Fachartikel ICT , Infrastruktur

Präzise Zeiten in Stromnetzen

Hochgenaue Zeitverteilung nach IEC/IEEE 61850-9-3

27.04.2017

Schutz und Stabilität der Stromnetze beruhen auf zeitgenauen Messungen von Strom und Spannung an Knotenpunkten innerhalb eines Landes oder Kontinents. Diese Messwerte werden über ein Datennetzwerk ausgetauscht, dessen Verzug stark schwankt. Um diese Werte zu vergleichen, werden sie mit der absoluten Zeit ihrer Abtastung «gestempelt».

Um eine Zeitstempelung durchführen zu können, braucht es im Stromnetz eine gemeinsame Zeit, die auf wenige Mikrosekunden genau ist. Obwohl Navigationssatelliten eine solche Genauigkeit bieten, wird eine Zeitverteilung über das Datennetzwerk bevorzugt. Die IEC hat deshalb in Zusammenarbeit mit der IEEE die Norm IEC/IEEE 61850-9-3 zur Zeitverteilung veröffentlicht, als Teil der Normreihe IEC 61850, die eine Synchronisierung unterhalb einer ­Mikrosekunde erlaubt.

Es gibt diverse Anwendungen im Elektrizitätsnetz, die auf eine präzise Zeit angewiesen sind. Diese umfassen:

Ereignismelder

Die Aufzeichnung von Ereignissen im Netz verlangt, dass die Messwerte mit etwa 10 ms absoluter Zeit gestempelt werden. [1]

Synchrophasoren

Um die Netzstabilität zu prüfen, wird die Phasenlage von Strom und Spannung an verschiedenen Stellen im Netz verglichen.

Die Phasenmessgeräte (PMU, Phasor Measurement Unit) senden über das Datennetz ihre Phasenlage zu Phasendatensammlern (PDC = Phasor Data Concentrator), die ihrerseits die gebündelten Werte zur Leitstelle übertragen, die die Netzstabilität berechnet.

Der Verzug im Netz ist nicht voraussehbar. Um Bündelung und Vergleich korrekt durchzuführen, werden die Phasenwerte mit dem genauen Zeitpunkt ihrer Messung übertragen. Danach können die Werte auf einen beliebigen Zeitpunkt extrapoliert werden.

Synchrophasoren verlangen eine absolute Zeit mit einer Genauigkeit von einigen Mikrosekunden. Ein Phasenfehler von 0,1 ° entspricht einem Zeitfehler von 5 µs.[2] Die Anforderungen steigen noch bei Synchrophasoren in einem Verteilnetz. [3]

Differenzialschutz

Der Schutz von Hochspannungsleitungen beruht auf der Messung von Strom und Spannung an den Enden eines Leiters. Der Differenzialschutz misst die momentanen Stromwerte und berechnet die Kirchhoffsche Gleichung, um Erd- oder Kurzschlüsse zu entdecken. Der Abstand zwischen Leitungsenden kann wenige Meter bis mehrere Kilometer betragen. Diese Messwerte wurden über Telefonverbindungen mit einem bekannten Verzug geschickt. Die alten Telefonverbindungen werden durch Datennetze mit Paketvermittlung ersetzt, bei welcher der Verzug stark variiert. Darum versehen die Messgeräte die Messwerte mit der genauen Zeit ihrer Abtastung, danach extrapoliert das Schutzgerät die Messwerte auf eine künstliche Periode.

Der Differenzialschutz verlangt eine relative Genauigkeit von einigen Mikrosekunden.

Sammelschienenschutz

Der Sammelschienenschutz beruht auf der gleichen Methode wie der Differenzialschutz, nur ist die Anzahl der Endpunkte viel höher.

Der Sammelschienenschutz verlangt eine relative Genauigkeit von einigen Mikrosekunden.

Die Zeitverteilungsverfahren im Stromnetz

Das elektrische Netz war schon immer eng mit der Zeitverteilung verbunden. Seit über 80 Jahren vertrauen Synchron­uhren (Töchteruhren) darauf, dass die Netzfrequenz genau 50 Hz beträgt, genauer, dass am Ende jedes Tages die Anzahl Perioden 24 x 3600 x 50 = 4 320 000 beträgt – dafür sorgen bis heute die Netzüberwacher. Die Genauigkeit dieser Frequenzübertragung ist aber für technische Zwecke ungenügend.

