Energiebilanz von Solarstrom
Von Facts und Fake News
Bezüglich Sonneneinstrahlung ist die Schweiz weniger privilegiert als südliche Länder. Lohnt sich aus energetischer Sicht hierzulande der Einsatz von PV überhaupt? Die Ansichten gehen da stark auseinander.
Die Frage, ob Solaranlagen in der Schweiz energetisch amortisiert werden können, ist berechtigt. Von der Antwort sollte nämlich die Gestaltung der energetischen Zukunft abhängen. Man möchte schliesslich mit vernünftigen Investitionen die optimalen Energieformen wählen, um ein möglichst nachhaltiges Energiesystem zu schaffen. Entscheidungen basierend auf falschen Vorstellungen und Zahlen können unerwünschte Folgen haben, die sich nicht auf die Schnelle korrigieren lassen.

Um die gesellschaftliche Meinungsbildung zu erneuerbaren Energien auf ein solides Fundament zu stellen, wurden in wissenschaftlichen Zeitschriften Beiträge veröffentlicht, die, durch die Tagespresse aufgegriffen, eine gewisse Breitenwirkung entfalten. Beispielsweise der in der Basler Zeitung vom 20. Dezember 2017 erschienene Artikel mit dem Titel «Die verheerende Bilanz von Solarenergie». Der Artikel wurde von Alex Reichmuth und Ferruccio Ferroni verfasst und stützt sich auf Publikationen des Letzteren in der Zeitschrift Energy Policy [1, 2]. Da die Resultate dieser Artikel weit entfernt vom allgemeinen Forschungskonsens liegen, veröffentlichte Energy Policy auch eine umfassende Antwort von zahlreichen Wissenschaftlern, die dessen Methodik und das verwendete Zahlenmaterial infrage stellten.[3] Sie kamen zum Schluss, dass die Energiebilanz deutlich positiver zu beurteilen sei. Oder konkret: Der erste Beitrag äusserte die Ansicht, dass der Erntefaktor EROI (extended), der erweiterte Energy Returned on Energy Invested, bei 0,8 liegt, dass also für PV-Anlagen in der Schweiz mehr Energie benötigt wird, um sie herzustellen, zu transportieren, zu installieren usw., als sie in ihrer gesamten Lebensdauer produzieren können. Sie dürften also eigentlich nicht als Energiequellen bezeichnet werden. Marco Raugei und weitere 21 Autoren kommen in einer anderen Ausgabe desselben Journals auf Resultate, die um eine Grössenordnung besser sind: Sie kommen auf einen EROI, der zwischen 7 und 8 liegt, wobei sie auch Aspekte wie Service, Projektmanagement und Versicherungen berücksichtigen. Es überrascht also nicht, dass die Öffentlichkeit Mühe mit der Beurteilung des PV-Ertrags hat, wenn bereits in einer Zeitschrift eines renommierten Wissenschaftsverlags Artikel mit so divergierenden Resultaten veröffentlicht werden.
Die Frage bezüglich der Energiebilanz von Solarstrom ist im Prinzip zwar einfach, aber die Situation komplex, denn es gilt vieles zu berücksichtigen: die Energie für die Bereitstellung der für das PV-System benötigten Materialien, die Energie für die Herstellung der PV-Anlagen, die Energie für den Transport der Materialien und der kompletten PV-Anlagen, die für die Installation der Systeme und für deren Entsorgung bzw. das Recycling erforderliche Energie sowie die Primärenergie, die für den Betrieb und die Wartung der Solaranlagen benötigt wird.
Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Situation dynamisch ist, denn die Fertigungsprozesse der PV-Anlagen werden kontinuierlich optimiert und der Materialeinsatz für die PV-Schicht sowie für die Montagestruktur minimiert. Diese Komplexität führte bereits in den 1970er-Jahren dazu, methodologische Fragen zur Ermittlung des EROI zu diskutieren, um zu einem Konsens zu kommen. Wie man an den aktuellen Publikationen sieht, ist diese Diskussion noch nicht abgeschlossen.
Die Situation heute
Eine auf einem wissenschaftlichen Konsens basierende Studie wurde von der internationalen Energieagentur IEA herausgegeben.[4] Sie befasst sich mit dem Life Cycle Assessment der künftigen Solarstromproduktion durch Anlagen im Haushaltsbereich in Europa, also um kleinere, auf Dächern installierte PV-Anlagen. Die Studie geht auf monokristalline Siliziumzellen und auf CdTe-Dünnschicht-Zellen ein. Siliziumzellen (mono- und polykristalline) sind in der Schweiz marktbeherrschend. Der Marktanteil von CdTe-Zellen liegt in der Schweiz gemäss Franz Baumgartner, Professor an der ZHAW, unter 1%, weltweit unter 6%. Franz Baumgartner hat sich seit 30 Jahren intensiv mit der Solartechnologie beschäftigt, zunächst in der Halbleiterforschung und heute mit Schwerpunkt auf der Anwendung und Zuverlässigkeit der Solarsysteme. Gemäss ihm ist der Anteil an Dünnschicht-PV in der Schweiz so gering, weil keine Fussballfeld-grossen Kraftwerke wie beispielsweise in den USA gebaut werden. Die Fassadenlösungen mit Dünnschichttechnologien wie CIGS gingen auch nicht über einige 100 kW Nennleistung hinaus, da sie heute kaum Kostenvorteile böten.
