Strom aus den Alpen
Zwischenbilanz
Gegen 50 Standorte werden unter Hochdruck von EVUs und Gemeinden für den Bau von alpinen Solarparks evaluiert – für ein Dutzend davon werden bereits Anlagenkonzepte erstellt. Was wird aber wirklich umgesetzt?
Im Herbst 2022 startete der sogenannte Solarexpress – die Hoffnung, Solarstromanlagen in Höchstgeschwindigkeit in den Alpen zu errichten. Das Ziel: wertvoller Winterstrom. Schnell wurden jedoch auch Befürchtungen gross, dass bisher naturbelassene Teile der Schweizer Alpen mit Solarmodulen zugestellt und «alpine Solaranlagen wie Pilze aus dem Boden» spriessen werden [1]. In der Tat übertrafen sich lokale Gemeinden wie Grengiols oder Gondo sowie Energieversorger wie Axpo und Alpiq gegenseitig mit entsprechenden Ankündigungen. Über fünfzig Standorte sollen derzeit für den Bau von solchen Solarparks evaluiert werden, von denen bisher nur ein Teil der Öffentlichkeit vorgestellt wurde [2]. So spricht der Schweizer Stromkonzern Axpo alleine von elf Standorten, einer davon «NalpSolar» neben dem Nalps-Stausee im Kanton Graubünden, welche mit einer installierten Leistung von 10 MW ab 2025 Strom liefern soll.
Losgetreten hat den Solarexpress das Parlament, als es letzten Herbst im Dringlichkeitsverfahren ein Gesetz verabschiedete, das den Bau von alpinen Solarstromanlagen auf Freiflächen und Stauseen möglich machte. Produzieren diese Anlagen im Jahr mehr als 10 GWh und fällt ein Grossteil davon auf den Winter, profitieren sie von hohen Subventionen und einem vereinfachten Bewilligungsverfahren. Eine der Voraussetzungen hierbei ist, dass die Anlagen bis spätestens Ende 2025 Strom ins Netz einspeisen müssen [3].
Mehr als ein halbes Jahr ist seit dem Start des Solarexpresses vergangen – doch wie ist es ihm seither ergangen? Seit dem Frühjahr 2023 wurden nur noch wenige Projekte veröffentlicht [4]. Auch medial ist das Interesse abgeflacht – ausser den Meldungen, dass bereits geplante Anlagen deutlich kleiner werden. So wurde im Mai angekündigt, dass Grengiols Solar um den Faktor 20 kleiner wird und statt 2000 GWh (rund 3% der aktuellen Schweizer Stromerzeugung) nur noch 110 GWh jährlich produzieren soll [5]. Grund für diese Redimensionierung dürften vor allem die zeitlichen Vorgaben sein, die das Projekt unter Zugzwang stellen. Da bis 2025 10% des Stroms ins Netz eingespeist werden müssen, muss das Projekt auf eine realisierbare Grösse verkleinert werden. Der Strom soll zunächst über eine temporäre Freileitung ins Tal geführt werden, da das Verlegen in Kabelstollen zu zeitraubend ist.
Einen Monat später, im Juni, kündigte dann auch Gondo Solar eine Redimensionierung an und soll nun statt 23 GWh nur noch 16 GWh Strom produzieren [6]. Begründet wurde dies vor allem mit den Herausforderungen beim Anlagendesign, wie die Integration in die sensible alpine Landschaft, der Schutz des Bodens, das schwer zugängliche Gebiet und der unebene Untergrund. Neu sollen die PV-Panels in einer baumartigen Struktur konzipiert und in Form eines Waldes angeordnet werden. Rund 1500 Solarbäume mit jeweils 16 kreuzförmig montierten, bifazialen PV-Modulen sollen errichtet werden. Solche Solarbäume können den starken Schneeverwehungen im Gebiet «Alpjerung» besser entgegenwirken, wie ein in den österreichischen Bergen installierter Demonstrator gezeigt hat. Nun soll die Anordnung in einer Testanlage mit mehreren «Solarbäumen» vertieft untersucht werden.
Riesiges Potenzial
An nicht ausreichend geeigneten Standorten liegt es nicht, dass weitere Projektankündigungen ausbleiben, denn das Potenzial auf alpinen Freiflächenanlagen ist riesig. Aktuelle Studien beziffern den theoretisch möglichen Beitrag zur inländischen Stromerzeugung auf zwischen 45 bis 450 TWh [6–8] (zum Vergleich: die gesamte Stromerzeugung in 2022 betrug 63,5 TWh). Das technisch realisierbare Potenzial befindet sich vermutlich bei etwa 50 TWh, wovon 10% sich in direkter Umgebung vom Stromnetz befinden und somit in wenigen Jahren realisiert werden könnten. Für diese 5 TWh müssten weniger als 30 km² – also 0,1% der geografischen Fläche der Schweizer Alpen – mit PV-Panels bedeckt werden. Das grösste Potenzial liegt in Graubünden und dem Wallis. Auch in Bern befinden sich geeignete Standorte, jedoch etwas weiter entfernt von bestehender Strominfrastruktur. Im Vergleich dazu ist das Potenzial für weitere PV-Anlagen auf Staumauern mit 0,1 bis 0,2 TWh limitiert [9].
