Coanda-Rechen für Fisch und Strom
Umweltverträglichkeit
Besonders an Gebirgsbächen sind Wasserfassungen wegen der Geschiebemengen eine Herausforderung. Damit die mitgeführten Feststoffe die Turbinenbauteile nicht beschädigen, wird ein Entsander vorgeschaltet. Solche Installationen können für Fische unüberwindlich sein. Es gibt aber eine Alternative: den Coanda-Rechen.
Da Tirolerwehre die Fischwanderung behindern können, werden sie in Fischgewässern kritisch betrachtet. Überwiegend an Gebirgsbächen wird alternativ zum Tirolerwehr seit vielen Jahren der Coanda-Rechen eingesetzt. Aufgrund der geringen Spaltabstände im (Sub-)Millimeterbereich wirkt er wie ein Filter für das Triebwasser und gilt ausserdem als fischfreundliche Variante zum Tirolerwehr. Wissenschaftliche Untersuchungen zu beiden Annahmen existierten aber bislang nicht.
Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Fachhochschule Graubünden (FHGR) in Zusammenarbeit mit der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich wurde in der Versuchshalle der VAW eine Versuchsvorrichtung im Massstab 1:1 erstellt, um das Schluckvermögen, das hydraulische Verhalten sowie die Geschiebeabweisung von Coanda-Rechen zu testen. Anschliessend wurden ethohydraulische Versuche (Ethohydraulik ist eine Kombination aus Ethologie mit Hydraulik, d. h. eine Erforschung des Tierverhaltens im Hydraulik-Kontext) mit Bachforellen aus Wildfang durchgeführt, um die Eignung des Coanda-Rechens als Abstiegshilfe zu untersuchen.
Methodik
Hierzu wurde eine Versuchsanlage im Massstab 1:1 mit gerader Anströmung aufgebaut (Einstiegsbild). Aufgrund von Herstellerangaben wurde die maximale spezifische Fassungskapazität von Coanda-Rechen mit weniger als 300 l/s pro Laufmeter abgeschätzt. Mit den versuchstechnisch maximal möglichen Durchflüssen von 300 l/s ergab sich für die Rechenbreite von 1,115 m eine spezifische Fassungskapazität von 269 l/s pro Laufmeter.
Bei einigen Klarwasserversuchen sowie bei allen ethohydraulischen Untersuchungen wurde die Rechenbreite mit eingesetzten Plexiglaswänden auf 0,5 m verschmälert (Einstiegsbild). Dadurch konnte eine maximale spezifische Durchflussrate von 600 l/s pro Laufmeter erreicht werden.
Im Forschungsprojekt wurden insgesamt elf Rechen mit Spaltweiten zwischen 0,4 und 3,0 mm verwendet. Zehn Rechen stammten von der Firma Wild Metal GmbH in Ratschings (I), ein Rechen von der Firma Quellfrosch in St. Gallen.
Klarwasserversuche
An allen elf Rechen wurde in einem ersten Schritt die Schluckfähigkeit ohne Geschiebe überprüft und dokumentiert. Dabei wurden die Pegelstände und Fliessgeschwindigkeiten mit und ohne Einlaufschwelle am Wehr ermittelt.
Gemäss unzuverlässigen Literaturangaben liegt das maximale Schluckvermögen des Coanda-Rechens bei 140 l/s pro Laufmeter. Dies ist in der Praxis oft der Grund, weshalb das Tirolerwehr dem Coanda-Rechen vorgezogen wird. Mit den durchgeführten Versuchen konnten diese Angaben nicht bestätigt werden.
Die untersuchten Standardrechen von Wild Metal mit 0,6 mm bzw. 1,0 mm Spaltweite weisen eine Fassungskapazität von über 500 l/s pro Laufmeter auf. Auch der Rechen der Firma Quellfrosch mit einer Spaltweite von 1,05 mm weist bereits bei nicht optimalem Einbauwinkel eine Fassungskapazität von über 300 l/s pro Laufmeter auf.
Auf Basis der Forschungsergebnisse liegt das Schluckvermögen oft etwa beim drei- bis vierfachen Wert des angegebenen Literaturwertes. Demnach kann ein wesentlich grösserer Teil des Zuflusses gefasst werden. Dieser Teil des Zuflusses kann allfällig in die ökologisch vorgesehene Dotierwassermenge integriert und dadurch die Rechenbreite reduziert werden.
Simulation von Verstopfung
Ebenso wurden Klarwasserversuche durchgeführt, bei welchen am oberen und unteren Ende bzw. an den seitlichen Rändern des Rechens Abklebungen vorgenommen wurden. So konnte eine Verstopfung simuliert werden.
