sinkt und der Kühlbedarf im Sommer steigt. Und der höhere Kühlbedarf ist im relativen Sinne extremer, weil es so wenig Infrastruktur für Kühlung gibt. Sie ist einfach nicht so weit ausgebaut.
Zurück zur Produktion: Die Extreme beeinflussen sie direkt und indirekt. Wenn sie die Infrastruktur beschädigen, reduzieren sie die Produktion viel stärker, oder? Beispielsweise wenn Solarmodule beschädigt werden und man lange auf neue warten muss.
Luna Bloin-Wibe: Ich denke, es sind einfach zwei verschiedene Probleme. Das eine ist eine Fehlfunktion des Systems. Das andere wäre ein Extrem, das die Produktion über längere Zeiträume behindert. Und es ist vielleicht das grössere Problem. Wenn man sich zum Beispiel ein Szenario vorstellt, in dem es in Deutschland sehr wenig Wind gibt und es gleichzeitig in Spanien lange Zeit sehr bewölkt ist, und Ähnliches.
Yann Yasser Haddad: Wir haben in den letzten Wochen auch begonnen, diese Probleme mit der Infrastruktur zu sehen. Wegen der jüngsten Überschwemmungen, die auch Solarparks beschädigt haben. Ob in Spanien, Frankreich oder Italien. Ich habe Bilder von Solarparks gesehen, die durch diese Überschwemmungen beschädigt wurden. Das Problem ist, dass Überschwemmungen mit einem wärmeren Klima häufiger und extremer auftreten werden. Das ist also ein gefährliches Phänomen, auf das wir nicht vorbereitet sind. Wir haben keine Lösung, um unsere Infrastruktur davor zu schützen. Einige Orte haben bereits reagiert. Nach der grossen Flut in Deutschland wurden beispielsweise Massnahmen ergriffen, aber es ist immer reaktiv. Wir tun es immer erst im Nachhinein, anstatt im Voraus. Ein weiteres Problem ist der Hagel. Hagelstürme könnten auch häufiger auftreten – und Solarmodule stark beschädigen. Wie im Tessin im August 2023, als es einen gewaltigen Hagelsturm gab, der viele Dachpaneele beschädigte.
Francesco De Marco: Das Problem mit Hagelstürmen ist auch, dass sie sich aus modellierungstechnischer Sicht äusserst schwer vorhersagen lassen. Es ist fast unmöglich, sie zu modellieren.
Yann Yasser Haddad: Ja, die Unsicherheit ist viel zu hoch. Und deshalb sollten sie in der Planungsphase der Energiewende als ein potenzielles Problem berücksichtigt werden, das in Zukunft immer häufiger auftreten wird.
Die Frage wäre also, ob man Hagelschlag-sichere PV-Paneele oder etwas Ähnliches bauen müsste?
Francesco De Marco: Es gibt verschiedene Ansätze. Man kann das Gerät selbst an härtere Bedingungen anpassen, was in diesem Fall meiner Meinung nach sinnvoll ist. Aber wenn wir uns zum Beispiel Übertragungsleitungen ansehen, so liegt in meinem Labor ein grosser Schwerpunkt auf der Zuverlässigkeit des Stromübertragungsnetzes. Also die kaskadierenden Ausfälle und die Minus-eins-Sicherheit und so weiter. Man kann zwar die Masten verstärken, aber man sollte auch aus der Systemperspektive etwas bauen, das immer funktioniert, auch wenn etwas kaputt ist. Übertragungsleitungen werden durch lokale Wetterextreme ziemlich stark in Mitleidenschaft gezogen. Und im Moment ist es schwierig, eine gross angelegte Planung für Europa zu erstellen, die diese Dinge berücksichtigt, weil die Klimamodelle eine Auflösung von etwa 100 Kilometern haben, während diese Überschwemmungen und andere Phänomene in einem sehr begrenzten Gebiet auftreten. Man weiss also nicht wirklich, was vor sich geht. Aber in unserer Forschung wollen wir versuchen, all diese Arten von Extremen zu verstehen – die grossen, aber auch die lokalen Auswirkungen auf die einzelne Leitung.
Luna Bloin-Wibe: Die Klimamodelle, mit denen weltweit gearbeitet wird, haben oft diese Art von Auflösung. Aber es gibt auch regionale Klimamodelle mit einer höheren Auflösung. Und es gibt auch eine Art fortlaufende Arbeit am Downscaling, sowohl räumlich als auch zeitlich, und Bemühungen, dies mit KI auf eine bessere, vorhersehbarere Weise zu tun. Wir brauchen mehrere Klimamodelle, die unterschiedlich aufgebaut sind. So können wir zielgerichteter arbeiten. Jedes Modell hat seine Stärken und seine Grenzen.
