Fachartikel Erneuerbare Energien

Zukunft des Verbrenners ist elektrisch

Klimaneutrale Antriebs- und Heizsysteme

27.09.2019

Die Frage nach der Klimafreundlichkeit von Fahr- und Flugzeugen respektive Heizsystemen ist nicht primär eine Frage der Technologie, sondern des verwendeten Energieträgers. Aus erneuerbarer Energie hergestellten synthetischen Treibstoffen kommt daher in Zukunft eine sehr bedeutende Rolle zu.

Bei der Diskussion um die Zu­kunft der Mobilität streiten sich Anhänger der Elektromobilität und der Verbrennungsmotoren um die Frage, welche Antriebstechnologie die bessere sei. Dabei geht es auch um die Klimafreundlichkeit. Die Diskussion wird durch die falsche Annahme ge­prägt, wonach die Motorentechnik dafür ausschlaggebend sei. In Wirklichkeit zählt aber nur der Energieträger. Eine Versachlichung der Diskussion bietet grosse Chancen für die Stromwirtschaft. Denn die Zukunft ist so oder so elek­trisch. Indirekt elektrisch betriebene Verbrennungsmotoren können einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilität liefern. Mit erneuerbarem Strom kann man auch sie klimaneutral weiterfahren lassen. Die Gesellschaft muss dazu jedoch in «sowohl-als-auch»- statt «entweder-oder»-Kategorien denken. Dies gilt übrigens auch für den Gebäudebereich.

«In Basel sollen Benzin- und Dieselmotoren bis 2050 aus der Stadt verschwinden», berichteten Schweizer Medien am 18. August.[1] Bis 2050 sollten auf Basler Strassen demzufolge «nur noch umweltfreundliche Verkehrsmittel fahren dürfen». Diesem gut gemeinten Vorstoss der Basler Verkehrskommission liegt die falsche Annahme zugrunde, Benzin- und Dieselmotoren seien per se schlecht. «Wer annimmt, dass Elektroautos keine Emissionen produzieren, macht fast immer den gleichen Denkfehler», schreibt das «Spektrum der Wissenschaft» im Mai 2018.[2] «Er nimmt an, die Gefährte würden exklusiv mit Strom aus erneuerbaren Quellen betankt. (…) Viele seriöse Ökobilanzen sehen Elektroautos, die normalen deutschen Strom tanken, zurzeit ungefähr auf gleicher Höhe mit sparsamen Verbrennern.»[3]

Zu ergänzen wäre, dass verschiedene Lebenszyklus-Analysen ein mit fossilem Erdgas betriebenes Fahrzeug ebenfalls auf gleicher Höhe mit Elek­tromobilen sehen. Muss man sich also vom Gedanken verabschieden, dass die Zukunft der Mobilität elektrisch und damit automatisch klimaneutral ist? – Nein, im Gegenteil.

Der Energieträger entscheidet über die Ökobilanz

Denn der Einwand stellt keinen Widerspruch dar, sondern bestätigt die eingangs erwähnte Aussage: Nicht die Motorentechnik entscheidet über die Ökobilanz eines Fahrzeugs, sondern einzig und allein die konkrete Energiequelle. Diese kann beliebig ändern, je nachdem, zu welcher Uhrzeit ein Elektromobil aufgeladen und mit welchem Sprit ein Verbrenner aufgetankt wird. Der Sprit könnte nämlich auch synthetisch sein.

Synthetischer Treibstoff wird hergestellt, indem man CO2 aus der Umgebungsluft einfängt, mit erneuerbarem Strom Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff spaltet und Letzteren mit dem CO2 reagieren lässt. Das Ergebnis ist entweder synthetisches Methan («Erdgas») oder synthetisches Rohöl, das man wegen des vorherigen CO2-Recyclings zu praktisch klimaneutralem Benzin, Diesel, Heizöl, Kerosin, Wachs, Paraffin oder Plastik weiterverarbeiten kann. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass man die einzelnen Produkte auch direkt herstellen kann.