Diese Versuche erfolgten beim Standardrechen SB18 der Firma Wild Metal GmbH mit 1,0 mm Spaltweite. Die Abklebung der Rechenoberflächen erfolgte ausgehend von der Wehrkrone. Bei Abklebungen bis zu 25% konnte bei einem spezifischen Anlagendurchfluss von 269 l/s pro Laufmeter keine reduzierte Schluckfähigkeit festgestellt werden. Bei einer Abklebung von 37,5% der oberen Rechenoberfläche verliert der Rechen ca. 3% seiner Schluckfähigkeit, bei 50% ergibt sich eine Reduktion von 10%. Offensichtlich führt die Beschleunigung zur Erhöhung der spezifischen Fassungskapazität des Rechens bezogen auf die Rechenfläche.
Die Ergebnisse zur simulierten Verstopfung des Rechens sind aber mit Vorsicht zu geniessen. In der Realität beeinflusst auch die Form der Partikel das Strömungsverhalten. Eine knapp dimensionierte Anlage hat zwar tiefere Errichtungskosten zur Folge, bei Lastfällen mit einem erhöhten Abfluss (z. B. Schneeschmelze oder Starkregenereignisse) fällt allerdings auch deutlich mehr Überwasser an. Entsprechend ist eine gesamtheitliche und individuelle Betrachtung nötig.
Geschiebeversuche
Es wurden insgesamt drei standardisierte Geschiebemischungen eingesetzt, welche bereits im Vorprojekt [1] erfolgreich zur Anwendung gekommen waren. Die Kornverteilung ist typisch für Schweizer Wildbäche.
Die beiden gebräuchlichsten Rechen von Wild Metal (Typ Sb18 0,6 und Sb18 1,0) mit 0,6 bzw. 1,0 mm Spaltweite wurden dabei der kompletten Serie unterzogen. Sie wurden bei sechs verschiedenen Durchflüssen (50 l/s – 300 l/s) mit allen drei Geschiebemischungen getestet. Die anderen Rechen wurden einem gekürzten Untersuchungsprogramm unterzogen.
Die Geschiebezugabe erfolgte direkt in die Zulaufstrecke. Das Geschiebe, welches den Rechen passierte, wurde im Geschiebefangsack gesammelt. Dieses Material wurde für die weitere Untersuchung getrocknet und anschliessend einer Siebanalyse unterzogen.
Bei geringen Zuflüssen bis zu 260 l/s pro Laufmeter wird der Abweisungsgrad von der Konzentration des Geschiebes geringfügig beeinflusst. Die allgemein verbreitete Aussage, dass 90% der Partikel mit Durchmessern entsprechend der halben Spaltweite abgewiesen werden, konnte nicht bestätigt werden. Für die am häufigsten verwendeten Rechen der Firma Wild Metal GmbH betrug der Abweisungsgrad von Partikeln mit Durchmessern der halben Spaltweite und kantigem Korn 37–39%.
Bei Hochwasser muss man unterscheiden, ob der Abweisungsgrad bei höheren Durchflüssen oder die Abweisung von höheren Geschiebekonzentrationen betrachtet wird. Höhere Durchflüsse verbessern den Abweisungsgrad grundsätzlich, höhere Geschiebekonzentrationen hingegen verschlechtern ihn. Dieser Umstand tritt allerdings erst bei höheren Durchflüssen auf. Bei geringen Durchflüssen ist der Abweisungsgrad kaum von der Geschiebekonzentration abhängig.
In Bild 1 sind die Abweisungscharakteristika von Kant- und Rundkorn für die unterschiedlichen Standardrechen der Firma Wild Metal GmbH bei moderaten spezifischen Durchflüssen von 89 l/s pro Laufmeter dargestellt. Die Unterschiede zwischen den Gesteinskörnungen in der Abweisungscharakteristik sind nicht ausgeprägt.
Die Versuche des Standardrechens mit 0,6 mm Spaltweite wurden mit Untersuchungen eines baugleichen, verschlissenen Rechens ergänzt. Die Abweisungscharakteristika der beiden Rechen zeigen keine nennenswerten Unterschiede. Die Abweisungscharakteristik scheint sich also im laufenden Betrieb mit zunehmendem Verschleiss eines Coanda-Rechens nicht zu verschlechtern.
Sandfang, ja oder nein?