Yann Yasser Haddad: In den nächsten Jahren werden wir wahrscheinlich einen grossen Anstieg der Zahl der Initiativen erleben, die versuchen, aus klimatischer Sicht mehr hochauflösende Klimainformationen zu erhalten. Und das ist etwas, worauf Entscheidungsträger und Planer von Energiesystemen Zugriff haben sollten. Sie sollten diese detaillierteren Informationen für ihre regionale Planung nutzen. Das ist auch eines der Ziele von Speed2Zero, einem Schweizer Projekt, das die Öffentlichkeit über den Wandel in der Schweiz mit drei Schwerpunkten informieren will, nämlich Klima, Energie und Biodiversität. Also unter Berücksichtigung aller Schnittstellen zwischen dem, was die Biodiversität mit Energie usw. zu tun hat.
Luna Bloin-Wibe: Der Schutz der Biodiversität ist eine weitere Einschränkung und Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Ich habe das Gefühl, dass diese drei Aspekte in der heutigen Debatte oft gegeneinander ausgespielt werden. Die Befürworter der Biodiversität stehen den Menschen, die erneuerbare Energien befürworten, gegenüber. Ich kann verstehen, warum es so gekommen ist, wegen der Eingriffe in natürliche Lebensräume. Aber gerade deshalb ist die gemeinsame Initiative Speed2Zero so gut. Denn sie versucht, die verschiedenen Aspekte zu berücksichtigen.
Francesco De Marco: Ja, und auch die gesellschaftliche Akzeptanz bestimmter Aspekte. Ein Teil dieser Initiative besteht darin, zu verstehen, wie die gesellschaftliche Akzeptanz beispielsweise für Photovoltaik in den Alpen aussieht. Wenn man also ein System bauen will, ist es komplex, alle Aspekte zu berücksichtigen. Vor allem, wenn es resilient sein soll.
Und bei diesem resilienten System kommt es wahrscheinlich auf jedes Land und auf die spezifischen Prioritäten an.
Luna Bloin-Wibe: Das ist bei allen Arten von Ressourcen und Infrastrukturen dasselbe. Für ein gebirgiges Land wie die Schweiz oder Norwegen wird man eine andere Lösung finden als für die flachen Ebenen bestimmter Teile Deutschlands.
Yann Yasser Haddad: Eines ist klar: Die Schweiz ist keine Insel. Alle Länder in Europa sind in irgendeiner Weise im Energiesystem miteinander verbunden. Dinge, die sich irgendwo auswirken, können sich auch auf die Schweiz auswirken und umgekehrt. Das ist also etwas, das auch wie die Widerstandsfähigkeit auf Länderebene und auf einer eher regionalen, systematischen Ebene berücksichtigt werden sollte. Deshalb ist es wichtig, solche Studien durchzuführen, wie sie Francesco und Luna durchführen, bei denen es tatsächlich auch auf europäischer Ebene darum geht, wie man den optimalen Mix erhält, denn wir brauchen beide Perspektiven, die nationale und die regionale.
Es gibt auch noch eine andere Seite. Die Unternehmen, die beispielsweise Wasserkraftwerke betreiben, haben auch ein Interesse daran, dass ihre Kraftwerke widerstandsfähig sind. Sie betreiben auch ihre eigene «Forschung», um Problemen wie Erdrutschschäden zu begegnen. Eigentlich lösen sie dieses grosse Problem auf lokaler Ebene.
Yann Yasser Haddad: Das ist etwas sehr Wichtiges. Das ist auch das, was Speed2Zero versucht zu tun, aber ich denke, wir brauchen überall mehr Anstrengungen, wo wir tatsächlich versuchen, die Kluft zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik zu überbrücken. Wir müssen dafür sorgen, dass all diese Menschen zusammenarbeiten, damit die Energiewende auf eine belastbare Weise gelingt. Es gibt überall Fachwissen, aber gibt es auch einen Rahmen, in dem alle bereit sind, miteinander darüber zu sprechen? Das ist eher die Frage.
Luna Bloin-Wibe: Bei Speed2Zero haben wir gesehen, dass es nicht nur an der Bereitschaft, miteinander zu sprechen, liegt, sondern dass es wirklich schwierig ist, mehr als 100 Menschen zu koordinieren, die zusammenkommen und miteinander sprechen, und dass jeder an die relevante Information kommt.