Die Zeit wird seit über hundert Jahren durch Radiosender verteilt. Heute werden die Radiosignale – und die Sendefrequenz – direkt von Atomuhren als Mutteruhren gesteuert. Zur Zeiteinstellung der Tochteruhr berücksichtigt jeder Empfänger die Laufzeit zu seinem Standort. Dies gelingt gut mit Langwellen, die der Erdkrümmung folgen. Kurzwellensignale können in der Ionosphäre unterschiedlich reflektiert werden und der Verzug variiert stark.

Die WWV-Kurzwellensender und der Langwellensender WWVB von Boulder, Colorado, können in der ganzen Welt empfangen werden und senden die Zeit im IRIG-H Code. In der Schweiz strahlte der Langwellensender Prangins HBG am Genfersee die Zeit aus. Aus Kostengründen wurde er 2011 eingestellt. Der Langwellensender Frankfurt (DCF-77) sendet weiter und dient den Funkuhren in Europa als Referenz. Funkempfänger für DCF-77 sind in vielen Unterstationen vorhanden. Sie werden vor allem gebraucht, um präzise Frequenzsignale in der Un­terstation zu verteilen, d.h. die 1-PPS-Signale (1 Puls pro Sekunde).

Ein weiteres Verfahren verwendet Navigationssatelliten. Die Satelliten GPS (USA), Glonass (Russland), Beidou (China) und Galileo (Europa) arbeiten mit Atomuhren und senden Zeitsignale mit einer Genauigkeit von etwa 100 ns. Zur Korrektur der Laufzeit wird die genaue Position von Satellit und Empfänger ermittelt. GPS-Empfänger sind in vielen Unterstationen eingebaut. Jedoch trauen einige EVUs den Satelliten nicht, weil einige Unterstationen kaum Sichtverbindung haben (z.B. in tiefen Tälern oder unterirdisch), weil sich zeigte, dass sich Satellitensignale durch eine einfache Verzögerung absichtlich fälschen lassen, oder weil Satelliten durch einen Sonnensturm ausgeschaltet werden können sowie aus politischen Gründen.[4]

Heute verfügen die meisten Unterstationen über eine Mutteruhr, die mit hochstabilem Quarz arbeitet, zum Beispiel mit Temperaturkompensation oder mit einem stabilisierten Ofen. Rubidium-Atomuhren sind billiger und beliebter geworden. Der Fehler dieser Uhren liegt bei wenigen Millisekunden pro Jahr. Sie sind also genau genug, um die relative Zeit innerhalb der Unterstation zu verteilen, aber sie müssen doch regelmässig wieder synchronisiert werden, um als Basis für Synchrophasoren zu taugen. Eine tägliche Synchronisierung mit einer Referenzzeit ist ohnehin notwendig, um die Schaltsekunden der UTC-Zeit zu erfassen.

Das Signal der lokalen Uhren wird an alle Schutzgeräte verteilt, entweder in Form von 1 PPS oder mit dem seriellen Code IRIG-B über eine gesonderte Leitung.

Das Zeitverteilungsprotokoll SNTP (Simple Network Time Protocol) [5] des Internets wird in IEC 61850-8-1 [6] für die Synchronisierung des Stationsbusses angegeben. In SNTP fragen die Kunden die Zeit von einem Zeitserver ab, z.B. europe.pool.ntp.org oder ch.pool.ntp.org, der mit dem Weltnetzwerk der Atomuhren synchronisiert ist.

Laufzeiten

Die Laufzeit in einem Paket-Vermittlungsnetzwerk wie IP variiert viel stärker als diejenige von Radiowellen oder optischen Signalen. Der Verzug stammt aus der Propagationszeit über die Leitungen, die einigermassen voraussehbar ist und aus der Aufenthaltsdauer der Pakete in den Netzwerkelementen, die vom Datenverkehr abhängt und nicht voraussehbar ist.

