Windkraft in der Schweiz
Energie für den Winter
Bereits heute – noch vor dem Abschalten der KKWs – deckt die Schweizer Stromproduktion den Bedarf im Winter nicht ab. Aufgrund ihrer höheren winterlichen Produktion bietet sich deshalb ein Ausbau der Windkraft an.
Das Profil der Stromproduktion in der Schweiz spricht eine klare Sprache. Im Sommer wird mehr produziert als konsumiert, im Winter hingegen muss Strom importiert werden, um den Bedarf zu decken. Diese Situation wird sich künftig noch verschärfen, wenn die Kernkraftwerke schrittweise stillgelegt werden, denn diese Bandenergie wird vor allem in der kalten Jahreszeit fehlen. Um dies zu entschärfen, könnte man beispielsweise die Photovoltaik in den Bergen ausbauen, denn sie produziert dort im März am meisten.
Der Vorteil der Windkraft
Man könnte aber auch auf Windkraft setzen, um diese Winterlücke zu verkleinern. Wie alpine PV-Anlagen mit steilen Anstellwinkeln produziert die Windkraft im Winter mehr Strom als im Sommer, an gewissen Orten rund zwei Drittel des Jahresertrags – sowohl im Jura als auch in den Alpen. Dabei muss in den Bergen der richtige Standort gewählt werden, denn es hat an gewissen Orten wegen thermischen Winden auch Orte, die mehr im Sommer produzieren. Aber grundsätzlich gilt für Windkraft, dass kältere Luft eine höhere Dichte aufweist und es im Winter eher windet. Dieser Vorteil der Windkraft könnte durch eine Einspeisevergütung, die nicht nur den Gesamtertrag, sondern auch den Produktionszeitpunkt berücksichtigt, gezielt gefördert werden.
Natürlich wirkt sich diese Stärke aber erst richtig aus, wenn genügend Windparks betrieben werden. Und hier fängt die Herausforderung an. Ende 2018 waren in der Schweiz erst 37 Windanlagen mit einer installierten Leistung von insgesamt rund 80 MW am Netz. Das Ausbauziel bis 2050 liegt gemäss Suisse Eole zwischen 2,2 und 3 GW, d. h. rund 600 bis 900 Windanlagen. Es liegt also noch ein weiter Weg vor uns.
Ein Blick nach Norden
Vergleicht man den hiesigen Windkraftausbau mit dem des flächen- und bevölkerungsmässig halb so grossen, aber bezüglich Windsituation und Topografie ähnlichen Rheinland-Pfalz, ist der Kontrast enorm: Zum gleichen Zeitpunkt waren da 1748 Windanlagen in Betrieb, mit einer installierten Leistung von 3,6 GW. Oder, in den Worten von Reto Rigassi, dem Geschäftsführer von Suisse Eole: «Sie haben bereits jetzt das übertroffen, was wir uns bis 2050 vorgenommen haben.» Bis 2050 will Rheinland-Pfalz komplett auf erneuerbare Energien umgestellt haben.
Auch Baden-Württemberg eignet sich als Beispiel. Das Bundesland ist ein wenig kleiner als die Schweiz, etwa gleich dicht besiedelt und der Tourismus spielt eine vergleichbare Rolle. Auch da sind bereits 725 Windanlagen installiert. Sogar im zurückhaltenden Bayern hat es rund 1100 Anlagen. Diese Zahlen stimmen Reto Rigassi optimistisch: «Unsere Ziele bis 2050 sind realistisch.»
Bremsende Faktoren
Nebst den nicht nutzbaren Gegenden im Hochgebirge gibt es zwei Hauptgründe für diese Diskrepanz zwischen der Schweiz und Deutschland: die Förderungs-Rahmenbedingungen und die Bewilligungsverfahren. Ab Anfang der 1990er Jahre gab es in Deutschland lange eine stabile flächendeckende Einspeisevergütung. Zudem gelten in Deutschland Windanlagen als privilegierte Bauvorhaben. Würde man letzteres auf die Schweiz übertragen, bräuchte man gemäss Rigassi keine Nutzungsplanung. Gemeinden könnten Windprojekte nur steuern, indem sie Vorrangflächen auswiesen. Täten sie dies nicht, würde dem Bau nichts im Wege stehen, solange die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden.
