Fachartikel Energiemarkt , Erneuerbare Energien

Wasserkraft: Volltreffer ins Zieldreieck

Kosten und Erlöse

03.02.2022

In der Diskussion zur mittel- bis langfristigen Gewährleistung der Stromversorgung rückten im letzten Jahr alle drei Dimensionen des energiepolitischen Zieldreiecks in den Fokus. Der SWV leistet mit einer Untersuchung zur Wirtschaftlichkeit der Schweizer Wasserkraft einen Beitrag zur Versachlichung dieser Debatte, um den Weg zu einem Kompromiss zwischen den Akteuren weiter zu ebnen.

Seit 2010 publiziert der World Energy Council (Weltenergierat) jährlich den von ihm definierten Energietrilemma-Index. Mit diesem Index werden die Energiesysteme nach den drei Dimensionen des energiepolitischen Zieldreiecks Energiesicherheit («energy security»), Zugang und Bezahlbarkeit («energy equity»: «accessibility» und «affordability») sowie ökologische Nachhaltigkeit («environmental sustainability») von über hundert Ländern beurteilt und miteinander verglichen. Die Schweiz liegt im Ranking von 2021 hinter Schweden und vor Dänemark auf dem zweiten Platz. Dabei trägt die Schweizer Wasserkraft seit über hundert Jahren wesentlich dazu bei, dass die Stromversorgung in der Schweiz sicher, bezahlbar und ökologisch nachhaltig ist.

Wirtschaftlichkeit der Schweizer Wasserkraft

Der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband (SWV) hat im letzten Jahr zusammen mit den Wasserkraftwerksbetreibern einen umfangreichen Datensatz zu den Kosten und Erlösen erhoben; erstmals über eine Dekade, nämlich von 2011 bis 2020. Mit der erfolgten Auswertung zur Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit möchte er einen Beitrag zur sachlichen Diskussion zur Umsetzung der Energiestrategie leisten.

Die Stichprobe umfasst 80 Kraftwerke, die im Durchschnitt der zehn untersuchten Jahre eine Produktion von rund 29 TWh erzielten. 47 Kraftwerke mit einer jährlichen Produktion von knapp 10 TWh wurden als Laufwasser- und die übrigen 33 Kraftwerke als Speicherkraftwerke klassifiziert.

Erhebung der Kosten

Um die Kosten1) der Wasserkraft bestimmen zu können, sind einerseits die Kosten zu erheben, die unmittelbar beim Kraftwerk anfallen (eigentliche «Fabrikkosten»), und andererseits die Kosten, die zusätzlich durch den Aktionär beziehungsweise die Partner des Kraftwerks zu tragen sind (Bild unten).

Handelt es sich beim Kraftwerk um eine Aktiengesellschaft, was insbesondere bei den Partnerkraftwerken der Fall ist, stammen die Kostendaten des Kraftwerks aus dem Geschäftsbericht. Sind die Kraftwerke in einer Betreibergesellschaft integriert (Kraftwerke an der Leventina in AET, Kraftwerke an der Saane in Groupe  E), werden die Kostenangaben aus der Betriebsbuchhaltung der Betreibergesellschaft verwendet.

Bei den zusätzlich beim Aktionär anfallenden Kosten wurde ein Schwerpunkt auf die Erhebung einerseits der Bewirtschaftungs- und Verwertungskosten, die das Asset Management und das Energie-Management umfassen, und andererseits der Unternehmensführungskosten gelegt. Im Weiteren wurde bei den Kosten des Aktionärs eine Kapitalkosten-Korrektur eingefügt, die sicherstellt, dass die Kapitalkosten den tatsächlichen Kosten des eingesetzten Kapitals entsprechen und nicht dem in den Geschäftsberichten der Partnerwerke ausgewiesenen administrierten Gewinn. Diese zusätzlichen Kostenbestandteile beim Aktionär führen zu erheblich höheren Betriebs- und Kapitalkosten, als es die im Geschäftsbericht des Partnerwerks ausgewiesenen «Fabrikkosten» suggerieren.

