Fachartikel IT für EVU , Konventionelle Kraftwerke

Wasser­kraft­werke effizient validieren

Stabilitätsvalidierung mit «Hardware-in-the-Loop»

10.08.2021

Simulationen von grossen Kraftwerken können in der Praxis anspruchsvoll und teuer sein. Mit der Typhoon Hardware-In-the-Loop-Instrumentierung vereinfacht und beschleunigt man den Verifikationsprozess unter realen Bedingungen. Ein Modell des Wasserkraftwerks Göschenen zeigte die Wirksamkeit dieses Ansatzes auf.

Das im Kanton Uri gelegene Kraftwerk Göschenen wurde 1962 in Betrieb genommen. Es verfügt über vier 40-MW-Stromgeneratoren, die von 3-düsigen Peltonturbinen angetrieben werden. Zwei Maschinen (die Gruppen 1 und 2) produzieren Strom für die SBB (einphasig, 16,7 Hz), die anderen zwei (die Gruppen 3 und 4) werden von der CKW AG genutzt. Die durchschnittliche Jahresproduktion liegt bei 293 GWh. Mit der Verlustwärme der Generatoren ist es möglich, das Produktionsgebäude und 13 Häuser zu beheizen.

Das für die Energieerzeugung genutzte Wasser stammt aus dem Göscheneralpsee [4], der ein Fassungsvermögen von 75 Mio. Kubikmetern Wasser hat. Dieser See verfügt über einen 155 m hohen und 540 m langen Erddamm, den höchsten Erddamm der Schweiz. Der Druckstollen, der den Stausee mit dem Wasserschloss verbindet, ist 7 km lang und führt von dort in einen 900 m langen Druckschacht im Kavernenkraftwerk am Ausgang Göschenental.

Validierung des Kraftwerks Göschenen

Zusammen mit der Firma CKW AG, der Eigentümerin der Maschinengruppen 3 und 4 des Wasserkraftwerks Göschenen, hat sich ein Team der Hochschule Luzern der Frage gewidmet, ob die bestehende Anlage die neuen Kriterien des Transmission Code (siehe Kasten) erfüllt, insbesondere die des Kapitels 6, die unter anderem die technischen Anforderungen für den Anschluss von technischen Anlagen an das Übertragungsnetz definieren.

Zunächst wurde eine grundlegende Lastflusssimulation (Generator mit Blocktransformator und Freileitung) in Neplan durchgeführt, um mit der Verifizierung einiger dieser Punkte zu beginnen. Im anschliessenden Hauptprojekt wurden die von der Partnerfirma (CKW AG) geforderten Punkte vollständig verifiziert. Zusätzlich wurde eine praxisnahe Simulation durch den Einsatz eines Einspeise­geräts der Firma Typhoon-HIL und eines Schutzrelais der Firma Andritz Hydro AG durchgeführt, um die transiente Stabilität besser zu verstehen.

Simulationsarten

Es gibt diverse Arten von Simulationen für die Untersuchung der transienten Stabilität von Kraftwerken (Bild 1), unter anderem HIL- und SIL-Simula­tionen:

HIL: Mit Hardware-in-the-Loop werden die Techniken zur Verifizierung von elektronischen Steuergeräten und deren Software bezeichnet, bei welchen die Prüflinge an Prüfstände angeschlossen werden, mit denen das zu steuernde Umsystem als Echtzeitsimulation nachgebildet wird.[1]

SIL: Mit Software-in-the-Loop werden die Techniken zur Verifizierung von Steuergeräte-Software bezeichnet, bei welchen sowohl das Steuergerät als auch das zu steuernde Umsystem mittels Simulation nachgebildet werden.

Mit den HIL-Tests und entsprechenden Prüfständen können Komponenten, Subsysteme und Systeme bereits in der Design- und Prototyping-Phase verifiziert werden, ohne auf die Verfügbarkeit des Endprodukts warten zu müssen, für das sie bestimmt sind. Real installierte Komponenten reagieren auf simulierte Signale, als ob sie in einer echten Umgebung arbeiten würden. HIL-Tests sind zwar etwas teurer als SIL-Tests, stellen aber einen guten Kompromiss bezüglich der Ergebnis­treue dar.

