Weniger Freiraum, mehr Klarheit
Wesentliche Änderungen in der Stromkennzeichnung
Die Energiestrategie 2050 hat ab 2018 wesentliche Änderungen in der Stromkennzeichnung zur Folge.
Mit der beschlossenen Energiestrategie 2050 (ES2050) ergeben sich wenige, aber bedeutende Änderungen in der Stromkennzeichnung. Die Informationspflicht fällt weg und wird durch das HKN-System (Herkunftsnachweis) abgelöst. Es fällt aber auch die Möglichkeit weg, nicht überprüfbare Energieträger – sogenannter Graustrom – in der Stromkennzeichnung auszuweisen. Die ES2050 bringt der Stromkennzeichnung mehr Klarheit, aber weniger Freiraum.
Praxis hat das Gesetz überholt
Die Pflicht zur Stromkennzeichnung existiert seit dem Jahr 2005, also lange bevor das heutige Swissgrid-HKN-System in Betrieb genommen wurde. Zwischenzeitlich hat sich der Einsatz dieses Swissgrid-HKN-Systems etabliert. Die Weitergabe von Herkunftsnachweisen läuft heute meist darüber. Der Gesetzgeber nutzt mit der Revision des Energiegesetzes (EnG) die Möglichkeit, die Stromkennzeichnung in einigen wenigen Punkten zu aktualisieren. Die eingeflossenen Neuerungen sind nötig, da die angewendete HKN-Praxis die Regelungen in den geltenden Gesetzen und Verordnungen überholt hat.
Neue Grundlagen verändern die Stromkennzeichnung
Die Anpassungen im Energiegesetz (EnG) sind beschlossen, nachdem die Stimmbevölkerung am 21. Mai 2017 die Neuausrichtung der Schweizer Energiepolitik bestätigt hat. Die Anpassungen in den relevanten Verordnungen sind bekannt. In der Vernehmlassung sind keine grossen Änderungen in den für die Stromkennzeichnung relevanten Verordnungstexten zu erwarten. Der Bundesrat wird die finalen Verordnungen voraussichtlich im November 2017 verabschieden und auf Anfang Januar 2018 in Kraft setzen.
Die Grundlagen zur Stromkennzeichnung sind nach wie vor im EnG geregelt – neu in Artikel 9. Im neuen EnG sind drei wesentliche Änderungen festgehalten:
- Die Informationspflicht fällt komplett weg.
- Werden keine Endkunden beliefert, muss keine Elektrizitätsbuchhaltung geführt werden.
- Verstösse zur Stromkennzeichnung wurden explizit in die Strafbestimmungen aufgenommen. Das Bussgeld kann bis zu 100 000 Franken betragen.
Wichtige Änderungen sind auch in der EnV auszumachen. So legt Artikel 3 des Vernehmlassungsentwurfs der Energieverordnung EnV fest, wie und wann HKN zu entwerten sind. Die Energieversorger werden dadurch stärker in die Pflicht genommen, ihre vorhandenen HKN auch für ihre Stromkennzeichnung zu entwerten. Grosse Auswirkungen hat jedoch die Anpassung in Artikel 4, EnV: Neu muss jede an Endkunden in der Schweiz gelieferte Kilowattstunde mit einem HKN hinterlegt werden. Die Lieferung von «nicht überprüfbarer Energie» an Endkunden ist somit nicht mehr möglich. Dies ist eine sehr bedeutende Veränderung für die Stromkennzeichnung. Ebenfalls nicht mehr möglich ist die Verwendung von sogenannten «Nachweisen mit 2. Priorität». Diese stammten aus kleineren Produktionsanlagen, welche nicht am HKN-System angeschlossen sind.
Neu existiert eigens eine Verordnung für den Herkunftsnachweis und die Stromkennzeichnung (HKSV). Diese HKSV tritt mit der ES2050 ebenfalls per 1. Januar 2018 in Kraft. Es ist begrüssenswert, dass mit der neuen HKSV die Grundlagen der Herkunftsnachweise und die Details der Stromkennzeichnung in einem gemeinsamen Dokument beschrieben werden. Im Anhang 1 sind viele Details zur korrekten Umsetzung der Stromkennzeichnung zu finden.
Die Änderungen im Zusammenhang mit der Stromkennzeichnung im EnG, der EnV und der HKSV sind voraussichtlich ab dem 1. Januar 2018 gültig. Voraussichtlich deshalb, weil die finalen Verordnungen noch nicht beschlossen sind. Das bedeutet, dass die Stromkennzeichnung für das Jahr 2018 erstmals nach den neuen Regeln erfolgen muss.
Auswirkung der wichtigsten Änderungen in der Praxis
Wegfall der Informationspflicht: Mit der ES2050 fällt die Informationspflicht weg. Der physische Versand der Informationspflicht ist nicht mehr nötig, da die HKN-Transfers inzwischen fast ausnahmslos über die HKN-Konten der Verkäufer und Käufer erfolgen. Das HKN-System wird damit als führendes Informationssystem aufgewertet. Konkret bedeutet dies viel weniger Aufwand für den HKN-Verkäufer.