Die Korrektur der Laufzeit der Zeitmeldung durch das Netzwerk ist das Herzstück von SNTP (Bild 1).

Der Kunde berechnet die Laufzeit zwischen dem Zeitserver und sich selber, indem er den Zeitpunkt t1 misst, wann er die Zeitanfrage sendet und den Zeitpunkt t4 misst, wann die Zeitantwort des Servers bei ihm eintrifft. Der Zeitserver fügt in der Zeitantwort die Zeitspanne (t3 – t2) zwischen Eintreffen der Zeitanfrage t2 und Senden der Zeitantwort t3 ein. Der Server berechnet die Laufzeit gemäss der Formel in Bild 1 unten.

Diese Messmethode setzt voraus, dass Zeitanfrage und Zeitantwort den gleichen Verzug erfahren. Dazu müssten Zeitanfrage und Zeitantwort genau durch die gleichen Router fahren, die Knoten frei von Verkehr sein, die Knoten in beiden Richtungen gleich verzögern und die Verbindungen symmetrisch sein. Die Genauigkeit leidet insbesondere darunter, dass die Zeitstempelung der Meldungen in Software gemacht wird. Die Genauigkeit ist auf wenige Millisekunden innerhalb einer Unterstation begrenzt und auf etwa 10 ms in einem Langstreckennetz wie Internet. Diese Genauigkeit genügt für Ereignisfolgemelder, nicht aber für Differenzialschutz oder Synchrophasoren.

IEEE/IEC 61588

Eine genaue Messung der Laufzeit ist nur möglich, wenn der Beitrag aller Elemente im Netzwerk laufend gemessen wird.

Die IEEE/IEC 61588 Norm [7, 8] sieht vor, dass der Zeitgeber nicht mehr abgefragt wird, sondern spontan die Zeit verteilt, wie bei Radiostationen. Darum redet man hier von Master/Slave und nicht von Zeitkunde/Zeitdiener (Client/Server) wie bei SNTP.

IEEE/IEC 61588 setzt also voraus, dass das Netzwerk eine Broadcastfunktion unterstützt. Das ist der Fall bei lokalen Netzwerken wie Ethernet. Die Broadcast-Funktion ist aber im Internet stark beschränkt und die Telefonie-Netzwerke (SDH/SONET) kennen sie gar nicht.

Darum ist IEEE/IEC 61588 eng mit Ethernet verbunden. Es gibt verschiedene Ausführungsformen der IEEE/IEC 61588, hier wird diejenige beschrieben, welche die IEC für Unterstationen ausgewählt hat.

Die Zeitverteilung umfasst folgende Elemente (Bild 2):

  • GMC «Grandmasterclock», Grossmutteruhr, die als Referenz für die Zeitdomäne dient,
  • MC  «Master Clock», Mutteruhren,
  • OC «Ordinary Clocks», Tochter­uhren,
  • TC «Transparent Clocks», Durchleitungsuhren als verbindende Netzwerkelemente,
  • BC «Boundary Clocks, Grenzuhren, trennende Netzwerkelemente,
  • HC «Hybrid Clocks» sind gleichzeitig TC und OC.

Master Clock

Die MCs schicken eine Sync (Synchronisationsmeldung), die zwei Felder enthält: die genaue Zeit, die die MC beim Senden ermittelte, und ein Korrekturfeld, wie Bild 3 zeigt.

Es können verschiedene MCs in einem Netzwerk arbeiten, ein Algorithmus wählt die beste MC aus.

Transparent Clocks

Die TCs sind in den Netzwerkbrücken (IEEE 802.1D Bridges oder Switches [9]) eingebaut. Sie berechnen die Aufenthaltsdauer der Sync sowie den Verzug auf der Verbindung, woher sie die Sync bekommen.

Jede TC überschreibt das Korrekturfeld der Sync mit dem kumulierten Verzug (Summe von gemeldetem Verzug, Aufenthaltsverzug und Verbindungsverzug).

