Fachartikel Erneuerbare Energien , Konventionelle Kraftwerke

Zertifizierter Ökostrom aus Wasserkraft

Das Naturemade-Gütesiegel als Instrument für eine nachhaltige Energieversorgung

10.01.2017

Der Beitrag der Wasserkraft an die Stromerzeugung der Schweiz gehört im europäischen Vergleich zur Spitze. Das ist längst zur Selbst­verständ­lich­keit geworden. Weniger selbst­ver­ständ­lich ist aber, dass dieser Reichtum erhalten bleibt: Der Markt muss ihn als Wert erkennen. Das Label «Naturemade» kon­kre­tisiert das Ziel und den Weg. Es stellt Instru­mente zur Verfügung – wie zum Beispiel den Fonds für ökologische Verbes­serungen. Schweiz­weit konnten dank diesem seit Beste­hen des Güte­siegels 55 Millionen Franken für die Auf­wertung der Gewässer zur Ver­fügung gestellt werden.

Die einheimischen Energiequellen sind unser Reichtum. Dieses Bewusstsein ist zum Glück neu erwacht. Die Wasserkraft ist jedoch längst Bestandteil einer Selbstverständlichkeit, wenn wir von der Schweizer Stromversorgung sprechen. Der Beitrag der Wasserkraft an die Stromproduktion in der Schweiz ist mit knapp 60% [1] im europäischen Vergleich an vierter Stelle. Nur Norwegen, Österreich und Schweden [2] verfügen noch über einen höheren Anteil. Was selbstverständlich ist, geht allerdings auch leicht vergessen.

Der Druck, der durch ruinöse Wettbewerbsbedingungen im europäischen Strommarkt und auch durch die strengeren gesetzlichen Anforderungen auf die Stromerzeugung aus Wasserkraft entsteht, sollte aufhorchen lassen. Was nicht gepflegt wird, könnte rasch seine Selbstverständlichkeit verlieren. Wenn «möglichst billig» zur allein bestimmenden Entscheidungsgrundlage wird, dann werden wir das eines Tages an beschädigten Landschaften und an neuen Auslandabhängigkeiten sehen.

Es gibt Konsumentinnen und Konsumenten unter den Haushalten, Unternehmen und Gemeinden, welche dieser Selbstverständlichkeit einen bewussten Entscheid entgegenstellen. Der Leiter Entwicklung von Bio-Familia AG, Hans Blum, hat an der Verleihung des Prix Naturemade an sein Unternehmen auf die Frage, warum sein Unternehmen Naturemade-Star-zertifizierten Ökostrom kaufe, geantwortet: «Wir gehören zu denjenigen Unternehmen, die nicht nur ernten, sondern auch säen.» Das Unternehmen deckt seinen ganzen Stromverbrauch seit Jahren zu 100% mit Naturemade-Star-zertifiziertem Strom.

Zwei Gütesiegel für 100% ökologische Energie

Was heisst denn das nun konkret in Bezug auf die Stromerzeugung aus Schweizer Wasserkraft? Der Verein für umweltgerechte Energie VUE, Träger der beiden Gütesiegel Naturemade Star und Naturemade Basic, hält eine klare Botschaft bereit. Sie lautet: «Wir wollen 100% ökologische Energie.» Voraussetzung ist natürlich immer der effiziente Umgang mit Strom. Das Ziel erreichen will der VUE mit Naturemade-Basic-zertifizierten Stromprodukten aus Wasserkraft und Abwärmequellen als Grundangebot und mit einer schrittweisen Erhöhung des Naturemade-Star-Anteils – also Strom aus ökologischer Wasserkraft und neuen erneuerbaren Energien.

Die Idee des VUE ist unbescheiden: Es muss möglich sein, eine Energieversorgung zu erreichen, welche erneuerbar ist und die Natur nicht nachhaltig schädigt. Sie muss daher nicht nur effizient, sondern auch ökologisch sein. Seit 2001 arbeitet der VUE programmatisch und pragmatisch an der Umsetzung dieser Vision. Er setzt sich aus Vertretern der Energiewirtschaft, Umweltorganisationen, Kleinkonsumentenverbänden und kommerziellen Grosskunden zusammen. Die breite Abstützung des Vereins bewirkt, dass Ökologie und Transparenz mit Wirtschaftlichkeit und Praxistauglichkeit vereint werden. Das Label garantiert Konsumentinnen und Konsumenten die Einhaltung von Kriterien auf zwei Niveaus:

