Fachartikel Hardware , Infrastruktur , Smart Grid

Wie bleibt die Energie­ver­sor­gung stabil?

Aktive Reduktion von Ober­schwin­gungen

15.06.2023

Durch die zunehmende Ablösung fossiler Strom­erzeuger durch PV-Systeme im Netz gewinnt eine berechtigte Frage an Bedeutung: Wie kann das Ver­sorgungs­netz mit zunehmend elektro­nischen, also nicht­linearen Lasten stabil bleiben? Heute bieten sich dazu PV-Wechsel­richter mit netz­ver­bessern­den Eigen­schaften an.

Bereits bevor erste Regularien dazu aufgestellt wurden, gab es Umrichter, die netz­ver­bes­sernd Ober­schwin­gungen aktiv reduzieren, die Sinusspannungsform des Netzes optimieren und nichtohmsche Lasten im lokalen Netz kompensieren konnten. Das Spektrum dieser Umrichter reichte von kleinsten 1-kVA-Umrichtern (Siemens SPN 1000 ab 1992) bis hin zu grossen 2-MVA-Umrichtern (Sinvert solar 2000TL bis 2010).

Vom TÜV wurde schon 1997 nachgewiesen, dass der Betrieb der 1-MW-PV-Anlage die Ober­schwin­gungen aktiv reduziert und dass die Ober­schwin­gungen bei deaktivierten Wechsel­richtern höher sind. Diese Sinvert-Generation basierte technologisch auf Masterguard-USV-Geräten (unter­brechungs­freie Strom­ver­sorgung), die durch ihre Insel­betriebs­fähigkeit schon ursprünglich auf eine saubere Sinus­spannung optimiert wurden und alle Lasten kompensieren mussten. Diese Funktion wurde bei den Geräten nicht deaktiviert, da schon damals ersichtlich war, dass nach dem fossilen Ausstieg, der zwangs­weise möglichst schnell kommen muss, die Inverter-Geräte alle netz­stützenden Funktionen über­nehmen müssen, die bisher von rotierenden Maschinen mit ergän­zenden Kompen­sations­anlagen und Filtern bereit­gestellt wurden.

Netzeinspeise-Vorschriften als Spiel­verderber

Diese vorteil­hafte Funktion wurde jedoch vor gut zehn Jahren in Deutschland durch «modernere» Netz­einspeise-Vor­schriften reduziert. Diese haben nur noch 3% Ober­schwin­gungen bei synthe­tischen Typ­prüfungen zugelassen und führten dazu, dass diese netztechnisch optimale spannungs­optimierte Geräte­generation durch strom­begrenzte Geräte ersetzt wurde, bei denen die Netz­span­nungs­kompen­sation durch die reduzierte Eingriffsmöglichkeit leider stark begrenzt sein musste. Konkret hiess dies, dass die unlimitierte Netzoptimierung, auch mit Ober­schwin­gungs­kompen­sation von weit über 3%, bei Geräten ab 2011 entweder deaktiviert werden musste oder erst gar nicht mehr programmiert wurde. Die ab diesem Zeitpunkt in Betrieb genommenen stromober­schwin­gungs­redu­zierten Wechsel­richter konnten daher die Spannung im Netz nicht mehr glätten, da sie die 3% Stromober­schwin­gung unterschreiten mussten. Dies war zwar gut gemeint, um keine weiteren Netzober­schwin­gungen durch «passive» Wechsel­richter zu erzeugen, hat aber deren aktive Bekämpfung damit auch verhindert.

Neuste Halb­leiter und Netzfilter

In diesem letzten, netz­technisch fast «verlorenen» Jahrzehnt kamen zwar neue netz­stützende Funktionen bei den Wechsel­richtern hinzu, aber die Erkenntnis des voll­ständigen Umstiegs auf Wechsel­richter wurde vergessen, so dass unlimitiert aktiv Ober­schwin­gungs­kompen­sierende Geräte mit USV-Eigen­schaften nicht mehr auf den Markt kommen konnten. Erst mit neusten Halbleitern und Netzfiltern, die eine Reduktion der zulässigen Ober­schwin­gungen (< 3%) auf deutlich unter 1% ermöglicht haben, wurde erneut die Möglichkeit geschaffen, innerhalb dieser unnötigen Netzober­schwin­gungs­begren­zungen netz­ver­bes­sernde Geräte zu entwickeln und ans Netz zu bringen.

