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«Wir sprechen von einem Zeitraum von 25 Jahren»

Interview mit KKW-Anlagenoperateur Benjamin Mosimann

26.01.2018

Im November 2017 wurden im Rahmen der Berufsbildung «KKW-Anlagenoperateur/in mit eidgenössischem Fachausweis» erstmals Prüfungen nach neuer Prüfungsordnung abgenommen. Benjamin Mosimann aus dem aargauischen Lengnau hat Ausbildung und Prüfung erfolgreich absolviert und erzählt im Interview von seinen Erfahrungen.

Bulletin: Benjamin Mosimann, warum wollten Sie KKW-Anlagenoperateur werden?

Benjamin Mosimann: Das Thema Nuklearenergie hatte mich schon früh fasziniert. Daher bewarb ich mich sofort, als ich die ausgeschriebene Stelle für das Kernkraftwerk Beznau entdeckt hatte.

Störte Sie nicht, dass Sie in eine Industrie wechselten, der allenthalben eine nur noch begrenzte Zukunft vorausgesagt wird?

Überhaupt nicht. Ich tat diesen Schritt, weil mich die Arbeit und die Technologie interessierten. Ausserdem sprechen wir bei einer Abschaltung inklusive Nachbereitung noch immer von einem Zeitraum von gut 25 Jahren. Das ist heutzutage ein ziemlich langer Zeitraum für eine Jobgarantie. Ausserdem bin ich ja noch jung. Ich fände sicher wieder eine andere Stelle. Man muss halt bereit sein, etwas dafür zu tun.

Was fasziniert Sie an dieser Technologie im Besonderen?

Nukleartechnologie ist ein Gebiet, in das man normalerweise nicht hineinsehen kann. Ich dachte zwar, ich wisse viel darüber, aber nach zwei Wochen im Betrieb merkte ich, dass ich eigentlich gar nichts wusste. Das faszinierte mich.

Nun sehen Sie nicht nur hinein, sondern Sie sind seit zwei Jahren mittendrin. Welches war für Sie die grösste Umstellung?

Ich hatte ursprünglich eine Ausbildung zum Polymechaniker absolviert und komme folglich aus der Produktion. Als Anlagenoperateur ist meine Hauptaufgabe jedoch das Überwachen. Das war nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine körperliche Umstellung für mich.

Sie stellen nichts mehr her. Fehlt Ihnen nicht, am Ende des Tages ein Ergebnis Ihrer Arbeit in den Händen zu halten?

Am Anfang fehlte mir das schon. Aber das hat sich gegeben. Wenn meine Schicht beginnt und ich die Anlage in fehlerfreiem Zustand übernehme, ist mein Ziel, sie der nächsten Schicht auch fehlerfrei zu übergeben. Erreicht man dieses Ziel, hat man auch «etwas geschafft». Sehr schwierig ist für mich aber, wenn ich der nächsten Schicht ein nicht fehlerfreies System übergeben muss. Davor arbeitete ich halt einfach so lange weiter, bis das Produkt in Ordnung war, auch wenn es zwei Stunden länger dauerte. Nun ist das nicht mehr möglich.

Welche Voraussetzungen braucht es, um als Anlagenoperateur arbeiten zu können?

Nach der Ausbildung zum Polymechaniker habe ich auch noch die Technikerschule absolviert. Technisches Verständnis ist sicher von Vorteil für diese Arbeit. Es hilft auch enorm, wenn man mit Mathematik nicht auf Kriegsfuss steht. Der grosse Teil meiner Arbeit ist Überwachung. Solange alles so läuft, wie es soll, ist es ein einfacher Job. Wenn einmal etwas nicht so läuft, wie es soll, wird es komplex. Dann muss man die Systeme kennen und reagieren können.

Was macht man als Anlagenoperateur genau?

Der Anlagenoperateur überprüft auf seinen Rundgängen eigentlich alles, was nicht vom Kommandoraum überwacht wird. Ich kontrolliere beispielsweise Turbinen, Pumpen oder Rohre; und das in zig Räumen. In der Anlage Beznau werden viele solcher Anlagen noch manuell eingestellt, zum Beispiel Ventilstellungen. Ich kontrolliere dabei auch Dinge, die keinen unmittelbaren Einfluss auf den Betrieb haben, wie zum Beispiel, ob alle Lampen brennen, ob Brandschutztüren offen stehen oder geschlossen sind.