Feststoffe, die ins Triebwassersystem gelangen, können dort Abrasionsschäden an hydraulischen Anlagenteilen verursachen. Soll bei Mittel- und Hochdruck-Kraftwerken auf die Anordnung eines Sandfangs verzichtet werden, empfiehlt es sich aufgrund unserer Untersuchungen, eine maximale Spaltweite von 0,4 mm zu wählen. Diese neigen jedoch stärker zu Verstopfungen als die Rechen mit 0,6 mm Spaltweite und haben sich daher in den Versuchen als nicht ideal erwiesen. Das Grenzkorn für Sandfänge in der Schweiz beträgt bei Mittel- und Hochdruck-Kraftwerken (Fallhöhe > 50 m) je nach Fallhöhe rund 0,2 – 0,3 mm. Bei abrasivem Geschiebe und grosser Fallhöhe ist auch für eine Spaltweite von 0,4 mm ein Sandfang oder ein spülbares Absetzbecken nach dem Coanda-Rechen empfehlenswert.
Ethohydraulische Versuche
Da Coanda-Rechen hauptsächlich an alpinen Gewässern mit der Bachforelle als Leitfischart zur Anwendung kommen, wurden die Versuche zum Fischabstieg mit wildlebenden Bachforellen aus dem Schanielabach (GR) durchgeführt. Alle Fische wurden biometrisch vermasst und mittels Pit-Tag-Markierung individuell erkennbar gemacht.
Zusätzlich zu den Fischen, welche den Coanda-Rechen passierten, wurden Kontrollfische eingesetzt. Sie durchlebten dieselbe Prozedur, stiegen aber nicht über den Coanda-Rechen ab, sondern wurden direkt in den Kolk gegeben. Vor und nach dem Versuch erfolgte die digitale Bildauswertung, sodass der prozentuale Schuppenverlust zur gesamten Oberfläche des Fisches errechnet werden konnte.
Fischgängigkeit
Die ethohydraulischen Versuche bei den getesteten Rechen mit 0,6 mm und 1,0 mm Spaltweite lassen den Schluss zu, dass keine relevanten Verletzungen beim Fischabstieg zu erwarten sind. Die Bachforellen erlitten Schuppenverluste im Bereich von maximal 1% ihrer Körperoberfläche, in den meisten Fällen jedoch sogar weit unterhalb dieses Wertes (Bild 2). Diese Ergebnisse treffen sowohl für einen geringeren spezifischen Durchfluss von 100 l/s pro Laufmeter, als auch für einen hohen spezifischen Durchfluss von 300 l/s pro Laufmeter zu. Die meisten Fische wiesen keine Schuppenverluste auf. Es ist kein signifikanter Unterschied zwischen den über den Rechen abgestiegenen Fischen und den Fischen der Kontrollgruppe auszumachen. Da die Verletzungen in erster Linie von der Stabform und dem Anstellwinkel abhängen, ist davon auszugehen, dass auch ähnlich konstruierte Coanda-Rechen anderer Hersteller eine gleichwertige Fischverträglichkeit aufweisen.
Nicht untersucht wurde allerdings der Fischabstieg beim Coanda-Rechen, wenn über dem Rechen ein Schutzrechen angebracht ist. Je nach Bauart können diese eine zusätzliche Verletzungsgefahr darstellen.
Interpretation und Ausblick
Es konnte nachgewiesen werden, dass die Fassungskapazität der Coanda-Rechen wesentlich höher ist als bisher angenommen.
Zudem konnte festgestellt werden, dass der Abweisungsgrad nicht so gross ist, wie bis anhin suggeriert wurde. Allerdings konnte mit dem Abkleben der Rechenfläche vom oberen Rand beginnend beobachtet werden, dass der Abweisungsgrad mit höherer Fliessgeschwindigkeit erhöht wird. Somit liegt in der Verlängerung der Beschleunigungsplatte Optimierungspotenzial bezüglich dem Abweisungsgrad.
Die Fischverträglichkeit, die dem Coanda-Rechen nachgesagt wird, konnte mit dem Projekt bestätigt werden [2]. Kein Fisch ist gestorben, Schuppenverluste waren vernachlässigbar. Es bleibt zu hoffen, dass diese neuen Erkenntnisse auch bald ihren Weg in die Praxis finden.
Referenzen
[1] Imad Lifa et al., «Optimierung der Coanda-Rechen für Schweizer Gewässer (Phase 1)», Bericht Nr. SI/501288-01, 2016.
[2] Imad Lifa et al., «Optimierung von Coanda-Rechen für Wasserfassung an alpinen Gewässern (Phase 2)», Bericht Nr. SI/501288-01, 2021.
Die Autoren danken dem Bundesamt für Energie für die Finanzierung dieses Projekts (Projektnr. SI/501288-01) und den am Projekt beteiligten Forscherinnen und Forschern: Max Witek (FHGR), Barbara Krummenacher (FHGR), Armin Peter (FishConsulting GmbH), Claudia Beck (IUB Engineering AG), Robert Boes (ETH Zürich).
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