Powerbank auf Rädern
Unterstützung der Verteilnetze
Elektrofahrzeuge sind primär «Stehzeuge»: Ihre meist grossen Batterien können dank bidirektionalem Laden nicht nur für die Optimierung des Eigenverbrauchs bei einer lokalen PV-Anlage eingesetzt werden, sondern können sogar die Stromnetze unterstützen. Dies ist sowohl für Swissgrid wie für Verteilnetzbetreiber eine interessante Perspektive.
Bis 2035 wird sich der Energiebedarf für die Mobilität – dank der steigenden Elektrifizierung des Strassenverkehrs – zu einem Grossteil auf Strom verschieben. Gemäss Schätzungen von Swiss Emobility wird 2025 der Anteil von Steckerautos bei Neuwagen zwischen 40% und 60% liegen, und 2035 werden es sogar 91% bis 99% sein. Die Schweizer Personenwagenflotte wird 2035 zwischen 50% und 60% aus Steckerfahrzeugen bestehen. Durch diese Elektrifizierung wird dank dem drei- bis viermal besseren Wirkungsgrad im Vergleich zum Verbrennungsmotor signifikant Energie gespart werden. Der Verbrauch von importierter fossiler Energie wird damit stark sinken. Gegenüber 2019 müssen im Jahr 2035, primär durch den Zubau von Photovoltaik, rund 6 TWh mehr Strom produziert werden. Dies entspricht «nur» zwei Drittel der Produktion des Kernkraftwerks Leibstadt, das als jüngstes Schweizer KKW noch bis 2044 am Netz bleiben dürfte.
Bereits heute wird der zusätzliche Strombedarf der Elektromobilität oft durch dezentrale PV-Anlagen sichergestellt. Deren Überschuss wird in die Netze geleitet oder kann in einem Speicher lokal gespeichert werden, um ihn am Abend oder Folgetag einsetzen zu können. Die Zwischenspeicherung ist je nach Tarifstruktur schon heute rentabel. Optimieren Prosumer ihren Eigenverbrauch «hinter» dem Zähler, dann sparen sie Netzkosten. Eine typische Familie weist einen Verbrauch von etwa 10 kWh/Tag auf. Noch einmal so viel kommt dazu, wenn ein Elektroauto geladen wird. Um den Überschuss aus der lokalen PV-Anlage vom Mittag in den Abend zu verlegen, reicht typischerweise ein 10-kWh-Speicher pro Familie aus. Deshalb sind die meisten auf dem Markt erhältlichen stationären Batterien in dieser Grössenordnung zu finden. Interessant ist die Tatsache, dass sobald ein Elektroauto mit der entsprechenden Ladestation in das Gebäude integriert wird, automatisch eine potenzielle «Batterie auf Rädern» angeschlossen ist. Und dies mit deutlich grösserer Batteriekapazität als die Heimspeicher.
Auch die Batterie profitiert
Dank bidirektionalem Laden ist es möglich, statt (oder ergänzend zu) einer stationären Batterie einen Teil der Autobatterie für diese Zwischenspeicherung einzusetzen. Die Lebensdauer der Batterie wird durch die bidirektionale Nutzung nicht verkürzt, denn die Entladung erfolgt sanft, mit geringer Leistung, und nie vollständig. Da sich die Batterie viel seltener im 100%-geladenen Status befindet, ein Zustand, der für die Batterie schädlich ist, könnte sich dies sogar positiv auf die Lebensdauer auswirken. Da Elektroautobatterien meist zwischen 50 und 100 kWh gross sind (also eigentlich viel zu gross für den durchschnittlichen täglichen Mobilitätsgebrauch), ist es sinnvoll, einen Teil dieser Kapazität für die Optimierung von PV-Anlagen einzusetzen. Es braucht dazu nur ein bidirektional ladbares Elektroauto, eine bidirektionale Ladestation und eine App, mit welcher der Benutzer seine Rahmenbedingungen eingibt. Zum Beispiel: «Das Elektroauto soll am Morgen um 7.00 Uhr zu 80% voll sein.» Dabei läuft die kostengetriebene Optimierung (Laden und Entladen) automatisch im Hintergrund. Dies wird auch V2H oder «Vehicle-to-Home» resp. V2B oder «Vehicle-to-Building» genannt.
Da sich mit dem bidirektionalen Laden der Kauf einer zusätzlichen Batterie vermeiden lässt, ist das Ganze bezüglich Ressourcenbindung (Stichwort graue Energie) interessant. Genau deswegen wurden die ersten spezifischen Förderprogramme für bidirektionale Ladestationen erstellt.