Erhebung der Erlöse

Die Erlöse setzen sich aus drei Komponenten zusammen: den Erlösen aus dem Verkauf des Stroms am Spot-Markt, von Systemdienstleistungsprodukten (SDL) und von Herkunftsnachweisen (HKN). Die Erlöse am Spot-Markt basieren auf stündlichen Produktionsprofilen, die sodann mit dem Preis an der Spot-Markt-Börse bewertet wurden. Die Erlöse der Wasserkraftwerksbetreiber aus dem Verkauf von SDL wurden aus den SDL-Kosten der Swissgrid abgeleitet und proportional zur Produktion den einzelnen Kraftwerken zugeordnet, wobei der Grossteil der SDL durch Speicherkraftwerke angeboten wird. Da es keinen transparenten HKN-Markt gibt, wurde aus den Rückmeldungen der Betreiber ein jährlicher spezifischer Durchschnittswert abgeleitet, der sodann ebenfalls proportional zur Produktion sämtlichen Kraftwerken zugerechnet wurde.

Resultate

Das folgende Bild zeigt die durchschnittlichen Gestehungskosten der Jahre 2011–2020 auf Stufe Kraftwerke (a) und Aktionäre (b) sowie die spezifischen Erlöse. Während die Gestehungskosten auf Stufe Kraftwerk bei 5,1 Rp./kWh lagen, waren es beim Aktionär 6,9 Rp./kWh. Die durchschnittlichen spezifischen Erlöse betrugen 6,2 Rp./kWh. Während also auf Stufe Kraftwerk die Gestehungskosten bedeutend tiefer lagen als die Erlöse, war es bei den Kosten auf Stufe Aktionär gerade umgekehrt, so dass unter Berücksichtigung sämtlicher Kosten ein spezifischer Verlust von 0,7  Rp./kWh resultierte.

Im nächsten Bild ist die differenzierte Betrachtung der Gestehungskosten auf Stufe Aktionär und der spezifischen Erlöse für die Gesamtstichprobe (a) und unterteilt nach Laufwasser- (b) und Speicherkraftwerken (c) dargestellt. Dabei fällt auf, dass die Kapitalkosten bei den Speicherkraftwerken bedeutend höher waren als bei den Laufwasserkraftwerken. Dies ist nicht überraschend, da die Kapitalkosten in erster Näherung von der installierten Leistung abhängen, und diese ist bei Speicherkraftwerken in der Regel grös­ser als bei Laufwasserkraftwerken.

In der relativen Betrachtung fielen die Kapitalkosten mit 45% am höchsten aus, gefolgt von den Betriebskosten mit 30% und den Abgaben mit 25%. Diese prozentuale Verteilung der Kosten ist über den betrachteten Zeitraum in etwa konstant geblieben.

Die spezifischen Unternehmensführungskosten betrugen durchschnittlich 0,3 Rp./kWh, die Bewirtschaftungs- und Verwertungskosten 0,4 Rp./kWh. Zwei Drittel dieser beiden Kostenarten können dem Personalaufwand und je ein Sechstel der ICT (Information and Communications Technology) und den übrigen Kosten zugeordnet werden.

Während die Kosten über alle Jahre in etwa konstant blieben, schwankten die Erlöse erheblich. Die jährlich spezifischen Erlöse lagen zwischen 4,6 Rp./kWh im Jahr 2020 und 8,6 Rp./kWh im Jahr 2011 (vergleiche (a) im untenstehenden Bild). Über die betrachtete Dekade sind die absoluten Verluste bei den Laufwasserkraftwerken geringer ausgefallen als bei den Speicherkraftwerken, relativ gesehen betrug der Verlust sowohl bei den Laufwasser- als auch bei den Speicherkraftwerken rund 10%.

Einordnung der Resultate

In der betrachteten Dekade vermochten die Erlöse die Kosten der Schweizer Wasserkraft in den meisten Jahren nicht zu decken, sodass für die Kraftwerke der Stichprobe insgesamt ein Verlust von rund CHF 2 Mrd. resultierte, der zur Hälfte von den gebundenen Endverbrauchern finanziert wurde und zu CHF 340 Mio. von den Stromkonsumenten über die Marktprämie. Bei den Betreibergesellschaften summierte sich somit der Fehlbetrag auf CHF 660 Mio. Dieser Fehlbetrag führte denn auch dazu, dass grosse Betreiber wie Axpo und Alpiq ihren Eigentümern jahrelang keine Dividenden mehr ausbezahlen konnten. Für weiterführende Ausführungen zur Datenerhebung, Methodik und den Resultaten sei auf [1] verwiesen.

