Fachartikel Erneuerbare Energien , Konventionelle Kraftwerke

Coanda-Rechen für Fisch und Strom

Umweltverträglichkeit

30.01.2023

Besonders an Gebirgsbächen sind Wasser­fas­sungen wegen der Geschiebe­mengen eine Heraus­forde­rung. Damit die mit­ge­führ­ten Fest­stoffe die Turbi­nen­bauteile nicht beschä­digen, wird ein Ent­sander vor­geschaltet. Solche Instal­la­tionen können für Fische unüber­wind­lich sein. Es gibt aber eine Alternative: den Coanda-Rechen.

Da Tirolerwehre die Fischwanderung behindern können, werden sie in Fischgewässern kritisch betrachtet. Überwiegend an Gebirgsbächen wird alternativ zum Tirolerwehr seit vielen Jahren der Coanda-Rechen eingesetzt. Aufgrund der geringen Spaltabstände im (Sub-)Millimeterbereich wirkt er wie ein Filter für das Triebwasser und gilt ausserdem als fischfreundliche Variante zum Tirolerwehr. Wissenschaftliche Untersuchungen zu beiden Annahmen existierten aber bislang nicht.

Im Rahmen eines Forschungs­projekts der Fach­hoch­schule Grau­bünden (FHGR) in Zusam­men­arbeit mit der Versuchs­anstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich wurde in der Versuchs­halle der VAW eine Versuchs­vor­richtung im Massstab 1:1 erstellt, um das Schluck­vermögen, das hydraulische Verhalten sowie die Geschiebe­abweisung von Coanda-Rechen zu testen. Anschlies­send wurden etho­hydraulische Versuche (Ethohydraulik ist eine Kombination aus Ethologie mit Hydraulik, d. h. eine Erforschung des Tierverhaltens im Hydraulik-Kontext) mit Bachforellen aus Wildfang durchgeführt, um die Eignung des Coanda-Rechens als Abstiegshilfe zu untersuchen.

Methodik

Hierzu wurde eine Versuchsanlage im Massstab 1:1 mit gerader Anströmung aufgebaut (Einstiegsbild). Aufgrund von Hersteller­angaben wurde die maximale spezifische Fassungs­kapazität von Coanda-Rechen mit weniger als 300 l/s pro Laufmeter abgeschätzt. Mit den versuchs­technisch maximal möglichen Durchflüssen von 300 l/s ergab sich für die Rechenbreite von 1,115 m eine spezifische Fassungs­kapazität von 269 l/s pro Laufmeter.

Bei einigen Klar­wasser­versuchen sowie bei allen ethohydraulischen Untersuchungen wurde die Rechenbreite mit eingesetzten Plexiglaswänden auf 0,5 m verschmälert (Einstiegs­bild). Dadurch konnte eine maximale spezifische Durchflussrate von 600 l/s pro Laufmeter erreicht werden.

Im Forschungsprojekt wurden insgesamt elf Rechen mit Spaltweiten zwischen 0,4 und 3,0 mm verwendet. Zehn Rechen stammten von der Firma Wild Metal GmbH in Ratschings (I), ein Rechen von der Firma Quellfrosch in St. Gallen.

Klar­wasser­versuche

An allen elf Rechen wurde in einem ersten Schritt die Schluck­fähigkeit ohne Geschiebe überprüft und dokumentiert. Dabei wurden die Pegelstände und Fliess­geschwindig­keiten mit und ohne Einlaufschwelle am Wehr ermittelt.

Gemäss unzuver­lässigen Literatur­angaben liegt das maximale Schluck­vermögen des Coanda-Rechens bei 140 l/s pro Laufmeter. Dies ist in der Praxis oft der Grund, weshalb das Tirolerwehr dem Coanda-Rechen vorgezogen wird. Mit den durchgeführten Versuchen konnten diese Angaben nicht bestätigt werden.

Die untersuchten Standard­rechen von Wild Metal mit 0,6 mm bzw. 1,0 mm Spaltweite weisen eine Fassungs­kapazität von über 500 l/s pro Laufmeter auf. Auch der Rechen der Firma Quellfrosch mit einer Spaltweite von 1,05 mm weist bereits bei nicht optimalem Einbauwinkel eine Fassungs­kapazität von über 300 l/s pro Laufmeter auf.

Auf Basis der Forschungs­ergeb­nisse liegt das Schluck­vermögen oft etwa beim drei- bis vierfachen Wert des angegebenen Literaturwertes. Demnach kann ein wesentlich grösserer Teil des Zuflusses gefasst werden. Dieser Teil des Zuflusses kann allfällig in die ökologisch vorgesehene Dotier­wasser­menge integriert und dadurch die Rechenbreite reduziert werden.

Simulation von Verstopfung

Ebenso wurden Klarwasser­versuche durchgeführt, bei welchen am oberen und unteren Ende bzw. an den seitlichen Rändern des Rechens Abklebungen vorge­nommen wurden. So konnte eine Verstopfung simuliert werden.

