Fachartikel

Wirtschaftlicher und innovativer Verkehr

Mobilität

02.04.2021

Welchen Beitrag kann die angewandte Forschung zur nachhaltigen Entwicklung des Verkehrs leisten? Während international bereits diverse Verkehrs­innovationen in der Pipeline sind, unterstützt die Fachhochschule Westschweiz (HES-SO) eine Arbeitsgruppe bei der Entwicklung von Hilfsmitteln, Methoden und Know-how zur Ummünzung dieser Konzepte auf die Schweiz.

Seit mehreren Jahrhunderten haben sich die Systeme für den Strassen- und Bahntransport von Personen und Gütern entwickelt (Bild 1). In den letzten Jahrzehnten konnte einerseits das Bahnsystem in der Schweiz dank beträchtlicher Investitionen ausgebaut werden, während andererseits – in Anbetracht der steigenden Nachfrage nach einem zuverlässigen öffentlichen Verkehr – grössere Kapazitäten bereitgestellt werden konnten. Die so entstandene Servicequalität, um die viele Länder die Schweiz beneiden, geht mit einer guten Energieeffizienz und Umwelt-Performance einher. Allerdings sind die Kosten für Investitionen, Betrieb und Instandhaltung des Bahnsystems sehr hoch, was dessen Ausbau beschränkt. Zudem sind die steigenden Emissionen aus dem Strassenverkehr, dessen Infrastrukturen kapazitätsmässig an ihre Grenzen stossen, im Hinblick auf die Verpflichtungen der Schweiz zur Senkung ihres CO2-Ausstosses problematisch (Bild 2). Auch wenn Elektrofahrzeuge als zukunftsträchtige Lösungen präsentiert wurden, entstehen bei einer solchen Umstellung andere Probleme.

Das Verkehrssystem muss daher überdacht werden, um die Mobilität bewältigen zu können, und zwar mit einem neuen Kompromiss von Kosten, Performance, Emissionen, Energie, räumlicher Integration, Ethik, Gerechtigkeit und Kapazität. Ganz grundsätzlich müssen andere Infrastrukturen geprüft werden, die technologische Kombinationen von Fahrzeuglenkung und -antrieb ermöglichen. Es gilt heute mehr denn je, die momentanen Paradigmen zu hinterfragen und neue Ansätze zu prüfen, um den Mobilitätsbedürfnissen der Bevölkerung Rechnung zu tragen.

Internationale Lösungen

Japan und China haben unter der Bezeichnung Maglev (für «magnetische Levitation») Schienenverkehrslösungen entwickelt, die auf Linearmotoren und einem kontaktlosen Schienensystem beruhen. Dabei können in der freien Atmosphäre sehr hohe Geschwindigkeiten (>500 km/h) erzielt werden.[1] Der Energieverbrauch ist wegen des Luftwiderstands dieser Motoren bei einer solchen Geschwindigkeit sehr hoch, weil über 90 % der zugeführten Energie in Wärme umgewandelt werden. Hingegen führt das kontaktlose System zur Vermeidung von Abnutzungserscheinungen, die im klassischen Bahnverkehr grosse In­standhaltungsarbeiten erfordern. Das steigert die Rentabilität der Lösung.

In Japan, das wie die Schweiz sehr gebirgig ist, kann eine solche Strecke wegen der Lärmemissionen und der Auswirkungen auf die Landschaft nicht an der dicht bevölkerten Küste entlang gebaut werden. Daher führt die Strecke durch die Berge, was bedingt, dass zwischen Tokio und Nagoya rund 90 % der Strecke in Tunneln geführt werden. Ein Kilometer kostet über CHF 250 Millionen.[2] Es braucht Tunnelabschnitte von 100 m2, um akustische Phänomene beim Eintritt einzudämmen und einen vernünftigen Luftwiderstand zu erreichen.

Zwar sind diese Technologien teuer, doch sie rentieren, weil der Zeitgewinn im Vergleich zu Bahn, Flugzeug und Auto die Produktivität geschäftlicher Treffen steigert und für Geschäftsleute interessant ist.

Diese Technologien für kontaktlosen Antrieb und kontaktlose Lenkung stehen bei der Entwicklung vieler weiterer Projekte ebenfalls im Mittelpunkt, etwa bei Stadtbahnen, die leise sind und einen geringen Instandhaltungsaufwand bedingen, da sie auf leichten Infrastrukturen verkehren.