Aktuelles Preisumfeld

Im Jahr 2021 sind die Marktpreise regelrecht in die Höhe geschnellt. Lagen die Strompreise im Mai 2020 an der Schweizer Börse mit 1,8 Rp./kWh auf einem historischen Tiefststand, erreichten sie im Dezember 2021 mit über 29 Rp./kWh einen historischen Höchststand. Diese Preisexplosion hat mannigfache Gründe: Nebst einem stetigen Anstieg der CO2-Zertifikatspreise sind vor allem die Gaspreise massiv gestiegen, was in Kombination mit einem stärker als erwarteten Wirtschaftsaufschwung und insgesamt geringer Produktion aus erneuerbaren Energien in Europa zu diesem Preisanstieg geführt hat. Aktuell geht allerdings kaum ein Akteur von einer auf diesem Niveau anhaltenden Hausse am Strommarkt aus, was sich in den Jahreskontraktnotierungen für das Jahr 2024 niederschlägt. Diese liegen mit 90 EUR/MWh [2] zwar nach wie vor auf einem ansehnlichen Niveau, aber wieder 60% tiefer als für das Jahr 2022.

Hohe Volatilitäten am Strommarkt mögen für den Handel zwar interessante Opportunitäten bieten. Für die Investitionsbereitschaft in die Wasserkraft sind sie insgesamt allerdings wenig hilfreich, da so die Erlösabschätzungen mit grossen Unsicherheiten verbunden sind, was in der Investitionskalkulation die Berücksichtigung einer hohen Risikoprämie erfordert. Die Marktprämie – die als Übergangslösung implementiert wurde – übernimmt dieses Abfedern der Risiken in Ansätzen und sie wurde mit der Verabschiedung der Parlamentarischen Initiative  19.443 durch den Gesetzgeber am 1. Oktober 2021 bis Ende 2030 verlängert. Gleichzeitig wurde aber auch die Höhe des fixen Wasserzinssatzes bis Ende 2030 verlängert, sodass die Wasserkraft auch auf absehbare Zeit mit hohen fixen Abgaben und Kapitalkosten der Volatilität der Strommarktpreise ausgesetzt bleibt.

Energiesicherheit und ökologische Nachhaltigkeit

Nebst der Bezahlbarkeit der Stromversorgung haben auch die beiden anderen Dimensionen des energiepolitischen Zieldreiecks im Jahr 2021 zu teils intensiven Diskussionen geführt. Der Bundesrat hatte am 26.  Mai 2021 den Abbruch der Verhandlungen mit der EU zu einem institutionellen Abkommen bekannt gegeben. Ein solches Abkommen galt stets als Voraussetzung für den Abschluss eines Stromabkommens mit der EU. Und obschon zahlreiche Akteure bereits länger vor den negativen Auswirkungen eines fehlenden Abschlusses auf den Stromhandel gewarnt hatten, schien der Schweiz erst jetzt bewusst zu werden, dass mit der in der Energiestrategie vorgezeichneten Erhöhung der Importe im Winterhalbjahr nicht nur wirtschaftliche Risiken verbunden sind, sondern dass tatsächlich auch eine physische Verknappung denkbar ist. Im Oktober 2021 wurde der Bundesrat über zwei Berichte zum Thema Versorgungssicherheit informiert, einerseits zu einem Bericht der ElCom, der Massnahmen beschreibt, mit denen die Netz- und Versorgungssicherheit kurz- bis mittelfristig erhöht werden können [3], und andererseits mit einer Analyse über die Auswirkungen von verschiedenen Zusammenarbeitsszenarien zwischen der Schweiz und der EU [4]. In dieser Analyse konnte gezeigt werden, dass in einem Szenario ohne Kooperation im «worst case» bereits im Jahr 2025 gegen Ende März der inländische Strombedarf während 47 Stunden nicht mehr gedeckt werden könnte. Der Bundesrat hat in der Folge die ElCom eingeladen, ein «Konzept Spitzenlast-Gaskraftwerk» auszuarbeiten. Daneben wurden mit der Botschaft zur Revision des Stromversorgungsgesetzes und des Energiegesetzes dem Parlament weitere Massnahmen zur mittel- und langfristigen Gewährleistung der Versorgungssicherheit vorgelegt, insbe-
sondere eine Energiereserve für die Absicherung im Frühjahr und den Ausbau der Winterproduktion um 2 TWh durch Wasserkraftwerke bis ins Jahr 2040.

