Wasserstoffwirtschaft oder Energiewende?
Energiebilanzbetrachtungen für ein nachhaltigeres Energiesystem
Die von Wasserstoffbefürwortern verbreitete Begeisterung hat auch politische Kreise erreicht. Programme zur Realisierung einer Wasserstoffwirtschaft werden dabei oft ohne ausreichende Berücksichtigung von physikalischen Zusammenhängen und technischen Grenzen formuliert. Setzt man mit Wasserstoff bei der Energiewende wirklich auf die richtige Karte?
Die Idee ist faszinierend, Wasserstoff zum universellen Energieträger zu machen, mit dem man alles antreibt, was sich bewegen soll, Gebäude heizt, chemische Produkte herstellt und Strom bedarfsgerecht vor Ort erzeugt. In der nationalen Wasserstoffstrategie der Deutschen Bundesregierung werden Ziele genannt und Programme definiert. Man will zum Weltmarktführer der Wasserstofftechnologie werden. In keiner der Ankündigungen findet man jedoch einen Bezug auf die schlechte Energiebilanz der Wasserstoffkette. Energiewende bedeutet Abkehr von fossilen und nuklearen Energieträgern hin zur effizienten Nutzung der von Sonne, Wind usw. geernteten elektrischen Energie. Mit der verlustreichen Lieferkette für Wasserstoff kann die Energiewende nicht gelingen. Wir haben ein Energieproblem zu lösen, aber kein Technologieproblem, denn alle Bauteile einer Wasserstoffwirtschaft sind seit Jahren bekannt und kommerziell verfügbar. Es gibt nicht mehr viel zu forschen, aber viel aus dem voreilig prall gefüllten Steuertopf zu holen.
Auch mich konnte der Braunschweiger Professor Eduard Justi 1976 für eine Wasserstoffwirtschaft begeistern. Um die Jahrtausendwende habe ich jedoch die Energiebilanz einer Wasserstoffwirtschaft kritisch analysiert und ernüchternde Ergebnisse erhalten. Mit dem Strom, der für die gesamte Wasserstoffkette benötigt oder dabei verschwendet wird, lässt sich bei einer direkten Verteilung wesentlich mehr machen. Ich habe 2002 die Energiebilanz der Wasserstoffkette detailliert analysiert und mit dem Titel «The Future of the Hydrogen Economy: Bright or Bleak?», 2002 in englischer Sprache veröffentlicht. Eine Kurzfassung meiner Arbeit ist 2010 von der Leibniz-Gesellschaft unter dem Titel «Wasserstoff löst keine Energieprobleme» ins Netz gestellt worden. Die Ergebnisse meiner Analyse sind in Bild 1 vereinfacht als Energiekaskade dargestellt. Die Energie von grünem Strom, den man über bestehende Netze direkt zum Verbraucher leiten könnte, wird zuerst elektrolytisch in Wasserstoff gesteckt, den man über eine neu zu schaffende Infrastruktur verteilen muss, um ihn dann wieder in Strom zu verwandeln oder stofflich zu verwenden. Nur ein Viertel der ursprünglichen Energie ist nutzbar. Ein von Klaus Maier für die Hessische Landesregierung erarbeitetes Gutachten kommt zu noch schlechteren Ergebnissen. Strom von Brennstoffzellen wird mindestens viermal teurer sein als Strom direkt aus der Steckdose. Auch braucht es viermal mehr Windräder und PV-Anlagen, wenn die geerntete Energie nicht direkt, sondern mit Wasserstoff als Energieträger zum Verbraucher gelangt. Der mit Wasserstoff und Brennstoffzelle erzeugte Sekundärstrom wird immer wesentlich teurer sein als der direkt gelieferte grüne Primärstrom. Ende der Wasserstoffwirtschaft – sollte man meinen, aber Geld wird mit Produkten verdient, nicht mit Energiebilanzen.
