Fachartikel Energiemarkt , Erneuerbare Energien

Wasserstoff nachhaltig günstiger herstellen

Internationale Studie

09.12.2020

Die Betreiber von Anlagen zur nachhaltigen Produktion von Wasserstoff können ihre Produktionskosten dank Zusatzerträgen aus Regelleistungsmärkten senken. Je nach Volllaststunden ergeben sich dabei unterschiedliche Marktstrategien. Modellrechnungen für Deutschland und Norwegen zeigen, dass die Auswirkung auf die Produktionskosten durchaus relevant ist.

Die nachhaltige Produktion von Wasserstoff ist ein Schlüssel­element der europäischen Agenda für den Energiewandel [1], insbesondere für Industrie, Mobilität und saisonale Energiespeicherung. Wasser­elektrolyseure, die Wasserstoff aus erneuerbarer Elektrizität erzeugen, haben das Potenzial, einen wesentlichen Beitrag zur Dekarbonisierung dieser Sektoren zu leisten. Gleichzeitig kann die Ertragslage der Technologie durch die Bereitstellung von Regelleistung verbessert werden. Um dies zu demonstrieren, analysierte die Hochschule Luzern im Rahmen des EU-Projekts «Qualy-
GridS» entsprechende Geschäftsfälle.

Geschäftsfälle für Wasserelektrolyseure

Typische Anwendungen für Wasser­elektrolyseure finden sich in der Industrie, bei Wasserstoff-Tankstellen, zur saisonalen Energiespeicherung oder zur Beimischung von Wasserstoff in das Gasnetz. Die Art der Anwendung wirkt sich auf die Betriebsstunden des Wasser­elektrolyseurs aus. Es wurden Anwendungen untersucht, bei denen der Wasser­elektrolyseur für ein bestimmtes tägliches Produktionsziel eingesetzt wird. Weiter wurde angenommen, dass für diese Anwendungen ein Tagesspeicher für Wasserstoff installiert ist. Somit lässt sich die Produktion jeweils für einen Tag auf die günstigsten Stunden planen.

Die Auswirkungen der Bereitstellung von Regelleistung für das Netz auf die Produktionskosten von Wasserstoff werden in zwei Fällen demonstriert: Im ersten bietet ein Wasser­elektrolyseur positive und negative asymmetrische Regelleistung an, im zweiten symmetrische Regelleistung. Deutschland und Norwegen wurden als die attraktivsten Länder in Europa zur Bereitstellung von Regelleistung durch Wasserelek­trolyseure identifiziert, unter der Annahme, dass der Wasserelektrolyseur von den deutschen EEG-Tarifen1) ausgenommen ist. Die im Detail evaluierten Regelleistungsprodukte sind:

  • Asymmetrische Regelleistung: positive und negative Automatic Frequency Restoration Reserve (aFRR)2) in Deutschland sowie Manual Frequency Restoration Reserve (mFRR)3) in Norwegen;
  • Symmetrische Regelleistung: Frequency Containment Reserve (FCR)4) in Deutschland.


Es wird angenommen, dass sich ein Betreiber eines Wasser­elektrolyseurs rational verhält und vorrangig ein tägliches Wasserstoff-Produktionsziel verfolgt. Daher wird der Wasserstoff­elektrolyseur so betrieben, dass die Kosten minimiert werden. Die niedrigsten Stromkosten werden erreicht, wenn der Wasserstoffelektrolyseur mit Nennleistung während jener Zeit mit den niedrigsten Strompreisen betrieben wird. Schliesslich wird angenommen, dass der Betreiber des Wasserstoffelektrolyseurs Strom auf dem Day-Ahead-Spot-Markt kauft.

Fall 1: asymmetrische Regelleistung

Im ersten Fall wird die Flexibilität des Wasserstoffelektrolyseurs als asymmetrische Regelleistung (aFRR und mFRR) dem Systemdienstleistungsverantwortlichen angeboten, welcher die bereitgestellte Regelleistung vermarktet. Bei positiver Regelleistung reduziert der Wasserstoffelektrolyseur seine Leistung während des Betriebs. Bei negativer Regelleistung erhöht er sie aus dem Standby-Betrieb unter folgenden Bedingungen:

  • Der Systemdienstleistungsverantwortliche nimmt viertelstündliche Angebote für aFRR und mFRR an, obwohl sie gegenüber dem Übertragungsnetzbetreiber5) als tägliche 4-Stunden-Produkte bzw. wöchentliche Produkte gehandelt werden6);
  • Der Standby-Energieverbrauch kann vernachlässigt werden.


