Wegweisender Test für autonome Inselnetze
Mini-Grid Emmenmatt
BKW Power Grid hat in Emmenmatt einen Test eines Mini-Grids durchgeführt, das eine autonome Stromversorgung im Inselbetrieb ermöglicht. Dabei kamen hybride Netzersatzanlagen (hNEA), ein Batteriespeichersystem (BESS) und eine dezentrale PV-Anlage zum Einsatz, die über ein zentrales Managementsystem (Scada) gesteuert wurden.
Der Praxisversuch eines Mini-Grids in Emmenmatt zeigt eindrucksvoll, wie sich die Energieversorgung mithilfe innovativer Technologien in Richtung mehr Autonomie und Resilienz wandeln lässt. Angesichts der Energiewende und der damit verbundenen Herausforderungen – wie dem wachsenden Anteil dezentraler PV-Anlagen, dem Ausstieg aus der Kernenergie sowie der steigenden Elektrifizierung des Verbrauchs – suchen Netzbetreiber nach Lösungen, die eine flexible und sichere Stromversorgung auf lokaler Ebene gewährleisten. Das Mini-Grid-Projekt von BKW Power Grid in Emmenmatt leistet hierfür einen wichtigen Beitrag, indem es die autonome Steuerung eines Inselnetzes in einem realistischen Netzumfeld erprobt und damit eine Zukunftsperspektive für die Schweizer Energieversorgung eröffnet. Nebst Fachleuten von BKW Power Grid hatten auch die Partner Jost AG (Herstellung und Vertrieb der hNEA) sowie Atlas Copco einen wesentlichen Anteil am Gelingen des Tests. Letztere stellte freundlicherweise einen grossen Batteriespeicher für den Versuch zur Verfügung.
Test mit komplexer Netzstruktur
Der Test erstreckte sich über einen realistischen Bereich des 16-kV-Mittelspannungsnetzes, das in Emmenmatt gespeist wird. Das Netz umfasste 17 Trafostationen mit 367 Niederspannungskunden, darunter private Haushalte und kleine sowie mittelgrosse Unternehmen. Die installierte Photovoltaikleistung betrug 1070 kW. Zur Testzeit im Juni 2025 standen etwa 720 kW davon realistisch zur Verfügung. Die Tageslasten bewegten sich zwischen 200 und 350 kW. Das Mini-Grid konnte also unter realitätsnahen Bedingungen auf seine Fähigkeiten geprüft werden. Dabei spiegelten Lastgänge die dynamischen Schwankungen des lokalen Netzes wider, mit Zeiten von Überschussproduktion und solchen mit einem Defizit an einspeisender Energie.
Zur Stabilisierung und Steuerung dieses Inselnetzes wurden vier hybride Netzersatzanlagen (hNEA) mit unterschiedlichen Leistungen von 200 bis 400 kW eingesetzt, ergänzt durch ein stationäres Batteriespeichersystem (BESS) mit einer Kapazität von 575 kWh. Zusätzlich dienten Lastbänke mit variierenden Leistungen dazu, Verbrauchsspitzen zu simulieren oder Produktionsschwankungen zu glätten. Für die Messung der Energiequalität waren an mehreren Stellen Power-Quality-Messgeräte (PQ-Boxen) installiert, die genaue Daten zu Spannung, Frequenz, Transienten und Oberschwingungen lieferten und so eine umfassende Analyse der Netzstabilität ermöglichten. Alle Komponenten wurden an ein eigens für das Projekt entwickeltes zentrales Managementsystem, ein «Supervisory Control and Data Acquisition»-System (Scada), angeschlossen, das eine vollständige Visualisierung und Steuerung des Mini-Grids in Echtzeit erlaubt.
Hintergrund
Hybride Netzersatzanlagen
BKW Power Grid hat in Zusammenarbeit mit der Jost AG, der Suncar AG und der Indrivetec AG eine neuartige hybride Netzersatzanlage entwickelt. Mit ihr ist es möglich, den Dieselverbrauch und den CO2-Ausstoss im regulären Betrieb um 80% zu senken – und somit auch die Lärmbelastung. Die hNEA ist zum Beispiel ideal für den mobilen Einsatz im ländlichen Raum mit kurzen Hochlastphasen oder, kombiniert mit im Netz verteilten Energieerzeugungsanlagen, auch für die Versorgung von ganzen Ortschaften geeignet.