Als Erster fördert der Kanton Bern seit Jahren KMUs mit zusätzlichen 2000 CHF pro bidirektionale Ladestation, neuerdings der Kanton Tessin auch private Kunden, mit 4000 CHF pro bidirektionale Ladestation! Auch auf lokaler Ebene geht es in diese Richtung. So spricht zum Beispiel die Tessiner Gemeinde Val Mara (vor Kurzem entstanden durch die Fusion von Maroggia, Melano und Rovio) seinen Bürgern ebenfalls 2000 CHF für PV-Speicher zu. Die Förderung erhalten alle, die einen Energiespeicher für PV-Anlagen errichten, sei es nun eine stationäre Batterie oder ein Elektroauto mit bidirektionaler Ladestation. Im zweiten Fall wird statt der stationären Batterie die bidirektionale Ladesäule gefördert.
Auch bei Flotten sind individuelle Präferenzen möglich
Natürlich lässt sich das bidirektionale Laden auch auf Flotten übertragen. Dann werden die individuellen Bedürfnisse durch das digitale Buchungssystem der Fahrzeuge ersetzt. Mobility hat seit Anfang 2023 bereits 50 bidirektionale Elektrofahrzeuge im Einsatz, die ±20 kW netzdienliche Regelleistung abgeben können. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Buchungen wird automatisch der optimale Ladeplan für jedes Fahrzeug erstellt. Natürlich werden neue Buchungen oder Änderungen berücksichtigt, und der Plan wird sofort angepasst. Dank der dafür zuständigen Sun2wheel-Plattform wird die Situation jede Minute aktualisiert.
Das künftige Potenzial für Flexibilität ist gross
Wenn im Jahr 2035 beispielsweise 2 Millionen Elektroautos mit bidirektionalen Ladestationen 10 kW laden und entladen können und während 90% der Zeit eingesteckt sind, dann entspricht das einer Regelleistung von insgesamt ±18 GW – ein Vielfaches der Summe heutiger Pumpspeicherkraftwerke. Zum Vergleich: Das neue Linth-Limmern-Pumpspeicherkraftwerk hat eine Leistung von 1 GW. Und dafür wurden 2,1 Mrd. Franken investiert. Wenn man die bisher unbenutzte Regelleistung der elektrischen «Stehzeuge» auch zu netzstabilisierenden Zwecken einsetzen würde (Vehicle-to-Grid, V2G), müssten die E-Fahrzeugbesitzer nur einen kleinen Teil ihrer Batterien freigeben. So kann man eine Win-win-Situation für alle schaffen: Der Gegenwert eines netzdienlich ladenden Elektroautos könnte, je nach Situation, zwischen 300 und 3000 CHF pro Jahr liegen. Das ist umso interessanter, wenn man es mit dem Verbrenner-Fahrzeug vergleicht, das im Stand überhaupt nicht rentiert.
Für die 50-Hz-Stabilität des Schweizer Stromnetzes ist bekanntlich Swissgrid verantwortlich. Um dieses Ziel zu erfüllen, wird regelmässig Primärregelleistung (täglich) und Sekundärregelleistung (wöchentlich) ausgeschrieben und vergeben. Üblicherweise werden diese Flexibilitäten durch grosse Firmen abgedeckt. Zusätzlich sind spezialisierte Aggregatoren von vielen kleinen Lasten wie Tiko dabei: Bis jetzt wurden typischerweise Wärmepumpen, Boiler oder elektrische Heizungen zusammen in einem Pool angeboten. Ladestationen von Elektroautos sind besonders interessant, weil sie ein grosses Potenzial darstellen und in allen Jahreszeiten eingesetzt werden können. Statistisch gesehen stehen sie über 23 Stunden pro Tag zur Verfügung – eine Regelleistung kann sehr oft angeboten werden.
Regelleistung ist auch für Verteilnetzbetreiber interessant. Sie könnten vermehrt «Intelligenz» statt Kupfer installieren. So könnte die Ladung der dafür freigegebenen Elektroautos zu Spitzenzeiten temporär reduziert, angehalten oder sogar umgekehrt werden. Damit könnte ein Netzbetreiber zum Beispiel den Ausbau einer Trafostation vermeiden oder zeitlich hinausschieben, was Kosten spart. Das klassische Lastmanagement, wie es für Ladestationen für Flotten oder Einstellhallen verwendet wird, könnte auf einen Trafokreis ausgeweitet werden. Mit dem Lastgang einer Trafostation wird sichergestellt, dass die Nennleistung des Trafos nie überschritten wird. Bidirektionale Ladestationen können somit bei hoher Auslastung des Trafos rückspeisen und somit Engpässe gegen Entschädigung vermeiden. Der eilige Nachbar unter der gleichen Trafostation könnte somit auch bei hoher Belastung laden, allenfalls mit reduzierter Leistung. Natürlich würden die Elektroautobesitzer in einem solchen Modell für die Bereitstellung ihrer Flexibilität – mit einem Teil des eingesparten Betrags – vom VNB vergütet.
