Windenergie einmal anders
Strom aus angebundenen Leichtbauflugzeugen
Wird Windenergie statt mit stationären Windanlagen mit «Airborne Wind Energy»-Systemen genutzt, kann das Fluggerät grosse Höhen erreichen, in denen der Wind meist stärker und beständiger weht. Der theoretische Grundstein dieser Technologie wurde bereits 1980 gelegt. Ein ETH-Projekt zeigt Chancen und Herausforderungen auf.
Bei «Airborne Wind Energy»-Systemen (AWE) gibt es zwei Ansätze: Den «Ground-Generation»- und den «Onboard-Generation»-Ansatz. Bei ersterem wird der Strom in einem am Boden befestigten Generator erzeugt, bei letzterem wird Strom auf dem Fluggerät selbst generiert und über ein Kabel zum Boden geleitet. Das Fluggerät muss dazu über Windgeneratoren verfügen.
Hohe Ambitionen
An der ETH Zürich arbeitet ein Team an einem solchen AWE-Konzept, dem Ftero-Projekt. Ziel ist ein optimiertes System, das autonom operieren kann. Das ETH-Team bestand zuletzt aus acht Maschinenbau- und zwei Elektrotechnikstudenten. Zwei Semester lang wurde jenes Ziel unter der Anweisung eines Professors und zweier Doktoranden des Labors für Verbundwerkstoffe und adaptive Strukturen intensiv verfolgt. Im nächsten Jahr wird das Projekt von neuen Studenten weitergeführt.
Dabei wurde der «Ground-Generation»-Ansatz gewählt: Strom wird mittels Bodengenerator generiert. Während der ersten Phase (der sogenannten Arbeitsphase) wird der Auftrieb des Flügels über ein Seil auf einen Generator übertragen. Dazu wird das am Fluggerät befestigte Seil über eine Seilrolle unter Zug bis zur optimalen Höhe abgerollt. Dabei wird der Generator angetrieben. In der zweiten Phase (der sogenannten Einziehphase) wird der Flügel wieder eingezogen. Dafür wird das Fluggerät durch autonome Steuerung in die Ausgangslage gebracht. Das Seil, welches in dieser Phase nicht unter Zug steht, wird eingerollt. Netto wird somit mehr Energie generiert als eingespeist.
Effizient und mobil
Die Vorteile solcher Systeme sprechen für sich. Allgemein können sie durch eine bessere Tragflächenausnutzung um ein Vielfaches effizienter Strom generieren als konventionelle Windkraftwerke. Diese Systeme sind zudem kompakt und relativ mobil. Sie sind deshalb infrastrukturunabhängig einsetzbar und eignen sich auch für Krisengebiete, abgelegene Gegenden oder Regionen, in denen die elektrische Infrastruktur durch Naturkatastrophen beschädigt wurde. Denn gerade hier wird meist auf die Stromproduktion mit klimaschädlichen Dieselgeneratoren gesetzt. Hinzu kommt, dass die Landschaft durch die begrenzten Abmessungen in einem kleineren Ausmass beeinträchtigt wird. Zudem können sie im Verbund – egal ob an Land oder auf dem Meer – genutzt werden. Durch Synchronisation der Arbeitsphasen lässt sich der notwendige Abstand zwischen den Systemen minimieren und eine kontinuierliche Leistungsausgabe realisieren.
Schweizer Projekte
Auch in der Schweiz tut sich einiges im Bereich von Höhenwindkraftanlagen. Das Schweizer Start-up Twingtec hat mit ihrem Artikel im «Tagesanzeiger» («Das fliegende Kraftwerk») einiges an Aufmerksamkeit auf sich, aber auch auf das ganze Gebiet solcher Systeme ziehen können. Genau wie Ftero verfolgt auch Twingtec den «Ground-Generation»-Ansatz.
Obwohl beide Ansätze zunächst ähnlich erscheinen, gibt es einige fundamentale Unterschiede im Aufbau und der Funktionsweise. Die ETH-Fluggeräte – d.h. Clara (Carbon Lightweight Autonomous Rope-fixed Aircraft) sowie Emma (Energy-generating Mobile Morphing Aircraft) – verfügen über Klapppropeller, die sich jeweils am Ende eines der beiden Rümpfe befinden. Sie sind in der Lage, sich in der Arbeitsphase strömungsoptimiert dicht an den Rumpf zu legen und somit die Aerodynamik kaum zu beeinträchtigen. Zwei der drei Propeller von Twingtec sind dagegen direkt in den Tragflächen eingelassen. Im Flug treten deshalb störende Turbulenzen auf und die Effizienz des Gesamtsystems wird vermindert. Ausserdem verfügen alle Ftero-Prototypen über optimierte Tragflächenprofile, die dafür sorgen, dass möglichst viel Auftrieb produziert und daher möglichst viel Energie aus dem Wind extrahiert wird. Ein weiterer Unterschied ist die Start- bzw. Landephase. Twingtecs Fluggeräte führen diese Phase in einer waagerechten Position durch. Während des Starts steigt das Fluggerät auf die nötige Höhe und muss dann durch komplexe Steuerung in den in einer senkrechten Ebene liegenden Kreis der Arbeitsphase manövriert werden. Diese Transition ist komplex.
Das entgegengesetzte Manöver muss bei der Rückkehr zum waagerechten Sinkflug zur Landung durchgeführt werden. Die Systeme bei Ftero starten und landen bereits in einer aufrechten Position. Das Fluggerät befindet sich stets in der nötigen Ebene zur Ausführung der Arbeitsphase. Die Regelung der Übergänge fällt so einfacher aus. Als weiteres Merkmal verfügt Emma über ein implementiertes Morphingkonzept: Die Aktuation des Fluggeräts wird nicht von konventionellen Klappen übernommen, sondern die komplette Profilgeometrie verändert sich im Flug und sorgt so für die Steuerung des Fluggeräts. Durch den Wegfall schwerer Mechanik und einer Vielzahl von Spalten in der möglichst laminar umströmten Flügeloberfläche kann die Effizienz so zusätzlich erhöht werden.