Bei Ihrer Arbeit entsteht ein ausgeprägtes Sicherheitsdenken. Beeinflusst Sie das auch im Alltag?

Ja. Das zeigt sich vor allem bei kleinen Dingen wie beispielsweise der Kontrolle des Ölstandes beim Auto oder des Reifendrucks. Das mache ich viel häufiger, seit ich als Anlagenoperateur arbeite. Das färbt ein bisschen ab.

Sie haben die Ausbildung als erster Jahrgang nach der neuen Prüfungsordnung abgeschlossen. Das heisst, dass Sie neben den Teilen Praxis und Theorie auch eine Fallstudie bearbeiten und sich Wissen über den Nachbetrieb eines Kraftwerks aneignen mussten. Wie haben Sie diese Prüfung erlebt?

Gerade die Fallstudie war schon heftig. Man ist sich so etwas nicht gewohnt. Darin wird eine mögliche Ausnahmesituation beschrieben, in die man sich hineinversetzen muss. Es war einerseits spannend, zu realisieren, was man alles gelernt hat und anwenden kann. Diese Automatismen in der begrenzten Zeit, die einem zur Verfügung steht, aber auch zu Papier zu bringen, war anderseits eine grosse Herausforderung. Diese Abläufe mussten wirklich sitzen, weil man sonst schon alleine aufgrund der knappen Zeit ein Problem gekriegt hätte. Lange zu überlegen, war nicht möglich.

Sie schildern eine Situation, welche den Ernstfall offensichtlich sehr gut wiedergibt. In einem solchen Fall stünden Sie ja auch unter Handlungs- und Zeitdruck.

Richtig. So gesehen, war die Fallstudie sehr praxisnah und sie spiegelt die Realität sehr gut. Diese Art der Prüfung ist sicher besser als ein reines Abfragen der Theorie. Es zwingt einen auch, sich mit dem System und den Zusammenhängen auseinanderzusetzen. In meinem Fall wurde ein Leck in einer Pumpe eines Kühlsystems simuliert. Ich musste nun nicht nur entscheiden, was zu tun war, sondern dabei auch berücksichtigen und erklären, welche Instanzen und Abläufe ich mit meiner Reaktion in Bewegung setzte.

Und wie beurteilen Sie die Ausbildung insgesamt?

Dafür, dass die Prüfung nicht mehr so stark auf theoretisches Wissen abstützt, ist der «Schulunterricht» noch sehr theoretisch. Der Unterricht könnte in diesem Punkt noch stärker an die Prüfung angepasst werden. Dass das schwierig ist, ist mir aber auch klar. Schliesslich unterscheidet sich jedes Kernkraftwerk in der Schweiz von den anderen. Und man darf auch nicht vergessen, dass es sich um die erste Ausbildung nach neuer Prüfungsordnung gehandelt hat. Die jetzt gemachten Erfahrungen werden sicher in die künftigen Lehrgänge einfliessen.

Viele Menschen haben Berührungsängste, wenn es um Nukleartechnologie. Wie werden Sie von Ihrem Umfeld als KKW-Anlagenoperateur wahrgenommen?

Es gibt zwei Gruppen. Die einen sind sehr interessiert und wollen mehr darüber wissen. Die anderen haben eine abweisende Haltung. Und genau deswegen habe ich mich auch zu diesem Gespräch bereit erklärt. Denn wenn jemand schon fragt und etwas über diese Arbeit wissen will, finde ich es wichtig, Aufklärungsarbeit zu verrichten. Ich stehe hinter diesem Beruf und würde mich wieder so entscheiden.

Betreiben Sie aktiv Aufklärungsarbeit in Ihrem Umfeld?

Mein Umfeld ist quasi im Schatten der Kühltürme aufgewachsen. Da ist das Verständnis für diese Branche gross. Die Branche dürfte sich aber durchaus etwas stärker zeigen. Und wenn mich jemand etwas über diese Technologie fragt, erzähle ich sehr gerne etwas darüber. Aktiv oder gar aufdringlich würde ich das aber nicht tun.

Autor
Ralph Möll

war Kom­mu­ni­kations­spezia­list beim VSE.

Zur Person

Benjamin Mosimann (29) lebt in Lengnau und arbeitet im Kernkraftwerk Beznau als Anlagenoperateur. Er hat im November 2017 die Berufsbildung «KKW-Anlagenoperateur/in mit eidgenössischem Fachausweis» als einer der ersten nach neuer Prüfungsordnung absolviert.

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