In der Schweiz ist die kostendeckende Einspeisevergütung beschränkt. Sie fing erst 2008 an und läuft Ende 2022 aus. Neuere Projekte können also nicht mit ihr rechnen. Ausserdem lassen sich die Schweizer Bewilligungsverfahren nicht mit den deutschen vergleichen. In der Schweiz hat man zwei Hürden: erstens die zurückhaltend ausgeführte Richtplanung, in der die Kantone ausweisen, wo ein Bau von Windanlagen überhaupt erlaubt ist, und zweitens die von den Gemeinden bewilligte Nutzungsplanung. Wenn zwischen den Vorstellungen von Kanton und Gemeinde keine Schnittmenge existiert, sind Windkraftprojekte a priori nicht realisierbar. Obwohl die Richtplanung und die Nutzungsplanung manchmal bereits parallel ausgeführt werden, um den Bewilligungsprozess zu beschleunigen, ist der Prozess langwierig. Bei den meisten vor einem Jahrzehnt – bei der Einführung der Einspeisevergütung – eingereichten Projekte weiss man heute gemäss Rigassi weder, ob sie bewilligt werden, noch, wie lange der Prozess dauern wird. Diese Unsicherheit schreckt Investoren ab.
Bis vor kurzem dauerte der gesamte Bewilligungsprozess in Deutschland rund fünf Jahre. Unterdessen geht es etwas länger, denn die Einsprachen mehren sich. Allerdings braucht es in Deutschland bei einer Einsprache nur drei Jahre bis zur rechtlichen Klärung. In der Schweiz vergehen hingegen sieben Jahre, bis eine Einsprache das Bundesgericht erreicht. Mit zunehmender Praxis in diesem Bereich dürften sich aber die Gerichtsverfahren künftig beschleunigen.
Vögelzüge sind unproblematisch
Ein Thema, das oft kontrovers diskutiert wird, ist der Vogelzug. Die Ansichten darüber, wie gefährlich Windanlagen sind, divergieren stark. Einerseits trifft man auf emotionale Aussagen wie: «Die Windradmonster sind eine Massenvernichtungswaffe für alle (noch) bei uns [im Schwarzwald] lebenden Vogelarten. Die sich schnell drehenden Turbinen verarbeiten alles, was fliegt und in ihre Nähe kommt, zu Hackfleisch.»[1] Andererseits gibt es sachlichere Positionen wie die von Suisse Eole. Reto Rigassi sagt: «Man hat die Vogelzugproblematik detailliert in Le Peuchapatte untersucht, einem Windpark auf einem Bergrücken im Jura, der aus drei 108 m hohen Windturbinen mit einer installierten Leistung von 6,9 MW insgesamt besteht.» Da wurden Vogelzüge mit dem Radar gemessen und tote Vögel gesucht. Man hat sieben tote Vögel pro Anlage und Jahr gefunden und dies auf rund 20 Vögel pro Anlage hochgerechnet, da nicht alle Vögel gefunden werden. Positiv war, dass sich unter den gefundenen toten Vögeln kein einziger aus einer bedrohten Art befand. Rigassi konstatiert: «Die Bedrohung durch den Windpark ist vergleichbar mit der einer Hauskatze, die auch jährlich ähnlich viele Vögel fängt.»
Das Schwierige beim Vogelzug sei gemäss Rigassi die Tatsache, dass man heute keine klaren Kriterien für das Abstellen der Windanlagen hat, denn die Totfunde wurden nicht dann gemacht, wenn viele Vögel unterwegs waren. Man vermutet, dass schlechte Sichtbedingungen oder eine plötzliche Verschlechterung der Sichtweite vermehrt zu Kollisionen führt. «Wenn man versteht, weshalb es zu Kollisionsopfern gekommen ist, kann man einen Algorithmus entwickeln, der die Anlagen abstellt. Aber heute wissen wir nicht, wann überhaupt abgestellt werden muss.», sagt Rigassi.