Im letzten Jahrzehnt kamen jedoch viele andere Vorgaben dazu, die vor allem zu einem stabileren Netz geführt haben, beispiels­weise durch einfach mögliche Leistungs­begren­zungen (P).

Insbesondere die aktive Blind­leistungs­beein­flussung hat die Spannungs­anhebung im Verteilnetz durch PV-Einspeisung kompensiert und den ursprünglich erwarteten Netzausbau erheblich reduziert (PF). Auch die vermehrte Belegung aller Dachflächen, auch Ost, Nord und West, sowie der Trend zur Installation kleiner Wechsel­richter, bezogen auf die sehr günstigen PV-Module, und vermehrter Speicher­zubau haben die maximale Erzeugungs­leistung der in Deutschland installierten Leistung kontinu­ierlich reduziert. Aktuell sind nur noch maximal 57,0% AC-Spitzen­leistung, bezogen auf die installierte PV-Leistung, im Netz gemessen worden.

Als unterer Grenzwert könnten langfristig sogar minimal 30% erreicht werden, wenn die Speicher eine maximale Grösse haben und PV mit Speicher quasi konstant 24 Stunden 30% einspeist, ohne dass PV abgeregelt werden müsste.

Auch die nötigen Begren­zungen bei Über­spannung oder Über­frequenz (Pf) haben PV-Wechsel­richter in stets feineren Schritten vom temporären 50,2-Hz-Blackout-tauglichen Zwischen­schritt durch zeitgleiche Abschaltung vieler GW Photo­voltaik vornehmen können. Alle modernen Wechsel­richter bekämpfen aktiv langsam steigende Überleistung im Netz mit Leistungsreduzierung, sobald lokal eine Überspannung oder Frequenzüberhöhung gemessen wird. Überleistungen im Netz können von PV-Wechsel­richtern bedarfsweise auch in Sekundenbruchteilen abgeregelt werden, bevor rotierende Maschinen das technisch überhaupt könnten. Technologisch ist die Kompensation der Unterleistung oder Unterfrequenz auch mit speicherunterstützten Wechsel­richtern möglich. Reine PV-Wechsel­richter haben nur wenige Sekunden, bis die Stützkondensatoren entladen sind.

Als neuere Stufen sind dann auch LVRT und HVRT hinzugekommen, die bei kurzzeitigen Netzfehlern netzstützend die Wechsel­richter am Netz halten (V), aber auch einen unerwün­schten Inselbetrieb verhindern.

Durch die Stromquellen-Eigenschaft aller PV-Module kann mit Konden­satoren im Wechsel­richter der aktuelle Strom einige Sekunden lang möglichst konstant weiter eingespeist werden, d. h. auch bei Netzfehlern auf der Netzseite, sofern die nötigen trennenden Netzschütze eingeschaltet bleiben. Die Wechsel­richter bleiben also bei kurz­zeitigen Spannungs­einbrüchen nicht nur am Netz, sondern stützen das Netz zusätzlich mit der Einspeisung von Blindstrom.

Neue Möglichkeiten

Moderne Wechsel­richter können ausserdem stabile Betriebs­zustände in schwachen Netzen ermöglichen (ROCOF) und dabei fast wie Insel­wechsel­richter oder USV-Wechsel­richter spannungs­geregelt arbeiten oder sogar aktiv Schwebungen dämpfen (POD).

Um die technisch bedingten kapazitiven (Kabel) oder induktiven (Trafo) Verluste zu verringern, können PV-Wechsel­richter auch nachts Blindleistung erzeugen (Q@night). Diese Verluste können auch komplett vermieden werden, wenn diese Funktion beispielsweise durch einen kleinen, lokalen Speicher gepuffert wird. Dann beziehen diese Photovoltaik-Anlagen nachts nichts mehr aus dem Netz. Dies wurde bei der neuen 2 x 150 MW-Anlage 2022 in Deutschland so realisiert.

Neben statischen Vorgaben können auch dynamische Spannungs­regelungen mit variabler Blind­leistung von einzelnen Wechsel­richtern oder ganzen Solarparks vom Parkregler vorgegeben werden (VQ). Dabei kann hoch­dynamisch zwischen Blind- (Q-Regelung) und Wirk­leistungs­erzeugung (PF vs. P) geregelt und je nach netz­technischen Erfor­der­nissen stufenlos variiert werden.