Um die Aufenthaltsdauer zu berechnen, verwenden TCs eine lokale Uhr und eine genaue Zeitstempelung der Meldungen in Hardware. Die Ethernet-Transceivers (PHY) analysieren die Meldungen und generieren ein hochgenaues Signal, wenn sie nach dem Vorspann den Synchronisierungspunkt entdecken (Bild 5).

Die TCs berechnen den Verzug aus der Richtung, woher Sync kommt, indem sie an ihren Nachbarn eine Abfrage/Antwort (Pdelay_Req/Pdelay_Resp) schicken, auch über Ports, die sonst durch RSTP (Spanning Tree) geschlossen sind. Pdelay_Req und Pdelay_Resp werden nie weitergeleitet.

Wie bei SNTP berechnen die Uhren den Leitungsverzug zu jedem Nachbarn als die Hälfte der gesamten Laufzeit, abzüglich der Aufenthaltsdauer im Nachbarknoten. Die Genauigkeit ist aber drei Grössenordnungen besser als bei SNTP, da nur eine reine Signal­laufzeit über eine optische Faser oder ein verdrilltes Aderpaar gemessen wird, und dies mit einer Zeitstempelung der Nachrichten in Hardware. Es wird angenommen, dass die Laufzeit in beiden Richtungen genau gleich ist, was für die erzielte Genauigkeit in Unterstationen genügend ist. Umsetzer zwischen Faser und Kabel müssen deshalb speziell mit konstantem und symmetrischem Verzug gebaut werden.

Jede TC leitet eine empfangene Sync zu allen anderen aktiven Ports weiter und korrigiert die Sync für jeden Ausgangsport separat.

Die TCs fügen die Korrekturen während des Sendens der Sync ein. Eine TC hat also bei 100 Mbit/s 1760 ns, um die Korrektur zu berechnen und den Wert anstelle des früheren Wertes einzufügen. Danach hat die TC etwa 2240 ns, um die Prüfsumme (FCS) zu berechnen (Bild 3).

Das Einfügen während des Sendens heisst «1-Schritt»-Verfahren und setzt hohe Anforderungen an die Hardware. Im «2-Schritt»-Verfahren schicken TCs die Korrektur in einer nachfolgenden Meldung, die «Follow-up». Wenn die Zeitstempelung in Hardware gemacht wird, ist die Genauigkeit gleich, aber der Datenverkehr steigt. Das «2-Schritt»-Verfahren gilt übrigens auch für Pdelay_Resp, in Form einer Pdelay_Resp_Follow_Up.

Boundary Clocks

Die IEEE/IEC 61588 unterstützt neben TCs auch BCs. BCs waren auch die einzigen Uhren in IEEE 1588 v1, bevor die Vorteile der TC offensichtlich wurden.

Eine BC hat genau einen Port im Slave-Zustand, der die lokale Tochteruhr synchronisiert. Die BC arbeitet als MC auf den anderen Ports.

In Gegensatz zu TCs leiten BCs die Syncs nicht weiter, sondern verwenden sie, um die eigene Uhr zu synchronisieren. Sie senden die Zeit dieser Uhr mit einer eigenen Sync. Damit trennen sie die Zeitdomäne in Unterdomänen.

Mit BCs wird eine Hierarchie von Uhren gebildet, an deren Spitze die GMC steht, die an einer Referenzzeit (z.B. GPS oder Atomuhr) angeschlossen ist.

Die BCs sind nicht so genau wie TCs, weil eine Kette aus vielen Uhren in Serie zu Instabilität neigt. Hingegen können BCs Zeitverteilungsdomänen unterteilen und bei Wegfallen der GMC ihre Subdomäne weiter synchronisieren.

Uhrengenauigkeit

Jede Uhr in der Kette führt eine Ungenauigkeit ein. Die Genauigkeit einer MC hängt von der Qualität der Referenzzeit und von der Stabilität des Referenzoszillators ab.

Jede TC fügt eine Ungenauigkeit ein, weil die Zeitstempelung von einem Quarz-Oszillator gewonnen wird, der eine endliche Frequenz hat. Es gibt auch mehrere Quarze, normalerweise einen pro Port, und daher entstehen Quantifikationsfehler.

Die Ungenauigkeit wächst mit der Anzahl Uhren, wie Bild 7 zeigt.