Beim Griespass, dem höchsten Windpark Europas, ist nicht der Vogelzug problematisch, sondern jagende Fledermäuse. Bei Fledermäusen im Bereich der Anlage werden die Windräder abgestellt. Dies passiert glücklicherweise nur bei geringen Windgeschwindigkeiten, denn wenn es stürmt, hat es in Windturbinenhöhe keine Insekten und somit auch keine Fledermäuse. Die Produktion wird durch das Abstellen deshalb kaum beeinträchtigt, die Ertragsreduktion liegt üblicherweise im Bereich von 1 bis 2%.
Der Vogelzug wird in der Schweiz aber nicht nur in der Praxis untersucht. Beispielsweise hat ein Team des ETH Laboratory of Energy Conversion in Zürich unter der Leitung von Dr. Ndaona Chokani ein Prognosemodell für Zugvögel entwickelt, mit dem man das Kollisionsrisiko von Vögeln mit Windanlagen reduzieren möchte. Die Prognose liefert die Dichte eines Vogelschwarms in viertelstündlichen Intervallen für mehrere Tage im Voraus. Zudem lässt sich die Anzahl der Vögel und ihre Flughöhe vorhersagen. Da der Hauptkorridor im Schweizer Mittelland und den Juratälern liegt – das Juragebirge und die Alpen stellen eine natürliche Barriere dar – sollten Windparks im Schweizer Mittelland am meisten vom neuen Prognosemodell profitieren. Sofern eine Antwort auf die erwähnte Frage, unter welchen Bedingungen Kollisionen eigentlich auftreten, gefunden wird.
Vielseitige Schweizer Windforschung
Dieses Forschungsprojekt ist nur ein Beispiel der Windenergie-Forschungslandschaft in der Schweiz. Einen Einblick in ihre erstaunliche Vielfalt erhielt man am ersten Schweizer Windenergie-R&D-Forum, das am 15. Mai 2019 an der HSR in Rapperswil durchgeführt wurde. Da wurden Forschungsprojekte aus den drei Bereichen Windturbinen, Windparkplanung und Windparkbetrieb vorgestellt. Erstere umfassen beispielsweise Projekte zur Entwicklung neuer Kompositmaterialien, die stärker als Metall sind, sowie Simulationsmodelle für das Verhalten der Flügel. Bei der Planung künftiger Windparks standen die Themen aerodynamische Optimierung von Windturbinen und des Windpark-Layouts, Windsimulationen und die Visualisierung von Windturbinen beispielsweise mit Virtual Reality zur Erhöhung der lokalen Akzeptanz im Fokus. Beim Schwerpunkt Windparkbetrieb ging es unter anderem um die Betriebsoptimierung mittels künstlicher Intelligenz, um die Inspektion der Rotorblätter mit autonomen Drohnen und um präzisere Windprognosen mit Meteodrohnen.
Die Palette der involvierten Hochschulen und Institute ist breit, denn die ETH Zürich, ETH Lausanne, ZHAW, HSR, FHNW, CSEM und weitere sind da aktiv. Man arbeitet zurzeit daran, eine «Swiss Wind Energy R&D Group» zu gründen, um Doppelspurigkeiten in der Forschung zu vermeiden, um Kontakte zur Industrie zu pflegen und um die Qualität von Produkten und Dienstleistungen für die Windenergie gewährleisten zu können. Motiviert sind diese Forschungsaktivitäten primär durch den stark wachsenden Windenergiemarkt besonders in Nachbarländern, von dem auch die Schweizer Industrie profitiert. Der Umsatz der Schweizer Zulieferfirmen, die den Weltmarkt mit Windtechnologien versorgen, ist beträchtlich.
