Wintersonne für die Versorgungssicherheit
Vorteile der alpinen Photovoltaik
Oft geht man davon aus, dass Solarstrom keinen wesentlichen Beitrag zur Verkleinerung der Winterlücke leisten kann. Dabei übersieht man das Potenzial der alpinen Photovoltaik: Wenn bei einer Installation in den Bergen die Installationsgeometrie und der Standort richtig gewählt werden, produzieren alpine Solaranlagen mehr Strom im Winter als im Sommer.
Um ihren CO2-Ausstoss zu reduzieren und ihr Land in eine sichere, saubere Zukunft zu führen, haben die Schweizer Bürger mit der Energiestrategie beschlossen, ihre Elektrizitätsproduktion bis 2050 komplett auf erneuerbare Energieträger umzustellen. Photovoltaik wird dabei eine wichtige Rolle einnehmen. Obwohl die Zahlen der benötigten Oberflächen beeindruckend hoch erscheinen mögen, so hören wir aus den Medien, dass allein das Sonnenpotenzial der Schweizer Hausdächer ausreichen würde, um 110% des jährlichen Elektrizitätsbedarfs des Landes zu decken.[1]
Das ist allerdings erst die halbe Rechnung, denn um die Schweiz zuverlässig das ganze Jahr lang mit grünem Strom zu versorgen, müssen Produktion und Verbrauch nicht nur in der jährlichen Summe übereinstimmen, sondern sich kontinuierlich, Woche für Woche, die Waage halten. Tatsache ist aber, dass eine hohe PV-Produktion im Sommer und eine geringe Produktion im Winter einer hohen Nachfrage im Winter und geringer Nachfrage im Sommer gegenüberstehen. Über die Spanne von Stunden oder sogar einigen Tagen liessen sich Produktionsdefizite über Einspeisungen aus Wasserspeicherkraftwerken überbrücken. Das Winterloch, das sich mit einer dachgebundenen PV-Produktion auftun würde, kann damit allerdings nicht gefüllt werden. Ferner würde ein Grossteil der Produktion im Sommer ungenutzt bleiben.
Ist es möglich, die Überproduktion der Sommermonate in die kalten und dunklen Wintermonate mit hoher Nachfrage zu verschieben? Real existierende Speichermöglichkeiten für eine solche saisonale Umschichtung gibt es nicht. Das gesamte Volumen der Schweizer Stauseen repräsentiert nur ein paar Wochen des Schweizer Stromverbrauchs, und die vorhandenen Pump-Speicherwerke machen lediglich einen kleinen Prozentsatz davon aus. Eine im Januar 2019 veröffentlichte Studie des Schweizer Produktionspotenzials zeigt allerdings, dass es möglich ist, PV-Produktion vom Sommer in den Winter zu verlagern, ohne dabei die jährliche Gesamtproduktion zu verringern.[2]
Wenn Installationsgeometrie und Standort richtig gewählt werden, produzieren Solaranlagen in den Bergen mehr Elektrizität im Winter als im Sommer, und über das Jahr summiert mehr als in den Niederungen.
Die vier Trümpfe der Berg-PV
Dieses vorteilhafte Produktionsverhalten in höheren Lagen hat vier Gründe:
- In Höhenlagen ist die Sonneneinstrahlung intensiver. Erstens ist die Atmosphäre dünner und somit wird weniger Sonnenstrahlung absorbiert, bevor sie auf die Moduloberfläche trifft. Und zweitens beschränken sich Nebel und Bewölkung im Winter häufig auf die Niederungen, während in den Bergen die volle Sonnenenergie zur Verfügung steht.
- Die Schneedecke reflektiert die Sonnenenergie vom Boden und liefert so einen zusätzlichen Beitrag zur Stromproduktion.
- Diese beiden Punkte können durch steile Anstellwinkel der Solarmodule noch verstärkt werden. Je mehr Schneeoberfläche vom Paneel «gesehen» wird, desto höher der Beitrag der Bodenreflektion. Ferner begünstigen steile Anstellwinkel die Winterproduktion, weil die tiefstehende Wintersonne dadurch senkrechter auf die Moduloberfläche einfällt.
