Fachartikel Infrastruktur , Smart Grid

Zum optimalen Netz

Festlegung der optimalen Topologie eines Verteilnetzes

03.05.2017

Verteilnetze sind mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Diesen sollte nicht nur durch punktuelle Verstärkungen begegnet werden. Um die beste ­Topologie für die zukünftigen Anforderungen zu finden, wurde ein Planungstool entwickelt, das die vorhandene Infrastruktur optimal nutzt.

Mit der Zunahme der dezentralen Energieerzeugung, der Verbreitung der Elektrofahrzeuge sowie der Integration von intelligenten Technologien werden die Verteilnetze eine zentrale Rolle im elektrischen System der Zukunft spielen. Während der letzten Jahrzehnte wurden die Mittelspannungs- (MS) und Niederspannungsnetze (NS) verstärkt und erweitert, um der Erhöhung der Nachfrage oder dem Anschluss von neuen Verbrauchern und Produzenten gerecht zu werden. Diese mehrstufigen Ausbauten führten teilweise zu einer suboptimalen Netztopologie. Für die Verteilnetzbetreiber (VNB) wird vor diesem Hintergrund die Zielnetzplanung eine zentrale Herausforderung, sowohl aus Sicht der Versorgungssicherheit wie auch der Wirtschaftlichkeit.

Mit dieser Problematik sieht sich Viteos, der Verteilnetzbetreiber der drei grossen Städte des Kantons Neuen­burg, konfrontiert. Die MS-Netze, mit 8 kV betrieben, werden durch mehrere Unterwerke ab dem 60-kV-HS-Netz versorgt. Diese Anlagen erreichen ihr Lebensende im Jahr 2040. Die stetige Zunahme der Gesamtlast führt zur Erreichung der Betriebsmittelgrenzwerte und zeigt, dass bedeutende Ausbauten notwendig sein werden. Aus diesen Gründen wird eine Spannungsumstellung auf 20 kV für La Chaux-de-Fonds und Le Locle bis 2035 vorgesehen, fünf Jahre später für die Stadt Neuenburg.

Durch die vorgesehene Spannungserhöhung entsteht die Notwendigkeit, das heutige Netz grundsätzlich zu überdenken und die optimale Topologie – unter Berücksichtigung der aktuellen Infrastrukturen – zu definieren. In diesem Kontext hat Alpiq Enertrans in Zusammenarbeit mit Viteos, Tamdis und der EPFL ein Planungstool entwickelt. Dieses Tool wurde für die Planung des zukünftigen 20-kV-Netzes von La Chaux-de-Fonds und Le Locle genutzt. Die Besonderheit der Methode liegt in der Berücksichtigung der bestehenden Anlagen, der Topologie und der Topografie für die Ermittlung der optimalen Lösung. Die Anpassbarkeit auf andere Verteilnetze war ebenfalls ein Schwerpunkt der Entwicklung.

Zuverlässige Netze mit tiefen Kosten

Aus der Sicht des VNB kann das ideale Netz alle Kunden ohne Unterbrechung und mit minimalen Kosten versorgen. Da sich diese zwei Ziele widersprechen, wird folgendes Prinzip eingesetzt: Man wählt die wirtschaftlichste Konfiguration, die alle Verpflichtungen/Rahmenbedingungen erfüllt (geografisch, technisch, zeitlich usw.). Im Tool werden diese Verpflichtungen in Regeln oder Funktionen übersetzt. Lösungen, die diese Rahmenbedingungen nicht erfüllen, werden schlecht bewertet oder ganz ausgeschlossen. Vordefinierte Kriterien, wie der erwünschte Redundanzgrad oder die Anzahl versorgter Stationen ab einem MS-Abgang, können einfach angepasst werden. Neue Regeln können je nach Netzbesonderheit und Vorgaben des VNB hinzugefügt werden.

Das heutige Netz der «Montagnes neuchâteloises» umfasst rund 280 MS/NS-Stationen. Es besteht fast ausschliesslich aus rohrverlegten Kabeln. Das Netzgebiet wird durch fünf Ausspeisepunkte mittels HS/MS-Transformierung versorgt (drei in La Chaux-de-Fonds und zwei in Le Locle). Dazu gibt es auch zwei MS-Schaltanlagen, die eine gewisse betriebliche Flexibilität ermöglichen. Die Investitionen der letzten Jahre wurden im Vorgriff auf eine zukünftige Spannungserhöhung durchgeführt. D.h. einige Anlagen sind schon für 20 kV isoliert und/oder mit umschaltbaren Transformatoren ausgestattet.

