Zuverlässig und günstig
Stromnetz
Die hohe Verfügbarkeit und die Zuverlässigkeit des Schweizer Netzes werden als selbstverständlich vorausgesetzt. Das birgt gewisse Gefahren.
Die Schweizer Energieversorgung wurde über Jahrzehnte auf höchste Sicherheit und Verfügbarkeit zu vernünftigen Kosten ausgerichtet. Dabei war man so erfolgreich, dass diese hohe Verfügbarkeit heute schon fast als Gefahr für die Netze bezeichnet werden kann. Weil in der Schweiz kaum jemand je einen längeren Unterbruch erlebt hat, kann sich auch niemand in der Politik oder den Behörden einen solchen Vorfall vorstellen. Die hohe Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit werden als selbstverständlich und gegeben betrachtet, obwohl sie das Resultat von 100 Jahren sorgfältiger Arbeit und ständiger Optimierung sind.
Dies führt dazu, dass andere Aspekte der Stromversorgung ins Zentrum des Interesses rücken. So schreibt und spricht das BFE regelmässig von hohen Netzkosten, zuletzt in den Beilagen zum erläuternden Bericht zur Revision StromVG. Für den Fall, dass die Kosten nicht sinken, droht das Bundesamt schon mit einer Anreizregulierung, um die Kosten in den Griff zu bekommen. Hier stellen sich zwei Fragen: Wie wichtig ist dieser Punkt? Und stimmen die Aussagen des BFE zu den hohen Netzkosten überhaupt? Auch bei den Politikern scheinen die Senkung der Netzkosten und nicht die Beibehaltung der hohen Versorgungsqualität zuoberst auf der Prioritätenliste zu stehen. Leider kommt niemand auf die Idee, dass dies den Interessen der Schweiz eigentlich zuwiderläuft. Es müssen zuverlässige und günstige, nicht billige Netze angestrebt werden. Eine zuverlässige und günstige Stromversorgung ist ein klarer Standortvorteil, da die Folgekosten von Ausfällen viel höher sind als die potenziellen Kostensenkungen. Kommt es aufgrund von Sparmassnahmen und regulatorischen Unsicherheiten zu einem Investitionsstau, kostet dessen Abbau ein Vielfaches dessen, was eine kontinuierliche Erneuerung und Ausbau kosten würden.
Fundamentaler Wandel der Energieversorgung
Die Energiewende, die Digitalisierung, die Marktöffnung und viele andere Faktoren führen zudem zu einem fundamentalen Wandel der Energieversorgung. Die Netzbetreiber müssen die Netze für die dezentrale Energieproduktion umbauen und automatisieren, während Gesetze und Verordnungen laufend ändern und der Kostendruck steigt. Der Smart-Meter-Rollout soll beispielsweise seit Anfang 2018 mit Hochdruck vorangetrieben werden, während parallel über die Liberalisierung des Messwesens diskutiert wird. Von den Netzbetreibern werden Investitionen in Smart Grids und die Digitalisierung erwartet, notabene bei sinkenden Gesamtkosten. Wo kann da gespart werden? Die Energieversorger gehören weltweit zu den meist attackierten Zielen von Cyber-Attacken (beispielsweise das Stromnetz der Ukraine oder KKW von KHNP in Südkorea), und auch die Schweiz wird gemäss internationalen Analysen sehr häufig angegriffen. Anstatt auf die Kosten müsste hier zwingend auf die Sicherheit geschaut werden. In solchen Zeiten des Umbruchs müssen Investitionen getätigt und innovative Ideen und Produkte ausprobiert werden. Es ist völlig unsinnig, einen radikalen Umbau des Energiesystems zu verlangen und gleichzeitig die Kosten zu senken. Aus diesen Gründen ist auch die Cost-Plus-Regulierung die richtige Regulierung für die Energiewende. Ist diese geschafft, könnten die Konsolidierung und Optimierung mit einer Anreizregulierung umgesetzt werden. Eine solche während einer Phase des Umbruchs einzuführen, erscheint dagegen völlig abwegig.