Vor Kurzem hat Russland ein umfassendes Entwicklungsprojekt lanciert, um von Sankt Petersburg aus eine Seidenstrasse in die östlichen Landesteile zu errichten. Die Bahntechnologie, die momentan auf der Strecke des berühmten Transsib eingesetzt wird, wurde aus wirtschaftlichen Gründen verworfen, da die Instandhaltungskosten eine Rentabilisierung des Systems verhindern.

Die Idee «Hyperloop»

Elon Musk hat mit der Idee des «Hyperloop» Hunderte Studierende weltweit mobilisiert, um Lösungen zu erarbeiten und zu testen. Sowohl die ETHZ als auch die EPFL haben am Studierendenwettbewerb teilgenommen, und einige Arbeiten werden in dieser Richtung weitergeführt. In diesem Rahmen gründete D. de Morsier die «EuroTube Foundation».

Beim Hyperloop bewegt sich ein Zug in einer Röhre oder einem Tunnel, wobei die Luft in der Röhre kontrolliert wird. Ein geringerer Luftdruck senkt den Energiebedarf und die erforderliche Antriebsleistung.

Die Vereinigten Staaten (mit ET3), Japan, Südkorea, China und die Schweiz haben bereits an solchen Teilvakuumtechnologien gearbeitet. Mit den Studien, die von den beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen im Rahmen von Rodolphe Nieths Projekt Swissmetro seit den 1970er-Jahren durchgeführt wurden, verfügt die Schweiz heute über eine wichtige wissenschaftliche Grundlage. Diese Studien wurden von Prof. Marcel Jufer geleitet, der übrigens bei der theoretischen und industriellen Entwicklung der Technologien für Linearmotor und Lenkung (magnetische Levitation und seitliche Positionierung) sowie bei der kontaktlosen Energieübertragung Pionierarbeit leistete.

Machbarkeit in der Schweiz

Diese Studien haben seit Anfang der 1990er-Jahre den wissenschaftlichen Grundstein für die Machbarkeit, die Vorbemessung und die Bedeutung von Tunneln mit tiefem Druck (oder mit einem Teilvakuum) gelegt.[3, 4] Für eine Pilotstrecke zwischen Genf und Lausanne wurde eine technische Lösung vorgeschlagen, mit der die Distanz zwischen beiden Städten in 15 Minuten überbrückt wird.

Diese Technologie ist äusserst energieeffizient (wie ein Zug bei 140 km/h oder weniger, dank der Optimierung von Tunneldurchmesser und restlichem Druckniveau). Der Betrieb ist emissionslos (CO2, Lärm usw.) [5] und wirtschaftlich – der Billettpreis bewegt sich im selben Rahmen wie beim Bahnbillett, und die Investitionskosten liegen weit unter der japanischen Lösung (CHF 50 Millionen pro km).

Die Teams, die am Hyperloop arbeiten, kommen zu denselben Schlussfolgerungen, was im Übrigen das weltweit steigende Interesse an dieser Art Technologie erklärt. Bild 3 zeigt, dass Swissmetro mit dem zehn- bis hundertfachem Druck, welcher für Hyperloop angestrebt wird, energetisch bereits sehr konkurrenzfähig zu den anderen Transportsystemen ist. Die Suche nach dem optimalen Druck ist eines der Ziele des Projekts. Auch die CO2-Emissionen werden untersucht. Ähnliche Studien zeigen bereits den Nutzen von Technologien, die mit partiellem Vakuum arbeiten.

Paradigmenwechsel im Verkehrsbereich

Die heutige Zeit ist daher günstig für einen Paradigmenwechsel beim Verkehr. Ebenfalls zu erwähnen sind die autonomen Fahrzeuge, ein Bereich, wo die Schweiz eine weitere Vorreiterrolle innehatte. Sie verfügt seit den 1990er-Jahren über eine Pilotstrecke mit einer technischen Lösung: das Projekt Serpentine. Über 20 Jahre später werden diese Entwicklungen fast im ganzen Land wieder aufgegriffen.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Projekte Swissmetro und Serpentine in einer fraktalen Dimension zusammengehören, da das Verkehrssystem als Ganzes betrachtet werden muss und ergänzende Technologien einzubeziehen sind, um einen Dienst zwischen zwei beliebigen Orten zu gewährleisten. Diese Technologien werden durch die unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Kapazitäten bestimmt und müssen im Hinblick auf eine allgemeine Optimierung der gemeinsamen Leistung weiterentwickelt werden.