Yann Yasser Haddad: Deshalb habe ich über den Rahmen gesprochen, in dem alle bereit sind, miteinander zu reden, denn das ist eines der Hauptprobleme. Menschen mit unterschiedlichen Fachkenntnissen zusammenzubringen, ist anspruchsvoll. Und das ist auch etwas, das berücksichtigt werden muss, nämlich wie man all dieses Wissen effizient zusammenbringt und zu etwas Sinnvollem kombiniert, zu etwas, das man in die Tat umsetzen kann. Wenn man solche Schwierigkeiten schon in einem Projekt hat, wie sieht es auf nationaler oder auf europäischer Ebene aus?
Eines der Probleme ist doch, Politikern Forschungsresultate mitzuteilen, sie also von einer für sie eventuell neuen Realität zu überzeugen.
Luna Bloin-Wibe: Eigentlich wollen wir nicht politisch werden, aber gerade als Klimaforscher ist es sehr schwer, nicht bis zu einem gewissen Grad zumindest von anderen als politisch angesehen zu werden. Denn die Ergebnisse haben irgendwie einen politischen Einfluss.
Francesco De Marco: Die Zielgruppe unserer Studien sind politische Entscheidungsträger. Während ihres Entscheidungsprozesses berücksichtigen sie diverse Faktoren, und wissenschaftliche Erkenntnisse sind einer davon. Daher ist es unsere Aufgabe, unsere Forschungsergebnisse wirksam zu kommunizieren, um ihre Entscheidungen zu unterstützen und sie zu informieren. Zudem ist es wichtig, dass wir in der Lage sind, wissenschaftliche Erkenntnisse auch der breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Wenn die Gesellschaft gegen den Import von Energie aus Nachbarländern ist, wie in der Schweiz, obwohl es mehrere Studien gibt, die besagen, dass man mit Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich verbunden sein sollte, hat mit der Kommunikation etwas nicht geklappt.
Luna Bloin-Wibe: Es ist auch wichtig, sich seiner eigenen Grenzen bewusst zu sein. Wir haben zwar viel Fachwissen zu diesen spezifischen Themen, aber wir sind nicht in der Position von Entscheidungsträgern, die nicht nur das im Hinterkopf haben, sondern auch noch hundert andere Aspekte. Es geht dabei nicht nur um guten oder bösen Willen, sondern auch darum, dass sie diese verschiedenen Dinge berücksichtigen müssen. Es ist wichtig, dass wir auch unsere Grenzen und unsere Rollen kennen.
Darf ich noch einmal auf die Frage des Energieverbrauchs zurückkommen? Wenn man sich die Zahlen ansieht, nehmen die erneuerbaren Energien jedes Jahr zu. Wir haben immer mehr erneuerbare Energien. Gleichzeitig nimmt auch der Verbrauch fossiler Brennstoffe zu. Wenn wir das Problem nicht mit den erneuerbaren Energien lösen können, liegt das Problem eventuell woanders?
Francesco De Marco: In Europa senken wir den Verbrauch fossiler Brennstoffe und die Entwicklung ist positiv. Wir haben hier Einfluss, denke ich. Hinter dem, was in Asien und Amerika passiert, stecken wahrscheinlich andere Motivationen. Sie erleben ein Wirtschaftswachstum und brauchen Energie, um die Industrie aufzubauen. Ihre Bevölkerung wächst und sie brauchen mehr Landwirtschaft, mehr Lebensmittel – all dies braucht Energie. Da fossile Brennstoffe immer noch billig sind, wird sowohl in fossile als auch in erneuerbare Energien investiert. Ihr Fokus liegt nicht auf der Dekarbonisierung des Systems, sondern auf dem Wirtschaftswachstum. Sie befinden sich in einer anderen Phase ihrer Entwicklung.
Yann Yasser Haddad: Dem stimme ich zu. Ich möchte auf etwas hinweisen, das hier ebenfalls wichtig ist: die Energieeffizienz. Der Anteil an erneuerbaren Energien steigt zwar, aber der Stromverbrauch ebenfalls. Dies ist ein Problem, das parallel zur Nutzung erneuerbarer Energien angegangen werden muss. Wir müssen das System effizienter machen, unseren Verbrauch reduzieren und noch mehr erneuerbare Energien einsetzen, damit sie tatsächlich die fossilen Brennstoffe ersetzen.
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