Diese Versuche erfolgten beim Standard­rechen SB18 der Firma Wild Metal GmbH mit 1,0 mm Spaltweite. Die Abklebung der Rechen­oberflächen erfolgte ausgehend von der Wehrkrone. Bei Abklebungen bis zu 25% konnte bei einem spezifischen Anlagen­durchfluss von 269 l/s pro Laufmeter keine reduzierte Schluckfähigkeit festgestellt werden. Bei einer Abklebung von 37,5% der oberen Rechen­oberfläche verliert der Rechen ca. 3% seiner Schluck­fähigkeit, bei 50% ergibt sich eine Reduktion von 10%. Offensichtlich führt die Beschleu­nigung zur Erhöhung der spezifischen Fassungs­kapazität des Rechens bezogen auf die Rechenfläche.

Die Ergebnisse zur simulierten Verstopfung des Rechens sind aber mit Vorsicht zu geniessen. In der Realität beeinflusst auch die Form der Partikel das Strömungs­verhalten. Eine knapp dimen­sionierte Anlage hat zwar tiefere Errichtungs­­kosten zur Folge, bei Lastfällen mit einem erhöhten Abfluss (z. B. Schnee­schmelze oder Stark­regen­ereignisse) fällt allerdings auch deutlich mehr Überwasser an. Entsprechend ist eine gesamt­heitliche und individuelle Betrachtung nötig.

Geschiebeversuche

Es wurden insgesamt drei standardi­sierte Geschiebe­mischungen eingesetzt, welche bereits im Vorprojekt [1] erfolgreich zur Anwendung gekommen waren. Die Kornverteilung ist typisch für Schweizer Wildbäche.

Die beiden gebräuchlichsten Rechen von Wild Metal (Typ Sb18 0,6 und Sb18  1,0) mit 0,6 bzw. 1,0 mm Spaltweite wurden dabei der kompletten Serie unterzogen. Sie wurden bei sechs verschiedenen Durchflüssen (50 l/s – 300 l/s) mit allen drei Geschiebe­mischungen getestet. Die anderen Rechen wurden einem gekürzten Unter­suchungs­programm unterzogen.

Die Geschiebezugabe erfolgte direkt in die Zulaufstrecke. Das Geschiebe, welches den Rechen passierte, wurde im Geschiebe­fangsack gesammelt. Dieses Material wurde für die weitere Untersuchung getrocknet und anschlies­send einer Siebanalyse unterzogen.

Bei geringen Zuflüssen bis zu 260 l/s pro Laufmeter wird der Abweisungs­grad von der Konzen­tration des Geschiebes geringfügig beeinflusst. Die allgemein verbreitete Aussage, dass 90% der Partikel mit Durch­messern entsprechend der halben Spaltweite abgewiesen werden, konnte nicht bestätigt werden. Für die am häufigsten verwendeten Rechen der Firma Wild Metal GmbH betrug der Abwei­sungs­grad von Partikeln mit Durch­messern der halben Spaltweite und kantigem Korn 37–39%.

Bei Hochwasser muss man unterscheiden, ob der Abwei­sungs­grad bei höheren Durchflüssen oder die Abweisung von höheren Geschiebe­konzen­trationen betrachtet wird. Höhere Durchflüsse verbessern den Abwei­sungs­grad grundsätzlich, höhere Geschiebe­konzen­trationen hingegen verschlechtern ihn. Dieser Umstand tritt allerdings erst bei höheren Durchflüssen auf. Bei geringen Durchflüssen ist der Abwei­sungs­grad kaum von der Geschiebe­konzentration abhängig.

In Bild 1 sind die Abwei­sungs­charak­teristika von Kant- und Rundkorn für die unterschiedlichen Standardrechen der Firma Wild Metal GmbH bei moderaten spezifischen Durchflüssen von 89 l/s pro Laufmeter dargestellt. Die Unterschiede zwischen den Gesteinskörnungen in der Abwei­sungs­charak­teristik sind nicht ausgeprägt.

Die Versuche des Standardrechens mit 0,6 mm Spaltweite wurden mit Untersuchungen eines baugleichen, verschlissenen Rechens ergänzt. Die Abweisungs­charak­teristika der beiden Rechen zeigen keine nennenswerten Unterschiede. Die Abweisungs­charak­teristik scheint sich also im laufenden Betrieb mit zunehmendem Verschleiss eines Coanda-Rechens nicht zu verschlechtern.

Sandfang, ja oder nein?

