Wie klimaschädlich ist Video-Streaming?
Studie des Carbon Trust
Video-Streaming auf Abruf wird immer beliebter. Besonders während der Coronapandemie verzeichneten Streaming-Anbieter hohe Zuwachsraten. Gleichzeitig hat es bezüglich Umweltbelastung und Energieverbrauch in der Gesellschaft einen schlechten Ruf. Aber wie stark belastet das Streaming die Umwelt tatsächlich?
In der allgemeinen Wahrnehmung kommt das Video-Streaming bezüglich Umweltbelastung und Energieverbrauch nicht besonders gut weg. Gefördert wird diese Grundhaltung durch Artikel mit Titeln wie «Streaming ist das neue Fliegen» (NZZ, 16. 4. 2019) – keine schwierige Sache bei einem so komplexen Thema. Der «Stern» setzt ein Fragezeichen ein, um es vorsichtiger zu formulieren: «Ist Streaming das neue Fliegen?» (Stern, 25. 9. 2020).
Grundsätzlich könnte es ja sein, dass diese Wahrnehmung gerechtfertigt ist. Ein White Paper des Carbon Trusts aus dem Jahr 2021 – basierend auf relativ aktuellen Verbrauchsdaten der involvierten Komponenten – ist da aber anderer Ansicht. Dem Trust, einem auf die Reduktion des CO2-Ausstosses spezialisierten internationalen Unternehmen mit Hauptsitz in London, kann man nicht unterstellen, die Situation aufgrund von Eigeninteressen verharmlosen zu wollen. Konkret geht die Studie der Frage nach, wie gross die klimatischen Auswirkungen sind, wenn man eine Stunde lang ein Video streamt. Für die CO2-Emissionen wird dabei auf den europäischen Strommix zurückgegriffen.
Der Vorteil des Streamings liegt darin, dass die physische Seite der Medienträger samt Produktion, Transport usw. und somit die damit verbundenen Umweltbelastungen entfallen. Dafür intensiviert sich der Energieverbrauch bei den für das Streaming nötigen Komponenten wie Datencenter, die für die Kodierung und lokaleren Speicherung von Kopien der ursprünglichen Videodaten genutzten Content Delivery Networks (CDN), die Internet-Komponenten und die Heim-Router. Bei den Endgeräten entspannt sich die Situation hingegen wieder, denn DVDs und Blu-rays wurden vorwiegend auf energieintensiveren TV-Geräten geschaut. Mit dem Einzug des Internets ins Videokonsumverhalten kamen Laptops, Tablets und Mobiltelefone hinzu, die deutlich weniger Energie für ihren Betrieb benötigen.
Die Unsicherheitsfaktoren
Zunächst einmal: Aus der Perspektive eines spezifischen Videobetrachters gibt es keine pauschale Antwort darauf, mit welchen Emissionen jemand beim Streamen rechnen muss. Zahlreiche stark variierende Faktoren beeinflussen nämlich die Treibhausgasemissionen. Diese Variabilität hängt unter anderem vom länderspezifischen Strommix ab, mit dem die involvierte Streaming-Infrastruktur betrieben wird. Während 2020 die Erzeugung einer Kilowattstunde in Schweden für die Emission von 8,8 g CO2 verantwortlich war, lag diese Zahl für die Schweiz bei 128 g (Verbraucher-Strommix gemäss Produktion und Stromhandel, Bafu) und für Deutschland bei 311 g. Europäischer «Spitzenreiter» ist Estland mit knapp 775 g CO2.