- Die Effizienz von PV-Anlagen steigt mit sinkender Modultemperatur. Typische Umgebungstemperaturen und Windgeschwindigkeiten in Höhenlagen haben somit im Vergleich zum Flachland einen positiven Effekt auf die Stromproduktion.
Satellitendaten und Modulgeometrie berücksichtigen
Um diese vier Trümpfe der Berg-PV genauer zu untersuchen und ihre Auswirkungen auf die Stromproduktion zu quantifizieren, haben Wissenschaftler der ETH Lausanne in Zusammenarbeit mit dem WSL Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) das Modell Sunwell entwickelt, das mit Hilfe von satellitengestützten Strahlungsdaten und der Modulorientierung die Stromproduktion räumlich und zeitlich explizit für die gesamte Schweiz berechnen kann (Bild 1).

Der Spinning Enhanced Visible and Infrared Imager (Seviri) auf den geostationären Meteosat-8-Satelliten misst alle 15 Minuten die von der Erdoberfläche und der Atmosphäre reflektierte Sonnenstrahlung. Daraus kann ermittelt werden, wie viel Sonneneinstrahlung durch Wolken und andere Partikel herausgefiltert wird und wie viel schliesslich auf der Erdoberfläche eintrifft. Ausserdem wird die Oberflächenreflektion, das sogenannte Albedo, berechnet, die ebenfalls für das Sunwell-Modell verwendet wird. Die von Meteo Schweiz zur Verfügung gestellten Strahlungsprodukte [3] sind für Bergregionen konzipiert und speziell darauf ausgelegt, zwischen Schnee und Wolken zu unterscheiden. Das ist wichtig, da sonst die Sonneneinstrahlung während der Wintermonate unterschätzt würde (fälschlicherweise als Wolken identifizierter Schnee erhöht die berechnete Absorption in der Atmosphäre). Seit 2004 stehen diese Strahlungsdaten mit einer räumlichen Auflösung von 1,25 Gradminuten zur Verfügung. Das entspricht in der Schweiz etwa 2,3 km in Ost-West- und 1,6 km in Nord-Süd-Richtung.
Stadt- und Bergszenarien im Vergleich
Um die geografischen Unterschiede im Produktionspotenzial und die Auswirkungen der Installationsgeometrie auf den jährlichen Produktionsverlauf anschaulich darstellen zu können, wurde die Stromproduktion für zwei spezielle Zukunftsszenarien modelliert, die beide eine jährliche Produktion von 12 TWh erzielen. Das entspricht etwa der Hälfte der momentanen Atomproduktion der Schweiz. Dabei repräsentieren die zwei Szenarien absolute Gegensätze bezüglich der möglichen Standortwahl. Im sogenannten Stadtszenario werden fiktive Anlagen in Regionen hoher Bevölkerungsdichte installiert; also hauptsächlich in den Ballungszentren der nördlichen, tiefer gelegenen Schweiz. Das Bergszenario hingegen simuliert eine Produktion an Standorten mit maximaler Winterproduktion. Allerdings werden alle Gebiete oberhalb von 2500 m Höhe sowie Wald und andere unbebaubare Landschaftstypen ausgeschlossen und die Oberflächenbedeckung mit PV-Modulen in den verbleibenden Regionen auf maximal 3% beschränkt, um unrealistische Installationsorte zu vermeiden. Um die Auswirkungen des Klimawandels – eine zunehmend geringere Schneebedeckung – zu berücksichtigen, wurde das Bergszenario mit einer konstanten Oberflächenreflektion von 20% wiederholt, einem typischen Wert für Beton, Erde, Fels und Vegetation (zum Vergleich: das Albedo von Schnee liegt zwischen 50% und 90%).

