Kurznachricht Erneuerbare Energien , Smart Grid

Wind­anlagen können Momen­tan­reserve liefern

Forschungsprojekt «GridLoads» mit erfreu­lichen Resul­taten

13.11.2020

Mit dem Abschalten konven­tioneller Kraftwerke geht die Massen­trägheit der Synchron­gene­ratoren verloren, die das Stromnetz stabilisieren. Hier könnten Wind­anlagen einspringen. Doch halten sie den dadurch entste­henden mecha­nischen Belas­tungen stand? Das abge­schlossene Forschungs­projekt «GridLoads» vom Fraunhofer IEE und der Mesh Engineering GmbH zeigt jetzt deutlich: Die Anlagen kommen damit grund­sätzlich gut zurecht – voraus­gesetzt, die Regelungs­module der Anlagen werden zuvor für die neue Aufgabe gerüstet. Um die auftre­tenden elektro­mecha­nischen Schwingungs­moden zu analysieren, haben die Forscher komplexe Simula­tionen durch­geführt.

«Weniger konventionelle Kraftwerke im Netz bedeuten weniger Trägheit im System – die Versorgungs­sicherheit ist gefährdet, wenn dem nicht begegnet wird», sagt Projektleiter Dr. Boris Fischer vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystem­technik IEE. «Auf dem Papier eignet sich kinetische Energie in den Rotoren von Wind­energie­anlagen hervorragend, den Verlust an Massenträgheit auszugleichen. Unser Forschungsprojekt zeigt ganz deutlich, dass dies auch in der Praxis möglich ist – selbst Momentan­reserve können die Anlagen bereitstellen. Damit haben wir Pionierarbeit für die künftige Sicherung der Netzstabilität geleistet», stellt Fischer fest.

Komplexe Wechselwirkungen zwischen Netz und Anlage

Mit der Bereitstellung von Systemdienstleistungen wie der Momentan­reserve ist ein Paradigmen­wechsel bei der Betriebsweise der Wind­energie­anlagen verbunden: Sind Netzzustand und Anlagenbetrieb bislang weitgehend entkoppelt, kommt es hierbei zu beständiger Interaktion. Dabei treten komplexe Wechselwirkungen zwischen Netz und Anlage auf. In der Folge verändern sich auch die Anforderungen an die Generator­regelung der Anlagen. Um zum Beispiel bei Bedarf kurzfristig die Frequenz zu stützen, muss die Wirkleistung der Wind­energie­anlagen mit hohen Gradienten verändert werden. «Dabei können Schwingungen entstehen, die zu erhöhten mechanischen Belastungen führen», erläutert Fischer. Der Triebstrang mit Rotorblättern, Wellen, Getriebe und Generator ist davon genauso betroffen wie der Turm.

Fokus auf die Momentan­reserve

Zusammen mit dem Partner Mesh Engineering GmbH aus Stuttgart hat das Fraunhofer IEE aus Kassel im Forschungsprojekt «GridLoads» untersucht, wie sich netzstützende Regelungs­verfahren auf Triebstränge und Türme von Wind­energie­anlagen auswirken. Die Wissenschaftler haben sich dabei auf die Momentan­reserve konzentriert, weil deren Bereitstellung die mechanische Struktur der Anlagen in besonderem Masse belasten kann.

Um die Auswirkungen der mit dem Abruf von Momentan­reserve entstehenden neuartigen Schwingungs­phänomene zu ermitteln, haben die Experten komplexe Simulations­verfahren angewandt. Die besondere Herausforderung lag hier darin, zwei verschie­dene Welten – die Anlagen- und die Netzseite – zusammen zu bringen. So haben die Forscher auf mechanischer Seite hochauflösende Mehrkörpermodelle konfiguriert und diese mit transienten Netzwerk-Simulationen auf elektrischer Seite gekoppelt. Auf diese Weise konnten sie die elektromechanischen Schwingungsmoden einer Referenzanlage exakt identifizieren.

Anpassung der Reglermodule notwendig

«Unsere Untersuchung zeigt, dass moderate Abrufe netz­stabili­sieren­der Leistungen grundsätzlich keine kritische Belastung der mecha­nischen Kompo­nenten darstellen», fasst Fischer zusammen. Auch mit Netz­pende­lungen oder der Umschaltung von Stufentrafos kommen die Anlagen problemlos zurecht. Die dadurch verursachten Schwin­gungen sind so gering, dass die Komponenten keinen Schaden nehmen.

«Die Minderung der Netzträgheit durch die vermehrte Einspeisung von Wind­energie­anlagen lässt sich also in den aller­meisten Situationen durch die Anlagen selbst ohne Probleme ausgleichen», betont Fischer. Dies gilt allerdings nur, wenn die Anlagenhersteller ihre Regelungs­module für die Leistungs­elektronik zuvor an die neuen Aufgaben angepasst haben. Wie das möglich wird, zeigen die Forscher ebenfalls im GridLoads-Projekt.

«Unsere Regler bieten einen optimalen Kompromiss zwischen den mechanischen Anfor­derungen auf der Anlagen- und den elektrischen Anforderungen auf der Netzseite», sagt Fischer. Die Fraunhofer-Forscher konnten hier von ihrer umfassenden Erfahrung auf dem Feld der Generator- und Umrichter­regelung profitieren.

Starke Belastung in seltenen Ausnahmefällen

Lediglich bei einigen seltenen, speziellen Netzfehlern kann es zu einer über­mässigen mechanischen Belastung von Triebstrang und Turm kommen, zeigt das Forschungs­projekt. Dazu zählen das Auftreten von grossen Leistungs­defiziten oder -über­schüssen etwa durch den Ausfall eines Kraftwerks oder durch die fehler­bedingte, spontane Bildung eines Inselnetzes («System Split»). In diesen Fällen müssen Wind­energie­anlagen schlagartig ausreichend Kompensations­leistung bereitstellen. Das tun sie, indem sie sehr schnell das Generator­moment erhöhen, was einen Stoss auf den Triebstrang zur Folge hat – eine potenziell kritische Situation, wenn die Anlage in Volllast betrieben wird. «Solchen Extrem­situationen kann man auch mit der intelli­gen­testen Regelung nicht beikommen», sagt Fischer.

Doch es gibt mehrere andere Wege, dieser ausser­gewöhn­lichen Belastung zu begegnen. So wäre es zum Beispiel möglich, mit einer Über­dimensio­nierung der elektrischen Komponenten sowie des mechanischen Triebstrangs die Über­last­fähigkeit zu erweitern. Ebenso könnte man zusätzliche Kompo­nenten wie Batterien oder auch Super­konden­satoren als Kurzzeit­speicher installieren. Sie sind in der Lage, die benötigten hohen Leistungen innerhalb kürzester Zeit bereit zu stellen.

Eine andere Alternative ist, die Leistungs­reserven der Anlagen zu nutzen – schliesslich laufen sie nur 10 bis 20% ihrer Lebens­dauer mit voller Nennleistung. Hinzu kommt, dass in Starkwind­zeiten viele Anlagen gedrosselt werden. «Welche Vor- und Nachteile diese Optionen in wirtschaft­licher Hinsicht haben, ist noch zu diskutieren», kommentiert Fraunhofer-Forscher Fischer.

Die Ergebnisse des Forschungs­projekts «GridLoads» werden in einer Expert-Web-Session am 19.11.2020 vorgestellt.

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