Der zweite wichtige Einflussfaktor ist das verwendete Anzeigegerät. Schaut man Videos auf einem 50"-Fernsehgerät, ist der Stromverbrauch im Schnitt etwa viereinhalbmal grösser als beim Verwenden eines Laptops und etwa neunzigmal grösser als beim Einsatz eines Mobiltelefons. Gemäss der erwähnten Studie ist üblicherweise das Anzeigegerät für die grössten Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Ein weiterer Faktor sind technologische Innovationen, die zu geringeren Treibhausgasemissionen führen – sowohl beim Strommix als auch bei der Elektronik. Einerseits steigt der Anteil an erneuerbaren Energien beim Strommix, und andererseits werden elektronische Geräte zunehmend energieeffizienter – also nebst den Displaytechnologien auch die Rechenzentren und die Netzwerkkomponenten. Analog zum Mooreschen Gesetz, das die Transistorendichte beschreibt, lassen sich diese Effizienzsteigerungen bei der Elektronik durch das Koomeysche Gesetz quantifizieren. Letzteres geht von einer Verdoppelung der Effizienz alle 1,6 Jahre aus, mit einer Verlangsamung ab dem Jahr 2000 auf alle 2,6 Jahre. Für drahtgebundene Internet-Datenübertragung gilt die Regel von Aslan, die von 2000 bis 2015 von einer Halbierung des Energieverbrauchs pro GB alle zwei Jahre ausgeht. Wegen dieser kontinuierlichen Halbleiteroptimierung sind Umweltbelastungsstudien im IT-Bereich eigentlich schon veraltet, wenn sie erscheinen. Die Kombination von nachhaltigerem Strommix mit höherer Energieeffizienz bei den Geräten sorgt heute dafür, dass die Emissionen des ICT-Sektors ungefähr stabil bleiben, auch wenn die Datenströme den Ansprüchen entsprechend zunehmen.
Systemgrenzen und Methoden
Im Vergleich zu anderen Branchen wie beispielsweise der globalen Stahlproduktion, bei der die Fabrikationsstätten und Wertschöpfungsketten klar definiert sind, ist es im IT-Bereich deutlich schwieriger, die Energieverbräuche und Treibhausgasemissionen zu bestimmen, denn die Bereichsgrenzen sind nicht so scharf umrissen. Die zahlreichen IT-Verbrauchsstudien variieren auch deshalb beträchtlich.
Dies hängt einerseits von der Aktualität der verwendeten Daten ab, und andererseits von der Auswertungsmethode. Die verlässlichsten Studien setzen systematische Bottom-up-Verfahren ein, bei denen die Verbräuche einzelner Komponenten ermittelt oder von der Industrie übernommen und entsprechend der Anzahl Server bzw. anderer Geräte addiert werden. Bei Telekom-Netzwerken wird das Emissionsreporting der Netzwerk-Betreiber genutzt, und bei den Endgeräten führen die Verkaufszahlen und die Verbrauchsangaben der technischen Daten zum Ziel. Die Studie des Carbon Trusts berücksichtigt für die Emissionen nur den Verbrauch aller involvierten Komponenten im Betrieb. Die graue Energie, die für die Herstellung der Geräte benötigt wird, bleibt unberücksichtigt.
Zwei Methoden für ein präziseres Bild
In der vorliegenden Studie wurden zwei Methoden eingesetzt, um die Energieintensität von Netzwerken in kWh/GB zu ermitteln. Zunächst eine konventionelle Top-Down-Methode, bei der die Energieverbräuche der im Streaming-Betrieb involvierten Geräte den übertragenen Datenmengen entsprechend verteilt werden. Konkret wird zunächst der Gesamtverbrauch eines Netzwerks ermittelt und dann proportional auf die übertragenen Datenmengen aufgeteilt. Diese Methode hat den Nachteil, dass grossen Datenströmen, die beispielsweise durch Streamen entstehen, ein viel grösserer Anteil des Standby- Energieverbrauchs zugeschrieben wird als kleineren Datenmengen, die ja ebenfalls auf die ständige Funktionsfähigkeit des Netzwerks angewiesen sind.
Die zweite Methode basiert wie die erste Methode auf Modellen von Dimpact, einem kollaborativen Projekt von Forschern der Universität Bristol mit dreizehn innovativen Medienunternehmen, sowie auf Modellen von Netflix. Sie berücksichtigt Veränderungen der Datenraten und des Nutzerverhaltens genauer. Mit ihr lässt sich die weit verbreitete Ansicht, dass die Wahl der Auflösung des geschauten Videos einen grossen Einfluss auf den Energieverbrauch hat und man mit einer niedrigeren Auflösung sozusagen Energie spart, prüfen. Diese Methode wird als «power model approach» bezeichnet. Beispielsweise wird bei der ersten Methode der Verbrauch des Heim-Routers gemäss dem Datenvolumen zugewiesen, während bei der zweiten Methode die Anzahl Nutzer und die Anzahl Geräte pro Nutzer berücksichtigt werden.