Energie, die das «Naturemade Basic»-Zeichen trägt, gewährleistet die ausschliessliche Verwendung von erneuerbaren Energieträgern. Darüber hinaus beinhaltet sie mindestens 10 %  [3] ökologische Energie, und der Produzent muss eine kontinuierliche Verbesserung seiner Umweltleistung nachweisen. Naturemade Basic steht also für Klimaschutz.
«Naturemade Star» geht weiter und verlangt zusätzlich die ökologische Nutzung erneuerbarer Energien, also den Schutz der natürlichen Ressourcen und der Lebensräume für Menschen, Tiere und Pflanzen. Insbesondere bei der Wasserkraftnutzung setzt dies weitergehende Kriterien voraus. Naturemade Star steht also für Klimaschutz und Biodiversität; Strom, der nach den Kriterien von Naturemade Star erzeugt wurde, wird als «Ökostrom» bezeichnet.

Seit Anfang 2009 zeichnet das Qualitätszeichen zusätzlich zu Strom auch Biogas und Wärme/Kälte aus erneuerbaren Energiequellen aus.

Die Idee, eine ökologisch verträgliche Stromproduktion aus Wasserkraft zu definieren, war die Geburtsstunde des Labels Naturemade. Die Eawag (Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz) entwickelte strenge gewässerökologische Kriterien nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, den sogenannten Greenhydro-Standard. Für die kontinuierliche Verbesserung wird neben den Grundanforderungen auch ein Fonds für ökologische Verbesserungsmassnahmen verlangt. Das Gütesiegel Naturemade Star zielt auf die Ökologisierung bestehender Anlagen. Neue, nach 2001 gebaute Anlagen können nur unter erhöhten Anforderungen zertifiziert werden. Die Wasserkraft ist eine weitgehend emissionsfreie Energiequelle und hat im Vergleich zu anderen Energiesystemen eine gute CO2-Bilanz. Gleichzeitig entstehen aber durch die Wasserkraftnutzung zum Teil erhebliche Eingriffe in Gewässerökosysteme. In der Schweiz, wo nahezu alle grösseren Fliessgewässer bereits durch Wasserentnahmen oder andere Eingriffe in das Abflussregime beeinflusst werden, sind die Folgen besonders einschneidend.

Anforderungen für Nature­made-Star zerti­fizierte Werke

Die Grundanforderungen, welche die Kraftwerke zum Zeitpunkt der Zertifizierung erfüllen müssen, sind so gewählt, dass auch unter Einfluss der Wasserkraftnutzung die ökologischen Gewässerfunktionen gewährleistet bleiben. Die 44 Kriterien werden in einer sogenannten Umweltmanagementmatrix strukturiert: Für fünf Managementbereiche (Restwasserregelung, Geschiebemanagement, Schwall/Sunk, Anlagengestaltung, Stauraummanagement) werden Anforderungen an die ökologische Nutzung in den fünf relevanten Umweltbereichen (hydrologischer Charakter, Vernetzung des Gewässers, Feststoffe/Morphologie, Landschaft/Biotope, Lebensgemeinschaften) beschrieben. Damit wird sicher­gestellt, dass die Biodiversität der Gewässer und Feuchtbiotope erhalten bleibt. Die Biodiversität bezieht sich dabei nicht nur auf die Fische, sondern die gesamte aquatische Fauna und Flora und auch die am Wasser lebenden Arten wie Vögel oder Biber.

Fonds für ökologische Verbesserungsmassnahmen

Mit dem Fondsrappen (1  Rp pro verkaufte kWh), welcher Bestandteil der Naturemade-Star-Zertifizierung von Wasserkraftwerken ist und zusätzlich zur Einhaltung der Grundanforderungen verlangt wird, werden die genutzten Gewässer und deren Einzugsgebiete kontinuierlich aufgewertet, beispielsweise mit der naturnahen Gestaltung von Ufern oder mit der Reaktivierung von alten Flussläufen. Seit Bestehen von Naturemade flossen gut 55 Millionen Franken in die Fonds. Ein lokales Lenkungsgremium, bestehend aus Vertretern des Wasserkraftwerks sowie der lokalen Behörden und Umweltorganisationen, bestimmt die zu treffenden Massnahmen.
Eine Idee wird zur Realität
Seit der Entwicklung von Naturemade Star hat sich hinsichtlich Gewässerschutz auch auf Gesetzesebene einiges verändert. Die gesetzlichen Anforderungen an den Gewässerschutz sind strenger geworden, aber es bleiben markante Unterschiede zu den Anforderungen von Naturemade Star bestehen. Die wichtigsten sind:
Das Gesetz arbeitet mit Fristen bis 2030 – Naturemade Star verlangt die Erfüllung der Anforderungen zum Zeitpunkt der Zertifizierung.