Wegen der Marktdominanz können wir uns hier also auf Silizium-PV konzentrieren. Die IEA-Studie gibt als Energy Payback Time, die energetische Amortisationszeit, bei einer in Europa auf einem Hausdach installierten Solaranlage mit monokristallinem Silizium und einer Nennleistung von 3 kW 2,8 Jahre an (Bild 3).1) Beim System wurden die Montage, Verkabelung, die Umrichter und der Unterhalt berücksichtigt. Umgerechnet ergibt dies bei einer Lebensdauer von 25 Jahren einen EROI von 9. Bei polykristallinem Silizium ist die Amortisationszeit laut Rolf Frischknecht, einem Co-Autoren [4], noch ein wenig kürzer: Sie liegt bei 2,2 Jahren (gesamte Primärenergie) bzw. 2,0 Jahren (Anteil der nicht erneuerbaren Primärenergie).
Künftige Optimierungen
Die Situation dürfte künftig noch besser werden. Optimierungen des Produktionsprozesses, neue Forschungserkenntnisse, Anwendererfahrungen, Skaleneffekte und technologische «Spillovers» könnten sich positiv auf EROI-Werte auswirken. Die sinkenden Kosten bei Solaranlagen sprechen diesbezüglich eine klare Sprache. Bei den technischen Aspekten wie Wirkungsgrad und Primärenergieverbrauch bei der Herstellung sind die Fortschritte zwar nicht so ausgeprägt, aber auch hier trifft man auf Optimierungen. Nebst den erwähnten Verbesserungen ist auch wahrscheinlich, dass die Nachhaltigkeit des Primärenergiemixes steigt, da für die Herstellung künftig vermehrt erneuerbare Energien eingesetzt werden dürften.

Konkretere Zahlen bzw. Prognosen zu den Optimierungen erhält man in der IEA-Studie. Da geht man beispielsweise davon aus, dass die Waferdicke von heute 190 mm auf 120 mm, im optimalen Fall auf 100 mm reduziert wird. Diese Reduktion gilt analog auch für den Kerf Loss, d.h. für die durch das Sägen verursachten Materialverluste. Dies senkt den Primärenergiebedarf spürbar. Zudem sollte der für die Kontakte benötigte Silberanteil pro Zelle von heute 9,6 g/m2 etwa um die Hälfte sinken. Auch die Glasdicke dürfte von 4 mm auf 3 mm, im besten Fall auf 2 mm sinken, was weitere energetische Einsparungen bringen würde.
Die Studie schätzt zudem, dass sich die heutige dreissigjährige Lebensdauer um rund 5 Jahre verlängern liesse, im Maximalfall um 10 Jahre. Alle diese Optimierungen würden zu einer Reduktion der energetischen Amortisationszeit führen. Die Studie prognostiziert für im Jahr 2050 in der Schweiz eingesetzte Si-Module eine Amortisationszeit von 1,5 Jahren. Bei einer Lebensdauer von 30 Jahren käme man somit auf einen Erntefaktor von 20.
Dass diese Prognosen nicht unbegründet sind, sieht man an bisherigen Fortschritten: Gemäss Franz Baumgartner wurde die industrielle Produktion so verbessert, dass man die Verwendung von hochreinem Silizium um den Faktor 4 reduzieren konnte. Baumgartner präzisiert: «Auch die Dicke der Siliziumwafer konnte in den letzten zwei Jahrzehnten um den Faktor 3 reduziert werden.»
Methodische Fehler, falsche Zahlen
Wenn man nach Gründen sucht, wieso die Ergebnisse der Veröffentlichungen so stark voneinander abweichen, wird man in den genannten Artikeln selber fündig. Beispielsweise werden unsachgemässe Vergleiche mit anderen Energiesystemen angestellt, da unterschiedliche Systemgrenzen angenommen werden. Bei Ferroni [1] ist es unter anderem die Annahme, dass bei der Berechnung des Erntefaktors auch ein gewisser Anteil an Energiespeichern miteinbezogen werden muss. Konkret berücksichtigen sie eine Speicherung von 25% der Solarenergie mittels Pumpspeicherkraftwerken. Ihre Fragestellung geht also bereits über die Frage hinaus, wie viel Energie netto mit den PV-Systemen erzeugt bzw. verbraucht wird, sondern zielt darauf ab, ein PV-System zu gestalten, das alle Bedürfnisse der Stromverbraucher kontinuierlich abdecken kann. Bei anderen Energiequellen – Bandenergieerzeugern wie Kernkraft –, die alleine auch nicht über die nötige Flexibilität verfügen, um Verbrauchsfluktuationen komplett aufzufangen, werden solche Speicher beim Vergleich interessanterweise nicht vorausgesetzt. Unterschlagen wird auch, dass die Situation in der Schweiz momentan so stabil ist, dass ein weiterer PV-Ausbau mit Netzintegration auch ohne zusätzliche Energiespeicher möglich wäre.