Auch der Standby-Verbrauch der Netzwerkkomponenten, wenn keine Daten übertragen werden, wird durch die zweite Methode berücksichtigt. Wenn die übertragene Datenmenge markant erhöht wird, steigt der Stromverbrauch dieser Komponenten um maximal 30% des Grundverbrauchs. Schaut man also ein Video in 4k (2160 px) statt Full HD (1080 px) an, erhöht sich der Stromverbrauch der involvierten Komponenten kurzfristig nur unwesentlich. Erst wenn die Komponenten wegen des hohen Durchsatzes mit leistungsfähigeren ersetzt werden müssen, steigt der Stromverbrauch deutlich.
Ein weiteres Beispiel für diesen durch den Standby-Verbrauch erzeugten Effekt lieferte die Covid-Pandemie, als sich die übertragenen Datenmengen durch die Homeoffice-Situation zwar um rund die Hälfte erhöhten, aber der Verbrauch der Telekom-Netzwerke nur um 1% stieg.
Diese zweite Methode muss aber noch weiterentwickelt werden, denn gewisse Fragen, beispielsweise wie man den Standby-Verbrauch am sinnvollsten zuweist, sind noch offen. Man könnte statt der «time of use», bei der nicht klar ist, ob die Verbindungszeit oder die Download-Zeit genommen werden soll, auch den Wert des genutzten Dienstes oder den Beitrag zum Peak Data Demand berücksichtigen. Wichtig ist, dass die Methode transparent und nachvollziehbar bleibt.
Das Ergebnis
Die Studie kommt zum Schluss, dass der Energiebedarf und somit die CO2-Emissionen für das Streaming, verglichen mit anderen energieverbrauchenden Aktivitäten, gering ist. Mit der konventionellen Berechnungsmethode kommt sie auf durchschnittliche Emissionen von 56 g CO2 für eine Stunde Video-Streaming. Dabei werden der europäische Strommix, ein repräsentativer Mix von Endgeräten und eine durchschnittliche Datenrate von 2,88 GB/h angenommen.
Die gleichen Emissionen würden gemäss der Studie für das Erhitzen von etwa dreieinhalb Tüten Popcorn im Mikrowellenherd reichen oder für eine Fahrt von 250 m mit einem durchschnittlichen, fossil betriebenen PKW. Mit dem Schweizer Strommix wären die Emissionen noch deutlich geringer, nämlich rund 24 g CO2 pro Stunde.
Der Energieverbrauch, der diesem Emissionswert entspricht, beträgt 188 Wh pro Stunde Video-Streaming. Aufgeschlüsselt auf die Gerätegruppen liegt der Verbrauch der Datenzentren bei rund 1 Wh (Hosting, Kodierung und Content Delivery Networks). Die Datenübertragung über das Netzwerk konsumiert etwa 20 Wh und die Heim-Router verbrauchen 71 Wh. Die restlichen 96 Wh werden in den Endgeräten zu Wärme, Licht und Schall umgewandelt. Da sich diese Werte aber nicht exakt ermitteln lassen, müssen sie mit Vorsicht betrachtet werden. Klar ist, dass sich eine Erhöhung des erneuerbaren Anteils bei der Stromerzeugung direkt positiv auf die Emissionswerte des Streamings auswirkt.
Das Verhalten ändern
Die Studie zeigt auf, dass es wirkungsvoller ist, ein sparsameres Endgerät – beispielsweise ein mobiles Gerät mit einem Verbrauch von rund 1 W – zu wählen, statt die Streaming-Auflösung zu reduzieren. Eine Einschränkung des Videokonsums kann zudem helfen, den Spitzenverbrauch zu senken, wodurch ein Ausbau der Netzinfrastruktur vermieden oder verzögert werden kann. Je länger der Ausbau hinausgeschoben werden kann, desto energieeffizienter dürften die neu installierten Komponenten sein.
Und wenn schon effizienzsteigernde Verhaltensänderungen angesprochen werden, sollten Alternativen zum Video-Streaming nicht unerwähnt bleiben: Liest man bei Tageslicht das Buch, das einem zu streamenden Film als literarische Vorlage gedient hat, dürften die unerwünschten Umweltauswirkungen noch deutlich geringer ausfallen – und das Erlebnis unter Umständen noch eindrücklicher sein.
Literatur
- Carbon impact of video streaming, Carbon Trust, 2021.
- Nachhaltigkeit von Streaming & Co., Bitkom e.V., 2020.
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