Im Rahmen der Zertifizierung wird ein kontinuierliches Monitoring verlangt, welches im Rahmen der Rezertifizierungen im Abstand von fünf Jahren überprüft wird. Die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen wird in der Regel nur bei deren Umsetzung geprüft.

Der Fonds von Naturemade Star erlaubt eine kontinuierliche Verbesserung der ökologischen Bedingungen am Gewässer sowie den Unterhalt der einmal vollzogenen Renaturierungen. Diese Verbesserungen gehen über die Anforderungen des Gesetzes und der Naturemade-Star-Zertifizierung hinaus.

Heute sind 47 Wasserkraftwerke mit dem Gütesiegel Naturemade Star ausgezeichnet. Anhand von zwei Beispielen wird nachfolgend gezeigt, was die Zertifizierung von Wasserkraftwerken mit Naturemade Star konkret bedeutet.

Beispiel 1: Laufkraftwerk Ruppoldingen

Das Kraftwerk Ruppoldingen der Alpiq Hydro Aare AG gilt als Musterbeispiel für die umweltgerechte Nutzung der Wasserkraft. Alpiq hat beim Bau in den Jahren 1996 bis 2000 rund 20 Millionen Franken in rund 300 ökologische Ausgleichs- und Ersatzmassnahmen investiert. Neben einer Vergrösserung des Auenwaldes auf insgesamt 5,2 Hektaren entstanden auf einer Länge von 8,4  km Flachwasserzonen, Inseln und natürliche Entwicklungsflächen, welche als Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie als Rast- und Brutplatz für Wasservögel dienen.

Unter anderem wurde das 1,2 km lange und 10–20 m breite naturnahe Umgehungsgewässer geschaffen. Das Kraftwerk operiert heute auf einem ökologisch überdurchschnittlich hohen Niveau. Mit der Naturemade-Star-Zertifizierung hat das Kraftwerk Ruppoldingen im Jahr 2009 nach eingehender Prüfung den besten Leistungsausweis, aber auch ein Massnahmenprogramm für weitere Verbesserungen erhalten. Es ist eine der grössten mit Naturemade Star ausgezeichneten Anlagen der Schweiz. Im Einzugsgebiet der Aare zwischen Grenchen und Olten konnten seither weitere wertvolle ökologische Massnahmen wie Teiche und Weiher, Nassbiotope und Flachwasserzonen realisiert werden, wie das Beispiel der Bernasconi-Grube in der Lobisei zeigt. In diesem ehemaligen Steinbruch bestand bereits seit 1991 ein Weiher, welcher vom Verein Natur- und Vogelschutz Balsthal angelegt wurde. An diesem Standort konnte in den vergangenen Jahren eine ausserordentlich grosse Population der stark gefährdeten Geburtshelferkröte festgestellt werden. Als weitere Amphibien wurden Grasfrosch, Erdkröte, Bergmolch, Fadenmolch und Feuersalamander festgestellt.

Die nationale Bedeutung der Bernasconi-Grube rechtfertigte es, die Situation des Laichgewässers zu verbessern und eine nachhaltigere, naturnahe Lösung anzustreben. Daher sollte ein Weiher mit einer natürlichen Speisung und Wasserführung (ohne künstliche Abdichtung und Wasserzufuhr) gebaut werden. Als idealer Standort bot sich die benachbarte Parzelle am Mümliswilerbach an. Ein Weiher mit örtlicher Speisung und natürlicher Wasserführung konnte auf der benachbarten Parzelle erstellt werden. Der neue Weiher im Lobisei wird nur mit Grundwasser gespeist, dieses fliesst vom nördlichen Becken in die vordere der drei Mulden. In den drei tiefsten Stellen soll permanent Wasser stehen. Die Böschungen sind flach ausgebildet. Für die verbleibende Wiesenfläche ist eine Nutzung als «Wiese am Bach» gemäss kantonalem Mehrjahresprogramm Natur und Landschaft vorgesehen.