Im Beitrag von Raugei [3] werden Ferroni weitere Fehler vorgeworfen: die Verwendung falscher oder veralteter Daten und die doppelte Berücksichtigung gewisser Energieaufwendungen, die bereits in den Energiezahlen enthalten sind. Beispielsweise wird in [1] auf eine Studie Bezug genommen, bei der die Waferdicke 350 mm und der Sägeverlust 300 mm betragen, was etwa 16 g Silizium pro Watt Nennleistung entspricht. Seit 2013 liegt der Durchschnittswert aber unter 6 g/W. Mit dem gleichen Material liesse sich somit 2,7 Mal mehr Energie erzeugen, was den entsprechenden CED (kumulativen Energieverbrauch) um rund 30% senken würde.
Verhärtete Fronten
Auf die Einwände von Raugei gehen Ferroni und Hopkirk in ihrer Antwort [2] nicht wirklich ein, sondern bekräftigen (auf Seite 499) erneut ihren ursprünglichen Standpunkt, der die Ergebnisse der International Energy Association nicht akzeptiert: «The IEA guidelines reflect rather the position of the PV industry and offer false and misleading results through erroneous calculation of the energy invested ... As a consequence, the societal benefits of PV turn out to be wrongfully amplified.»
Aber Unverständnis weht Ferroni und Hopkirk nicht nur von IEA-Sympathisanten beziehungsweise Anhängern des dort eingesetzten Life Cycle Assessments entgegen. Man stösst im Internet auf Blogs wie den von Maury Markowitz auf www.resilience.org mit dem Titel «Another failure of scientific peer-review: A completely wrong paper on the energy return of photovoltaic energy». Dabei geht Markowitz nicht nur unterhaltsam auf die zahlreichen Fehler des Ferroni-Artikels ein, sondern gibt nebenbei einen Einblick in die Mechanismen und Schwachstellen des wissenschaftlichen Publizierens. Zudem gibt er nützliche Tipps, beispielsweise zur Berechnung des lokalen PV-Ertrags mittels des Online-Rechners des U.S. Department of Energy, der über genaue Wetterdaten der letzten 30 Jahre verfügt. In diesem Kontext ist auch die Website der EU empfehlenswert.

Vielversprechende Aussichten
Das Thema Energiebilanz der Photovoltaik zeigt auf, dass es sich lohnt, auch Publikationen in wissenschaftlichen Journals kritisch zu lesen. Es ist zwar verständlich, dass bei solch umfangreichen Systembetrachtungen je nach Datenbasis und Annahmen die Resultate eine gewisse Streuung aufweisen. Aber dass man um eine Grössenordnung daneben liegt, zeugt nicht von einer wissenschaftlichen Einstellung, die neuen Erkenntnissen und Daten gegenüber offen ist, sondern davon, dass im Hintergrund andere Motivationen wirksam sind, die sich dann in Zeitungsartikeln mit reisserischen Titeln und einer spezifischen politischen Botschaft entladen.
Vernachlässigt man die «Ausreisser», kommt man zum Schluss, dass bereits heute PV-Anlagen in der Schweiz nach weniger als 3 Jahren energetisch amortisiert sind und bis zu ihrem Lebensende von mindestens 25 Jahren erneuerbare Energie produzieren. Die kontinuierliche Optimierung der Herstellungsprozesse wird erfreulicherweise künftig zu noch höheren Solarstromerträgen führen.
Referenzen
[1] Ferruccio Ferroni, Robert J. Hopkirk, «Energy Return on Energy Invested (ERoEI) for photovoltaic solar systems in regions of moderate insolation», Energy Policy 94, 2016, S. 336 – 344.
[2] Ferruccio Ferroni, Alexandros Guekos, Robert J. Hopkirk, «Further considerations to: Energy Return on Energy Invested (ERoEI) for photovoltaic solar systems in regions of moderate insolation», Energy Policy 107, 2017, S. 498 – 505.
[3] Marco Raugei, et al., «Energy Return on Energy Invested (ERoEI) for photovoltaic solar systems in regions of moderate insolation: A comprehensive response», Energy Policy 102, 2017, S. 377 – 384.
[4] Rolf Frischknecht, René Itten, Franziska Wyss, Isabelle Blanc, Garvin Heath, Marco Raugei, Parikhit Sinha, Andreas Wade, «Life Cycle Assessment of Future Photovoltaic Electricity Production from Residential-scale Systems Operated in Europe», Report IEA-PVPS T12-05:2015, IEA, 2015.
Literatur
Arnulf Jaeger-Waldau, PV Status Report 2017, European Union, 2017.
Anmerkung
1) Dabei geht man von folgenden Zahlen aus: Si-Zelleneffizienz: 16,5%; PV-Moduleffizienz: 15,1%; jährliche Stromerzeugung pro kW Nennleistung: 975 kWh/kW inklusive Alterung von durchschnittlich 10,5% über die gesamte Lebensdauer; jährliche Sonneneinstrahlung: 1331 kWh/m2. Die Lebensdauer der PV-Anlage wird mit 30 Jahren angegeben.
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