Die Powerbank-auf-Rädern-Lösung, besonders als Flotte, ist nicht ohne Herausforderungen. Die individuellen Bedürfnisse der Fahrer müssen berücksichtigt und die Flexibilitäten gebündelt werden, damit eine genügend grosse Regelleistung angeboten werden kann. Letztlich muss man auch garantieren und beweisen, dass die versprochene Regelleistung wirklich gehalten und bei Bedarf tatsächlich geliefert wird.
Bedürfnisse der Netzbetreiber übersetzen
Die im Pilotprojekt «V2X Suisse» eingesetzte Sun2wheel-Plattform übernimmt diese «Vermittlungsrolle» und übersetzt die Bedürfnisse der VNB in individuelle Steuerungen der einzelnen Ladestationen. Im Rahmen dieses Pilotprojektes konnte man sich mit drei Netzbetreibern (EWZ, Primeo und Aemsa) einigen, dass deren Regelbedürfnisse über ein doppeltes Rundsteuersignal von der Sun2wheel-Plattform empfangen werden (Bild 1). Da fast alle Netzbetreiber Rundsteuersignale einsetzen, sind die Zusatzinvestitionen dafür gering. Die Rundsteuerung kann als eine einfache Form der PLC (Power Line Communication) betrachtet werden, über welche Daten (unidirektional mit sehr niedriger Datenrate) als Broadcast versendet werden. Die Übertragung der Steuerbefehle erfolgt durch Impulsfolgen im Frequenzbereich von 100 Hz bis etwa 2 kHz. Jeder Netzbetreiber hat seine eigene Frequenz, damit die Steuerbefehle nur im eigenen Netz wirksam sind. Diese einfache Lösung mit dem doppelten Rundsteuersignal wird übrigens auch in der «Roadmap Elektromobilität 2025» vom Bund zitiert.
Natürlich ist es möglich, diese zwei Kontakte mit vier Zuständen noch weiter zu verfeinern, um Zwischenstufen steuern zu können. 2019 hatte eine DACHCZ-Arbeitsgruppe bis zu vier Kontakte (mit 16 Zuständen) als «Lösungsansatz zur Ansteuerbarkeit von Ladeeinrichtungen der Elektromobilität» entwickelt, welche dann aber als zu granular empfunden wurden. Dasselbe könnte man auch mit einem Smart Meter erreichen. Unabhängig davon, über welchen Kanal dies geschieht, was prioritär gelöst werden muss, ist die «Logik» des Signalversands seitens Netzbetreiber. Es braucht dynamische Netzbelastungskriterien anstelle der banalen «Zeituhr»-Befehle, die heute verbreitet sind.
Erste Erfahrungen
Die ersten Erfahrungen im Projekt «V2X Suisse», das durch das BFE unterstützt wird, haben sehr nützliche Erkenntnisse gebracht. Tiko hat es zusammen mit den «V2X Suisse»-Projektpartnern geschafft, eine Reaktionszeit (vom Swissgrid-Signal über die Tiko-Plattform bis zur Sun2wheel-Plattform an die Ladestation und letztlich an das Elektroauto) von 2 s zu erzielen. Also genügend schnell, um als kommerzieller Aggregator Flexibilität auch in der «Königsdisziplin» Primärregelleistung anbieten zu können. Die technische Aggregation über die Plattform ermöglicht eine genaue Dokumentation, an welchen Standorten welche Ladestationen reagiert haben. Dies stellt einen echten Mehrwert dar, denn bisher konnten die Netzbetreiber nicht rückverfolgen, ob beispielsweise eine Lastreduktion tatsächlich erfolgt war oder nicht. Diese «digitale Quittung» stellt die Voraussetzung dar, um die Lastbefehle künftig kommerziell abrechnen zu können.
Kommentare
Michael Renold,
Vielen Dank für den informativen Beitrag. V2X erachte ich als grossen Gamechanger, etablierte Standards vorausgesetzt.
Das Rundsteuersignal kann dazu sicherlich einen Beitrag leisten, in meinen Augen jedoch primär in «unmanaged buildings». Prosumer, welche ihren Eigenverbrauch optimieren und damit das Netz bereits entlasten, ist wohl mit einem aufgezwungenen Rundsteuersignal vom Netzbetreiber wenig gedient, bringt gar unnötig Komplexität ins Spiel. Liberale Lösungsansätze, wie zum Beispiel dynamische Netztarife, welche über Web abgefragt werden können, sehe ich als wesentlich zielführender, einfacher und rascher umsetzbar. So hoffe ich, dass nicht nur neuer Wein in alte Schläuche kommt, sondern die Chancen der Energiewende auch zukünftig allen Akteuren zur Verfügung stehen werden. Ich bin überzeugt davon, damit noch mehr vom riesigen Potenzial nutzbar machen zu können.