Die HES-SO und die Erforschung innovativer Verkehrsformen

Die Schweiz hat in den beiden Innovationsbereichen autonome Fahrzeuge und Untergrundverkehr unter Teilvakuum Pionierarbeit geleistet. Nun muss sie beachten, dass ein in den USA entwickeltes Verkehrssystem wenig Chancen hat, perfekt ihren Anforderungen und Besonderheiten zu entsprechen. Daher ist in diesem Bereich weiterhin Innovationskraft gefragt. Die Fachhochschule Westschweiz (HES-SO) hat deshalb eine Arbeitsgruppe mit stark interdisziplinärem Fokus ins Leben gerufen und einen Forschungsschwerpunkt angewandte Wissenschaften geschaffen. So will sie eine Brücke zwischen den heutigen und den künftigen Bedürfnissen beim Verkehr und diesen neuen Technologien schlagen, präzisieren, wie und in welcher Form diese neuen Technologien dem schweizerischen Kontext dienen könnten, und definieren, wie diese Überlegungen auf internationaler Ebene weiterverfolgt und aufgewertet werden könnten.

Zusammenarbeit mit EuroTube

In diesem Rahmen ist eine Zusammenarbeit mit der Stiftung EuroTube von grundlegender Bedeutung, da so ein Zentrum für Tests, Validierung und Zulassung dieser Technologien und deren technologischen Elemente geschaffen werden kann. Die Projekte von EuroTube erlauben, die industrielle Entwicklung anzukurbeln und zu steuern – und genau dieses Element fehlte beim Projekt Swissmetro, um dessen Weiterentwicklung voranzutreiben.

Die Ziele der Arbeitsgruppe bestehen darin, eine wissenschaftliche Analyse und eine angewandte Forschung zu initiieren, die die Akteure aus Lehre und Industrie vereinen, und eine auf die schweizerischen Besonderheiten abgestimmte Lösung respektive eine Lösung für andere Länder mit ähnlichen Problemen zu entwickeln (Netz von kleinen und mittelgrossen Städten) – alles im Rahmen des internationalen wissenschaftlichen Netzes, das sich mit diesen Themen befasst. So sollte es der Gruppe der HES-SO möglich sein, zu einem Referenzschwerpunkt zu werden, zur effektiven Umsetzung von Projekten zur Weiterentwicklung und Einführung solcher Technologien mit einer ganzen Palette an Geschwindigkeiten und Kapazitäten beizutragen und als wissenschaftliche und technologische Ansprechstelle von Behörden und Entscheidungsträgern für Untergrundverkehr und/oder Verkehr in einer kontrollierten Atmosphäre zu fungieren.

Die Lösung heisst Multidisziplinarität

Diese multidisziplinäre und sich ergänzende Arbeitsgruppe setzt sich aus den folgenden fünf Mitgliedern zusammen, die nachfolgend kurz vorgestellt werden.

Carole Baudin führt die Forschungsgruppe für nutzerzentriertes Produktdesign (HE-Arc). Sie befasst sich mit der Einbindung der menschlichen und sozialen Dimension in die Prozesse zum Design von Projekten oder technischen Systemen über einen Ansatz der Anthropotechnologie und der Design­ergonomie.

Vincent Bourquin war an der Entwicklung von Swissmetro beteiligt und verfügt über ausgewiesenes Fachwissen zu Innovationen und Nachhaltigkeit im Verkehrswesen. Er gehört der interdisziplinären Forschungsgruppe «SwissMoves» (HEIA-FR) an. International ist er als Experte am Observatoire des politiques et stratégies de transport en Europe tätig und er ist Mitglied des Maglev Board.

Joël Cugnoni ist Experte für Verbundwerkstoffe, digitale Simulation und digitale Fertigungstechnologien. Er ist am Institut de Conception mécanique et technologie des matériaux der HEIG-VD tätig. Seine Gruppe hat grosse Erfahrung in den Bereichen Optimierung von Verbundwerkstoffkonstruktionen, Bruchmechanik, strukturelle Monitoringsysteme und digitale Fertigungstechniken.