Beispiel 2: Kleinwasserkraftwerk Taubenschlucht

Die Taubenlochschlucht im Berner Jura steht seit 1927 teilweise unter Naturschutz. Bereits ab dem 17. Jahrhundert wurde jedoch das Wasser der durch die Schlucht fliessenden Schüss genutzt; zuerst in Mühlen oder Sägereien sowie für den Drahtzug, später in drei kleineren Elektrizitätswerken. Eines davon, das Kraftwerk Taubenloch der Energie Service Biel ESB, wurde 2004 bis 2006 total saniert und Naturemade-Star-zertifiziert. Aufgrund der Neukonzessionierung und der Zertifizierung wurden u.a. die Restwassermenge erhöht und ein Fischpass gebaut. Besonders herausragend ist die Informationspolitik des ESB, welcher seine Kundschaft anhand verschiedener Instrumente (Führungen, Broschüren, Tafeln, einem eigens ge­schaffenen Bilderbuch inkl. CD für Kinder und Schulklassen, etc.) sehr umfassend und anschaulich über verschiedenste Aspekte der Wasserkraftnutzung und Ökostrom informiert. Auf der Website taubenlochstrom.ch wird beispielsweise der Zusammenhang zwischen der Förderung von Ökostrom und nachhaltigem Handeln erklärt: «Sie erhöhen mit Ökostrom Ihre eigene Lebensqualität. Sie fördern und fordern aber auch die umweltgerechte Produktion eines der wertvollsten Güter – der elektrischen Energie. Sie unterstützen die Entwicklung neuer Technologien, machen den Bau neuer Ökostromanlagen nötig und schaffen neue Arbeitsplätze. Sie handeln also bewusst nachhaltig.»

Das Echo des Marktes

Einige Stromversorger teilen die Vision des VUE und haben es geschafft, entsprechende Angebotsmodelle einzuführen. Sie haben es geschafft, dass Kundinnen und Kunden heute schweizweit insgesamt 18,6% – also knapp ein Fünftel – ihres Konsums mit aktiv gewählten Produkten aus Wasserkraft decken. Das ist eine hervorragende Leistung der Kooperation zwi-schen Energieversorgern und dem Markt. Den 4% ökologischer Produktion aus Naturemade-Star-zertifizierten Wasserkraft stehen konsumseitig dennoch nur 1,6% gegenüber. [4, 5] Hinzu kommen 8%, die in Form von Naturemade-Basic-zertifizierter Wasserkraft und 9%, die in Form von anderen Wasserkraft-Produkten aktiv konsumiert werden. [6] Unternehmen und öffentliche Institutionen leisten einen sehr wichtigen Beitrag an diese Freiwilligkeit: Über die Hälfte der konsumierten Stromprodukte aus erneuerbaren Energiequellen in der Schweiz werden von ihnen gekauft.

Es bleibt also noch einiges zu tun, bis die Vision des VUE von 100% ökologi­scher Energie erfüllt ist. Die entsprechende Ausgestaltung der Angebote von Energieversorgern ist die Voraussetzung. Gestützt werden müssen dann die Angebote aber von viel Innovation und auch Aufklärungsarbeit sowie dem richtigen Kauf. Tausende Entscheide der Energiebranche und des Marktes müssen auf breitere Argumente abge­stützt werden, welche die Gesetze der Nachhaltigkeit ebenso wie den Preis einbeziehen.

Referenzen

[1]    Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2013, Tab. 24.
[2]    Eurostat, Online-Datencode: tsdcc330
[3]    Am 1.1.2016 wurde eine Neuregelung für das Naturemade-Fördermodell eingeführt. Demnach müssen ab 1.1.2017 Naturemade-Basic-zertifizierte Produkte einen Anteil von 10 % aus neuen Erneuerbaren enthalten (KEV-Anteil und Naturemade-Star-Produktion).
[4]    Anteil produzierter Strom aus Naturemade-Star-zertifizierten Wasserkraftwerken am produzierten Strom aus Wasserkraft in der Schweiz 2014.
[5]    Anteil konsumierter Strom aus Naturemade-Star-zertifizierter Wasserkraft an konsumiertem Strom Schweiz total 2014.
[6]    BFE/VUE, Stromprodukte aus erneuerbaren Energien – der Markt 2014, Tab. 2. Hinzu kommt dann nochmals mehr als doppelt so viel Wasserkraft, die ohne die aktive Wahl der Konsumenten geliefert wird.

Autorin
Ursula Stocker

ist ist Energieplanerin beim Verein für umweltgerechte Energie VUE.

  • VUE naturemade, 8004 Zürich