Wirk- und Blindleistung regeln
Potenziale und Stolpersteine
Moderne Wechselrichter sind in der Lage, sowohl die Wirk- als auch die Blindleistung zu regeln. Dabei können Regelstrategie und Parameterwahl sowie Netztopologie sehr unterschiedliche Auswirkungen auf das Stromnetz haben, insbesondere auf die Spannung. Welche Methoden, Vorteile und mögliche Hindernisse bei der Spannungshaltung gibt es?
Dezentrale Erzeugungsanlagen, die in das Stromnetz einspeisen, beeinflussen die Auslastung und die Spannung im Verteilnetz. Durch ihre hohe Gleichzeitigkeit und die potenziell hohen Leistungen können PV-Anlagen und Speichersysteme das Spannungsniveau stark beeinflussen. Die SN EN 50160:2022 [1] gibt die Merkmale der Spannung in öffentlichen Energieversorgungsnetzen vor. Unter normalen Betriebsbedingungen sollte die Versorgungsspannung nicht mehr als ±10% von der Nennspannung abweichen. Wenn die Einspeisung zunimmt, steigt die Spannung im Verteilnetz an und die Reserve zwischen der höchsten auftretenden Spannung und dem oberen Spannungsgrenzwert wird kleiner. Gelangen Stromnetze an ihre Grenzen, sind Massnahmen für einen sicheren Betrieb notwendig. PV-Wechselrichter können mittels autonomer Wirk- und Blindleistungsregelung die Spannung erhöhen oder absenken. Dadurch können gewisse Netzverstärkungen vermieden oder zumindest zeitlich verschoben werden.
Wirk- und Blindleistung haben wenig gemeinsam
PV-Anlagen speisen Wirkleistung P in das Stromnetz ein, das sie an die angeschlossenen Verbraucher verteilt. Ein geringer Teil fällt als Verlustleistung über den Transformatoren und Leitungen ab. Die Blindleistung Q kann im Gegensatz zur Wirkleistung nicht direkt genutzt werden. Sie wird benötigt, um elektrische Felder (in Kapazitäten) und magnetische Felder (in Induktivitäten) in den Netzbetriebsmitteln und Geräten aufrechtzuerhalten. Blindleistung muss ausbilanziert werden und ist entscheidend für die Spannungsstabilität des Stromnetzes.
Doch wie wird Blindleistung eingespeist beziehungsweise bezogen? Dazu muss die Phasenlage des Stroms, den die Geräte mit dem Netz austauschen, gegenüber der Spannung verschoben werden. Die Blindleistung wird deshalb auch als Verschiebungsblindleistung bezeichnet. Bild 1 zeigt eine Situation, bei der induktive Blindleistung von einem Verbraucher bezogen wird. Die Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung beträgt –26°, der Strom eilt der Spannung also nach: Das entspricht einem induktiven Verhalten. Würde der Strom der Spannung vorauseilen, so wäre das Verhalten kapazitiv. Die Phasenverschiebung von –26° aus Bild 1 entspricht einem Leistungsfaktor cosφ von 0,9 induktiv. Nebst dem Zeitverlauf zeigt Bild 1 ein Zeigerdiagramm der Spannung und des Stroms. An der Phasenverschiebung ist zu erkennen, ob es sich um Einspeisung/Verbrauch und induktives/kapazitives Verhalten handelt. In Bild 1c ist das Zeigerdiagramm der Leistung aufgeführt. Die Phasenverschiebung von –26° beim Strom führt zu einer Phasenverschiebung zwischen der Scheinleistung S und der 0°-Achse von +26°. Der Imaginärteil der Scheinleistung hat jeweils das zum Strom inverse Vorzeichen.
Je nach gewünschter Wirk- und Blindleistung kann auch ein Wechselrichter die Phasenverschiebung einstellen. Es handelt sich jeweils um die Schein-, Wirk- und (Verschiebungs-)Blindleistung der Grundschwingung, also 50 Hz. Im Zusammenhang mit Blindleistungsregelung ist vom Parameter cosφ die Rede. Dieser beschreibt den Cosinus des Winkels zwischen der Wirkleistung und der Scheinleistung gemäss Bild 1.