Zeitverteilung in Unterstation

Die primäre Zeitreferenz kommt aus dem übergeordneten Datennetz (WAN) z.B. SDH/SONET oder MPLS, wo eine Vielzahl von Atomuhren die absolute Zeit bildet (Bild 8). Sollte das WAN zusammenbrechen, übernimmt eine lokale Rubidium-Atomuhr, bis das WAN wieder funktioniert.

Bild 9 zeigt die Zeitverteilung innerhalb einer Unterstation.

Eine GPS-Verbindung dient als Rückfall (Back-up) und Plausibilitätskontrolle. Die MCs generieren auch 1-PPS-Signale, mit denen die Inbetriebsetzung kontrolliert wird.

Bild 9 zeigt verschiedene Abgänge, die Synchronisierung brauchen: links einen klassischen Abgang mit konventioneller analoger Messtechnik, rechts einen Abgang mit komplett digitaler Messtechnik und in der Mitte einen Abgang mit «Merging Units» (MU), welche die Messwerte der konventionellen Messinstrumente in IEC 61850-9-2 Meldungen packen.

Die IEC/IEEE 61850-9-3 Norm

Die IEEE/IEC 61588 Norm erlaubt eine Vielzahl von Optionen, z.B. 1-Schritt- oder 2-Schritt-Korrektur, Laufzeitmessung von Ende zu Ende oder von Port zu Port, Betrieb auf Layer 2 oder Layer 3. Die Norm nennt hingegen keine Genauigkeitsmerkmale.

Die IEC TC 57 WG 10 und SC 65C WG 15 haben in Zusammenarbeit mit IEEE PSRC ein Profil (eine Untermenge) der IEEE/IEC 61588 erarbeitet, das die Bedürfnisse von Untersta­tionen und Smart Grids deckt. Die Spezifikationen dazu entstanden in der Schweiz in Zusammenarbeit von ABB Forschungszentrum mit der EPFL und der ZHAW. Mit IEC/IEEE 61850-9-3 [10] lässt sich in einem Netzwerk mit 15 TCs eine Genauigkeit von einer Mikrosekunde erreichen. Die Norm bietet nahtlose Redundanz gemäss IEC 62439-3.

Obwohl dies in IEC/IEEE 61850-9-3 nicht spezifiziert ist, kann IEC/IEEE 61850-9-3 auf allen Ethernet-basierten Netzen verwendet werden, also auch in MPLS und Metro-Ethernet.

Redundanz

Stationsautomatisierungssysteme erfordern eine sehr hohe Verfügbarkeit. Daher ist eine LAN-Redundanz erforderlich. IEC 61850 schreibt vor, das Redundanzschema von IEC 62439-3 [8] Parallel Redundancy Protocol (PRP) und High Availability Seamless Redundancy (HSR) zu verwenden.

PRP arbeitet nach dem Prinzip, dass die Knoten an zwei getrennten, völlig unabhängigen LANs angeschlossen sind, die parallel betrieben werden. Ein derartiger, doppelt angeschlossener Knoten sendet Datagramme über beide LANs gleichzeitig; Die Datagramme laufen durch beide LANs; ein Empfangsknoten nimmt das erste Datagramm und verwirft das Duplikat.

Bild 10 zeigt das Prinzip von PRP an, wenn eine MC eine Synchronisation an eine OC sendet. Das PRP-Prinzip der Verwerfung von Duplikaten taugt hier nicht, da die Verzögerung, die eine Sync erfährt, beim Fahren über ein LAN oder über das andere LAN unterschiedlich ist. Die Sync haben daher unterschiedliche Korrekturfelder und sind daher keine Duplikate voneinander. Das Akzeptieren beider Sync für die Synchronisation würde einen signifikanten Jitter im Regelkreis des Oszillators der OC verursachen. Wenn eine 2-Schritt-Korrektur verwendet wird, wäre es schwierig, die Synchronisierung und die entsprechende Follow-Up zu verknüpfen.