Wegfall der Elektrizitätsbuchhaltung im B2B-Geschäft: Ab dem 1. Januar 2018 gilt neu, dass Stromproduzenten und -händler ohne eigene Endverbraucher keine Elektrizitätsbuchhaltung mehr führen müssen. Nur noch Stromversorger, welche Endkunden beliefern, müssen eine Elektrizitätsbuchhaltung führen. Diese Vereinfachung ist sehr zu begrüssen, da sie die Arbeit in der Praxis erleichtert.
Zwingende HKN-Verwendung für alle Stromlieferungen an Endkunden: Mit der zwingenden HKN-Verwendung für alle Stromlieferungen an Endkunden wird in die Gestaltung der Stromprodukte eingegriffen. Gleichzeitig wird aber auch die Transparenz bei den Stromprodukten erhöht. Allen Endkunden muss neu die Herkunft der gelieferten Elektrizität vollständig dargestellt werden. Die Deklaration von «nicht überprüfbarer Energie» auf der Stromkennzeichnung ist ab dem Jahr 2018 voraussichtlich nicht mehr möglich. Im Jahr 2015 hat der gesamtschweizerische Anteil an «nicht überprüfbarer Energie» bei den Stromlieferungen an Endkunden immerhin noch rund 20 % betragen. Der Gesetzgeber macht keine Einschränkungen, mit welchen Energieträgern die «nicht überprüfbare Energie» kompensiert werden muss. Es sind in- und ausländische HKN für die Stromkennzeichnung zugelassen. Ebenso sind alle erneuerbaren wie auch alle nicht erneuerbaren Energieträger zugelassen. In der Praxis noch wenig getestet ist das Erstellen von Ersatznachweisen im Swissgrid-HKN-System. Ersatznachweise kommen dann zum Einsatz, wenn zum Beispiel ausländische Kernenergie zur Stromkennzeichnung in der Schweiz verwendet werden soll.
Die ab Januar 2018 gültige zwingende HKN-Verwendung wird die HKN-Preise beeinflussen, denn der heutige Anteil von gut 20 % «nicht überprüfbarer Energie» muss durch HKN kompensiert werden. Gut möglich, dass der im 1. Quartal 2017 zu beobachtende starke Anstieg der HKN-Preise für Schweizer Wasser ein Vorbote davon ist. Der Preis ist in wenigen Wochen von 70 Rp./MWh auf rund 3.50 Franken hochgeschossen. Hier zeigt sich die aktuelle Nervosität bei der Beschaffung von HKN.
Insgesamt ist es zu begrüssen, wenn sich die HKN-Preise für Schweizer Wasser ihrem effektiven Wert annähern. Denn ein höherer Preis spiegelt den höheren ökologischen Mehrwert von Schweizer Wasser im Vergleich zur «nicht überprüfbaren Energie». Zudem ist festzuhalten, dass Herkunftsnachweise aus alpiner Wasserkraft auch im europäischen Handel sehr beliebt sind.
Näher an der Praxis – aber sicher kein Selbstläufer
Die Neuerungen in der Stromkennzeichnung sind zeitgemäss und bringen die gesetzlichen Grundlagen wieder näher an die Umsetzung in der Praxis. Die neuen Regelungen optimieren den Einsatz des Swissgrid-HKN-Systems. Ob die vollständige Erstellung der Stromkennzeichnung im HKN-System zukünftig möglich und auch wünschenswert ist, wird sich zeigen. Denn in die Stromkennzeichnung werden auch weiterhin strategische Überlegungen und individuelle kommunikative Freiheiten zu integrieren sein, welche wohl kaum auf Knopfdruck im Swissgrid-HKN-System abgebildet werden können.
Wünschenswert in der Revision der Verordnung wäre eine Anpassung zum Versand der Stromkennzeichnung gewesen. Der heute vorgeschriebene Versand der Stromkennzeichnung zusammen mit einer Stromrechnung wird durch die Digitalisierung des Verrechnungsprozesses zunehmend fraglicher. Würde eine elektronisch abrufbare Stromkennzeichnung heute nicht auch genügen?
Eine Fragestellung zur Stromkennzeichnung wird zunehmend dringlicher: Und zwar die Integration des KEV-Anteils «Geförderter Strom» in die Stromkennzeichnung. Dieser beträgt für das Jahr 2016 4,6 % und entwickelt sich für das Jahr 2017 voraussichtlich nahe an die 6-%-Grenze. Da der Anteil «geförderter Strom» zwingend in die Stromkennzeichnung integriert werden muss, stehen Stromprodukte mit beispielsweise 100 % Schweizer Wasserkraft oder mit einem fix vorgegebenen Strommix, wie Naturemade-Produkte, in Konflikt mit den Auslegungen zur Stromkennzeichnung. Hier könnte eine klärende Regelung oder Weiterentwicklung der Verordnungsbestimmungen die Situation klären.
Insgesamt sind die beschlossenen Veränderungen zielführend. Der Erstellungsprozess der Stromkennzeichnung wird sicherer, da das HKN-System eine stärkere Rolle einnimmt. Der Verzicht auf die Informationspflicht sowie der teilweise Wegfall der Elektrizitätsbuchhaltung entsprechen den Bedürfnissen der Praxis.
Mit den ab Januar 2018 gültigen Anpassungen wird die Stromkennzeichnung für Endkunden transparenter und die Erstellung einfacher. Jetzt sind die Stromkennzeichnungsverantwortlichen in den EVU gefordert, die neuen Eckpunkte in strategische Vorteile umzumünzen.
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