Verifizierungs-Methodik

Im Projekt wurden vor allem Spannungs- und Frequenzschwankungen sowie die transiente Stabilität getestet. Die meisten Punkte bezüglich der Spannungs- und Frequenzschwankungen wurden mit einer Simulation in Neplan und Berechnungen auf Basis vorhandener Anlagendaten verifiziert.

Aspekte, die die transiente Stabilität betreffen, wurden im Labor mit einem Schutzrelais und einem Einspeisegerät untersucht. Mit dem Einspeisegerät von Typhoon-HIL wurden Spannungen und Ströme erzeugt, die zur Beobachtung des Verhaltens der drei im Kraftwerk Göschenen vorhandenen Schutzrelais nötig sind. Da die analogen Ausgänge (±10 V Gleichspannung) des verwendeten Modells HIL 602+ nicht den Anforderungen für das Projekt entsprachen, wurde ein zusätzliches Gerät, HIL-Connect, hinzugefügt, um bis zu ±183,3 V (Spitze) für Spannungen und ±2,82 A (Spitze) für Ströme an den Ausgängen zu haben.

Mit der Typhoon HIL-Software wurde ein Modell erstellt (Bild 2), das dem für die Simulation in Neplan verwendeten Modell entspricht. Dieses Modell umfasst eine Synchronmaschine, einen Transformator und das 235-kV-Netz. Anschliessend wurde im HIL-Scada-Softwareteil ein Panel aufgebaut, um die Simulationsergebnisse anzuzeigen und in Echtzeit zu beobachten, was in der Anlage passiert.

Visuelle Schnittstelle

Um die Maschine steuern und die Ergebnisse der Simulationen in Echtzeit anzeigen zu können, wurde im HIL-Scada-Softwareteil ein inter­aktives, anwenderfreundliches Panel (Mensch-Maschine-Schnittstelle) realisiert (Bild 3).

Mit diesem Panel können ein Drehmoment und ein Erregerstrom direkt an der Synchronmaschine eingestellt werden. Ausserdem ist es möglich, die Leistungswerte und den Verlauf der Spannungen und Ströme der Maschine und des 235-kV-Netzes in Echtzeit zu visualisieren. Mit der Oszilloskopfunktion kann kontrolliert werden, ob die Phasenverschiebung zwischen den verschiedenen Spannungen korrekt ist und ob die Maschine stabil und schwingungsfrei arbeitet.

Plausibilität des Modells

Die in Bild 3 gezeigten Werte (Normalfall der Produktion für die Anlage) wurden in die Tabelle eingefügt und mit den aus der Neplan-Simulation verfügbaren Werten verglichen. Zwischen den Werten der beiden Modelle gibt es einige Unterschiede, was darauf zurückzuführen ist, dass die von den beiden Programmen geforderten Parameter nicht immer die gleichen waren. In der Neplan-Simulation wurden viel mehr Daten einbezogen, wodurch die Ergebnisse genauer wurden. Trotz dieser geringfügigen Unterschiede repräsentieren beide Modelle die Maschinengruppen 3 und 4 des Kraftwerks Göschenen sehr gut.

Transientenstabilität

Bild 4 (Abbildung 15 im neuen Transmission Code) stellt das Verhalten dar, wie sich die Netzspannung an der Strom­erzeugungsanlage bei Ausfällen oder sehr kurzen Unterbrechungen verhalten sollte. Die Betriebsspannung entspricht in unserem Fall 235 kV und die in Göschenen verwendete Maschine entspricht der Kategorie «Typ 1».

Unter transienter Stabilität versteht man die Fähigkeit eines Synchrongenerators, die Synchronität des Netzes auch nach Störungen (wie z. B. einem Kurzschluss) sicherzustellen. Um diese Stabilität zu erreichen, muss die Maschine nach der Behebung des Problems wieder einen stabilen Betriebspunkt erreichen.