Intelligente Steuerung des Batteriespeichers
Eine zentrale Innovation des Projekts war die dynamische Steuerung des Batteriespeichers mittels eines eigens entwickelten Algorithmus, der in der Programmiersprache Scada Programming Interface (SPI) programmiert wurde. Die Logik dieses Algorithmus beruhte auf der minutengenauen Analyse des durchschnittlichen Ladezustands (State of Charge, SOC) der hybriden Netzersatzanlagen. Bei steigendem SOC, also bei einem Überschuss an Photovoltaikenergie, wurde das Batteriesystem automatisch geladen, während es bei einem sinkenden SOC, also einem Produktionsdefizit, entladen wurde, um das Netz zu stabilisieren. Diese adaptive Steuerung verhinderte Überladungen oder Tiefentladungen und schützte zugleich die Batterien der hNEA vor übermässiger Beanspruchung. Gleichzeitig konnte so eine gleichmässige Netzfrequenz von rund 50 Hz gehalten werden. Erwähnenswert ist auch, dass die Dieselgeneratoren der hNEA, die normalerweise bei leeren Batterien oder fehlender Einspeisung dezentraler Anlagen einspringen, während des gesamten Tests nicht genutzt wurden.
Der praktische Test fand am 17. Juni 2025 statt, einem sonnigen Tag mit idealen Wetterbedingungen. Um 8.54 Uhr wurde das Mini-Grid freiwillig vom übergeordneten Netz getrennt und das System ging vollständig in den autarken Inselbetrieb über. Während fast sechs Stunden arbeitete das Mini-Grid eigenständig und stabil, bevor um 14.42 Uhr die Wiederverbindung mit dem Hauptnetz über eine der hNEAs unterbruchs- und störungsfrei erfolgte. Der Test umfasste zudem verschiedene simulierte Ereignisse, darunter vorübergehende Kommunikationsprobleme, manuelle Eingriffe zur gezielten Auf- oder Entladung einzelner hNEAs sowie eine absichtliche Deaktivierung des BESS-Steuerungsalgorithmus, um das Systemverhalten in Ausnahmesituationen zu überprüfen. Auch die Nichtlinearitäten des BESS bei Annäherung an seine Kapazitätsgrenzen konnten analysiert werden. Dabei zeigte sich, dass ab einem Ladezustand von 75% die Ladung beschleunigt wurde, während bei 99% eine Schutzfunktion die weitere Ladung stoppte.
Das BESS reagierte schnell und präzise auf dynamische Anforderungen, nahm PV-Überschüsse auf und glich sie im Netz aus. Die Energiequalität erfüllte durchgehend die Anforderungen der Norm EN 50160, insbesondere hinsichtlich der Einhaltung von Frequenz und Spannung. Die Netzfrequenz wurde bei etwa 50 Hz stabil gehalten und schwankte in der Regel um weniger als ±0,05 Hz, abgesehen von gezielt herbeigeführten Extremschwankungen. Die Spannungen im Niederspannungsnetz blieben selbst bei wechselnden Lasten und Produktionsbedingungen mit Schwankungen von lediglich ±4 V stabil. Die Mittelspannung zeigte Werte im normkonformen Bereich von ±300 V. Überspannungen, kritische Transienten oder Desynchronisationen wurden nicht festgestellt.
Zukunftsperspektiven für dezentrale Energienetze
Diese positive Bilanz unterstreicht das Potenzial von Mini-Grids, insbesondere in Regionen mit hohem Anteil an erneuerbaren Energien oder dort, wo eine besonders widerstandsfähige Energieversorgung erforderlich ist. Die modulare Bauweise mit hybriden Netzersatzanlagen, stationären Speichersystemen und intelligentem Energiemanagement ermöglicht nicht nur temporäre Einsätze bei Bauvorhaben, Veranstaltungen oder Notfällen, sondern auch langfristige Versorgungsstrategien zur Aufrechterhaltung des Netzbetriebs. Die in Emmenmatt gewonnenen Erfahrungen zeigen, dass Mini-Grids bereits heute marktfähige Lösungen darstellen, die sich flexibel an unterschiedliche Szenarien anpassen lassen und somit einen wichtigen Beitrag zur dezentralen Energiewende leisten können.
Das Mini-Grid von Emmenmatt demonstriert eindrucksvoll, dass die Kombination aus automatisierter Steuerung, vernetzter Koordination mehrerer Energiequellen und moderner Speichertechnologie eine stabile, effiziente und sichere Stromversorgung auch im Inselbetrieb gewährleistet. Damit erfüllt dieses Konzept zentrale Anforderungen an künftige Energiesysteme, die durch immer mehr fluktuierende Erneuerbare und neue Lastprofile geprägt sind. Die Erkenntnisse aus diesem Feldtest liefern wertvolle Grundlagen, um Mini-Grids in der Praxis weiter optimieren zu können und flächendeckend zu implementieren. Sie unterstreichen zudem das grosse Potenzial für die Schweiz, bei der Transformation der Energieinfrastruktur wegweisend zu sein und neue Technologien erfolgreich in den Netzausbau einzubinden.
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