Fachartikel Regulierung

Zu viele Köche verderben den Brei

Stromversorgung

01.12.2022

Die drohende Strommangellage bestimmt die Berichterstattung der Medien. Die Strompreise am Strommarkt sind in astronomische Höhen angestiegen. Netzbetreiber, die sich für ihre Grundversorgung am Markt eindecken mussten, waren gezwungen, die Strompreise für 2023 – zum Teil markant – nach oben anzupassen.

Empörung macht sich breit: Grosse Stromproduzenten im staatlichen Eigentum sollen keine Zukunftsgeschäfte abschliessen, die sie dann mit Sicherheitsleistungen hinterlegen und dafür den Staat um Unterstützung anfragen müssen. Andererseits wird beklagt, dass Grundversorger die Energie für die nächsten Jahre nicht schon viel früher beschafft hätten. Dies bedingte natürlich, dass Stromproduzenten diese Energie schon frühzeitig verkaufen, was eben als gefährliche Spekulation abgestempelt wird.

Im Jahr 2008 wurde der Strommarkt für grosse Strombezüger eingeführt. Jetzt ist er da, mit allen Konsequenzen. Auch wenn die Strommangellage nicht direkt eine Folge des Marktes ist, so hängen doch die hohen Strompreise mit der erwarteten Knappheit an Strom zusammen. Wer während über zehn Jahren von günstigen Bedingungen profitiert hat, versucht nun ideenreich, in die Grundversorgung zurückzukommen, beispielsweise über die Gründung von «Schein-ZEVs». Dafür müsste der Grundversorger (also der Netzbetreiber) die nötige Energie erst jetzt zu sehr hohen Preisen beschaffen. Die Zeche dafür müssten alle Kundinnen und Kunden in der Grundversorgung bezahlen, und nicht etwa die profitierenden Rückkehrer. Mit einem Wort: Rosinenpickerei.

Offensichtlich versagt der Markt. Er kann die sichere und erneuerbare Stromversorgung für alle nicht sicherstellen, im Gegenteil. Statt sich nun aber echte Lösungen zu überlegen, macht der Gesetzgeber im gleichen Stil weiter. Getrieben von Partikularinte­ressen werden neue Scheinlösungen generiert. Beispiele sind die überdimensionierte Förderung von Sommerstrom, virtuelle lokale Elektrizitätsgemeinschaften, die Netzentgeltbefreiung von Speichern oder auch die – vom Ständerat nun sinnvollerweise abgelehnte – Messliberalisierung. Hoffnung ist ein schlechter Ratgeber. Dennoch werden mahnende Netzbetreiber einfach als Verhinderer und Ewiggestrige abgestempelt. Das regulatorische Korsett wird fröhlich weitergeschnürt.

Von den 620 Netzbetreibern in der Schweiz wird erwartet, dass sie die Stromversorgung sicherstellen. Dazu brauchen sie die richtigen Instrumente, und nicht Krücken, welche andere Ziele verfolgen. Niemand kommt auf die Idee, einem Chirurgen für eine schwierige Operation vorzuschreiben, wie er diese im Detail durchzuführen hat, inklusive der Vorgabe aller Instrumente. Für das Vorhaben «sichere erneuerbare Stromversorgung» braucht es ein funktionierendes Team, das zusammenarbeitet, sowie fähige Expertinnen und Experten. Alle müssen sich der Folgen und Risiken von jedem Eingriff, von jeder Systemänderung bewusst sein. Die Netzbetreiber brauchen nicht unnötige regulatorische Einschränkungen, sondern Handlungsräume, um effiziente Lösungen schaffen zu können. Die physikalischen Gesetze gelten. Über diese kann nicht in Bern abgestimmt werden.

Die neue Gesetzgebung soll und muss echte Lösungen für eine sichere und erneuerbare Stromversorgung ermöglichen. Regelungen zugunsten von Partikularinteressen, welche wenig oder nichts zur Gesamtlösung beitragen, sind zu vermeiden. Sie binden nur unnötig Ressourcen und lenken von echten Lösungen ab.

Förderziel mit Fokus auf Winterstrom

Genügend erneuerbare Produktion ist für eine sichere und erneuerbare Stromversorgung natürlich eine Voraussetzung. Die Photovoltaik wird heute als die günstigste erneuerbare Produktionsart angepriesen. Trotzdem wird lautstark nach weiteren Fördermitteln gerufen, um den Ausbau voranzutreiben. Wie passt das zusammen? Die Antwort liegt in der Verfügbarkeit. Der produzierte Strom muss im Stromsystem dann verfügbar sein, wenn er benötigt wird. Die Umwandlung, Speicherung und Wiederbereitstellung ist verbunden mit Verlusten und Kosten. Wenn man Produktionsarten vergleicht, muss man neben den Kosten auch die zeitgerechte Verfügbarkeit beziehungsweise die Nutzbarmachung dafür miteinbeziehen, sonst taugt der Vergleich einfach nicht. Photovoltaik-Produktion zu fördern, ist durchaus sinnvoll – sofern die Nutzbarmachung miteinbezogen wird. Entscheidend ist die Winterproduktion, weil dann der Strombedarf nicht abgedeckt ist. Im Sommer darf der eingespeiste Strom nur mit dem Marktpreis vergütet werden, da ein Grossteil dann nicht nutzbar ist. Dem Abnehmer entstünden hohe Kosten für die Nutzbarmachung zu einem anderen Zeitpunkt, welche vom Markt natürlich eingepreist wird. Eine Förderung von Sommerstrom zu Gestehungskosten bedeutet, dass bis im Jahr 2050 jährlich über 20 TWh nicht direkt verwertbarer Strom mit 2 Mrd. CHF gefördert würde. Dieser Strom müsste entweder vernichtet oder dann zusätzlich mit weiteren Kosten und Verlusten für den Winter gespeichert werden. Die Förderung muss sich daher auf den Winterstrom konzentrieren. Die Entschädigung für Winterstrom kann durchaus mit einer Mindestvergütung in der Höhe der Gestehungskosten zugesichert werden und gar mit dem zeitgleichen Marktpreis vergütet werden. Dieser dürfte auch zukünftig im Winter wesentlich höher als die Gestehungskosten sein.