Geringe Energieeffizienz
Vier Elektromobile lassen sich mit dem Strom betreiben, der für die Wasserstoffversorgung eines einzigen baugleichen Brennstoffzellenautos benötigt wird. Mit Strom fährt man also viermal weiter als mit Wasserstoff, oder benötigt für 100 km lediglich 18 statt 72 kWh grünen Primärstrom. Mit dem geplanten Import von Wasserstoff aus sonnenreichen Weltregionen verschlechtern sich die Verhältnisse weiter. Mit lokal erzeugten 18 kWh grünem Primärstrom könnte man 100 km zurücklegen. Mit australischem Wasserstoff würde man für die gleiche Strecke insgesamt 100 kWh Primärstrom benötigen. Inzwischen ist auch die Klimaerwärmung durch Kohlendioxid dazugekommen. Ich habe meine Modellrechnungen von damals erweitert und erhalte für den importierten Wasserstoff eine schockierende CO2-Bilanz. Das CO2 wird zum überwiegenden Teil von den Tankschiffen emittiert, die nicht mit sauberem Wasserstoff angetrieben werden können, weil die transportierte H2-Liefermenge gerade für Hin- und Rückfahrt von Brisbane nach Hamburg reicht. Fazit: Die Verwirklichung der Energie- und Klimawende ist mit einer Wasserstoffwirtschaft nicht möglich.
Wasserstoff ist bekanntlich keine Energiequelle, sondern ein künstlich mithilfe von Strom aus Wasser hergestellter Energieträger. Der mit erneuerbaren Energien geerntete grüne Strom soll in Form von Wasserstoff verteilt und im Endbereich der Energienutzung wieder in Strom zurückverwandelt, beziehungsweise thermisch und chemisch genutzt werden. Er kann auch als Medium zur Energiespeicherung dienen. Die technischen Möglichkeiten sind vielfältig und faszinierend. Im Vergleich zu Erdgas bietet er klimafreundlichere Optionen für fast alle Sektoren der Energienutzung. Das motiviert nicht nur heranwachsende Ingenieure immer von Neuem. Nach einigen Jahren der Begeisterung folgt jedoch die Ernüchterung. Wenn man sich mit den energetischen Aspekten einer Wasserstoffwirtschaft zu beschäftigen beginnt, wird schnell klar, dass sich die Energiezukunft nicht mit Wasserstoff gestalten lässt, denn Wasserstoff ist keine «unendliche» Energiequelle, sondern lediglich ein häufiges Element, das auf der Erde nur in chemisch gebundener Form vorkommt und künstlich zu einem Energieträger gemacht werden muss.
Obgleich die technische Basis für eine Wasserstoffwirtschaft seit Jahrzehnten bekannt ist, folgt die Begeisterung für Wasserstoff einem Zyklus von etwa 20 Jahren. Ich habe vier solche Wellen zwischen 1960 und 2020 erlebt und mich 1980 ebenfalls begeistern lassen. Diese Schübe folgen nicht neuen Erkenntnissen, sondern sind vermutlich mit dem Lernprozess nachwachsender Generationen verbunden. Offenbar braucht es zehn Jahre, bis der anfangs faszinierte Einsteiger erkannt hat, dass sich die Energieversorgung nicht mit Wasserstoff sichern lässt. Dann folgen weitere zehn Jahre, bis diese Erkenntnisse wieder vergessen sind.
Anders lassen sich die Euphoriewellen nicht erklären, denn der fundamentale Energieerhaltungssatz hat auch für den künstlich hergestellten Energieträger ewige Gültigkeit. Für die Herstellung von Wasserstoff wird viel mehr Energie benötigt, als jemals wieder zurückgewonnen werden kann, unabhängig davon, wie man es macht. Erdgas, das mit vertretbarem Energieaufwand gefördert, gereinigt und verteilt wird, ist eine natürliche Energiequelle, also ein positiver Posten in der Energiebilanz. Der künstlich hergestellte Wasserstoff steht aber immer in der negativen Spalte. Mit Wasserstoff lässt sich das Energieproblem deshalb nicht lösen.
Vermutlich fehlt diese Erkenntnis oft und vor allem bei der politischen Diskussion, die mit der Verknüpfung von technischen Lösungen begeistert, aber energetische Zusammenhänge nicht umfassend würdigt. Man behandelt Wasserstoff vereinfacht als ein Gas, das wie Erdgas komprimiert oder verflüssigt, in Pipelines, Tanklastwagen oder Tankschiffen transportiert, in Tanks oder Kavernen gelagert und problemlos verteilt und genutzt werden kann. Die physikalisch bedingten Unterschiede werden nicht wahrgenommen. Wasserstoffmoleküle mit einem Molekulargewicht von zwei verhalten sich anders als die achtmal schwereren Erdgasmoleküle. Deshalb unterscheiden sich Energiebilanzen «von der Wiege bis zur Bahre» von Wasserstoff und Erdgas erheblich. In der allgemeinen Diskussion werden in der Regel nur technische Details der Wasserstoffwirtschaft dargestellt. Unbewusst, oft aber auch bewusst, verzichtet man auf die Präsentation einer Energiebilanz und auf eine Diskussion der energetischen Fakten und die sich daraus ergebenden Konsequenzen.