Bild 4a zeigt, welche Moduloberfläche zur Produktion der oben genannten 12 TWh in den verschiedenen Szenarien notwendig wäre und wie diese Oberfläche als Funktion des Anstellwinkels variiert. Es ist offensichtlich, dass die Produktivität in den Bergen höher ist, da für alle Anstellwinkel mindestens 10 km2 weniger Oberfläche benötigt wird (Differenz zwischen roter und grüner Linie). Bei 50 km2 installierter Paneele bedeutet das eine Effizienzsteigerung um etwa 20%. Für eine steile Ausrichtung kommt noch ein zusätzlicher Gewinn von bis zu 13% durch den Einfluss der reflektierenden Schneeoberfläche hinzu, der durch die Differenz zwischen grüner und blauer Linie repräsentiert ist. Die Winterproduktivität in Bild 4b zeigt eine ähnliche Neigungsabhängigkeit für das Stadtszenario und für das schneefreie Bergszenario, allerdings werden im Wintermittel (Nächte miteingerechnet) in den Bergen zwischen 6,2 und 9,2 W/m2 mehr produziert. Dies entspricht einer Produktionssteigerung um rund 50%! Der zusätzliche Ertrag durch die Schneereflektion macht sich besonders für steile Anstellwinkel bemerkbar und erreicht bis zu 5,1 W/m2.

Das Optimum erzielen
Nebst klar definierten Szenarien kann Sunwell auch Geometrie und Standort einer PV-Anlage so optimieren, dass sie eine bestimmte Zielsetzung erfüllt, zum Beispiel maximale Produktion während einer gewählten Zeit des Jahres oder maximaler Umsatz unter Berücksichtigung räumlich und zeitlich variabler Strompreise. Bild 5 zeigt, wie stark sich solche optimierten Installationen für maximale Jahresproduktion (grün) und maximale Winterproduktion (blau) von der konventionellen Produktion auf Hausdächern in bevölkerungsreichen Gebieten (rot) absetzen können.

Die Karte in Bild 5a zeigt, wo in den verschiedenen Fällen installiert werden würde, um wie zuvor 12 TWh pro Jahr zu produzieren. Beide Optimierungen platzieren die PV-Module in den Bergregionen der Schweiz. Für eine maximale Winterproduktion scheinen Gebiete in Graubünden geeigneter (blau), während die Jahresproduktion eher ins Wallis verlegt wird (grün). Die schwarzen Pixel wurden für beide Optimierungen ausgewählt.
Die Verteilung der optimierten Installationsgeometrie (Histogramme in Bild 5) zeigt wie erwartet, dass für optimale Winterproduktion steilere Anstellwinkel gewählt werden müssen und auch, dass eine leicht östliche Ausrichtung vorteilhaft ist. Dieser Trend ist etwas stärker ausgeprägt, wenn die Jahresproduktion optimiert werden soll, denn in diesem Fall wird ein grösserer Anteil der Produktion in den Sommermonaten erzielt, wenn in den Bergen am Nachmittag oft konvektiv bedingte Quellwolken auftreten.
Die Ergebnisse in der Tabelle (Bild 5b) zeigen, dass die Moduloberfläche, die nötig wäre, um 12 TWh pro Jahr zu produzieren, durch die Optimierung um 22% reduziert werden könnte.
Gleichzeitig ist es möglich, die Winterproduktion um 68% zu steigern. Dieser beeindruckende Produktionsgewinn zu Zeiten grösster Nachfrage zeigt sich eindeutig im Produktionsprofil der drei Beispielinstallationen (Bild 5c).
Umsetzung in der realen Welt
Die oben präsentierten Zahlen laden einerseits zum Träumen ein und werfen andererseits zahlreiche Fragen auf: Steht eine Fläche von 45 km2 in den ausgewählten Regionen überhaupt zur Verfügung? Und wenn ja, ist ein angemessener Netzanschluss vorhanden oder müsste das bestehende Stromnetz umfassend ausgebaut werden? Lohnen sich die Mehrkosten einer Installation abseits der konventionellen Standorte? Werden Berginstallationen von der Bevölkerung unterstützt, oder wird dadurch unsere schöne Bergwelt verschandelt und der Tourismus geschädigt? Dies sind einige Beispiele von berechtigten Fragen, auf die es heute noch keine exakten Antworten gibt.