Nicht Teil der Lösung: lokale Elektrizitätsgemeinschaften

Lokale Elektrizitätsgemeinschaften werden als Instrument für eine effizientere, lokale Netznutzung propagiert. Endkunden, die den selbst produzierten Strom unter sich «aufteilen», sollen dafür ein lediglich reduziertes Netznutzungsentgelt entrichten. Dabei geht vergessen oder wird aktiv ausgeblendet: Die Netzbelastung und damit die Netzkosten ändern sich trotz virtuellen lokalen Stromhandels nicht. Dieser erfolgt erstens nur virtuell und zweitens nur in dem Umfang, in dem die private Gemeinschaft einen Nutzen daraus zieht. Physikalisch wird auch von der Gemeinschaft dauernd das gesamte Netz benötigt: Zu jedem Zeitpunkt müssen der Überschuss abgenommen oder der fehlende Strom bereitgestellt werden, und zwar mit der vollen Leistung. Damit wird nicht der PV-Zubau für die Gesamtheit gefördert, sondern es werden Partikularinteressen Einzelner auf Kosten der Allgemeinheit geschützt. Die konkrete Umsetzung im aktuellen Gesetzesentwurf ist alles andere als klar. Dies generiert hohen Aufwand und birgt Missbrauchspotenzial. Zielführender wäre die Aufhebung der Einschränkungen der Netztarife. Zukünftige Tarife könnten dank der intelligenten Messsysteme so gestaltet werden, dass sie für alle Netznutzer eine «effiziente Netzanwendung» fördern.

Befreiung von Netzentgelten: keine effiziente Netzanwendung

Speicher ohne Endverbrauch und grosse Power2X-Anlagen sollen vom Netzentgelt befreit werden. Auf keinen Fall reduzieren diese Speicher dann die Verteilnetzkosten. Im Gegenteil: Der finanzielle Anreiz für netzoptimierendes Verhalten fällt weg. Zugunsten der Rentabilität (von vergleichsweise günstigen) kurzfristigen Systemdienstleistungen (eigentlich das kleinere Problem) wird Ausbaubedarf der Verteilnetze für hohe Leistungen generiert (das grössere Problem). Eine spätere Rückspeisung in das Netz macht die frühere Netzbelastung nicht wett. Die Mehrkosten müssten die übrigen Endkunden pro Netzgebiet tragen. Als ausgleichende Entschärfung könnten die so nicht gedeckten Kosten über die Systemdienstleistungen auf die ganze Schweiz verteilt werden. Idealerweise würden Netzbetreiber grosse Netzspeicher zur Entlastung der Verteilnetze betreiben. Aktuell ist dies aber durch die Regulierung untersagt. Die vorgeschlagene Netzentgeltbefreiung verhindert nun auch noch sinnvolle Tarifanreize für einen netzdienlichen Betrieb von privaten Speichern.

Nova-Prinzip verzögert dringend nötige Investitionen

Die Netzbetreiber, die sich grossmehrheitlich in öffentlicher Hand befinden, müssen gemäss Nova-Prinzip (Netz-Optimierung vor Verstärkung vor Ausbau) für Investitionen der ElCom nachweisen, dass sie alle Optimierungsoptionen geprüft haben, inklusive der Nutzung von Flexibilitäten. Flexibilitäten können einerseits nur mit Zustimmung der Endverbraucher genutzt werden und haben andererseits auf den nötigen Netzausbau nur einen marginalen Einfluss. Statt die Bewilligungsverfahren für den Netzausbau zu vereinfachen, werden auch hier neue Hürden geschaffen. Die Verfahren werden verlängert. Warum? Die Netzbetreiber zeigen mit der heutigen europaweit besten Qualität des Netzes und vergleichsweise tiefen Netzkosten, dass sie es bereits seit über 100 Jahren richtig machen. Dies trotz – oder vielleicht dank – dem Fehlen von regulatorischen Vorgaben.

Fazit

Anstelle neuer Marktmodelle und Kundenfreiheiten mit ungewissem Lösungsbeitrag und grossen Umsetzungsproblemen sollte die (Über-) Regulierung reduziert werden. Gesetze sollten dort erlassen werden, wo sie nötig und hilfreich sind. Wo es läuft, sollte man es laufen lassen. Das Ziel ist eine sichere und erneuerbare Stromversorgung. Die Nutzbarmachung von erneuerbarem Strom und die Sicherstellung der Versorgung verursacht Kosten. Diese müssen durch den Strombezüger getragen werden, entsprechend dem Verursacherprinzip. Fördermassnahmen dürfen nicht so ausgestaltet werden, dass dieses Prinzip umgangen wird. Einerseits gingen Anreize zur sinnvollen Nutzung verloren, andererseits würden die volkswirtschaftlichen Kosten ansteigen, auf Kosten aller und zugunsten Einzelner. Es müssen Lösungen im Sinne einer sicheren, effizienten und erneuerbaren Stromversorgung er­möglicht werden – für alle.

Autor
Andreas Beer

ist Co-Geschäftsführer des Vereins Smart Grid Schweiz.

  • Verein Smart Grid Schweiz, 2560 Nidau.
Autor
Maurus Bachmann

ist CEO von Swisseldex.

  • Swisseldex AG, 3011 Bern

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