Cigre-Medal geht an Klaus Fröhlich
Auszeichnung für besonderes Engagement
An der Cigre-Session in Paris erhielt Klaus Fröhlich die Cigre-Medal, die höchste Auszeichnung der «Global Community for Power System Expertise». Der emeritierte Professor der ETH Zürich blickt im Interview auf die Session zurück und erläutert die aktuellen Herausforderungen, die nicht nur Technologien betreffen.
Seit 1921 bündelt die Cigre das Wissen von Experten im Bereich der elektrischen Netze und ermöglicht einen fachlichen und wissenschaftlichen Austausch auf internationaler Ebene. Alle zwei Jahre trifft sich die Cigre-Gemeinschaft zur Session in Paris. In diesem Jahr fand die Session mit ca. 3700 Teilnehmern vom 26. bis 31. August statt. Der frühere Cigre-Präsident Klaus Fröhlich gibt einen Einblick in die Aktivitäten und Herausforderungen dieser Energieplattform.
Bulletin: Im Jahr 2014 wurde Konstantin Papailiou Cigre-Fellow, 2016 folgte ihm Pierre Boss, nun wurde Ihnen die Cigre-Medal verliehen. Die Schweizer Präsenz geniesst in Cigre ein hohes Ansehen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Klaus Fröhlich: Sehr viel. Es ist die höchste Auszeichnung, die Cigre zu vergeben hat. Es gibt maximal zwei Medaillen alle zwei Jahre. Die, die diese Auszeichnung erhalten, wurden sehr sorgfältig selektiert. Die Leistung im administrativen und/oder im technischen Bereich wird dabei berücksichtigt.
War es bei Ihnen der technische oder der administrative Bereich, der zur Medal führte?
Beides. Ich war sechs Jahre lang Chairman der technischen Abteilung und vier Jahre Cigre-Präsident – und offenbar habe ich dabei einiges richtig gemacht.
Was hat Sie an der diesjährigen Session überrascht?
Erstaunlich ist die rasche Zunahme der Hersteller und der Firmen, die es in den diversen Sektoren unseres Fachbereichs gibt, z. B. im Bereich Digitalisierung und Diagnostik. Innovationen im Apparatebereich sind eher inkrementelle Verbesserungen statt grosser Durchbrüche. Aber auch diese sind interessant und wichtig. Man sieht kontinuierlichen Fortschritt im Bereich der Miniaturisierung und der Optimierung. In zwei Jahren wächst dieses Segment ja nicht so schnell, man kann also nichts Überraschendes erwarten.
In welchem Bereich der Hochspannungstechnik wird heute am intensivsten geforscht?
Es gibt verschiedene Fronten. Der Ersatz von SF6 und die Leistungselektronik stehen bezüglich Forschung und Entwicklung unter anderem vorne. Heute besteht ein grosser Bedarf in der Hochspannungs-Gleichstromübertragung. Ein weiteres grosses Gebiet sind die erneuerbaren Energiequellen und ihre Integration. Ich vermeide jetzt das Schlagwort Smart Grid, da es schon ziemlich abgenützt ist und nenne es, der Cigre-Strategie folgend, das Netz der Zukunft. Um Letzterem Rechnung zu tragen, hat Cigre heute einen verschobenen Aktivitätsschwerpunkt. Während Cigre früher immer mit dem Hochspannungsnetz in Verbindung gebracht wurde, ist Cigre heute im gesamten Energiesystem aktiv, was natürlich das Verteilnetz beinhaltet. Die Interaktion zwischen Übertragungs- und Verteilnetz wird ja immer ausgeprägter. Cigre hat schon seit einigen Jahren eine End-zu-End-Betrachtung, also vom Erzeuger bis zum Verbraucher. Wobei mit Verbraucher eher der Hausanschluss als der Kühlschrank gemeint ist. Diese Schwerpunktverschiebung betrachtet Cigre als strategisch sehr wichtig.
Da spielt aber das Thema Digitalisierung auch eine grosse Rolle.