Einige Herausforderungen
Die in der Theorie einfache Arbeitsweise dieser Systeme stellt nicht nur die zwei erwähnten Teams, sondern auch Ingenieure und Forscher weltweit vor Herausforderungen. Bei Ftero gibt es Bereiche, beispielsweise die Regelungstechnik, bei denen geeignete Lösungen noch nicht gefunden werden konnten. Denn es ist schwierig, die beiden Komponenten so in den verschiedenen Flugphasen aufeinander abzustimmen, dass das Optimum der Energieproduktion erreicht werden kann. Die genaue Bestimmung der Position des Fluggeräts sowie die relative Lage zwischen der fliegenden Komponente und der Bodenstation birgt noch offene Fragen. Zudem ist die Übermittlung dieser Daten zwischen den beiden Komponenten hier noch nicht gelöst, und auch bei der kompletten Automatisierung des Starts, der Arbeits- und Einziehphase sowie der Landung ist mit weiteren Schwierigkeiten zu rechnen. Windböen stellen hohe Ansprüche an Soft- und Hardware. Der Weg bis zur kompletten Autonomie sowie einer gewissen Sicherheit, dass Abstürze nicht eintreten, ist noch lang. Die Entwicklungsdauer wird zusätzlich durch rechtliche Auflagen verlängert, die erfordern, dass Tests meist an abgelegenen Orten durchgeführt werden.
Bis heute konnten zwei Funktionsprototypen mit je 5 m Spannweite hergestellt werden. Diese Fluggeräte sind in der Lage, bis 1000 kg Zug zu generieren. Dabei wurden sie in der ersten Hälfte des Projekts im manuell gesteuerten Horizontalflug getestet. Kleinere Prototypen konnten die einzelnen Phasen (Start-, Lande- und Arbeitsphase) erfolgreich selbstständig durchführen.
Das nächste Team wird daran arbeiten, dass die Phasenübergänge autonom ablaufen und die endgültige Software mit den Prototypen Clara und Emma getestet und verfeinert wird. Zusätzlich werden Konzepte zur besseren Ortung des Fluggeräts an der Bodenstation implementiert und die Kommunikation zwischen den Komponenten verbessert. Strukturell wird das Morphingkonzept weiterentwickelt und optimiert.
Zur Weiterentwicklung der Hard- und Software sind weitere Testkampagnen notwendig. Um Zeit zu sparen, wurden alle selbst entworfenen Regler zunächst auf konventionellen Modellflugzeugen getestet und erst später auf Holzprototypen übertragen. Diese sind zwar kleiner, weisen aber dieselbe Geometrie und damit ein ähnliches Flugverhalten auf. Erst nach dem Bestehen dieser Schritte wurden Tests an grösseren Carbon-Modellen durchgeführt. Bisher konnten halbautomatische Tests der Start- und Landephase am Seil, welches zur Bodenstation führt, durchgeführt werden. Dabei musste lediglich die gewünschte Steig- bzw. Sinkrate vorgegeben werden. Schliesslich ist es nach der Modellierung am Computer und dem Übertragen auf den Autopiloten gelungen, die Arbeitsphase mit Modellflugzeugen autonom auszuführen – bisher jedoch ohne Seil und ohne Kraftübertragung auf den Generator. Die Carbon-Fluggeräte wurden im manuellen Horizontalflug sowie im halbautomatischen vertikalen Steig- und Sinkflug ausführlich getestet.
Risiken
Da es sich bei AWE-Systemen um relativ komplexe Systeme handelt, können beim Einsatz gewisse Risiken auftreten. Wie bei allen Fluggeräten stellt der Verlust der Steuerbarkeit und somit der Absturz die grösste Gefahrenquelle dar. Auch wenn durch den Einbau sicherheitsrelevanter Komponenten und der Implementierung von eigentlich fehlerfreier Software das Risiko reduziert wird, ist eine vollkommene Sicherheit nie gegeben. Deshalb wird die Benutzung solcher Systeme wohl stets nur über unbebautem und unbevölkertem Gelände möglich sein. Neben der visuellen Beeinträchtigung der Landschaft benötigt deren Verwendung stets die Akzeptanz der Bevölkerung und insbesondere des Gesetzgebers. Hier müssen Gesetze angepasst werden, die den Betrieb erst ermöglichen. Auch eine Kollisionsgefahr mit Sportflugzeugen, Paraglidern usw. kann nicht ausgeschlossen werden, d.h. die genutzten Lufträume müssen zwangsläufig zu Flugverbotszonen erklärt werden. Zudem muss dafür gesorgt sein, dass beim Gebrauch mehrerer Einheiten im Verbund die fliegenden Geräte nicht kollidieren. Daher ist zumindest bei den ersten AWE-Systemen – bei denen die Arbeitsphasen nicht untereinander synchronisiert werden – davon auszugehen, dass rund um eine Bodenstation im Umkreis der maximalen Seillänge keine Überschneidungen mit anderen Systemen vorhanden sein dürfen.
Trotz dieser Schwierigkeiten stellen solche Systeme eine Alternative zu den bekannten Formen der Energieproduktion dar, denn sie bestechen durch ihre hohe Effizienz. Da eine stetig wachsende Community weltweit von der Idee überzeugt ist, wird sich noch vieles in den nächsten Jahren verändern.
Links
- www.ftero.ch
- www.facebook.com/fteropower
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