In den Medien wird oft geschrieben, dass die Netzbetreiber hohe Gewinne machen. In Wahrheit dürfen sie neben den tatsächlichen angefallenen Kosten aber nur die jährliche Verzinsung der zum Betrieb der Netze notwendigen Vermögenswerte einnehmen. Der vom BFE festgelegte Kapitalzinssatz (WACC) beträgt aktuell 3,83 %. Da im Schweizer Durchschnitt etwa die Hälfte der Kosten Betriebskosten und die andere Hälfte Kapitalkosten sind, darf ein Netzbetreiber somit durchschnittlich zirka 1,9 % Gewinn auf seinem Gesamtumsatz erwirtschaften. Dieser Wert erscheint nicht allzu hoch und würde bei privaten Unternehmen nicht für einen positiven Investitionsentscheid ausreichen. Dank den in der Vergangenheit tiefen Risiken im regulierten Netzbereich wurden in der Vergangenheit dennoch Investitionen getätigt. Die ständig steigende regulatorische Unsicherheit könnte aber dazu führen, dass auch die Netzbetreiber die Investitionen eher zurückfahren und Mühe haben werden, um Fremdkapital zu beschaffen, wodurch ein Investitionsstau entsteht. In der systematischen Rechtssammlung werden per 1. Juni 2019 elf Versionen der StromVG und 18 (!) Versionen der StromVV aufgeführt, wobei das StromVG erst 2007 in Kraft getreten war. Dies illustriert sehr gut, wie instabil die regulatorischen Vorgaben in den letzten Jahren waren.
Sind die Schweizer Netzkosten wirklich so hoch?
Die reine Kostenfrage erscheint im Moment daher nicht allzu sinnvoll. Aber stimmt wenigstens die Aussage, dass die Schweizer Netzkosten hoch sind? Im Faktenblatt 1 zur Revision StromVG schreibt das BFE, dass die Schweizer Endkunden im internationalen Vergleich überproportional hohe Netzpreise bezahlen müssen. Demgegenüber ist die Schweiz im Energy Trilemma Ranking des World Energy Council seit Jahren in den Top 3 der Welt, was vor allem der zuverlässigen und CO2-armen Produktion geschuldet ist. Die Schweiz liegt aber auch im Faktor «Energy Equity» auf Platz 6, was bedeutet, dass sich alle Bewohner der Schweiz elektrische Energie leisten können. Dies ist ein Indiz – wenn auch kein Beleg – dafür, dass die Netzkosten im Vergleich zur Kaufkraft nicht übermässig hoch sind.
Dem Tätigkeitsbericht 2017 der Elcom kann entnommen werden, dass die Schweizer Endverbraucher im Profil H4 (5-Zimmerwohnung mit Elektroherd und Tumbler [ohne Elektroboiler]) durchschnittlich 9,6 Rp./kWh für die Netznutzung bezahlen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) schreibt in der BDEW-Strompreisanalyse vom Januar 2019 von durchschnittlich 7,39 ct/kWh für deutsche Haushaltskunden. Beide Werte sind ohne Abgaben und Steuern berechnet. Die Tarife für Deutschland sind mit heutigen Wechselkursen zwar etwas tiefer, liegen jedoch in der gleichen Grössenordnung. Hier stellt sich aber schon das erste Problem: Welcher Wechselkurs soll für Netze angewendet werden, welche in den vergangenen 50 Jahren gebaut wurden? Wenn wir von den unterschiedlichen Lohn- und Materialkosten sowie den unterschiedlichen Kosten für Land und Durchleitungsrechte einmal absehen, hat der aufwendigere Bau des Schweizer Netzes zu einer höheren Versorgungsqualität, vermutlich aber auch zu leicht höheren Kosten geführt.