Akzeptanz als Problem?
Ein Thema, das in der Windenergieforschung intensiv diskutiert wird, ist die Akzeptanz der Windkraft in der Bevölkerung. Es ist klar, dass der Ausbau der Windkraft – trotz ausgereifter technischer Lösungen – nicht möglich ist, wenn die soziale Akzeptanz fehlt. Im Nationalen Forschungsprogramm 71 (NRP 71) ging man deshalb auch der Frage nach, wie man die Information vermitteln soll, um eine ausgewogene, sachliche Debatte zu ermöglichen. Eine wichtige Erkenntnis der Forschung ist dabei die Tatsache, dass sich negative Informationen stärker auswirken als positive. Mögliche Risiken beeinflussen besonders in aufgeheizten Kampagnen Entscheidungen stärker als allfällige Vorteile. Es wird deshalb empfohlen, grundlegende Informationen, verbunden mit einer offenen Diskussion, möglichst frühzeitig und langfristig zu vermitteln.[2]
Fünfzig mit den Kantonen abgesprochene Windprojekte befinden sich heute in der Schweiz in Entwicklung. Ihre Realisierung würde es erlauben, bereits rund die Hälfte des in der Energiestrategie bis 2050 festgelegten Zielbeitrags zu erreichen. Mit der nötigen Akzeptanz wäre die Schweiz damit gut auf Kurs. Gemäss Rigassi ist die Akzeptanz eigentlich gut, besonders bei fertig entwickelten Projekten. Diese Akzeptanz sieht man an den Abstimmungsresultaten in den Gemeinden ab 2012, denn von den fünfzehn Projekten, über die lokal abgestimmt wurde, wurden nur zwei abgelehnt: Court bei Biel und Saxon VS. Da das Saxon-Projekt identisch ist mit dem der Nachbargemeinde Charrat, ist schwer nachvollziehbar, wieso es in einem Fall abgelehnt wurde und im anderen nicht. Aber die kritische und zeitraubende Hürde kommt erst nach den Abstimmungen: die Einsprachen.
Die Akzeptanz lässt sich durch sachliche Information, offene Diskussionen und Visualisierungen der geplanten Windanlagen mit Virtual Reality erhöhen. Nicht zu unterschätzen ist auch die Wirkung bereits realisierter Anlagen, denn die anfängliche Skepsis weicht öfter einer breiteren Akzeptanz, wenn ein Windpark einmal steht und man sich konkret mit ihm auseinandersetzen kann und feststellt, dass die Anlagen wesentlich weniger stören als ursprünglich befürchtet.
Voraussichtlich nächstes Jahr soll auf dem Gotthardpass ein Windpark mit fünf knapp 100 m hohen Anlagen in Betrieb genommen werden, der jährlich bis zu 20 GWh erzeugen soll. Von den 32 Mio. CHF Projektkosten ist eine Million für die Renaturierung der Landschaft vorgesehen. Dieses Projekt am prominenten, symbolträchtigen Ort könnte nebst der erwünschten Stromproduktion auch eine Signalwirkung haben und könnte der Schweizer Windkraft den dringend benötigten Auftrieb verleihen, damit sie schon bald einen relevanten Beitrag zur Erreichung der Energieziele leisten kann.[3]
Referenzen
[1] Dokudrom, «Jetzt sollen auch die schönsten Landschaften des Schwarzwaldes Standort der Massenvernichtungswaffe Windmühle werden», 25. Mai 2019. Online auf Umwelt/Technik/Recht e.V. veröffentlicht.
[2] Isabelle Stadelmann-Steffen, Karin Ingold, Stefan Rieder, Clau Dermont, Lorenz Kammermann und Chantal Strotz, Akzeptanz erneuerbarer Energie, 2018, S. 113.
[3] Peter Jankovsky, «Der Gotthard ist ein Symbol für die Schweiz – und bald auch für ihre Ambitionen bei den erneuerbaren Energien», NZZ, 1. 8. 2019.
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