Wer stillsteht, geht rückwärts
Am diesjährigen Asut-Seminar im Berner Kursaal wurde hart debattiert
Mut. Mut zum Neuen, zum Noch-nicht-Bekannten, Mut zum Möglichen, zum Aufbruch. Damit tut sich der Mensch nicht immer leicht. Auch in der Schweiz nicht, die so oft zu den Pionieren neuer Technologien gehörte, worauf ein nicht unwesentlicher Teil ihres Wohlstandes beruht. Asut-Präsident Peter Grütter zitierte in seiner Einleitung das Beispiel der Bündner Behörden, die im Sommer 1900 den Automobilverkehr auf ihren Strassen kurzerhand verboten – weil viel zu gefährlich für Postverkehr, Vieh und Leib und Leben der Bevölkerung.
Trotzdem habe das Ausmass des Widerstands, der der neuen Mobilfunktechnologie 5G und den von ihr benötigten Netzen zurzeit entgegenschlägt, die Branche überrascht, sagte Peter Grütter und appellierte an mehr Mut und Zuversicht im Umgang mit technologischen Innovationen und ihren Möglichkeiten.
Dieser Appell wurde zum Leitmotiv des Tages. Dabei wurde viel von der Vergangenheit geredet und die Zukunft gemeint: Bundesrat Ignazio Cassis erinnerte daran, dass es vor nicht allzu langer Zeit noch Telefone mit Wählscheiben gab – knapp vierzig Jahre ist es her und doch, so Cassis, angesichts der «unglaublichen IT-Revolution» eine gefühlte Ewigkeit. Und Claudia Pletscher, Innovationschefin der Schweizerischen Post, zitierte das Beispiel von Solothurn, wo 1860 die Einführung von Gaslaternen im öffentlichen Raum eine ungeheure Opposition von allen möglichen Seiten hervorrief.
Verunsichernde Umbrüche
Auch die aktuelle Diskussion um die neue Mobilfunkgeneration 5G ist von solchen Ängsten dominiert. Befürchtet werden Auswirkungen auf die Gesundheit, Verlust von Arbeitsplätzen oder Verletzung der Privatsphäre. Und wieder geht es im Wesentlichen, wie beim Aufkommen von Eisenbahn, Elektrizität und Automobil, im Grunde um etwas anderes: Ein ganz allgemeines Unbehagen angesichts des Tempos und des Ausmasses eines nicht mehr aufzuhaltenden technologischen Wandels.
«Neugier und Angst sind siamesische Zwillinge» sagte Bundesrat Ignazio Cassis und wünschte sich eine Schweiz, die sich nicht lähmen lasse, sondern offen und ganz pragmatisch Neues zulasse und Machbares von Wünschbarem unterscheide. «Denken wir daran: Technologie ist als solche weder gut noch schlecht» meinte Cassis. Was zähle, sei dafür zu sorgen, sie zum Vorteil möglichst aller in der Schweiz einzusetzen, sagte der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten und gab sich überzeugt, dass das Internet of Things und die künstliche Intelligenz einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der grossen Probleme der Gegenwart leisten können – insbesondere was den nachhaltigeren Umgang mit Umweltressourcen betreffe.
Es kommt schon gut
Auch Prof. Tobias Straumann, der an der Universität Zürich über Wirtschaftsgeschichte doziert, schlug beschwichtigende Töne an: Die erfolgreiche Wirtschaftsgeschichte der Schweiz sei zu einem grossen Teil darauf zurückzuführen, dass die Schweiz als konfessionell gemischtes Land inmitten Europas eine solide Kompromisskultur entwickelt habe. Damit habe sie in der Vergangenheit schon viel tiefgreifendere Umwälzungen meistern können, wie etwa den Strukturwandel von der Bauern- zur Industriegesellschaft: «Dieses Modell ist zukunftsfähig», meinte Straumann: «Also nicht die Nerven verlieren. Es kommt schon gut.»
Ob es wirklich gut kommt, wurde engagiert und kontrovers an zwei Podiumsdiskussionen debattiert, was Moderator Reto Brennwald als vormaligem Leiter der Politsendung «Arena» sichtlich Spass machte. Zuerst beim Podium, an dem dezidierte Technologiebefürworter – die CEOs von Swisscom, Sunrise und Ypsomed, Urs Schaeppi, Olaf Swantee und Simon Michel, sowie Christian Keller, Vorsitzender der Geschäftsleitung von IBM Schweiz – mit dem Direktor des Bundesamts für Umwelt (Bafu), Marc Chardonnens, diskutierten. Wo die Ersten fehlende Informationen und Angstmacherei sehen, welche die neuen Technologien in Verruf bringen, ortet Marc Chardonnens ernstzunehmende Verunsicherung in der Bevölkerung, erinnerte an das gesetzlich verankerte Vorsorgeprinzip und rief dazu auf, Proteste und Bedenken nicht kleinzureden, sondern durch sachliche Information Vertrauen aufzubauen.
Die Jugend diskutiert ihre Anliegen
Die Jungpolitikerinnen und -politiker, die am zweiten Podium aufeinandertrafen, stritten fast genauso gekonnt: Zwar einte Sarah Bünter (Junge CVP), Benjamin Fischer (Junge SVP), Tamara Funiciello (Juso) und Andri Silberschmidt (Jungfreisinnige) die Skepsis gegenüber dem E-Voting und eine grössere Sensibilität in Bezug auf mögliche Gefährdungen der Privatsphäre im Netz, doch von einer gemeinsamen grösseren Aufgeschlossenheit dieser Generation von Digital Natives neuen digitalen Technologien gegenüber konnte keine Rede sein. So stiess beispielsweise Andri Silberschmidt, der alles daransetzen will, dass die Schweiz im Rennen um die Technologie einen Spitzenplatz belegt, bei Tamara Funiciello auf heftigen Widerspruch: Für sie darf die Digitalisierung und die damit einhergehende Flexibilisierung der Arbeitswelt auf keinen Fall den lang erkämpften Schutz der schwächeren Mitglieder unserer Gesellschaft untergraben.
Aufbruchstimmung
Kein Zweifel: Der digitale Wandel bewegt, verunsichert, stellt manches in Frage. Doch am Ende bleibt vom diesjährigen Asut-Seminar, dem 45. des Verbandes, vor allem ein Eindruck: der einer deutlichen Aufbruchstimmung. Es steht ein Wandel an: Jetzt geht es darum, ihn gemeinsam, mit Offenheit, Toleranz und wahrscheinlich noch langen und manchmal zähen Diskussionen, so gut wie nur möglich zu meistern.
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