Buch: Ansturm der Algorithmen
Die Verwechslung von Urteilskraft mit Berechenbarkeit
Die Visionäre des Silicon Valley wollen die Welt verbessern, indem sie Technologien entwickeln, um die Lebensqualität zu erhöhen, um Krankheit und Armut zu beseitigen und um den Klimawandel aufzuhalten. All dies mit den Mitteln der modernen Informatik – mit künstlicher Intelligenz, Big Data, dem Internet der Dinge und der vernetzten Kommunikation. Dieses Buch untersucht, welche Nebenwirkungen die vielen Informatikheilmittel haben. Zudem weist es darauf hin, dass das Verbessern der Welt eng mit einer kapitalistischen Einstellung verwoben ist, denn bei einer so grossen potenziellen Zielgruppe liegt auch ein entsprechend hoher Profit drin. Nach einer kurzen Analyse der Ideologien der Vordenker geht das Buch auf die Veränderung der Wahrnehmung – sowohl der Selbstwahrnehmung als auch der der Umgebung – ein, die das Internet mit sich bringt.
Die Informatik wird hier aus drei Perspektiven kritisch betrachtet. Zunächst anhand von Geschichten aus der digitalen Welt: Der Einfluss der IT wird im politischen Sektor untersucht, im Bildungsbereich, in der Industrie (Big Data, Cobots), mittels dem Internet der Dinge und bei der Sharing Economy. Es wird aufgezeigt, wie Machtstrukturen durch den Besitz von Daten entstehen können.
Im zweiten Teil wird das Themenspektrum «was ist Information» und der Unterschied zwischen Gehirn und Computer behandelt. Der dritte Teil geht auf Algorithmen ein, auf das maschinelle Lernen und die visuelle Wahrnehmung von Rechnern.
Die Lektüre bietet – auf Aussagen von Philosophen, Computerforschern und Kognitionswissenschaftlern abgestützt, also aus übergeordneter Sicht – eine Übersicht über digitale Tools und die mit ihnen verbundenen Chancen und vor allem Gefahren. Vieles davon ist zwar schon bekannt, aber es schadet nicht, das Bewusstsein zwischendurch wieder zu schärfen.
Eigentlich könnte das Buch als eine Weiterführung des Ende der 1970er-Jahre erschienenen Klassikers von Joseph Weizenbaum, «Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft», betrachtet werden. Weizenbaum hat darin die Ansicht kritisiert, der Mensch sei im Prinzip nichts anderes als ein informationsverarbeitendes System. Wolf Zimmer führt hier Weizenbaums Kritik auf seine Weise ins Internet-Zeitalter. Beide möchten, dass Menschen ihre Entscheidungen nicht den Rechnern überlassen, sondern sie selbst treffen – als mündige Personen, die manchmal auch zwischendurch irrational sein können, aber die kritisch und verantwortlich mit der Welt interagieren. Ein lobenswerter Wunsch.
Wolf Zimmer, Springer Vieweg, Softback, 315 Seiten, ISBN 978-3-662-59770-5, CHF 50.–.
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