Patrick Haas arbeitet am Laboratoire de mécanique des fluides et aérodynamique der HEPIA, das seit vielen Jahren im Bereich experimentelle Aerodynamik und Simulation tätig ist. Es verfügt über mehrere Unterschall- und Überschall-Windkanäle sowie über umfassende Berechnungsverfahren.

Samuel Chevailler bringt die Kompetenzen des Teams Industrial Electronics & Drives an der HES-SO Wallis im Bereich Elektromagnetik ein. Die Kompetenzbereiche des Teams erstrecken sich von der Modellierung über das Design bis hin zur Herstellung von statischen Umrichtern, Elektromaschinen und Aktuatoren sowie der entsprechenden Kontrollsysteme.

Öffentlichen Verkehr im Wettbewerb stärken

Die HES-SO möchte sich langfristig in der angewandten Forschung und in der Entwicklung alternativer Personen- und Warentransportmöglichkeiten bewähren und ein wichtiger Akteur für die Unterstützung künftiger Entwicklungen werden. Um die ersten Entwicklungen anzustossen, hat die HES-SO der Gruppe eine ausserordentliche dreijährige Finanzierung gewährt.
Viele Projekte beruhen auf der Technologie des Vakuumtransports und werden der Schweiz alternative Transportmittel mit tiefer, mittlerer oder hoher Geschwindigkeit verschaffen und so die Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen Verkehrs steigern. Dieses Ziel kann jedoch nur erreicht werden, indem zwischen Personen und ergänzenden Kompetenzen eine Innovationsdynamik geschaffen wird, wie dies bei der Forschungsgruppe der Fall war.

Referenzen

[1]   J.F. Gieras, «Ultra high-speed ground transportation systems: Current Status and a vision for the future», Przegląd Elektrotechniczny, ISSN 0033-2097, R. 96 NR 9/2020.
[2]   en.wikipedia.org/wiki/Maglev.
[3]   V. Bourquin, A. Cassat, P. Rossel, «Transportation as an engineering system: towards sustainable transportation using existing technologies into innovative architectures to satisfy current and future needs».
[4]   M. Jufer, A. Cassat, «Report Collaboration with the Korean Railroad Research Institute (KRRI) Status Synthesis of the Swissmetro Project Swissmetro Maglev and KRRI Tube Train Developments».
[5]   Milan Janić, «Estimation of direct energy consumption and CO2 emission by high speed rail, transrapid maglev and hyperloop passenger transport systems», International Journal of Sustainable Transportation, 2020, DOI: 10.1080/15568318.2020.1789780.
[6]   www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/mobilitaet-verkehr/personenverkehr.assetdetail.3222240.htm

Dieser Artikel entstand unter Mitarbeit von Carole Baudin, Gaëtan Bussy, Joël Cugnoni und Patrick Haas. Ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt.
Autor
Dr. Vincent Bourquin

 ist Professor an der Hochschule für Technik und Architektur Freiburg.

  • HEIA-FR,
    1700 Freiburg
Autor
Dr. Samuel Chevailler

ist Professor an der Hochschule für Ingenieurwissenschaften Wallis.

  • HES-SO Wallis,
    1951 Sitten

Über EuroTube

EuroTube ist eine gemeinnützige schweizerische Stiftung. Sie lehnt die Tendenz ab, dass mit Risikokapital finanzierte Unternehmen die Hochschulforschung für sich allein beanspruchen, indem sie private Testinfrastrukturen bereitstellen, deren Zugänglichkeit, Kapazitäten und Bedingungen proprietären Entwicklungen vorbehalten sind statt Benutzern aus Hochschulbereich und Industrie.

Die Stiftung EuroTube will an zentralen Standorten in Europa neutrale Testgelände für Forschung und Technologie zur Verfügung stellen. An ihrem Stand­ort Collombey-Muraz in der Schweiz entwickelt die Stiftung EuroTube Infrastrukturtechnologien für den Bau der ersten drei  Kilometer langen Teststrecke, die den Bedürfnissen der universitären Forschungsgruppen sowie der Industrie entsprechen und das industrielle Wachstum des Vakuumtransports fördern soll.

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