Wie wird die Spannung beeinflusst?
Die Höhe der Spannungsanhebung durch eine PV-Anlage ergibt sich durch die Dimensionierung des Netzes und die eingespeiste Wirkleistung. Bild 2 zeigt die Längselemente der Netzimpedanz: der Widerstand R und die Reaktanz XL der Induktivitäten. Der Widerstand wird im Wesentlichen durch die Widerstände der Niederspannungsleitungen bestimmt. Den grössten Anteil an der Reaktanz XL machen die Induktivitäten der Niederspannungsleitungen und die Streuinduktivität des Transformators der Netzebene 6 aus. Die Querelemente (Kapazitäten C und Isolationsleitwerte G) werden nicht dargestellt, da sie für den Spannungsabfall nicht wesentlich sind.
Wird durch eine PV-Anlage ein Strom ins Netz eingespeist, fliesst er durch den Widerstand R und die Reaktanz XL, was einen Spannungsabfall ΔUNetz verursacht. Die «Technischen Regeln für die Beurteilung von Netzrückwirkungen DACHCZ» geben die in Bild 2 aufgeführte Näherungsformel zur Bestimmung der Spannungsänderung am Anschlusspunkt an [2]. Sie zeigt, dass eine Änderung der Wirkleistung ΔP primär wegen des Widerstands R eine Spannungsänderung bewirkt. Dagegen verändert die Blindleistung ΔQ die Spannung insbesondere aufgrund der Reaktanz XL.
Eine zusätzliche Einspeisung von Wirkleistung (ΔP < 0 MW) verursacht gemäss Bild 2 einen negativeren Wert von ΔU2. Mit der aufgeführten Formel ist klar, dass dadurch die Spannung U2 am Anschlusspunkt ansteigt. Folglich könnte die Spannung durch eine Reduktion der eingespeisten Wirkleistung reduziert werden. Alternativ oder zusätzlich zur Reduktion der Wirkleistung kann Blindleistung zur Absenkung der Spannung U2 genutzt werden. Wird der Wechselrichter so eingestellt, dass er zusätzlich induktive Blindleistung bezieht (ΔQ > 0 Mvar), führt dies zu einem positiveren Wert des Spannungsabfalls ΔU2 und somit zu einer Absenkung der Spannung U2.
Da es sich in der Realität um komplexe Spannungen und Ströme mit Betrag und Winkel handelt, ist die Näherungsformel vor allem für Abschätzungen geeignet.
Wie sollen Wechselrichter dimensioniert werden?
Damit ein Wechselrichter Blindleistung im notwendigen Umfang beziehen kann, muss er entsprechend dimensioniert sein. Wurde er wie in Tabelle 1 so ausgelegt, dass die maximale Erzeugungswirkleistung der Anlage der maximalen Scheinleistung des Wechselrichters entspricht, so kann bei einem Blindleistungsbezug nicht die volle Wirkleistung eingespeist werden. Für einen Leistungsfaktor cosφ von 0,9 müsste die Wirkleistung jedoch nur um 10% reduziert werden, was zudem einen positiven Effekt auf die Spannung hätte.
Wenn die Wirkleistung nicht reduziert werden soll, muss der Wechselrichter grösser dimensioniert werden, damit zusätzlich zur maximalen Wirkleistungserzeugung auch Blindleistung bezogen werden kann. Tabelle 2 gibt für einige Werte von cosφ einen Überblick, um wie viel Prozent grösser die Scheinleistung des Wechselrichters dimensioniert sein muss. Dabei führt schon eine um 11% grössere Dimensionierung dazu, dass ein Verhältnis von 48:100 zwischen Blind- zu Wirkleistung möglich ist. Tabelle 1 und Tabelle 2 gelten für induktive und für kapazitive Blindleistung.