Natürlich. Wenn Sie das Portfolio von Cigre anschauen, d. h. den Aufgabenbereich der einzelnen Studienkomitees, so sehen Sie, dass Cigre verschiedenste Aktivitätsfelder hat. Einerseits sind das die Komponenten und Subkomponenten, wie z.B. Generatoren, Transformatoren, Hochspannungsapparate bzw. Kabel, Freileitungen, HGÜ. Aber auch systemrelevante Themen – Netzplanung, Netzverhalten, Strommarkt und andere – sind gleich wichtig. Mit Digitalisierung im Energienetz ist das Komitee D2 «Information Systems and Telecommunications» beschäftigt. Das Komitee B5 beschäftigt sich mit Automatisierungsthemen, Steuerung usw. Da ist Cigre schon gut etabliert. Leider wird das von Fachkollegen im IT-Bereich oft übersehen. Eigentlich wären viele ITG-Mitglieder potenziell wichtige Cigre-Mitglieder.
Werden die AC/DC-Hybrid-Hochspannungsleitungen kommen?
Sie werden kommen, aber es lässt sich noch nicht sagen, in welchem Ausmass. In Deutschland wird z. B. einer der vier geplanten Nord-Süd-Korridore zu einem Grossteil als Hybridleitung ausgeführt. Wir haben am Institut schon lange an Hybridleitungen gearbeitet, auch Cigre ist da aktiv. Es ist eine elegante Lösung, um rasch eine Kapazitätserhöhung eines bestehenden Korridors zu erreichen. Ein Faktor 1,5 bis 2 ist möglich. Welche Probleme dies in Bezug auf Steuerung und Überwachung bringen wird, wissen wir noch nicht genau. Ich denke aber, dass diese Technologie auf Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte und einem bereits gut ausgebautem Wechselspannungsnetz beschränkt sein wird. Aber in Europa könnte es Nachahmer geben.
Wo liegen die grössten Herausforderungen bei der Hochspannung? Im technologischen oder im gesellschaftlichen Bereich?
Das sind zwei verschiedene Aspekte, die interagieren und gleich wichtig sind. Bei der Technologie ist es sicher die Suche nach einer finanziell attraktiven unterirdischen Kabelverlegung. Die heute kommunizierten Angaben über die Kosten stimmen nicht immer, beispielsweise dass die Erdkabelverlegung nur um einen Faktor zwei teurer ist, wie für manche Projekte in der Schweiz angegeben wurde. Ich denke, dieser Faktor ist deutlich höher. Auch bei Kabeln muss gerodet werden und Durchgangrechte müssen erworben werden. Die Herausforderung ist hier, dass man günstigere Methoden für die Verlegung im Untergrund findet. Auf der anderen Seite kann sicher die fehlende Akzeptanz für Freileitungen in der Bevölkerung als grösstes Problem betrachtet werden. Obwohl sie eine gute technische Lösung darstellt, wird eine Freileitung nicht akzeptiert, weil sie sichtbar ist. Die Methoden, wie man an die Planung und die Installation einer neuen Leitung herangeht, mit einer vorzeitigen Mediation, müssen gepflegt werden. Die Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig, auch das Zurechtrücken der Realität. Auf beiden Seiten wird ja manchmal mit Verschweigen gewisser Fakten operiert. Da besteht grosser Lern- und Handlungsbedarf. Die Substitution von SF6 ist auch ein solches Arbeitsgebiet. Obwohl meiner Meinung nach dieses Gas wegen sorgfältigster Behandlung durch die Anwen-der im Vergleich zu anderen Treibhausquellen, wie etwa CO2 oder Methan, insignifikant ist. Wichtig ist auch die Arbeit an Kabeln für grössere Meerestiefen. Heute ist man bei rund 2000 m, da kommt man bei Verbindungen wie beispielsweise durchs Mittelmeer oder anderen transkontinentalen Verbindungen an Grenzen. Wenn man an die weitere Zukunft denkt, hat man bei interkontinentalen Verbindungen noch Handlungsbedarf.
Welche Rolle werden Sie nun bei Cigre spielen?
Ich bin immer noch Mitglied im Administrative Council, dem Vorstand von Cigre, das ist man als früherer Präsident auf Lebenszeit. Ich habe auch verschiedentlich Einladungen, um Keynotes an Konferenzen zu halten. Das Prinzip von Cigre ist ja, dass man einen Arbeitgeber hat, der das finanziert. Der fehlt mir jetzt natürlich.
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