Die Aufgabenstellung lag in der Festlegung der zukünftigen 20-kV-Netz­topologie, um es Viteos zu ermöglichen, die notwendigen Investitionen frühzeitig zu planen. Dieses MS-Netz soll die Versorgung aller Verbraucher gewährleisten, auch wenn ein beliebiges Netzelement nicht verfügbar ist: Kabelverbindung, HS/MS-Transformator oder MS-Sammelschiene. Um Auswirkungen auf das NS-Netz zu vermeiden, wurden die Standorte der heutigen MS/NS-Stationen beibehalten. Diese wurden durch einige zusätzliche Stationen für die Lastabdeckung der vorgesehenen Entwicklungen ergänzt.

Das Ziel war die Bestimmung von Anzahl und Standorten der HS/MS-Unterwerke sowie die Topologie und die Trassen der MS-Kabelleitungen des Netzes. Das gesuchte Netz soll möglichst preisgünstig realisiert werden können und zu reduzierten Betriebskosten führen. Sämtliche topografischen und operativen Rahmenbedingungen sollen sowohl für Realisierung wie auch für den Betrieb erfüllt sein.

Die Ermittlung der zukünftig zu versorgenden Lasten erfolgte auf der Basis von Istwerten, ergänzt um Annahmen bzgl. Lastzuwachs, Entwicklung von bestimmten Quartieren oder neuen Industriekunden. Als Ergebnis dieser Analyse wurde die maximale Leistung zu jeder bestehenden oder geplanten Station festgelegt.

Im Vergleich zum aktuellen Zustand wurde eine Reduktion der Anzahl Unterwerke und Schaltstationen sowie eine Abnahme der gesamten Länge der MS-Kabel angestrebt. Als vereinfachte Hypothese wurde nur ein Kabeltyp für das ganze Netz gewählt.

Das optimale Netz festlegen

Bis heute gibt es keine mathematische Methode, die ein solches Problem exakt lösen kann. Das entwickelte Tool basiert daher auf einer heuristischen Methode. Die Entwicklung der optimalen Lösung erfolgt etappenweise nach dem Prinzip von Bild 1.

Die erste Etappe ermöglicht die Festlegung der Standorte der HS/MS-Unterwerke. Die geografische Positionierung wird auf Basis der Koordinaten und der maximalen Lasten der MS/NS-Stationen durchgeführt. Die Optimierung erfolgt durch ein iteratives Partitionierungsverfahren für eine vorgegebene Anzahl von Ausspeisepunkten.

Im Fall der Städte La Chaux-de-Fonds und Le Locle wurden die Simulationen für eine unterschiedliche Anzahl von HS/MS-Unterwerken durchgeführt. Bild 2 zeigt das Ergebnis mit drei Unterstationen. Die theoretisch optimalen Standorte wurden mit den Positionen der aktuellen Unterwerke verglichen. Um grösstmöglichen Nutzen aus der vorhandenen Infrastruktur in Bezug auf Hoch- und Tiefbau zu ziehen, wurden diejenigen bestehenden Unterwerks­standorte identifiziert, die den optimalen Standorten am nächsten kommen. Diese Standorte wurden als Ausgangspunkt zur Bestimmung der Kabelnetztopologie festgelegt.

Ein zweiter Schritt ermöglicht die Berücksichtigung der Topografie durch den Import der verschiedenen Ebenen von Gelände und Infrastruktur, die für die Ausführung des Netzes zu betrachten sind. Diese Informationen gehen aus den Katasterdateien oder aus einem GIS-System (Geografisches Informations­system) hervor. Sie lassen nicht nur eine Markierung der möglichen Verbindungstrassen zu, sondern erlauben es auch, die Realisierungskosten in Abhängigkeit der vorhandenen Infrastruktur bzw. der auszuführenden Bauarbeiten zu berechnen.

Um die Elemente der verschiedenen Layer zur Übereinstimmung zu bringen, wird eine Vernetzung der Räume durchgeführt (Bild 3). Die Trassen und Koordinaten der Elemente werden den am nächsten liegenden Punkten des Gitters zugeordnet. Das Tool identifiziert dabei die besonderen Punkte wie Stationen, Kreuzungen, Änderungen von Elementtyp usw.

Anschliessend wird ein ähnlicher Algorithmus wie bei GPS-Systemen (Navigationssystemen) angewandt. Der Algorithmus berechnet die minimalen Kosten der Trassen, um jedes Paar von Unterstationen oder ein Unterwerk mit einer Unterstation zu verbinden. Diese «wirtschaftlichen» Distanzen werden gespeichert und bei der Bestimmung der Verbindungen des optimalen Netzes verwendet.