Höhe der Spannungsänderung
Entscheidend ist, um welchen Betrag die Spannung durch die Wirkleistungseinspeisung angehoben wird und um welchen Betrag sie durch Regelung der Wirk- bzw. Blindleistung abgesenkt werden kann. Das Beispiel in Bild 3 zeigt die Zusammenhänge auf. Die Topologien realer Netze sind komplexer und erfordern entsprechende Netzsimulationen. Bild 3 (rot) zeigt eine Spannungserhöhung von 1,1% (absolut) durch eine Einspeisung von 200 kW über ein 100 m langes Kabel des Typs GKN 3 x 240/240 mm². Im gleichen Bild ist die dargestellt, wenn gleichzeitig eine induktive Blindleistung von 97 kvar bezogen wird (blau, cosφ = 0,9 induktiv). Der induktive Blindleistungsbezug senkt die Spannung bei der PV-Anlage um 1,4% (absolut). Dabei wird nicht nur die Spannung am Anschlusspunkt der PV-Anlage abgesenkt. Wegen der Streuinduktivität des Transformators wird die Spannung am Transformator sekundärseitig um 1,1% (absolut) reduziert. In diesem Fall hat also der Transformator wegen der höheren Induktivität sogar den grösseren Einfluss auf die Spannung als die Leitung.
Bild 4 stellt die berechnete Spannung am Anschlusspunkt der PV-Anlage aus Bild 3 für drei Leistungsszenarien in Abhängigkeit der Leitungslänge dar. Das Szenario mit 200 kW Einspeisung ohne Blindleistung hat die höchsten Spannungen zur Folge. Wird zusätzlich eine induktive Blindleistung von 97 kvar induktiv bezogen, so wird die Spannung um 1,3 bis 1,9% (absolut) abgesenkt. Eine Wirkleistungsreduktion von 30% auf 140 kW senkt die Spannung um 0,3 bis 0,7% (absolut). Zu beachten ist die Zunahme der Leitungsauslastung um etwa 10% (absolut) bei Blindleistungsbezug. Demgegenüber bewirkt die Reduktion der Wirkleistung auf 140 kW eine Abnahme der Leitungsauslastung um etwa 24% (absolut). Dies ist besonders interessant, weil durch eine Reduktion der Spitzenleistung von PV-Anlagen um 30% der Jahresenergieertrag maximal nur um etwa 7% geringer ausfällt [3]. Die Leitungsauslastung nimmt mit zunehmender Leitungslänge etwas ab. Dies hängt damit zusammen, dass die Spannung mit zunehmender Leitungslänge zunimmt und der Strom der PV-Anlage bei gleichbleibender Leistung leicht sinkt. Weiter fällt bei der Betrachtung der Netzverluste auf, dass diese mit zunehmender Wirkleistung sowie auch mit zusätzlicher Blindleistung zunehmen.
Gemäss Näherungsformel in Bild 2 ist das Verhältnis R/XL entscheidend für den Einfluss der Wirkleistungs- und Blindleistungsregelung auf die Spannung. Aufgrund des höheren Widerstands R haben Aluminiumleitungen ein grösseres R/XL-Verhältnis als Kupferleitungen. Bei Leitungen mit einem grossen R/XL-Verhältnis hat die Wirkleistung einen grösseren Einfluss auf die Spannung als die Blindleistung. Die Reaktanz XL ist bei beiden Leitungstypen identisch, und der Einfluss der Blindleistung auf die Spannung ist vergleichbar. Folglich ist das R/XL-Verhältnis der Netzimpedanz eine wichtige Kennzahl bei der Festlegung der Randbedingungen für die Wirk- und Blindleistungsregelung.
Potenziale der PV-Regelung
Weil sowohl die Wirkleistung als auch die Blindleistung die Spannung beeinflussen, kann ihre Regelung zur Spannungshaltung genutzt werden. Beide Regelungsarten können Verletzungen der Spannungsgrenzwerte bis zu einem gewissen Grad vermeiden und die Netzstabilität bei Spannungsschwankungen unterstützen. Das kann den Anschluss von PV-Anlagen ohne Netzverstärkung in Fällen mit wenig Reserve zum Spannungsgrenzwert ermöglichen.