Ausgeschlossen bei diesen Potenzialstudien werden typischerweise Orte, die die Kriterien zur Orographie (wie Orientierung, Höhenlage, Gefälle, Landoberfläche), Naturgefahren (Felssturz, Lawinen), Infrastruktur (Strassen, Kraftwerke, Übertragungsnetz), sozialer Akzeptanz (Skirouten, Gebäude), Einstrahlung (minimale jährliche und winterliche Erzeugung), aber auch Biodiversität (Nationalparks, geschützte Gebiete) nicht erfüllen. Es bleibt also trotz Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben des Solarexpresses zu Natur- und Landschaftsschutz ausreichend Potenzial übrig. Eine aktuelle Herausforderung bei der Berechnung der Potenziale ist die Lage und Kapazität von Verteilnetzen. Da die meisten geplanten alpinen PV-Projekte mit 10–20 MW an das Mittelspannungsnetz angeschlossen werden müssten, bräuchte es Daten zu Netzknoten und -linien. Diese sind national jedoch nur für das Übertragungsnetz verfügbar. Das BFE hat dieses Problem erkannt und wird die Daten künftig zur Verfügung stellen [10].
Die Kosten als Herausforderung
Liegt es also an den Kosten, dass weitere Projektankündigen ausbleiben? Während erste Schätzungen für alpine Freiflächenanlagen von ähnlichen Investitionskosten wie für Dachflächen-PV ausgingen (um die 2000 CHF/kW), wurden die aktuellen Prognosen etwas nach oben korrigiert. Die Industrie gibt heute Investitionskosten zwischen 2100 und 3000 CHF/kW an. Die grössten Kostenblöcke sind die Konstruktion und Befestigung der Solarmodule sowie die Hardware wie Module und Wechselrichter – mit je rund einem Drittel der Gesamtkosten. Das letzte Drittel der Kosten fällt auf Planung, Entwicklung, Stromanschluss und Finanzierung. Stark beeinflusst werden die Kosten durch die Stärke der Schneelasten, die Erschlossenheit des Standortes und die Entfernung zum Stromnetz. Vor allem bei Lagen mit grosser Distanz zum Stromnetz, wie beispielsweise bei Grengiols, können sich die Anschlusskosten noch deutlich erhöhen.
Mit diesen Investitionskosten liegen die Gestehungskosten von alpinen Freiflächenanlagen zwischen 110 und 140 CHF/MWh, je nach Sonneneinstrahlung [11]. Im Vergleich zu Solaranlagen auf Dächern, in dualer Nutzung in der Landwirtschaft (Agri PV) und auf Stauseen, aber auch Wasserkraftanlagen weisen alpine Freiflächenanlagen damit oft geringere Gestehungskosten auf – vergleichbar ist hier nur die Windkraft. Damit Investitionen in alpine PV profitabel sein können, müssen die Gestehungskosten unter dem erwarteten Verkaufspreis des erzeugten Stroms liegen. Die meisten Szenarien zeigen durchschnittliche Strommarktpreise zwischen 50 und 100 CHF/MWh bis 2050, in Ausnahmefällen bis zu 200 CHF/MWh [12]. Da die Strompreise über die Zeit stark variieren können, ist für die Stromerzeuger der sogenannte «Capture Price» relevant, der durchschnittlich zu erwartende Strompreis in den Stunden der Stromerzeugung. So haben alpine PV-Anlagen wegen des höheren Winterstromanteils einen deutlich höheren erwarteten Capture Price als beispielsweise Dach-PV im Mittelland. Mit den Subventionen (maximal 60% der Investitionskosten) kommen die Gestehungskosten in den Bereich dieser Capture Prices (siehe Grafik oben).
Schweizer Energieversorger investieren
Die aktuellen Projektankündigungen kommen vor allem von den Energieversorgern. Dass diese hier als First Mover agieren, liegt vor allem daran, dass sie bereit sind, ein höheres Risiko während der Konstruktionsphase von Projekten einzugehen und einen stabilen Kundenstamm haben, an den sie Strom für die Grundversorgung verkaufen und eventuelle Preiserhöhungen weitergeben können. Eine Herausforderung für die Energieversorgung sind jedoch die tendenziell hohen Kapitalkosten, was generell die Attraktivität von Investitionen schmälert. Bei alpinen PV kann dies problematisch werden, da die aktuelle Förderung Projekte nur so weit subventioniert, dass der Investor eine Rendite von 5,23% realisieren kann. Dies könnte je nach Energieversorger möglicherweise nicht ausreichen, um die Kapitalkosten zu decken.
Weiteres Kapital könnte von institutionellen Investoren wie Pensionsfonds bereitgestellt werden. Das Interesse dieser Investoren hängt jedoch stark von der Sicherheit des Geschäftsmodells ab. Für viele institutionelle Investoren sind gesicherte Umsätze, beispielsweise durch langfristige Verträge (sogenannte Power Purchase Agreements), unverzichtbar.
Wohin geht die Reise?