Man muss also um- und differenzierter denken bei der Beurteilung der Klimaneutralität von Fahrzeugen. Elektromobile, die zu 100% mit erneuerbarem Strom geladen werden, sind im Fahrbetrieb prinzipiell klimaneu­tral, mit europäischem Strommix geladen sind sie es nicht. Verbrenner, die mit fossilen Energieträgern betankt werden, sind im Fahrbetrieb nicht klimaneutral; wird hingegen synthetischer Treibstoff getankt, der mit erneuerbarem Strom produziert wurde, sind sie es.

Oder zusammenfassend formuliert: Elektromobile und Verbrenner, die ihre Antriebs­energie aus erneuerbarem Strom beziehen, sind klimaneutral, andere Fahrzeuge sind es nicht.

Schon heute mit erneuerbarem Strom fliegen

Gleiches gilt in der Luftfahrtindustrie. Passagierflugzeuge mit heutigen Batterien fliegen zu lassen, ist undenkbar, weil sie zu schwer sind. Brennstoffzellen könnten zwar eine klimafreundliche Alternative darstellen, aber nicht für die heute bestehende Flotte. Flugzeuge mit synthetischem Kerosin zu betanken, wäre hingegen kein Problem. «Synthetische Kraftstoffe sind der einzige Weg für die Langstrecken», zitiert der Deutschlandfunk den Klimaschutzexperten Jakob Graichen vom Öko-Institut.[4]

In diese Richtung zielt auch ein Vorschlag von ETH-Professor Anthony Patt: «Die Technologie für klimaneu­trales Fliegen ist vorhanden. Der wichtigste Ansatz nutzt erneuerbare Energie zur Synthese von CO2-neutralem Treibstoff aus Wasser (H2O) und CO2 aus der Umgebungsluft.» Laut Anthony Patt wäre ein ambi­tio­niertes Szenario, in den nächsten Jahren 1% des Treibstoffbedarfs synthetisch herzustellen und danach ein jährliches Wachstum der Produktionskapazität um etwa 20% anzustreben, ähnlich der exponentiellen Entwicklung der Photovoltaik (PV). So könnte die Luftfahrt kurz nach 2030 etwa 5% synthetischen Treibstoff verbrauchen und im Idealfall bis 2050 100% erreichen. Dann würde nicht nur zu 100% klimaneutral geflogen, sondern indirekt – ohne Batterien – auch elektrisch, dank erneuerbarem Strom als Energieträger.[5]

Zurzeit bestehen Ideen, die in der Politik heiss diskutierte Flugticketabgabe nicht als Lenkungsabgabe zu verstehen, die durch die Lenkung lediglich eine Senkung des CO2-Ausstosses bewirken würde, sondern zur Finanzierung der Zusatzkosten, die den Airlines oder Flughäfen beim Einkauf von synthetischem Kerosin entstünden. Schon eine kleine Flugticketabgabe, die keinerlei Lenkungswirkung entfalten würde, könnte dann genügen, um das Ziel zu erreichen, bis 2050 komplett klimaneutral – dank synthetischem Kerosin indirekt elektrisch – zu fliegen, wie eine Berechnung von Nationalrat Martin Bäumle (GLP) aufgezeigt hat.[6]

Ölheizungen mit erneuerbarem Strom betreiben

Auch im Gebäudebereich könnte eine differenzierte Betrachtung helfen. Hier werden Öl- und Gasheizungen unabhängig vom konkreten Energieträger als klimaschädlich betrachtet. «Die aktuellen Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn 2014) sehen Biogas und weitere erneuerbare Gase nicht als Standardlösung für den Heizungsersatz vor», schreibt Energie360˚.[7]

Anstatt jedoch Gebäudebesitzer zu teuren Sanierungen oder zum Ersatz noch funktionstüchtiger Ölheizungen zu zwingen, könnte man sie das fossile Heizöl durch synthetisches, klimaneutrales Heizöl ersetzen lassen und auch bei Gasheizungen synthetisches Methan beimengen und dies bei der Berechnung der CO2-Abgabe anerkennen. Die Technik ist vorhanden, es braucht nur den politischen Willen. In diesem Zusammenhang ist die Beobachtung interessant, dass der Kanton Luzern als bisher einziger Kanton ein neues, auf der Energiestrategie 2050 basierendes Energiegesetz angenommen hat, während ein solches in anderen Kantonen (zum Beispiel Solothurn oder Bern) an der Urne scheiterte, vor allem am Widerstand der Gebäudebesitzer. Nur der Kanton Luzern erkennt «Biogas» bei Heizungen als emissionsmindernd an.