Mit der Wirkleistungsregelung kann die eingespeiste Leistungsspitze – und gleichzeitig die Netzverluste – wirksam reduziert werden. Zudem verringert sie die Betriebsmittelauslastung. Zwar wurde dieser Aspekt hier nicht betrachtet, er ist jedoch für die Netzplanung und den Netzbetrieb wichtig.
Die Blindleistungsregelung ermöglicht eine Veränderung der Spannung, ohne dass die Wirkleistung reduziert werden muss. Günstige Bedingungen für die Regelung sind vorhanden, wenn die Netzimpedanz eine relevante Reaktanz XL aufweist und das R/XL-Verhältnis dabei möglichst klein ist.
Stolpersteine
Aufgrund der komplexen Zusammenhänge im Stromnetz ist es nicht trivial, den Einfluss der Regelung vieler Anlagen präzise abzuschätzen. Modellierung und Simulation können dabei helfen, diverse Szenarien zu untersuchen und die optimalen Einstellungen zu ermitteln. Zur Spannungshaltung mit PV-Anlagen sind unterschiedliche Methoden anwendbar. Typischerweise werden die Regelung der Wirkleistung P(U), der Blindleistung Q(U), des Leistungsfaktors cosφ(P) oder eine konstante Einstellung des Leistungsfaktors cosφ auf einen bestimmten Wert, oft 0,9, in Betracht gezogen. Auch die Begrenzung der eingespeisten Wirkleistung kann sinnvoll sein.
Die Wirkleistungsregelung reduziert die Einspeiseleistung und somit den Jahresenergieertrag (meist geringfügig) [3]. Bei konstanter Wirkleistung belastet die Blindleistungsregelung die Betriebsmittel zusätzlich. Daher sind Auslastungsreserven zu beachten. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die zusätzliche Blindleistung vom vorgelagerten Netz bereitgestellt werden muss. Wichtig ist auch das korrekte Einstellen der Blindleistungsregelung. Wird ein falsches Vorzeichen eingestellt, erhöht sich die Spannung, anstatt abgesenkt zu werden, was zu Überspannungen und Abschaltungen von PV-Anlagen führen kann. Ausserdem bestimmt das R/XL-Verhältnis der Netzimpedanz am Anschlusspunkt das Potenzial von Wirk- und Blindleistungsregelung.
PV-Regelung als wichtige, intelligente Massnahme
Die Regelung bzw. Steuerung von Wirk- und Blindleistung sind wesentliche Hilfsmittel für einen effizienten Zubau von PV-Anlagen. Sie helfen beim Einhalten des Spannungsbands, was Investitionen in das Netz vermeiden oder verschieben kann. Der Vorteil ist, dass jeder Wechselrichter autonom auf die Spannung oder Wirkleistung am Anschlusspunkt reagieren kann – ohne Kommunikation.
Branchenempfehlungen wie die «NA/EEA-NE7 – CH 2020» helfen bei der Bestimmung von Regelkurven und Einstellungen [4]. Aktuell erarbeitet eine neue Arbeitsgruppe «Spannungshaltung im Niederspannungsnetz» des VSE eine Branchenempfehlung, die den Verteilnetzbetreibern bei der Wahl von Strategien zur Spannungshaltung helfen soll.
Referenzen
[1] SN EN 50160:2022, Merkmale der Spannung in öffentlichen Energieversorgungsnetzen, Electrosuisse, 2022.
[2] Technische Regeln für die Beurteilung von Netzrückwirkungen D-A-CH-CZ, Teil A: Grundlagen, VSE, ÖE, CSRES, VDE FNN 2021.
[3] M. Markstaler, K. Frick, M. Höckel, «Wie viel Photovoltaik verträgt das Verteilnetz?», Bulletin Electrosuisse 8/2023, S. 15. www.bulletin.ch/de/news-detail/wie-viel-pv-vertraegt-das-verteilnetz.html
[4] Netzanschluss für Energieerzeugungsanlagen an das Niederspannungsnetz (NA/EEA-NE7 – CH 2020), VSE, 2020.
Link
www.bfh.ch/de/forschung/forschungsbereiche/labor-elektrizitaetsnetze
Kommentare