Es gibt zwei Arten von Kurzschlüssen: Kurzschlüsse in der Nähe von Kraftwerken mit einer maximalen Fehlererklärungszeit von 0,15 s sowie vom Kraftwerk entfernte Kurzschlüsse mit einer maximalen Fehlererklärungszeit von 0,70 s. Bei einem Spannungsabfall oberhalb der schwarzen Linie in Bild 4 darf die Maschine nicht vom Netz getrennt werden, während bei einem grossen Spannungsabfall (unterhalb der Grenzlinie) eine Trennung vom Netz möglich ist.

Prüfung der Transientenstabilität

Nach der Verifikation der realisierten Simulation wurden die Geräte von Typhoon HIL mit einem Schutzrelais (DRSC2A) verbunden (Einstiegsbild) und verschiedene Arten von Kurzschlüssen simuliert, aufgezeichnet und mit dem Schutzrelais verifiziert, um sicherzustellen, dass das System ordnungsgemäss funktioniert.

In Bild 5 ist ein Beispiel für einen durchgeführten Test dargestellt. Man sieht einen Kurzschluss im Netz in 14,8 km Entfernung vom Wasserkraftwerk: Die Spannung fällt von 235 kV auf 90 kV für eine Dauer von 0,60 s, während der die Synchronmaschine am Netz angeschlossen bleibt. Nach ein paar Sekunden kehrt das Netz auf eine Nennspannung von 235 kV zurück.

Fazit

Dank der «Hardware-in-the-Loop»-Analyse war es möglich, den Betrieb des Wasserkraftwerks Göschenen umfassend zu testen. Die verschiedenen Simulationen, die während des Projekts durchgeführt wurden, zeigten, dass alle Kriterien des neuen Transmission Codes erfüllt wurden, insbesondere im Bereich der transienten Stabilität.

Dieses Projekt hat auch die Flexibilität der Typhoon-HIL-Produkte und ihre Effektivität für komplexe Aufgaben demonstriert.

Einer der Vorteile war die Möglichkeit, Simulationen im Labor schnell in einer sicheren Umgebung durchzuführen, ohne das Risiko, die Anlagen zu beschädigen. Zudem war die Software, die zur Erstellung der Simulationsdiagramme verwendet wurde, einfach zu bedienen. Werte konnten für eine vollständige und präzise Arbeit schnell verändert werden.

Transmission Code

Neue Version in Kraft getreten

Der Transmission Code (TC) enthält die Vorschriften für die Übertragung von Elektrizität. Das Dokument regelt alle technischen und organisatorischen Fragen zwischen Swissgrid und Verteilnetzbetreibern/Eigentümern, Produktionseinheiten, Endverbrauchern und anderen Akteuren im Strommarkt.

Am 7. Mai 2020 trat die neue Version des Transmission Codes (TC 2019) in Kraft. Sie ersetzt die bisherige Version aus dem Jahr 2013. Im Vergleich zum Vorgänger wurden im TC 2019 die technischen Anforderungen an Erzeugungseinheiten, für deren Einhaltung die Kraftwerksbetreiber verantwortlich sind, verschärft.

Referenzen

[1]      Typhoon HIL GmbH

[2]      Typhoon HIL, www.typhoon-hil.com/methodologies

[3]      Swissgrid AG, Transmission Code 2019

[4]      Kraftwerk Göschenen AG: Produktion

 

Ohne die Unterstützung von der Firma Typhoon-HIL (Christoph Schaub) wäre dieses Projekt nicht zustande gekommen. Dank geht auch an den Industriepartner CKW (Roman Schilter) und den Schutzlieferanten Andritz Hydro (Daniel Lötscher) für das Vertrauen und die gute Zusammenarbeit.

Autor
Massimiliano Snozzi

hat sich im Rahmen seiner Bachelor-Thesis an der HSLU mit der Simulation vom Generatorschutz befasst.

Autor
Olivier Duvanel

ist seit 2014 senior wissen­schaft­licher Mit­arbeiter am Institut für Elektro­technik an der HSLU.

Autor
Dr. Antonios Papaemmanouil

leitet seit 2019 das Institut für Elektro­technik sowie das Kompe­tenz­zentrum «Digital Energy & Electric Power» an der HSLU.

Kommentare

Albert,

Klar und interessant

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