Der Aufwand ist gross
Einige Beispiele – zum grossen Teil aus meiner Analyse «Wasserstoff löst keine Energieprobleme» – illustrieren dies. Ein Liter verflüssigtes Erdgas hat einen Energieinhalt von 13,7 kWh. Im gleichen Volumen haben aber nur 2,36 kWh Flüssigwasserstoff Platz. Für die Verflüssigung von 1 kg Erdgas bei minus 104°C werden 10 bis 20%, für die Verflüssigung von 1 kg Wasserstoff bei minus 253°C jedoch 30 bis 40% des jeweiligen Brennwertes benötigt. Man preist die hohe gewichtsbezogene Energiedichte von Wasserstoff und vergisst, dass 1 kg Wasserstoff unter Normalbedingungen ein Volumen von 11 m³ benötigt. Beim Erdgas sind es lediglich 2,5 m³. Bei gleichem Druck lässt sich in einem Tank 4,3-mal mehr Energie mit Erdgas als mit Wasserstoff speichern. Der Energietransport in Pipelines erfordert für Wasserstoff 40% mehr Energie als für Erdgas. Der Energiebedarf für die Kompression von Wasserstoff ist achtmal grösser als für Erdgas. Ein mit Benzin gefüllter Tanklastwagen liefert gleich viel Energie wie 20 Wasserstoff-Tanklastwagen, von denen jeder bei 40 t Gesamtgewicht gerade einmal 250 kg Wasserstoff bei 250 bar transportieren kann. Inzwischen wird Wasserstoff auch bei höherem Druck transportiert. Die ersparte Transportenergie entspricht etwa dem Mehraufwand für die zusätzliche Kompression. Für eine Verteilung von grünem Strom in Form von Wasserstoff müssen viermal mehr Windkraft- oder Solaranlagen gebaut werden als bei einer direkten Nutzung der geernteten Elektrizität. Bei australischem Wasserstoff liegt der Faktor bei fast sieben (Bild 2). Diese Beispiele verdeutlichen, dass Wasserstoff kein geeigneter Energieträger ist.
In der auf technische und wirtschaftliche Machbarkeit gerichteten Diskussion wird Wasserstoff in fahrlässiger Vereinfachung als Gas betrachtet, das Erdgas ersetzt. Man spricht von einer Nutzung des bestehenden Gasnetzes und vergisst, dass für Wasserstoff nicht nur Elektrolysestationen, sondern auch Kompressoren, Verflüssigungsanlagen, Pipelines, Speicherbehälter, Ventile, Mess- und Regeltechnik sowie andere Gasbrenner benötigt werden. Die bestehenden Erdgasnetze und die installierte Technik müssen grundlegend überarbeitet werden. Das kostet nicht nur viel Geld, sondern vor allem auch viel Zeit, die wir angesichts der drohenden Klimakatastrophe nicht mehr haben. Dieser riesige und unnötige Aufwand belastet kommende Generationen. Für die direkte Lieferung des geernteten grünen Stroms besteht ein ausgebautes Netz. Mit geringen organisatorischen Veränderungen, einigen technischen Anpassungen und vertretbaren Investitionen können Verkehr und Wirtschaft kostengünstig mit grünem Strom versorgt werden. Eine für alle Zeiten optimierte «Elektronenwirtschaft» ist somit wesentlich schneller zu schaffen als die Gestaltung einer «Wasserstoffwirtschaft» (Bild 2). Auch soll Wasserstoff bevorzugt mit dem grünen Strom produziert werden, der nicht ins Netz eingespeist werden kann, also statistisch erfasst lediglich 3% der geernteten Windenergie. Für jede Windkraftanlage müsste eine ebenso grosse Wasserstoffanlage mit Wasseraufbereitung, Elektrolyseur, Kompressoren, Tanks mit Transportfahrzeugen oder Gasleitungen und Gebäude errichtet werden. Die Investitionen zur Wasserstoffgewinnung übersteigen die Kosten der Windkraftanlage. Bei den wenigen jährlichen Betriebsstunden würden sich die Investitionen nicht rechnen. Der erzeugte Wasserstoff wäre zu teuer.