Das Potenzial ist da. Die Notwendigkeit ist gegeben. Kostenschätzungen sind vielversprechend und Schweizer Energieversorger investieren. Trotzdem ist die Zukunft von alpiner PV noch ungewiss. Ob es tatsächlich so weit kommt, wie Bodenmann prophezeit, dass «bis Ende 2025 kein einziger Solarpark realisiert werden wird» [14], bleibt abzuwarten. Die aktuelle Gesetzesgrundlage führt sichtlich zu deutlich weniger und deutlich kleineren Projekten, als zu Beginn erhofft. Die aktuelle Projekt-Pipeline erreicht die Zielvorgabe von 2 TWh nicht.
Diese Entwicklung hat aber auch ihre Vorteile. Solaranlagen in den Alpen zu errichten, ist neu – weltweit gibt es keine vergleichbaren Anlagen. Die ersten Pilotprojekte müssen daher helfen, die offenen Fragen zu beantworten: Wie wirken sich die verschiedenen Anlagendesigns auf Kosten, Umwelt und Landschaft aus? Wie akzeptiert sind die Anlagen, sobald sie sichtbar sind? Die Technologie kann jetzt in kleinerem Umfang getestet werden.
Damit der Solarexpress keine Vollbremsung macht, müssten die bis 2025 geltenden Regelungen bald erweitert werden. Solarparks in den Alpen benötigen mehrere Jahre, um geplant, bewilligt und gebaut zu werden. Daher muss auch der regulatorische Rahmen über mehrere Jahre hinaus gültig und eine längerfristige Planungssicherheit gegeben sein. Um der Dringlichkeit des Ausbaus trotzdem gerecht zu werden, könnten beispielsweise die Fördermassnahmen ab 2025 sukzessive gesenkt und damit ein zügiger Ausbau gefördert werden. Auch könnten als Alternative zur Förderung mit Einmalzahlungen «Contracts for Differences» genutzt werden, um Investoren eine langfristige Einnahmesicherheit zu bieten. Eine weitere Option wären Auktionen für die Förderung von alpinen PV-Anlagen, um eine bestimmte Qualität in Hinsicht auf Wirtschaftlichkeit, Standort und Umweltverträglichkeit sicherzustellen.
Schliesslich muss sich die lokale Bevölkerung für grossflächige Solarparks in den Alpen aussprechen. Dass eine fehlende Akzeptanz eine Technologie in der Schweiz stoppen kann, haben wir bei der Windkraft und zuletzt auch bei der alpinen PV in Grengiols gesehen.
Referenzen
[1] www.nzz.ch/wirtschaft/alpine-solaranlagen-keiner-will-den-boom-verpassen-ld.1712992
[2] www.nzz.ch/schweiz/der-Solarexpress-droht-bereits-wieder-zu-stehen-zu-kommen-ld.1731094
[3] www.fedlex.admin.ch/eli/oc/2022/543/de
[4] Es gibt Ausnahmen wie beispielsweise die zwei neu angekündigten Anlagen von der Bündner Energieversorgerin Repower in Klosters und Ilanz. Beide Anlagen sollen in bereits touristisch erschlossenen Gebieten gebaut werden und die lokalen Bergbahnen mit Strom versorgen. www.energate-messenger.ch/news/233811/repower-kuendigt-weitere-alpine-solaranlage-an
[6] www.energate-messenger.ch/news/233519/gondosolar-wird-kleiner
[7] L. Meyer et al., «Das Potenzial der alpinen PV-Anlagen in der Schweiz», 2023.
[8] M. Schwarz, Alpenstrom jetzt! Modellierung von Alpenstrom zur Deckung der «Winterlücke», 2022. www.alpenforce.com/projekt/studie-alpenstrom-jetzt
[9] D. de Ferrars, The role of solar photovoltaics in the Alps for the Swiss electricity system, Master Thesis, ETH Zürich, 2023. doi.org/10.3929/ethz-b-000610172
[10] energiezukunftschweiz.ch/de/Knowhow/News/Newsaktuell/2021-08-01-solarstrom-auf-infrastruktur.php
[12] D. Gut, M. Dukan, A. Gumber, B. Steffen, «Economics and Financing of Alpine Solar PV in the Swiss Alps», 2023 (forthcoming).
[13] Die Entwicklung des Strompreises unterliegt jedoch starken Unsicherheiten. Vorhersagen des Strompreises über die Lebensdauer der PV-Anlage sind nicht möglich. Beispiel Szenarien: www.nexus-e.org
[14] www.tagesanzeiger.ch/peter-bodenmann-bis-ende-2025-wird-kein-einziger-solarpark-realisiert- sein-425201099634
[15] Quelle alpine PV: D. Gut, M. Dukan, A. Gumber, B. Steffen, «Economics and Financing of Alpine Solar PV in the Swiss Alps», 2023 (forthcoming); Quelle andere Erneuerbare: C. Bauer et al., Electricity storage and hydrogen – technologies, costs and impacts on climate change, 2022. Quelle Agri PV: M. Jäger et al., Machbarkeitsstudie Agri-Photovoltaik in der Schweizer Landwirtschaft, 2022.
Kommentare