Es braucht einen neuen Realismus

Es braucht also einen neuen Realismus, eine Sichtweise, die auf den Fakten beruht, anstatt die Realität durch ideologische Scheuklappen zu betrachten: Biogas-Anteile bei Fahrzeugen und im Gebäudebereich sowie synthetische Treibstoffe bei der Berechnung von CO2-Abgaben und -Sanktionen einfach anerkennen, bürokratische Hürden abbauen und damit einer Konvergenz von Strom- und Gasnetzwerken mit der Mobilität den Weg öffnen. Denn letztendlich wird Power-to-X als eine Schlüsseltechnologie für den Ausbau der erneuerbaren Energien betrachtet, was wiederum eine notwendige Voraussetzung zum klimaneutralen Beladen von Elektrofahrzeugen darstellt.

Zu den Fakten gehört auch die «Potentialanalyse Power-to-Gas in der Schweiz» der Empa und des PSI vom Mai 2019.[8] Sie untersucht die technische Machbarkeit sowie die Potenziale von Power-to-Gas (PtG) für die Umwandlung von überschüssigem Strom in chemische Energieträger (Wasserstoff, Methan, flüssige Kohlenwasserstoffe etc.) in der Schweiz.

Erneuerbare Stromüberschüsse ergeben sich in der Schweiz in Zukunft, wenn der Atomstrom durch Photovoltaik (PV) ersetzt werden soll. Damit die jährlich 25  TWh Atomstrom durch PV ersetzt werden können, müssten 50% der «geeigneten» Dachflächen mit PV ausgebaut werden.[9] Nach Abzug des Tag-Nacht-Ausgleichs – bei einem PV-Ausbau mit 50% der «geeigneten» Dachflächen – resultiert im Durchschnitt ein jährlicher Stromüberschuss von 10,8 TWh (davon 10,4 TWh im Sommer), die entweder abgeregelt oder durch PtG umgewandelt werden müssen. Der bisher praktizierte Export von Stromüberschüssen in Nachbarländer wird aufgrund des dortigen PV-Zubaus mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht mehr funktionieren. Basierend auf den obengenannten Überschüssen besteht das energetische Potenzial, gegen 1  Mio. Gasfahrzeuge ganzjährig mit Methan zu betreiben. Berücksichtigt man dabei Skaleneffekte und in der Schweiz vorgesehene gesetzliche Massnahmen, zeigt sich, dass dies wirtschaftlich zwar anspruchsvoll, aber möglich wäre.

Kurz zusammengefasst: Wenn die Schweiz und ihre Nachbarländer die erneuerbare Stromproduktion wie geplant ausbauen, können die im Sommer zu erwartenden Überschüsse nicht mehr exportiert werden. Aber man könnte damit 1  Mio. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren betreiben. Wo andere nur zwei Wege sehen, gibt es oft noch einen dritten. In Dietikon wird dieser mit der ersten kommerziellen Power-to-Gas-Anlage  [10] beschritten und in Laufenburg mit der ersten Power­-to-Diesel-Produktion  [11]. Beide Projekte stehen kurz vor Baubeginn.

Autor
Peter Metzinger

ist Initiant der Informationsplattform www.cleanfuelnow.com, Mitgründer des Forum Futur, Mitglied der Fachkommission Energie und Umwelt der FDP Kanton Zürich und Inhaber von Business Campaigning GmbH.

  • Business Campaigning GmbH, 8953 Dietikon

Kommentare

Bitte rechnen Sie 3 plus 7.