Daher ändert IEC 62439-3 Annex A das PRP-Prinzip ausschliesslich für PTP-Meldungen. Eine OC behandelt die MC, die sie auf LAN A und LAN B sieht, als zwei verschiedene Uhren und wendet den «Best Master Clock» Algorithmus, um eine MC auszuwählen. Gleichzeitig überwacht die OC das andere LAN, um Fehler auf diesem Pfad zu erkennen. Da die Identität der MC über beide LANs gleich ist, verwendet die OC zusätzliche Zeitqualitätsinformation, um eine MC auszuwählen, beispielsweise diejenige mit dem kleinsten Korrekturfeld oder mit dem kleinsten Jitter.

IEC 62439-3 verwendet dieses Prinzip auch für HSR, wie Bild 11 zeigt. Innerhalb des HSR-Ringes verkehren die Sync in beiden Richtungen und werden von jedem HSR-Knoten korrigiert. Da korrigierte Syncs keine Duplikate mehr sind, werden sie aus dem Ring durch den Knoten, der sie eingefügt hat, entfernt. Jeder Knoten wählt die Syncs aus einer bestimmten Richtung und verwendet die andere Richtung, um den Pfad zu überprüfen.

Ein HSR-Ring kann an ein PRP-Doppel-LAN angeschlossen werden, wie Bild 11 zeigt. Dies könnte der Fall sein, wenn der Stationsbus [4] mit PRP und der Prozessbus [5] mit HSR arbeitet. In diesem Fall verkehren gar vier Syncs in jeder Sekunde. Dies verursacht aber kaum Mehrverkehr.

Da eine OC ihre MC auswählt, können mehrere MCs gleichzeitig aktiv sein in jedem LAN. Obwohl dies kaum die Verfügbarkeit steigert, dient diese Diversität dazu, die Konsistenz der Zeitverteilung zu prüfen, z.B. um sich gegen Cyber-Angriffe zu schützen.

Zusammenfassung

Mit IEC/IEEE 61850-9-3 und IEC 62439-3 verfügen die Datennetze über eine hochgenaue und hochverfügbare Zeitverteilung, die den anspruchsvollsten Anwendungen genügt. Eine solche Uhr erlaubt auch weitere Dienstleistungen, wie z.B. deterministische Übertragung von Abtastwerten. Im November 2015 führten verschiedene Hersteller in Brüssel mit Erfolg einen Interoperabilitätstest der Uhren in Redundanz durch. Damit ist der Weg frei für den Betriebseinsatz.

Literatur

[1]  IEC 61850-5 Communication networks and systems for power utility automation – Part 5: Communication requirements for functions and device models.

[2] IEC TR 61850-90-5 Communication networks and systems for power utility automation – Part 90-5: Use of IEC 61850 to transmit synchrophasor information according to IEEE C37.118.

[3] M. Pignati, L. Zanni, P. Romano, R. Cherkaoui and M. Paolone. Fault Detection and Faulted Line Identification in Active Distribution Networks Using Synchrophasors-based Real-Time State Estimation, in IEEE Transactions on Power Delivery, 2016.

[4] IEC TR 61850-90-12 Communication networks and systems for power utility automation – Part 90-12: Wide Area Network engineering guidelines.

[5] Internet RFC 2030 Simple Network Time Protocol (SNTP) Version 4 for IPv4, IPv6 and OSI, 1996.

[6] IEC 61850-8-1 Communication networks and systems for power utility automation – Part 8-1: Specific Communication Service Mapping (SCSM) – Mappings to MMS (ISO 9506-1 and ISO 9506-2) and to ISO/IEC 8802-3.

[7] IEC 61588 Precision Time Protocol, 2009.

[8] IEEE Std 1588, Standard for a Precision Clock Synchronization Protocol for Networked Measurement and Control Systems, 2008.

[9] ANSI/IEEE Std 801.2D, Media Access Control (MAC) Bridges, 2004.

[10] IEC/IEEE 61850-9-3 Communication networks and systems for power utility automation – Part 9-3: Precision time protocol for power utility automation, May 2016.

 

Autor
Roman Graf

ist Produktmanager bei ABB.

Autor
Prof. Dr Hubert Kirrmann

war Geschäftsführer von Solutil.

  • Solutil
    5405 Baden

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