Ausblick

Es gibt Befürchtungen, dass der Zubau der erneuerbaren Energien zu langsam vor sich geht – und damit der Importbedarf noch höher ausfallen wird als bereits im Referenzszenario der Energieperspektiven 2050+ ausgewiesen. Zwar wurden die Richtwerte für das Jahr 2020 gemäss dem aktuellen Monitoringbericht des BFE leicht übertroffen, doch mit den neuen in der Botschaft zur Revision des Energiegesetzes vorgeschlagenen Zielwerten müsste sich der jährliche Zubau stark beschleunigen. Auch bei der Wasserkraft führen Einsprachen und anschliessende Gerichtsverfahren zu einer Verzögerung bei Aus- und Neubauprojekten. Deshalb haben sich wichtige Akteure an einem Runden Tisch über die Herausforderungen der Wasserkraft ausgetauscht. An der Abschlusssitzung vom 13. Dezember 2021 wurde eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, die namentlich 15 priorisierte Speicherkraftwerk-Projekte auflistet, mit denen eine zusätzliche saisonale Speicherproduktion im Umfang von 2 TWh bis ins Jahr 2040 erreichbar wäre.

Schlussfolgerung

Das Jahr 2021 hat – nicht zuletzt dank den hohen Strompreisen und dem Abbruch der Verhandlungen mit der EU – Dynamik in die Diskussionen um die ausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung gebracht. Es wurden erste konkrete Massnahmen zur Verbesserung der Investitionsbereitschaft in erneuerbare Energien verabschiedet. Zudem werden im Parlament aktuell weiterführende Massnahmen zur Sicherung der Versorgungssicherheit diskutiert und zusätzliche Abklärungen und Ideen eingeleitet. Bezüglich der Abwägung zwischen Schutz und Nutzen beim Erhalt und Zubau der erneuerbaren Energien ist in der öffentlichen Wahrnehmung ein Gesinnungswandel erkennbar. Es scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass erneuerbare Energien ein zentrales Fundament des Klimaschutzes sind und Klimaschutz die Grundlage für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und damit auch der Biodiversität ist. Diese sich verstärkenden Signale sind allesamt positiv zu werten – es bleibt zu hoffen, dass der aktuell spürbare Handlungswille bestehen bleibt, sowohl beim Erhalt der Wasserkraft als auch beim Zubau sämtlicher erneuerbarer Energien.

Referenzen

[1]   Michel Piot, «Wirtschaftlichkeit der Schweizer Wasserkraft in den Jahren 2011 bis 2020», Wasser Energie Luft 4/2021, S. 191–204.
[2]   «Terminmarktbericht vom 4. Januar 2022», ElCom, 2022.
[3]   «Netzseitige Massnahmen für die Sicherstellung der kurz- und mittelfristigen Versorgungssicherheit und der Netzstabilität», Bericht zuhanden Uvek/Bundesrat, ElCom, 13. Oktober 2021.
[4]   «Analyse Stromzusammenarbeit CH-EU – Schlussbericht», Frontier Economics, Studie im Auftrag des BFE, 2021.

1) Die Einheit von Kosten und Erlösen sind Schweizer Franken (CHF), die Einheit von Gestehungskosten, spezifischen Kosten, Erlösen, Gewinnen und Verlusten Rappen pro Kilowattstunde (Rp./kWh).
Autor
Dr. Michel Piot

ist Energiewirtschafter beim Schweizerischen Wasserwirtschaftsverband SWV.

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