Untenstehendes Bild veranschaulicht die Auswirkungen der asymmetrischen Regelleistungsprodukte auf die Stromkosten und die Betriebszeit. Es zeigt die sortierten Day-Ahead-Preise eines Tages in aufsteigender Reihenfolge. Der rot schraffierte Bereich stellt den Fall dar, dass keine Regelleistung angeboten wird, während der blau schraffierte Bereich den Netto-Stromkosten entspricht, und zwar nach Berücksichtigung der Einnahmen aus Vorhaltung (PVerfügbarkeit) und Abruf (PNutzung), also den Einnahmen aus den Stunden, in denen der Elektrolyseur Vorhaltung anbietet, plus beispielhaft den Ertrag aus Abrufen.

Auf der linken Bildseite erfordert das positive Reserveprodukt eine Reduzierung der Nennleistung, wodurch die Wasserstoffproduktion reduziert wird. Dieser Produktionsverlust wird durch eine verlängerte Betriebszeit bei der Bereitstellung negativer Reserve, wie auf der rechten Seite dargestellt, kompensiert. Obwohl ein Betreiber eines Wasserstoffelektrolyseurs in der Regel für die bezogene Regelenergie bei einem Abruf bezahlt, ist der Preis niedriger als der reguläre Marktpreis, was kommerziell attraktiv ist.

Fall 2: symmetrische Regelleistung

Der Wasserstoffelektrolyseur bietet seine Flexibilität als symmetrische Regelleistung (FCR) an. Für maximale symmetrische Regelleistung kann er höchstens mit der Hälfte seiner Nennleistung (P@50 % Load) betrieben werden, da er jederzeit symmetrisch über positive und negative Reserve verfügen muss.

In obenstehendem Bild wird die Kostensenkung durch die Bereitstellung von FCR durch die Differenz zwischen den rot und blau schraffierten Bereichen dargestellt. P@50 % Load (graue Linie) stellt den Strompreis dar, wenn die Last mit 50 % betrieben wird. Da die Betriebsleistung auf die Hälfte reduziert wird, muss der Wasserelektrolyseur doppelt so lange, also auch während teurerer Stunden betrieben werden. Die graue Kurve trägt diesen teureren Betriebsstunden Rechnung, indem der Strompreis (schwarze Kurve) mit der gespiegelten Strompreiskurve (braune Kurve) gemittelt wird. Die graue Kurve wird durch die Einnahmen aus der FCR-Bereitstellung zur grünen Kurve verschoben. Diese hilft bei der Bestimmung des Zeitraums, über den das Angebot von FCR vorteilhaft ist (im Beispiel sind das die Stunden 6 bis 12).

Das Anbieten von FCR generiert nicht nur zusätzliche Einnahmen, sondern verursacht auch Opportunitätskosten, da der Wasserstoffelektrolyseur mit Teillast arbeiten muss. Das bedeutet, dass er die Möglichkeit aufgibt, Wasserstoff mit maximaler Leistung während der günstigsten Tageszeiten zu produzieren. Wie im obenstehenden Bild dargestellt, entsprechen die Opportunitätskosten der Differenz zwischen der Kurve P@50 % load (grau) und der Kurve Pday-ahead (schwarz). Die niedrigsten beobachtbaren Opportunitätskosten finden sich in der Stunde 11–12 und steigen nach links an. Daher wird das Angebot von FCR für längere Zeiträume mit steigenden Opportunitätskosten teurer.

Wasserstoff-Gestehungskosten

Alkalische und PEM7)-Wasserstoffelektrolyseure gehören heute zum Stand der Technik für eine nachhaltige Wasserstoffproduktion. Auf der Grundlage von 1 MW-Alkali- und -PEM-Wasserstoffelektrolyseuren wurde die Differenz der Gestehungskosten von Wasserstoff (LCOH)8) ohne Regelleistung und der beiden Fälle mit Regelleistung simuliert (Bild unten). Die LCOH-Differenz zwischen den Fällen wird ausgedrückt als Einsparung bei den Wasserstoffproduktionskosten. Der Betrieb wird über 20 Jahre9) betrachtet, mit einem gewichteten durchschnittlichen Kapitalkostensatz von 8 % und Investitionskosten von 1200 €/kW (ALK) und 1500 €/kW (PEM). Wie erwähnt, wird für Deutschland kein EEG-Zuschlag berücksichtigt. Die täglichen Produktionsziele sind konstant.

Betrachtet man die absoluten FCR-Einsparungen für Deutschland, so sind die Auswirkungen bei niedrigen Volllaststunden (FLH) am grössten, mit Einsparungen bis zu 0,94 €/kg Wasserstoff (PEM) und 0,86 €/kg Wasserstoff (ALK). Mit zunehmender Betriebsstundenzahl nimmt dieser Wert stetig ab, da die Opportunitätskosten mit teureren Betriebsstunden steigen. Bei 4380 FLH werden Einsparungen von 0,56 (PEM) und 0,52 (ALK) €/kg erreicht. Steigen die FLH über 4380, sinkt die Anzahl der Stunden, die zur Bereitstellung von FCR bei Teilbeladung zur Verfügung stehen. Infolgedessen ist bei FLH über 4380 ein noch stärkerer Rückgang zu beobachten.