Je nach vorhandener Infrastruktur auf einer Teilstrecke werden drei Kategorien von Investitionskosten eingesetzt: verwendbare, bereits verlegte 20-kV-Kabel, leere oder wiederverwendbare Rohrblöcke sowie Abschnitte, bei denen eine komplette Neuverlegung notwendig ist (Tiefbau, Kabel sowie Kabelverlegung).

All diese Informationen werden auf ein Gitter mit 5-m-Raster abgebildet. Zwischen zwei spezifischen Punkten wird die Verbindung mit den jeweils minimalen Investitionskosten ausgewählt und vermerkt.

Die dritte Etappe besteht in der Zuordnung und Gruppierung von Statio­nen zu einem HS/MS-Unterwerk (Sektorbildung). Die Anzahl Sektoren entspricht dabei der Anzahl Abgänge ab dem HS/MS-Unterwerk. Die Sektoren werden so definiert, dass die vordefinierten Verpflichtungen wie z.B. die Anzahl Stationen oder die maximale Leistung eingehalten werden kann. Im Rahmen dieses Projektes wurden die Sektoren so festgesetzt, dass es mit der zu versorgenden Last selbst im Fall der Nichtverfügbarkeit eines beliebigen Netzelements zu keinen Überlastsituationen kommt.

Die vierte Etappe besteht in der Untersuchung der optimalen Verkabelung innerhalb eines Sektors. Für einen gegebenen Sektor wird die optimale Topologie mit dem Pfad erzielt, der alle Stationen mit den geringsten Kosten verbindet. Diese Optimierung ist mit dem «Problem des Handelsreisenden» vergleichbar. Im von Alpiq Enertrans entwickelten Tool wird es durch einen genetischen Algorithmus mit den vorgängig ermittelten Pfadkosten gelöst.

In der fünften Etappe wird eine Redun­danz zwischen den Sektoren aufgebaut. Diese werden durch Sta­tionspaare auf Basis minimaler Kosten verbunden.

Abschliessend wird die optimale betriebliche Topologie durch eine Minimierung der Wirkverluste im Netz erreicht. Zudem erfolgt auch eine Prüfung der Spannungsniveaus.

Eine effiziente und flexible Methode

Bild 4 stellt die effektiven Kabeltrassen für einen Teil des Netzgebiets dar. Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass das entwickelte Tool die bereits vorhandene Infrastruktur in hohem Masse miteinbezieht. Im optimierten Netz werden mehr als 80 % der bereits verlegten 20-kV-Kabel und der bestehenden Rohrblöcke genutzt.

Die Ergebnisse, die mit dieser Planungsmethode erhalten wurden, zeigen, dass das zukünftige 20-kV-Netz der «Montagnes neuchâteloises» die vordefinierten Ziele erfüllt. Das Zielnetz führt zu einer Erhöhung der Übertragungs­kapazität und bietet eine bessere Versorgungssicherheit mit Vollredundanz ­zwischen den Zonen.

Die durch den Algorithmus erzielten Optimierungen können direkt betriebswirtschaftlich quantifiziert werden. Zukünftig sind nur noch drei statt fünf HS/MS-Unterwerke notwendig, zudem kann auf zwei Schaltanlagen verzichtet werden. Ein weiterer, wesentlicher Nutzen liegt in der Verringerung der totalen Kabellänge. Im Vergleich zum aktuellen Netz ergibt sich eine Reduktion um rund 40 %.

Eine Stärke der Methode besteht in ihrer Flexibilität und in der Anpassungsfähigkeit auf andere Netztopologien und Rahmenbedingungen. Auch eine Erweiterung für die Anwendung in der Optimierung von NS-Verteilnetzen ist einfach realisierbar.

Autorin
Marlène Dollfus

ist Projektleiterin in der Gruppe Netzservices bei Alpiq Enertrans AG.

  • Alpiq Enertrans AG, 1008 Prilly
Autor
Gilles Jeanbourquin

ist Leiter der Abteilung Elektrizität bei Viteos.

  • Viteos, 2301 La Chaux-de-Fonds
Autor
Dr. Stéphane Gerbex

ist Leiter der Gruppe Netzservices bei Alpiq Enertrans AG.

  • Alpiq Enertrans AG, 1008 Prilly
Autor
Dr. Daniel Tabara

ist Geschäftsführer von Tamdis.

  • Tamdis, 1350 Orbe
Autor
Dr. Rachid Cherkaoui

ist Lehr- und Forschungsrat sowie Leiter der Gruppe Power System an der ETH Lausanne.

  • EPFL, 1015 Lausanne

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