Abschliessend lässt sich aber sagen, dass die Schweizer Bergregionen ein sehr gut ausgebautes Strassen- und Stromnetzwerk haben. Ferner gibt es grosse Gebiete, die bereits mit Infrastruktur bebaut sind, beispielsweise Skigebiete, Hochspannungsleitungen sowie Wasserkraftanlagen und Stauseen. Allein die zehn grössten Skigebiete der Schweiz haben eine summierte Pistenlänge von 2500 km. Bei einer mittleren Breite von 20 m entspricht das 50 km2, also mehr als für die 12 TWh pro Jahr gebraucht würde. Dies einfach zur Illustration, denn es ist natürlich nicht das Ziel, den Schweizer Skisport der Solarproduktion zu opfern.
Referenzen
[1] Veröffentlichung des BFE, 15.4.2019:
www.bfe.admin.ch/bfe/de/home/news-und-medien/medienmitteilungen/mm-test.msg-id-74641.html
[2] A. Kahl, J. Dujardin, M. Lehning, «The bright side of PV production in snow-covered mountains», Proceedings of the National Academy of Science (PNAS), 2019.
[3] R. Stoeckli, «The HelioMont surface and radiation processing», 2017 update, Scientific Report Meteoswiss 93:122, 2017.
Kommentare
Urs Muntwyler,
Der benötigte Winterstrom für die «Energiestrategie 2050» und nachfolgend einer «Dekarbonisierung» der Energiewirtschaft in der Schweiz kommt aus der Windenergie (evtl. Standorte im Ausland) und vor allem von der Photovoltaik.
Der Ertrag alpiner PV-Anlagen wird in der Schweiz seit 40 Jahren erforscht. Zuerst von der Firma Hasler AG in Bern, u. a. mit einer Forschungsanlage auf dem Piz Corvatsch in den 1980er-Jahren und dem PV-Labor der Berner Fachhochschule in Burgdorf mit den PV-Forschungsanlagen auf dem Jungfraujoch ab 1993. Tatsächlich ist der Ertrag bis 1600 kWh pro kW Nennleistung, was Standorten in Nordafrika entspricht. Vertikale Flächen wie auf dem Jungfraujoch haben dazu sehr hohe Wintererträge. Trotzdem sollte man sich von diesen Werten nicht blenden lassen. Der Bau hochalpiner Anlagen ist teuer, die Standorte beschränkt und es gibt sicher aufwendige Bewilligungsverfahren. Dazu sind die Standard-PV-Solarmodule nicht für so hohe Einstrahlungen wie 1,6 kW/m² zertifiziert. Es sind verschiedene PV-Anlagen im Hochgebirge bekannt, bei denen die Solarmodule durch die hohe Strahlung beschädigt wurden. Hier müssten teure, stärker ausgelegte PV-Module eingesetzt werden.
Wie wir in einer Studie des SCCER-Furies-Forschungsprogramms von 2019 zeigen konnten, ist es bei den heute sehr günstigen Solarzellenpreisen vorteilhafter, mehr PV-Anlagen nahe den Verbrauchern, im Schweizer Mittelland, allenfalls den Voralpen und im Jura, zu bauen. Der Anteil an Winterstrom sinkt dann von gegen 50% auf unter 30%. Aufgrund des Klimawandels und der verbesserten Luftqualität haben wir heute weniger Schnee im Winter und weniger Nebel. Das hilft der Produktion von PV-Winterstrom. Den vorhandenen Überschuss an PV-Leistung im Sommer können wir nutzen für weitere Elektroverbraucher, in Zukunft auch vermehrt für Klimaanlagen, oder er wird abgeregelt. Bei PV-Strompreisen von unter 5 Rp/kWh (ohne Förderung) für grössere Anlagen gibt das minime Einbussen. Das ist weitaus günstiger als PV-Anlagen im Hochgebirge und die Anlagen können schneller gebaut werden. Dies ist besonders wichtig, denn die installierte PV-Leistung in der Schweiz muss von knapp 300 MW auf 1 bis 2 GW pro Jahr wachsen.