Rückschau Software

Wo ist der Einsatz von Blockchain sinnvoll?

Blockchain-Forum «Anwendungen im Reality Check»

05.06.2019

Schnellere Finanzgeschäfte, eine geringere Betrugsgefahr, effizientere Zollabfertigung … – die Digitalisierung der Vertragsabwicklung mit Blockchain verspricht viel. Aber noch ist nicht klar, ob sie diese Versprechen auch halten kann und in welchen Bereichen ihr Einsatz wirklich zu Umwälzungen führen wird. In der Praxis ist man häufig skeptisch. Um sich ein konkreteres Bild dieser ­abstrakten Technologie machen zu können, lud Finanz und Wirtschaft am 5. Juni 2019 zum Blockchain-Forum «Anwendungen im Reality Check» ins Gottlieb-Duttweiler-Institut nach Rüschlikon ein.

Zunächst die Grundlagen

In der Einstiegs-Keynote ging Roger Wattenhofer, Informatikprofessor an der ETH Zürich, auf die Frage ein, ob es Blockchain überhaupt braucht. Blockchain ist ein Teil der digitalen Transformation, die uns alle betrifft. Die Grundlage einer Blockchain sind Transaktionen wie Abstimmungen, Mieterwechsel oder finanzielle Überweisungen. Diese Transaktionen werden in Blöcken abgelegt, die miteinander verkettet und – zur Erhöhung der Fehlertoleranz – auf mehreren vernetzten Computern gespeichert werden.

Es gibt verschiedene Varianten von Blockchains. Bei offenen Systemen wie der Bitcoin-Blockchain können sich alle anonym beteiligen. Offene Systeme werden aber eher selten eingesetzt. Viel öfter trifft man auf geschlossene Systeme, die nur bekannte, identifizierte Teilnehmer zulassen.

Die Hauptkomponenten einer Blockchain sind verteilte Systeme und Kryptografie. Wattenhofer erläuterte die asymmetrische Kryptografie, die Private Key und Public Key einsetzt und mit der man Nachrichten chiffrieren und digitale Unterschriften nutzen kann. Kryptogeld wie Bitcoin ist vergleichbar mit Bargeld, denn man braucht keinen Finanzdienstleister, um Transaktionen ausführen zu können.

E-Voting ist für Blockchain ein weiteres interessantes Anwendungsgebiet, denn Abstimmungen mit Papier sind teuer. Zudem vermeidet man mit elektronischen Lösungen bei komplizierteren Wahlen ungültige Wahlzettel und man kann selbst nachprüfen, ob seine eigene Stimme wirklich berücksichtigt wurde. Auch die Anonymität wäre stets gewährleistet.  

Einblicke in die Praxis

Einige Kurzreferate gingen anschlies­send auf konkrete Anwendungsfälle aus den Bereichen Logistik, Energie, Verwaltung, Pharma sowie Gesundheitsversicherung ein. Martin Kolbe, Chief Information Officer des Logistik­unternehmens Kühne + Nagel, stellte die Möglichkeiten von Blockchain in der Logistikbranche vor. Ein wesentlicher Wertschöpfungsfaktor liege in der Digitalisierung bestehender Prozesse und der Entwicklung neuer digitaler Produkte. Eine der Hauptschwierigkeiten sind Medienbrüche (Fax, Telefon, SMS, Whatsapp …), denn Kunden nutzen unterschiedliche Kommunikationstechnologien. Es braucht deshalb noch Anstrengungen im Standardisierungsbereich. Die Standardisierung fehlt aber nicht nur bei der Kommunikationsform, sondern auch bei den Datenstrukturen. Offene Standards sind hier wichtig.

Weil die Blockchain ein kollaborativer Ansatz ist, stellt nicht die Technologie das Hauptproblem dar, sondern die «menschliche Seite», das Aufsetzen der digitalen Verträge mit den involvierten Partnern, damit die Daten in einer abgesicherten Umgebung fliessen können. Erst wenn dies gelungen ist, sind Einsparungen möglich.

Als konkretes Beispiel nannte Kolbe Frachtbriefe, die heute noch physisch im Container mitgeliefert werden. Jeder Container braucht eine Verified Gross Mass Declaration (VGM), eine verifizierte Bruttomassen­erklärung. Diese Erklärung ist ein gutes Beispiel für eine sichere, gemeinsame Nutzung von Informationen durch mehrere Parteien. Sie konnte mit einer geschlossenen Blockchain realisiert werden, die Kühne + Nagel selber entwickelt hat. Veränderungen des Gewichts können damit hinterlegt und für Versicherungsschäden genutzt werden. Die Zahlen bestätigen den Erfolg dieser Blockchain-Lösung im Logistikbereich: 800000 Transaktionen werden monatlich mit dem «VGM Portal on Blockchain» verarbeitet. Obwohl heute die Effizienz, um alles mit der Blockchain zu machen, noch nicht gegeben sei, verkürzt die Technologie die Transportzeiten und beschleunigt Zahlungen.

Martin Kolbe betonte, dass die Skalierung erst dann kommt und somit der gewünschte Nutzen erst entsteht, wenn viele Partner mitmachen. Für ihn besteht der beste Weg, sich einer Technologie zu nähern, darin, die Technologie einzusetzen, denn erst dann lernt man auch die konkreten Grenzen kennen.

Eine Option für EWs?

Wie die Energieverrechnung über Blockchain abgewickelt werden kann, präsentierte Peter Berchtold von Energie Wasser Bern. Die Entwicklung zur dezentralen Produktion und die Zusammenschlüsse für den Eigenverbrauch führen zu multidirektionalen Energieflüssen und zur entsprechenden Verrechnung. Dies kann man mit einem radikal-digitalen Ansatz lösen: mit einer automatisierten Abrechnung vom Zähler zum Bankkonto. Der Zähler muss dafür validierte, vertrauenswürdige Daten liefern können. Da die Zähler oft bestehende Infrastrukturen und die Kontos traditionelle Finanzkon­strukte sind, verknüpft man mit der Blockchain eigentlich bekannte Elemente und ersetzt die PDF-Rechnung durch eine automatische Verrechnung. Die Blockchain ermöglicht eine wichtige Funktion, nämlich die streng vertrauliche Behandlung der Daten. Die so gesammelten Daten können aber nicht nur für die Verrechnung genutzt werden, sondern auch für andere Zwecke. Ein weiterer Vorteil dieser Lösung ist die Möglichkeit, die Rechnungsinter­valle deutlich zu verkürzen und dadurch Investorenrisiken zu minimieren.

Andreas Hess vom Handelsregister- und Konkursamt des Kantons Zug brachte die Verwaltungssicht ins Spiel. Er zeigte auf, wie ein Unternehmen innert 48 Stunden bis zum Handelsregistereintrag gegründet werden kann, wenn eine Blockchain elektronisch für Bank, Notar und weitere Beteiligte erreichbar ist.

Autor
Radomír Novotný

ist Chefredaktor des Bulletins Electrosuisse.

  • Electrosuisse
    8320 Fehraltorf

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