Schwarzstartfähigkeit

Um nach einem völligen Netzausfall beim Wieder­aufbau unter­stützen zu können, haben die Geräte mit Hoch­spannungs­anschluss nach VDE AR-N4120 optional die Möglichkeit, schwarz­start­fähig betrieben zu werden. War es bisher nur mit Wasserkraftanlagen möglich, einen Netzaufbau zu ermöglichen, ist es künftig auch mit den sehr schnell regelbaren PV-Anlagen tagsüber möglich, Netzteile unterhalb ihrer aktuellen Erzeugungs­möglich­keit unter­stützend wieder aufzubauen. Diese Funktion wird insbesondere bei Wechsel­richtern immer wichtiger, die mit Speicher unterstützt werden. Dabei ist jetzt wieder eine Spannungs­regelung integriert, wie sie schon früher bis ins Jahr 2010 genutzt wurde, die einen sauberen Sinus erzeugt und netz­formende Eigenschaften ermöglicht (Grid forming).

Da bei grösseren Parks dynamisch Last und Erzeugung an- und abgefahren werden muss, ist eine geregelte Zuschaltung durch einen Parkregler obligatorisch (Ramp Rate Up-Down). Damit kann je nach lokalen Erfordernissen auto­matisiert eine fast beliebige Rampe lokal eingestellt oder sogar von extern dynamisch vorgegeben werden.

Da der Rückgang der rotierenden Massen mit dem Abschalten fossiler Erzeuger stetig voranschreitet, müssen die neuen Wechsel­richter wie virtuelle Synchron-Generatoren geregelt werden können (VSM), insbesondere bei dem angestrebten Zubau von bis zu 400 GW PV in Deutschland bis 2040. Bei aktuell um 80 GW Last ergeben sich neue Heraus­for­derungen.

In Kombination mit Speichern wird schliesslich auch eine Verschiebung der künftig über­schüssigen Einspeise­energie (Energy Shifting) und Anpassung der Energieflüsse möglich (Energy Flow Control).

Das Netz wird stabiler

In Deutschland sind aktuell mehr als 3 Millionen PV-Anlagen mit über 71,26 GW Nenn­leistung am Netz und erzeugen schon über 12% der benötigten Energie. Wenn man jetzt vermutet, dass dadurch das Netz instabiler wird, liegt man falsch, denn genau das Gegenteil lässt sich messen. Seit Jahren nimmt die durch­schnitt­liche Unter­brechungs­zeit pro Anschluss stetig ab und liegt nur noch bei unter 11 Minuten auf dem geringsten Wert seit Beginn der Erhebung ab 2006. Bei PV-Anlagen ist ein einzelner Ausfall überhaupt kein Thema mehr. Selbst die grössten zentralen Anlagen sind in Deutschland noch unter 200 MW gebaut worden, sodass ein Ausfall innerhalb der täglichen Last­schwan­kungen von dutzenden GW kaum relevant ist.

Doch zurück zu den Wechsel­richtern. Im Laufe der Jahr­zehnte ist der Wirkungs­grad von unter 90% Ende der 1980er-Jahre auf heute typisch bis über 99% bei den besten Geräten im Markt gestiegen. Dazu sind neben neuen Schaltungs­techniken und Materialien (SiC bei KACO mit 99%) stetig verbesserte Halbleiter mit optimierten Eigen­schaften entwickelt worden, die bei den MW-Wechsel­richtern den Wirkungs­grad von 1997 mit 96% (noch mit NS-Trafo) über 98% mit trafolosen Wechsel­richtern (ab 2008) bis zum aktuellen Rekord­halter mit 99,3% Wirkungs­grad ab 2022 geführt haben.

Die heute erreichbaren geringen Ober­schwin­gungen haben auch in den Drosseln und Trans­forma­toren erheblich geringere Erwär­mungen zur Folge, so dass die Strom­gestehungs­kosten mit diesen Geräten auch langfristig kaum mehr zu verringern sind. Ein früher übliches Erneuern der Geräte nach einigen Jahrzehnten, um bessere Wirkungs­grade zu erzielen, hat sich schon länger erübrigt, insbesondere wenn auch über Jahrzehnte alle Ersatzteile für die Zentral-Wechsel­richter von Siemens so lange verfügbar gehalten werden, wie die Kunden sie kaufen möchten.

Autor
Bodo Giesler

ist Solarexperte bei Siemens.

  • Siemens AG,
    DE-90766 Fürth

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