Sowohl für PEM- als auch für ALK-Wasserstoffelektrolyseure ist gemäss obenstehendem Bild mFRR die am wenigsten attraktive Regelleistung. AFRR hingegen ist hinsichtlich des Einsparpotenzials zwischen 5700 und 8760 FLH das dominierende Produkt.

Schlussfolgerungen und Grenzen der Analyse

Betreiber von Wasserstoffelektrolyseuren können die LCOH reduzieren, indem sie Regelleistungen anbieten. Die Anzahl FLH ist eine Schlüsselvariable zur Bestimmung des wirtschaftlichen Mehrwerts von Regelleistung. Insbesondere deutsche aFRR und FCR sind geeignete Produkte, um Produktionskosten zu senken. Dadurch können wirtschaftliche Hürden bei der Einführung der Technologie besser überwunden werden.

Allerdings ist zu beachten, dass die Kosten für die Speicherung von Wasserstoff in dieser Analyse nicht berücksichtigt worden sind. Ferner wird die Aufteilung der Einnahmen zwischen dem Betreiber des Wasserstoffelektrolyseurs und dem Systemdienstleistungsverantwortlichen nicht berücksichtigt, da dies von einem zu vereinbarenden bilateralen Vertrag abhängt. Schliesslich wurden aus Gründen der Datenverfügbarkeit und Vergleichbarkeit 4-Stunden-Verträge in 15-Minuten-Verträge für aFRR und mFRR aufgeteilt. Die Fälle aFFR (realistic) und mFRR (realistic) in obenstehendem Bild berücksichtigen näherungsweise den daraus resultierenden Minderwert, indem die Auswirkungen auf die Preiskurven durch Vergleich mit verwandten, zeitlich höher aufgelösten Regelleistungsmärkten berücksichtigt werden.

Weitere Reduktionen bei den Produktionskosten sind zu erwarten bei Wasserstoffelektrolyseuren mit grösserer Leistung. Ferner dürften Investitionskosten mit zunehmender Verbreitung der Technologie sinken. Schliesslich wird die Nachfrage nach kurzfristig abrufbaren Energieprodukten mit dem Ausbau erneuerbarer Energien steigen, was sich in einem gut funktionierenden Markt in höheren Erträgen niederschlagen sollte.

Referenzen

[1]   «The hydrogen strategy for a climate-neutral Europe», EU-Kommission, Brüssel, 2020.
[2]   R. Reissner et al., «Qualifying tests of electrolysers for grid services: Finalized testing protocol», 2020.
[3]   M. Kopp, D. Coleman, C. Stiller, K. Scheffer, J. Aichinger und B. Scheppat, «Energiepark Mainz: Technical and economic analysis of the worldwide largest Power-to-Gas plant with PEM electrolysis», Int. J. Hydrogen Energy, Vol. 42, Nr. 19, 2017, S. 13311–13320.
[4]   «Study on early business cases for H2 in energy storage and more broadly power to H2 applications», Hinicio and Tractabel, Brüssel, 2017.

1) Erneuerbare-Energien-Gesetz; Tarif zur Finanzierung der Deutschen Einspeisevergütung.
2) Verwendet wird die Entso-E-Terminologie. In der Schweiz entspricht aFRR der Sekundärregelung.
3) Verwendet wird die Entso-E-Terminologie. In der Schweiz entspricht mFRR der Tertiärregelung.
4) Verwendet wird die Entso-E-Terminologie. In der Schweiz entspricht FCR der Primärregelung.
5) In der Schweiz ist die Übertragungsnetzbetreiberin die Swissgrid.
6) Diese zeitliche Aufteilung der Kontrakte wurde aus Gründen der Vergleichbarkeit der Produkte angesichts der unterschiedlichen Handelszeiträume in verschiedenen Ländern vorgenommen.
7) Polymer-Elektrolyt-Membran
8) Levelized Cost of Hydrogen
9) Stack-Lebensdauer von 80 000 beziehungsweise 40 000 Stunden für alkalische und PEM-Wasserstoffelektrolyseure.
Autor
Prof. Dr. Christoph Imboden

ist Leiter des CC Energiewirtschaft der Hochschule Luzern.

  • Hochschule Luzern, 6048 Horw
Autor
Valerian Klemenz

ist Energiedaten- und Pricing-Manager bei den Werken Wallisellen.

  • Werke Wallisellen, 8304 Wallisellen
Autorin
Tanaka Mandy Mbavarira

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am CC für Energiewirtschaft der Hochschule Luzern.

  • Hochschule Luzern, 6048 Horw

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