Feststoffe, die ins Trieb­wasser­system gelangen, können dort Abrasions­schäden an hydraulischen Anlagenteilen verursachen. Soll bei Mittel- und Hochdruck-Kraftwerken auf die Anordnung eines Sandfangs verzichtet werden, empfiehlt es sich aufgrund unserer Untersuchungen, eine maximale Spaltweite von 0,4 mm zu wählen. Diese neigen jedoch stärker zu Verstopfungen als die Rechen mit 0,6 mm Spaltweite und haben sich daher in den Versuchen als nicht ideal erwiesen. Das Grenzkorn für Sandfänge in der Schweiz beträgt bei Mittel- und Hoch­druck-Kraft­werken (Fallhöhe > 50 m) je nach Fallhöhe rund 0,2 – 0,3 mm. Bei abrasivem Geschiebe und grosser Fallhöhe ist auch für eine Spaltweite von 0,4 mm ein Sandfang oder ein spülbares Absetzbecken nach dem Coanda-Rechen empfehlenswert.

Ethohydraulische Versuche

Da Coanda-Rechen hauptsächlich an alpinen Gewässern mit der Bachforelle als Leitfischart zur Anwendung kommen, wurden die Versuche zum Fischabstieg mit wildlebenden Bachforellen aus dem Schaniela­bach (GR) durchgeführt. Alle Fische wurden biometrisch vermasst und mittels Pit-Tag-Markierung individuell erkennbar gemacht.

Zusätzlich zu den Fischen, welche den Coanda-Rechen passierten, wurden Kontrollfische eingesetzt. Sie durchlebten dieselbe Prozedur, stiegen aber nicht über den Coanda-Rechen ab, sondern wurden direkt in den Kolk gegeben. Vor und nach dem Versuch erfolgte die digitale Bild­aus­wertung, sodass der prozentuale Schuppen­verlust zur gesamten Oberfläche des Fisches errechnet werden konnte.

Fischgängigkeit

Die etho­hydraulischen Versuche bei den getesteten Rechen mit 0,6 mm und 1,0 mm Spaltweite lassen den Schluss zu, dass keine rele­vanten Verlet­zungen beim Fischabstieg zu erwarten sind. Die Bachforellen erlitten Schuppen­verluste im Bereich von maximal 1% ihrer Körper­ober­fläche, in den meisten Fällen jedoch sogar weit unterhalb dieses Wertes (Bild 2). Diese Ergebnisse treffen sowohl für einen geringeren spezifischen Durchfluss von 100 l/s pro Laufmeter, als auch für einen hohen spezifischen Durchfluss von 300 l/s pro Laufmeter zu. Die meisten Fische wiesen keine Schuppen­verluste auf. Es ist kein signi­fikan­ter Unter­schied zwischen den über den Rechen abgestiegenen Fischen und den Fischen der Kon­trollgruppe auszumachen. Da die Verletzungen in erster Linie von der Stabform und dem Anstellwinkel abhängen, ist davon auszugehen, dass auch ähnlich kon­struierte Coanda-Rechen anderer Hersteller eine gleichwertige Fisch­verträg­lichkeit aufweisen.

Nicht untersucht wurde allerdings der Fischabstieg beim Coanda-Rechen, wenn über dem Rechen ein Schutzrechen angebracht ist. Je nach Bauart können diese eine zusätzliche Verletzungs­gefahr darstellen.

Interpretation und Ausblick

Es konnte nach­gewiesen werden, dass die Fassungs­kapazität der Coanda-Rechen wesentlich höher ist als bisher angenommen.

Zudem konnte festgestellt werden, dass der Abwei­sungs­grad nicht so gross ist, wie bis anhin suggeriert wurde. Allerdings konnte mit dem Abkleben der Rechenfläche vom oberen Rand beginnend beobachtet werden, dass der Abweisungsgrad mit höherer Fliess­geschwin­digkeit erhöht wird. Somit liegt in der Verlängerung der Beschleu­nigungs­platte Optimie­rungs­potenzial bezüglich dem Abweisungsgrad.

Die Fisch­verträglichkeit, die dem Coanda-Rechen nachgesagt wird, konnte mit dem Projekt bestätigt werden [2]. Kein Fisch ist gestorben, Schuppen­verluste waren vernach­lässig­bar. Es bleibt zu hoffen, dass diese neuen Erkennt­nisse auch bald ihren Weg in die Praxis finden.

Referenzen

[1] Imad Lifa et al., «Optimierung der Coanda-Rechen für Schweizer Gewässer (Phase 1)», Bericht Nr. SI/501288-01, 2016.

[2] Imad Lifa et al., «Optimierung von Coanda-Rechen für Wasserfassung an alpinen Gewässern (Phase 2)», Bericht Nr. SI/501288-01, 2021.

Die Autoren danken dem Bundesamt für Energie für die Finanzierung dieses Projekts (Projektnr. SI/501288-01) und den am Projekt beteiligten Forscherinnen und Forschern: Max Witek (FHGR), Barbara Krummenacher (FHGR), Armin Peter (FishConsulting GmbH), Claudia Beck (IUB Engineering AG), Robert Boes (ETH Zürich).

Autor
Prof. Dr. Imad Lifa

leitet das Institut für Bauen im alpinen Raum an der Fachhochschule Graubünden.

Autorin
Dr. Seraina Braun-Badertscher

ist wissenschaftliche Projektleiterin am Institut für Bauen im alpinen Raum.

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