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Wenn Verunsicherung für einmal auch etwas Gutes hat

Schweizerischer Stromkongress 2017

12.01.2017

Am 11. Schweizerischen Stromkongress vom 12. und 13. Januar im Kursaal in Bern spekulierten die Auguren der Energiebranche über die Zukunft ihres Geschäfts. Sie präsentierten dabei ein überschaubares Mass an Lösungen und Massnahmen. Die Verunsicherung über die Zukunft der Branche war allenthalben spürbar, ebenso wie der Glaube, diese Zukunft positiv gestalten zu können.

Es wäre halt manchmal schon verlockend, könnte man die Zukunft voraussagen. Man wüsste dann, was einen morgen und übermorgen erwartet und wie man sich am besten darauf vorbereitet. Da traf es sich vorzüglich, dass Urs Rengel, Präsident von Electrosuisse, zufälligerweise über eine Kristallkugel verfügt, in welcher er während seiner Begrüssungsansprache das eine oder andere für die Branche relevante Ereignis voraussehen konnte, sogar mit Angabe einer entsprechenden Jahreszahl. Auch einen vollständig geöffneten Strommarkt erblickte Rengel in seiner Kugel – allerdings noch ohne Datumsangabe.

Offen sein für Neues

Kurt Rohrbach, Präsident des VSE, ging in seinem anschliessenden Eröffnungsreferat auf die tiefgreifenden Veränderungen ein, welche die Branche zu bewältigen hat: «Auch wenn wir die Zukunft nicht kennen, können und müssen wir uns so gut wie möglich darauf vorbereiten.» Kurt Rohrbach forderte von der Branche daher Mut und Offenheit, sich auch mit unkonventionellen Ideen auseinanderzusetzen, denn disruptive Tendenzen, wie sie die Hotel- oder die Taxibranche mit Airbnb respektive Uber erlebt haben, zeichnen sich auch in der Strombranche ab: «Die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten verschwinden.»

Obwohl Investitionen in neue Geschäftsmodelle im Augenblick lohnenswerter scheinen, rief Kurt Rohrbach an seinem letzten Stromkongress als Präsident des VSE dazu auf, weiterhin auch in die Infrastruktur und Anlagen zu investieren. «Diese physischen Werte, Ihr geballtes Know-how und Ihre jahrzehntelange Erfahrung sind Ihre Kompetenzen. Diese müssen Sie weiter pflegen und vermarkten.» Dazu brauche es aber neue Dienstleistungen. Mit den «Energiewelten» habe der VSE nun versucht, die Möglichkeiten für Entwicklungen in der Energiebranche abzustecken und damit auch zu zeigen, welche Dienstleistungen dereinst gefragt sein könnten. Unbestritten war für Kurt Rohrbach aber, dass Energie auch in Zukunft in ausreichendem Masse und zu erschwinglichen Preisen verfügbar sein muss.

Für ein Blackout gerüstet

Dass diese Verfügbarkeit aber schnell zu Ende sein könnte, thematisierte Verteidigungsminister Guy Parmelin in seinem Referat: «Die Schweiz ist keineswegs vor einem landesweiten, grossflächigen Stromausfall gefeit», betonte er, «und alleine die Vorstellung davon jagt mir kalte Schauer über den Rücken.» Die grösste Gefahr ortete der Bundesrat in der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung und damit einhergehend in Cyber-Attacken.

Aber nicht nur solche absichtlich und böswillig herbeigeführte Ausfälle beschäftigen Guy Parmelin. «Es gibt daneben auch ‹natürliche› Herausforderungen für die Stromversorgung in der Schweiz. Ich denke da an Naturkatastrophen oder auch lange Trockenperioden im Winter.» Falls es allerdings tatsächlich einmal zu einem Blackout komme, sei die Schweiz vorbereitet, versicherte er.

«Die Schweiz ist keine Energieinsel»

Benoît Revaz, seit gut drei Monaten Direktor des Bundesamts für Energie BFE, warnte die Anwesenden vor der Utopie einer energieautonomen Schweiz: «Der Energieaustausch mit unseren Nachbarn in der EU findet quasi täglich statt. Die Schweiz ist keine Energieinsel.» Dieser Kontakt müsse unbedingt aufrechterhalten bleiben, ob mit oder ohne Stromabkommen. Daher könne das Ziel nur sein, neue, marktbasierte Modelle zu entwickeln, welche die Interessen aller Marktteilnehmer optimal berücksichtigten.

«Es herrscht Eiszeit mit der EU», konstatierte hingegen Elcom-Präsident Carlo Schmid, und nahm damit Bezug auf die aus Schweizer Sicht festgefahrene Situation in den Verhandlungen über ein Stromabkommen mit der EU. Die EU betrachte die Schweiz als Befehlsempfängerin und nicht als Partnerin. Zur Versorgungslage meinte Carlo Schmid, dass diese im Moment zwar stabil sei. Für die Zukunft sei jedoch ein Delta absehbar, das nicht nur durch erneuerbare Energien geschlossen werden könne.

Gestern richtig, heute falsch?

Der renommierte Naturwissenschafter Ernst Ulrich Michael Freiherr von Weizsäcker, seit vier Jahren Co-Präsident der Expertenorganisation «Club of Rome», betrachtete die momentane Situation in der Strombranche aus einem philosophisch geprägten Blickwinkel. Trotz Stromschwemme votierte er für eine Verteuerung der Strompreise. Das könne sogar sozialverträglich geschehen, sei aber der entscheidende Schritt, um einen nachhaltigen Umgang mit Strom zu erreichen, was letztlich allen zugutekomme. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete vertrat die Meinung, dass bei einer sich ständig verändernden Welt auch das Festhalten an bisher als richtig betrachteten Grundsätzen und Handlungsweisen überdacht werden müsse.

Antrieb statt Lähmung

«Wir haben während dieser beiden Tage viele Beispiele für mögliche neue Marktmodelle gesehen», bilanzierte Kurt Rohrbach am Ende des Stromkongresses. «Das eine Rezept haben wir aber nicht erhalten, und das verunsichert uns.» Solange Verunsicherung aber nicht zur Lähmung führe, sondern dazu, Lösungsansätze zu erarbeiten, solange «ist Verunsicherung gut».

Autor
Ralph Möll

ist Kom­mu­ni­kations­spezia­list beim VSE.

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