Wasserstoff aus sonnenreichen Gegenden
Offenbar hat Berlin erkannt, dass eine Wasserstoffwirtschaft mehr Energie verschlingt, als lokal geerntet werden kann. Deshalb wird jetzt die Gewinnung von Wasserstoff in sonnenreichen Weltregionen ins Spiel gebracht. Die mit Australien unterzeichnete Absichtserklärung lässt vermuten, dass man weder die Energiebilanz noch die Klimabilanz des Vorhabens geprüft hat. Die Fakten sind ernüchternd: Der grösste Flüssiggastanker der Welt «Mozah» kann 266’000 m³ oder etwa 120’000 t Flüssiggas laden. Mit flüssigem Wasserstoff gefüllt beträgt die Nutzlast lediglich 18'600 t. Für die Rundreise von Brisbane nach Hamburg und zurück (28’000 km) werden etwa 35’000 t Dieselkraftstoff (tatsächlich dreckiges Bunkeröl) benötigt. Die in Hamburg mit dem flüssigen Wasserstoff angelandete Energiemenge ist nur etwa doppelt so gross wie die benötigte Transportenergie. Ein Betrieb solcher Tanker mit Wasserstoff wäre kaum möglich, weil die zweite Hälfte der Ladung für die Rückfahrt des Tankers nach Brisbane benötigt würde.
Durch Umstellung auf Wasserstoffautos können die globalen CO2-Emissionen nur unwesentlich verringert werden. Mit australischem Wasserstoff im Strassenverkehr wird die Luft also nur geringfügig sauberer. Die Gesamtenergiebilanz verschlechtert sich weiter. Um eine Energieeinheit auf deutsche Strassen zu bringen, werden für australischen Wasserstoff etwa sieben Energieeinheiten benötigt: Wasser-Beschaffung (problematisch in sonnenreichen Gegenden) und Aufbereitung (9 kg Wasser je kg Wasserstoff), Betrieb der Solaranlage, Elektrolyse, Kompression und Beförderung zur Verflüssigungsanlage, Verflüssigung, Landtransport des Flüssigwasserstoffs zum Tankschiff bei minus 253°C, Umfüllung, Seetransport nach Hamburg mit kontinuierlicher Nachkühlung, Abladen in Hamburg, Verteilung über Strasse, Bahn oder Pipelines, Umfüllen in die 30-bar-Tanks der Wasserstofftankstellen, Kompression auf 900 bar für die Befüllung von Fahrzeugen, sowie dem für den Betrieb der gesamten Lieferkette notwendigen Strombedarf. Mit der H2-Ladung eines einzigen Supertankers können nur etwa 87’000 mit Brennstoffzellen ausgestattete Fahrzeuge 20’000 km pro Jahr zurücklegen. Für den Betrieb aller deutschen Personenwagen mit australischem Wasserstoff müssten etwa 450 Tankschiffe ständig zwischen Hamburg und Australien unterwegs sein.
Schnelles Handeln mit Elektrizität
Die Energiewende könnte so einfach und klimaschonend mit lokal geerntetem Strom, hoher Effizienz und kleinen Veränderungen der bestehenden Stromverteilung gestaltet werden. Mit einer Wasserstoffwirtschaft wird die dringend notwendige Energie- und Klimawende nicht zu verwirklichen sein. Wir haben Energie- und Umweltprobleme sofort zu lösen und sollten uns Investitionen für Massnahmen ersparen, die sich schon bald als Fehlinvestitionen erweisen werden. Alle wesentlichen Kenntnisse und Verfahren für die Schaffung einer auf Strom basierenden Energieversorgung sind vorhanden. Die Automobilindustrie hat die Grenzen der Physik erkannt und sich vom Wasserstoff verabschiedet. Die Politik sollte dies umgehend zur Kenntnis nehmen und sich voll hinter eine effiziente elektrische Zukunft stellen. Das Klima kann mit dem zeitraubenden Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft nicht gerettet werden. Wir müssen schneller handeln. Weshalb so kompliziert, wenn es auch einfach geht?
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