Schweizer sitzen nicht lange im Dunkeln
Musste ein durchschnittlicher Schweizer Endverbraucher gemäss dem erwähnten ElCom-Bericht im Jahr 2016 insgesamt während 9 min ohne Stromversorgung auskommen, waren es gemäss Bundesnetzagentur 12,8 min im Jahr 2016 und 15,1 min im Jahr 2017. Ein Grund für diese höheren Wert ist die Netztopologie. Während es in der Schweiz üblich ist, die Netze insbesondere im urbanen Raum bis auf die Netzebene 5 herunter vermascht zu bauen, wird in Deutschland in tieferen Netzebenen häufiger ein Stern- oder Liniennetz gebaut. Die vermaschten Netze werden im Normalbetrieb zwar offen betrieben, lassen im Fehlerfall oder für Bau und Unterhalt aber eine Umschaltung zu. Aus diesem Grund kann die Versorgung nach einem Ausfall in der Schweiz normalerweise schnell wiederhergestellt werden. Die Schäden sind dann zwar noch nicht behoben, aber dank der Vermaschung kann das betroffene Element überbrückt werden. Werden diese Reserveleitungen eingespart, sinken nicht nur die Kosten, sondern auch die Verfügbarkeit. In Deutschland werden die Netze viel weniger vermascht gebaut, wie ein Beispiel in Berlin zeigte. Nachdem ein Bauarbeiter zwei parallele 110-kV-Kabel in einer Brücke angebohrt hatte, fiel der Strom in 30 000 Haushalten während über 30 Stunden aus. Auch wenn ein einzelner Vorfall natürlich nicht repräsentativ ist, zeigt er doch, wie wichtig die Vermaschung ist. Ein Bericht des Council of European Energy Regulators (CEER) zeigt klar auf, dass die Schweizer Elektrizitätsversorgung, unter anderem dank dieser Vermaschung, eine der zuverlässigsten, wenn nicht sogar die zuverlässigste in ganz Europa ist.
Auch in Italien oder Frankreich liegen die Netzkosten vermutlich etwas tiefer, wie auch die Personalkosten oder Kosten für Durchleitungsrechte. Aber können wir unsere Netze wirklich mit einem Land wie Italien vergleichen, in welchem die Freileitungen in den Dörfern an den Aussenmauern der Gebäude befestigt sind? Neben den optischen Bedenken fällt das Netz in Italien für jeden Endverbraucher durchschnittlich während über 90 min pro Jahr aus, in Frankreich während etwa 30 min. Diese Netze bieten nicht die gleiche Versorgungsqualität wie das Schweizer Netz und sind daher auch nicht mit diesem vergleichbar. Entsprechend erübrigt sich auch ein einfacher Kostenvergleich, welcher keine anderen Faktoren berücksichtigt.
Regulierung vs. Innovation
Die relevanten Fragen müssten eigentlich lauten: Investieren die Netzbetreiber genug in die Innovation und (IT-)Sicherheit, um die ES 2050 sicher und effizient umzusetzen? Entsprechen die Netzkosten dem geforderten und gebotenen Niveau der Versorgungsqualität? Leider können nicht alle diese Fragen mit «ja» beantwortet werden. Aufgrund der regulatorischen Vorgaben wird es immer schwieriger, neue Technologien und Ideen auszuprobieren. So steht im StromVG Art. 15 Abs. 1, dass die Betriebs- und Kapitalkosten eines sicheren, leistungsfähigen und effizienten Netzes sowie ausnahmsweise die Kosten innovativer Massnahmen für intelligente Netze – sofern sie die vom Bundesrat bestimmten Funktionalitäten aufweisen – anrechenbar sind. Die Behörden gehen also offenbar davon aus, dass die Kosten für innovative Massnahmen nicht grundsätzlich anrechenbar sind und beispielsweise Innovationen im klassischen Netzbau nicht einmal ausnahmsweise anrechenbar sein sollen. Offenbar kann auch nur der Bundesrat beurteilen, welche Funktionalitäten ein intelligentes Netz aufweisen muss. Das lässt den Schluss zu, dass die Reduktion der Netzkosten ausschliesslich über eine Reduktion von Unterhalt und Ausbau und über die Digitalisierung erfolgen soll. Da stellt sich schon die Frage, ob das bei der effizienten Umsetzung der ES 2050 wirklich machbar und im Sinne der Schweiz ist.
Werkzeuge für ein sicheres und günstiges Netz
Die Schweizer Netzbetreiber haben in über 100 Jahren äusserst sichere, zuverlässige und günstige Netze gebaut und betrieben. Die neuen, häufig wechselnden regulatorischen Vorgaben riskieren leider eine Verminderung dieser Zuverlässigkeit bei steigenden Kosten. Das regulatorische Mikro-Management erstickt jegliche Innovation im Keim. Anstatt hohe Netzpreise herbeizureden, sollte sich das BFE bemühen, den Netzbetreibern die Werkzeuge zu geben, damit diese ihre unternehmerische Verantwortung wieder wahrnehmen und auch in Zukunft sichere und günstige Netze bauen und betreiben können.
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